Auswendigspielen - Superwichtig?

L

Lucia

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9. Apr. 2009
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Das Thema des Auswendigspielens ist hier bereits mehrfach diskutiert worden. Jedoch habe ich in den Threads keine Antwort auf meine Frage gefunden, so dass ich noch einmal es auf den Tisch bringen möchte.

Ich lerne autodidaktisch, weil es nicht anders geht. Bin aber notenfest und lese die beiden Hände gleichzeitig. Ich brauche mir also nicht die rechte und linke Hand separat anzusehen, sondern "höre" beim Lesen beider Notenzeilen gleich, wie es insgesamt klingen soll, ohne es mir vorzuspielen. Ich bin ein guter Blattspieler und habe auch kein Problem damit, beim Spielen Ausdruck in die Stücke zu bekommen, obwohl ich sie vom Blatt spiele. An den Noten zu "kleben", ist für mich in dieser Hinsicht keine Behinderung.

Da ich, wenn überhaupt, nur daheim vorspiele, habe ich meine Noten dabei.

Nun habe ich wenig Zeit zum Üben, nutze also jede Minute, um Fortschritte mir zu erarbeiten. Daher betrachte ich für mich das Auswendiglernen als verschenkte Zeit, da ich ja nicht wirklich weiter komme.

Liebe Pianistinnen, liebe Pianisten,
warum soll ich dann auswendig lernen? Wieso ist das so wichtig, dass es ein so großes Thema ist? Irgendwo hat mein Autodidaktengetue etwas nicht begriffen...
 
Daß Auswendigspielen so wichtig sei, wird in erster Linie von den Leuten propagiert, die nicht Prima Vista spielen können. Die müssen ihre Stücke dann halt Ton für Ton auswendiglernen.

Nein, Auswendigspielen ist überhaupt nicht wichtig!
 
Bei mir passiert das auswendig Spielen automatisch. Ich habe das die Stücke immer sehr schnell im Kopf, ohne dass ich da etwas für mache. Es passiert einfach. Ich glaube sonst würde ich die auch nicht unbedingt auswenig lernen.

Nur bei Gesangsstücken mache ich das mit "Vorsatz", da muss es sein, da muss ich dann aber auch echt lernen. Bei Melodien ist das mit mir automatisch
 
Mir gehts da wie dir Lucia. Ich bin ein relativ guter Prima-Vista-Spieler, aber lerne so gut wie gar nicht auswendig (Nimm mir meine Noten und ich bin aufgeschmissen - auch wenn ich sie in den späteren Phasen des Spielens dann nur noch als Sicherheit brauche irgendwie um immer wieder mal zu schauen, wo ich bin, und um nicht zu viel auf meine Finger schauen zu "müssen".).

Bisher stört es mich aber nicht, dass ich immer Noten brauche - höchstens ich soll mal irgendwo spontan unvorbereitet etwas vorspielen, was aber eigentlich so gut wie nie vorkommt. Und dafür hab ich dann ein paar wenige auswendig gelernte Sachen in der Hinterhand.
 
Daß Auswendigspielen so wichtig sei, wird in erster Linie von den Leuten propagiert, die nicht Prima Vista spielen können. Die müssen ihre Stücke dann halt Ton für Ton auswendiglernen.

Nein, Auswendigspielen ist überhaupt nicht wichtig!

hallo,

wieder einmal kann ich nur staunen, und das gleich mehrfach...

wieso muss man "auswendig lernen", um auswendig (meint doch: ohne Noten) spielen zu können?

muss ich mich flugs entleiben, weil ich sowohl prima vista als auch auswendig spielen kann??

"Ton für Ton auswendig lernen" --- und das dann auch noch angeblich zu "müssen" ---- ---- wie weit ist der Unstern von unserem Planeten entfernt, auf welchem man dergleichen betreibt???

...über die Unwichtigkeit des auswendig (also ohne Noten) Spielens: ich möchte gar zu gerne den- oder diejenige sehen, der oder die beim spielen rasanter Stücke (mit Sprüngen und sonstigen Gemeinheiten etc) einzig auf die Noten schaut... ... noch lieber wäre mir, beobachten zu dürfen, wie man blind übt ohne Noten :) :) - - - oder ist das blind üben/spielen in diesem Kontext hier ebenso verboten?...

Ich halte übrigens das spielen ohne Noten für sehr wichtig, wobei ich keineswegs ein dumpfsinniges "Ton für Ton auswendig lernen" propagiere - - um den Spieß spaßeshalber (((nette Alliteration ))) mal umzudrehen: evtl hat derjenige, der es nicht ohne Noten kann, Probleme damit, die Musik in sich aufzunehmen und sie "inwendig" erleben zu können...

ziemlich ratlos,
Rolf
 
oder ist das blind üben/spielen in diesem Kontext hier ebenso verboten?...

Die Frage war eben nicht, ob das Auswendigspielen verboten werden soll, sondern ob das Auswendigspielen (lebens-)notwendig ist.

Ist es nicht.

Es gibt sicher Stücke, die man besser auswendig spielen kann als nach Noten, Aber für 95% der Klavierstücke ist Auswendigspielen so unnötig wie noch was. Sogar Svjatoslav Richter hat das irgendwann eingesehen.

Von mir aus darf aber jeder, der Lust dazu hat, auswendig spielen. Vorausgesetzt, er spielt das, was in den Noten steht. Darauf kommts nämlich letzten Endes an.
 
Bei mir habe ich einen Effekt beobachtet, den ich mal Teilauswenigspielen nennen möchte. Es gibt immer wieder Passagen im Notentext, die mir zu kompliziert aussehen, wie ein "Sternenhaufen". Die sehe ich mir genau an, lerne sie gegebenenfalls mit meiner Lehrerin zusammen. Danach sehe ich in diesem Notenabschnitt nur noch den Sternenhaufen und spiele den quasi auswendig. Gefährlich kann es jetzt werden, beim Vorspielen zu genau in diesen Haufen hineinzusehen :(

Und ja, geht mir auch so: manche Stücke kann ich fast auswendig, aber wenn man mir die Noten wegnimmt, bin ich verloren...
 
Vielen Dank für Eure Meinungen.

Meine Frage zielte darauf ab, ob ich etwas verpasse im Sinne von unbedingt wichtig, wenn ich auf das Auswendigspiel verzichte. So, wie man etwas verpasst, wenn man sich z.B. nicht mit den sog. Kirchentonarten befasst. Meine Zeit ist arg beschränkt, da muss ich schon selektieren.

Ferner habe ich den Eindruck gewonnen, dass nicht jeder das Gleiche unter Blindspielen versteht: Es geht darum, nicht auf die Finger zu sehen, sondern das nur auf die Fälle zu beschränken, in denen es nicht anders geht. Blind im Sinne von "Blinde Kuh", also mit verbundenen Augen, ist etwas anderes. Sollte man aber auch probieren, um ein noch besseres Tastengefühl zu bekommen.

Selbstverständlich geht es, sich, ohne auf die Fingerkuppen zu gaffen, einen Notentext zu erarbeiten. Ich mache das ständig, viele andere auch. Oder schon einmal einen Geiger gesehen, der sich auf die linke Hand sieht, wenn er etwas Fremdes spielt? Das mag bei hochkomplizierten Passagen etwas anderes sein, aber - um beim Geiger zu bleiben -, es gibt Leute, die schaffen das. Hoffe, dass sich jetzt niemand getroffen fühlt, dennoch glaube ich, dass prima vista zu trainieren sehr sinnvoll ist.

Auch bin ich der Auffassung, dass ein auswendig daher spielen nicht zugleich bedeutet, dass man mehr Musikalität darbringt. Musikalischer Ausdruck hat etwas damit zu tun, wie sehr man sich auf die Musik einlässt, wie sehr man sie empfindet und reflektiert. Das kann man mit und ohne Noten, jeder hat da seine eigenen Vorlieben. Hauptsache ist doch, dass man überhaupt musikalisch interpretiert. Mit eigenen Gedanken, die man umsetzt, nicht wie ein programmierter Computer. Hier den Stab zu brechen und festzulegen, nur so geht es und nicht anders, ist angesichts der Verschiedenheit von Musikern und solchen, die es werden wollen, keine gute Sache.

Soweit ich es sehe, ist das Auswendiglernen nicht so wichtig wie eine gute Beidhändigkeit und ein Verständnis für die Struktur des Stückes. Die Zweihändigkeit ist eine Sache der Zeit, denn es müssen die beiden Hirnhälften besser miteinander kommunizieren lernen, was Synapsenwachsen bedeutet. Dafür ist es wichtig, so schnell als möglich beide Hände zusammen zu üben. Bisher habe ich sowas noch nicht für das Auswendigspiel gefunden. Bei prima vista ist das anders, denn man muss darauf trainiert sein, zwei zumeist verschieden notierte Systeme in zwei Hände zu koordinieren. Das braucht ein wenig mehr, denke ich, wenngleich ich keine Neurologin bin.

Zu mir und auswendig: Ich lerne nicht gezielt, weil ich die wenige Zeit, die ich habe, sinnvoller verwenden kann, indem ich weiter arbeite. Einige Stücke kann ich ohne Noten, die sind einfach da. Wenn mir mein Notenblatt herunterfällt oder von meinem Sohn geklaut wird, bringe ich an dieser Stelle das Stück zu Ende, indem ich die harmonische Struktur irgendwie zum Grundton hin auflöse. Sonst fühle ich mich unwohl.

Bin gespannt darauf, wie Ihr das seht. Bitte, her mit Euren Meinungen zu diesem Thema!
 
Hallo Lucia,

Auswendigspielen hat den Vorteil:

Du brauchst keinen Umblätterer bei einem Stück mit 30 Seiten usw.
Du kannst bei spontaner Aufforderung überall vorspielen, wo ein Klavier steht.

Meine Frage dann Lucia:

Wie klappt das bei Dir bei einer schnellen Etüde von Chopin, wie z. B. op. 25 Nr. 12?

Noch weniger kann ich mir das allerdings bei einigen konzertanten Stücken von Franz Liszt vorstellen.

Bei Franz Liszt ist doch wirklich Auswendigspielen erforderlich?
Für mich ist das Auswendigspielen solcher Stücke sehr wichtig.

Selbstverständlich gibt es auch Pianisten, am bedeutensten war der Pianist Sviatoslav Richter, die in seinen Konzerten mit Noten spielten, aber auch er kann auswendig spielen:

http://www.youtube.com/watch?v=_BKi9L4njZ4

Und jetzt stelle man sich vor, er müßte es noch mit Noten spielen. Der würde aber schwitzen! :-)

Meine Frage jetzt Lucia, warum stellt er hier ausgerechnet keine Noten auf sein Klavierpult?

Ich denke, daß spätestens ab Franz Liszt das Auswendigspielen eine Grundvoraussetzung für das Klavierspiel ist. Das ist meine Meinung. Es ist eigentlich, bis auf ein paar Ausnahmen, Tradition geworden, Klavierkonzerte deshalb auch auswendig vorzutragen.

Wer Klavier studiert muß sein Programm übrigens auch komplett auswendig vortragen.

Und bei Franz Liszt ist doch wirklich ein Auswendigspielen erforderlich?
Für mich ist das Auswendigspielen solcher Stücke sehr wichtig.

Liebe Grüße, Mario
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
@Frédéric Chopin
Superschnelle Etüden etc. spiele ich nicht, da ich noch im mittleren Niveau herum geistere und keine Konzertpianistenamibitionen habe sowie der Auffassung bin, dass das Einüben zu schwerer Stücke nichts bringt außer dem Gefühl, sich selbst dressiert zu haben. Gezieltes Vorankommen sollte das Ziel sein, verbunden mit Musikalität, selbst in einer Tonleiter. Ich denke, damit bin ich keine Rarität hier. Mit einem anderen Instrument hatte ich superschnelle Sachen, fand aber keinen großen Unterschied darin, ob ich lerne oder vom Blatt spiele, was Musikalität anbelangte. Eben nur in der Zeit, die ich jetzt nicht habe. Und selbstverständlich möchte ich mich nicht mit den Großen des Faches messen. Das wäre vermessen. Und ist auch nicht beabsichtigt, meine Absicht ist allein, mein Klavierspiel zu verbessern, weiter zu lernen und meine Musik, die ich fühle, wenn ich ein Stück in den Händen halte und lese, auf den Tasten rauslassen zu können. Das in der knappen Zeit, die ich dafür verwenden kann. Gern hätte ich mehr, aber es geht nun einmal nicht, weil es neben der Musik auch noch andere Dinge gibt, die wichtig sind.

Meine Frage zielte darauf, ob es irgendwelche Vorteile in Bezug auf Hirnorganisation oder dergleichen hat. Oder ob ich bei dem, was ich für mich möchte, daher meine lange Einleitung, darauf getrost verzichten kann, um mehr Kapazität für gezieltes Arbeiten zu haben. Bis jetzt fehlt mir da der genaue Grund. Vielleicht kannst Du es mir erklären, da Du, was ich Deiner Antwort entnehmen kann, Dich viel mehr mit dem Klavierspiel bisher beschäftigen konntest als ich.

Dass andere es so machen, reicht mir nicht. Alle springen in den Brunnen, warum sollte ich das auch tun? Gewiss wolltest Du mir sowas nicht anhängen.
 

Die Frage war eben nicht, ob das Auswendigspielen verboten werden soll, sondern ob das Auswendigspielen (lebens-)notwendig ist.

Ist es nicht.

Es gibt sicher Stücke, die man besser auswendig spielen kann als nach Noten, Aber für 95% der Klavierstücke ist Auswendigspielen so unnötig wie noch was. Sogar Svjatoslav Richter hat das irgendwann eingesehen.

Von mir aus darf aber jeder, der Lust dazu hat, auswendig spielen. Vorausgesetzt, er spielt das, was in den Noten steht. Darauf kommts nämlich letzten Endes an.

hallo,

bzgl Svjatolslav Richter: er hatte erst nach einem für ihn traumatischen Erlebnis (ein so genannter "Schmiss" im a-Moll Konzert von Grieg, ausgerechnet im "leichtesten" der (spät)romantischen Konzerte) seine Noten nebst Umblätterer gebraucht - aus Angst, dergleichen könne sich wiederholen; selbst auf diesem Niveau ist man offenbar nicht frei von Ängsten!

kurzum von einer "Einsicht" der "Unnötigkeit" des auswendig spielens (welches sich ab einem gewissen spielerischen Niveau automatisch durch den Umgang mit Musik einstellt!!) kann bei Richter nicht die Rede sein!

z.B. hat man beim Ensemblespiel jeglicher Art auch die Noten auf dem Flügel (und lästig ist, wenn keiner zum umblättern vorgesehen ist - aber auch damit wird man fertig) - nicht etwa, weil man das Programm nicht auswendig kann, sondern um auf unvorhergesehens reagieren zu können. Dann helfen die Noten für einen Einstig z.B. wegen eines übersprungenen Taktes oder ähnliches.

ich bedauere jeden, der Musik liebt und Musik machen will, falls sich (evtl "dank" weniger lehrreichem Unterricht) das "inwendig spielen" nicht eingestellt hat - abgesehen davon stellt sich das "ohne Noten können" ohnehin ein, wenn man sinnvoll in kleinen Abschnitten "übt" (sich gewöhnt), statt an den Noten klebend immer wieder von vorne zu buchstabieren.

prima vista spielen macht großen Spaß, ich mache das mit bündelweisen Klavierauszügen (klar, manches hat man aus der Oper im Ohr), Liedern etc und wenn ich eines davon 2-3 mal spiele, dann brauche ich die Noten nicht mehr. ärgerlich ist prima vista bei extrem anspruchsvollen Sachen, weil die nicht gleich im Tempo gehen (z.B. 3. Akt Walküre, Klindworth auszug).

freilich sind die Noten immer wieder relevant zur Prüfung von Details, um zu nachzusehen, ob man wirklich 100% alles "drin hat".

man könnte abschließend doch so formulieren: das ohne Noten sicher spielen können ist gewiss nicht lebensnotwendig wie Sauerstoff, aber zum Klavierspielen auf technisch und musikalisch ansprechendem Niveau relevant.

Gruß, Rolf
 
kurzum von einer "Einsicht" der "Unnötigkeit" des auswendig spielens (welches sich ab einem gewissen spielerischen Niveau automatisch durch den Umgang mit Musik einstellt!!) kann bei Richter nicht die Rede sein!




Zudringliche Frager fertigt Richter nun gleich auf dem Programmzettel ab: Warum er nicht auswendig spielt ("eine armselige Gewohnheit, in der sich falscher Ruhm sonnt"), und warum er es im gedämpften Schein einer Leselampe tut: "Unsere Zeit ist eine des Voyeurismus, und keine ist für die Musik verderblicher."

http://www.abendblatt.de/extra/serv...ha/1991/xml/19911028xml/habxml911012_4344.xml
 
hi,

also ich hab immer auswendig gespielt. die schnellen stücke gehen eigentlich automatisch auswendig, (ist einfach einfacher) und die langsamen stücke musste ich immer üben, damit ich sie auswendig drauf habe....

auswendig siehts einfach schöner aus,

anders sieht es im ensemble aus, auch im jazz,
wenn man auswendig spielt, kann man viel besser sich selber zuhören, und auch den anderen, und das zusammenspiel wird viel besser...

ist ne typfrage, wenn einem auswendigspielen SEHR schwer fällt und man immer angst hat, dass man raus fliegt, spielt man einfach nach noten ;)


lg max
 
Mir geht es ähnlich wie Maxi. Wenn ich ein Stück drin habe und ohne Noten spiele, dann kommt mehr Gefühl rein. Dann schaltet irgendwie das Hirn ab und der "Bauch" an.
Spiele ich nach Noten, hindert mich das meistens so zu spielen, wie ich an dem Tag drauf bin. Ohne Noten liegt viel mehr Ausdruck, Gefühl und Flexibilität drin. Ich spreche hier vom Jazz, Klassik ist ja absolut neu für mich.
 
Spiele ich nach Noten, hindert mich das meistens so zu spielen, wie ich an dem Tag drauf bin. Ohne Noten liegt viel mehr Ausdruck, Gefühl und Flexibilität drin.

Das scheint dann tatsächlich eine Typfrage zu sein. Bei mir ist es nämlich genau umgekehrt.

Eine Gefahr bei schnellen Auswendiglernern sehe ich aber besonders darin, daß sie sich überhaupt nicht mehr mit dem Notentext beschäftigen, wenn sie erstmal wissen, "welche Tasten sie drücken müssen". Und da gehen dann massenhaft Gestaltungsdetails verloren, die der Komponist durchaus penibel in den Noten notiert hat. Das ist eine Spezialität klassischer Musik - im Jazz spielt man die Stücke ja eh nie so wie sie notiert sind.
 
Eine Typfrage, das ist wohl die Antwort. Und mehr nicht?

Vorhin, mein Sohn schlief, habe ich mal bewusst einige bekannte Stücke gespielt. Mir fiel auf, dass ich sie passagenweise ohne Noten spielen kann. Das tue ich auch unbewusst, denn ich sehe immer wieder aus dem Fenster und freue mich nebenher über meine Pflanzen, die da draußen gedeihen. Dann geht der Blick zu den Noten, wenn ich weiß, dass jetzt gleich eine schwierige Stelle kommt. Bei nicht ganz so vertrauten Texten schaue ich auf die beiden Zeilen und spiele. Überraschungen erlebe ich ja nicht, weil ich vor dem Einüben mir den Text durchlese.

Es ist ja Tradition, bestimmte Dinge auf eine besondere Art und Weise zu tun. Aber bisher habe ich Traditionen gern in Frage gestellt. Man denke nur daran, dass es Tradition war, die Erde für eine Scheibe zu halten. Irgendwie ja doch derweil widerlegt. Was wäre passiert, hätten Kopernikus und Kepler nach ihren Beobachtungen nicht das geozentrische Weltbild in Frage gestellt, nur weil es so Tradition war? Nun bin ich keine Größe wie diese Herren, aber ich möchte gern wissen, ob es einen anderen Grund gibt als "Haben wir schon immer so gemacht!".

Her mit Euren Vermutungen, Meinungen und Auffassungen! Das Thema ist, so finde ich, sehr interessant!
 
@Frédéric Chopin
Superschnelle Etüden etc. spiele ich nicht, da ich noch im mittleren Niveau herum geistere und keine Konzertpianistenamibitionen habe sowie der Auffassung bin, dass das Einüben zu schwerer Stücke nichts bringt außer dem Gefühl, sich selbst dressiert zu haben.

Aber was ist wenn Du Mal nicht mehr im mittleren Niveau bist?
Ich erwähne gerade diese Stücke, da ich einen Schüler habe, der die Technik dazu bereits besitzten würde diese Stücke vom Schwierigkeitsgrad zu spielen, es allerdings nicht spielen kann, weil das Auswendigspielen ein Problem darstellt.

Gerade bei Franz Liszt ist das Auswendigspiel sehr wichtig. Wenn man da bei den ganzen Sprüngen und den ganzen Kadenzen mit den kleingedruckten 32-tel Noten alles mitlesen muß, der hat es sicherlich schwerer, als derjenige, der es auswendig spielt. Das Notenlesen würde hier ein zusätzlicher Streß sein.

Nur wer schon vorher nie auswendig spielte, wird mit dem Auswendigspielen auch Probleme haben, da es nie unterstützt, geschweige denn geübt wurde. Wenn man erst dann mit dem Auswendigspiel beginnen will, wenn man solche Stücke spielen will, ist es zu spät.

Auswendigspielen kann man auch Üben. Und man macht es dann nicht Ton für Ton, sondern sieht musikalisch die gesamte Melodie, denkt harmonisch usw. oder wie ich es Rolf beschrieben hat:
Die Musik in sich aufzunehmen und sie "inwendig" erleben zu können.

Beim Gedicht auswendig lernern, lernt man ja auch nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern in Wörtern (Motive), Sätze (Phrasen) und nimmt das ganze Gedicht in sich auf.

Aber zu Deiner Beruhigung Lucia, ich kenne Profis, die spielen auch in ihren Klavierabenden stets mit Noten.

Somit ist das Auswendigspielen auch eine Ansichtssache. Ein Gedicht kann widerum ja auch vorgelesen werden. ;)

Liebe Grüße, Mario
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Eine Gefahr bei schnellen Auswendiglernern sehe ich aber besonders darin, daß sie sich überhaupt nicht mehr mit dem Notentext beschäftigen, wenn sie erstmal wissen, "welche Tasten sie drücken müssen". Und da gehen dann massenhaft Gestaltungsdetails verloren, die der Komponist durchaus penibel in den Noten notiert hat.

Ja Haydnspaß, da muß ich Dir Recht geben! Die Gefahr ist groß. Es gibt viele, die, wenn sie ein Stück auswendig können, sich nicht mehr mit dem Notentext befassen. Das ist meiner Meinung nach falsch.

Auch wenn ich ein Stück 100 Prozent auswendig kann, lege ich mir beim Üben fast immer die Noten hin. Die Gefahr, daß sich Fehler einschleichen können, ist mir zu groß.

Und man darf beim Auswendigspielen auf keinen Fall die Gestaltungsdateils vergessen!!!

Liebe Grüße, Mario
 
Das ganze was du hier beschreibst, Frédéric Chopin, mit dem Auswendig spielen ganzer musikalischer Einheiten und nicht von Einzeltönen kann man aber genau so gut auf das Spielen mit Noten beziehen.

Wenn ich ein Stück mal halbwegs kann, aber immer noch nach Noten spiele, dann lese ich dabei in den Noten auch nicht mehr jede einzelne 32tel-Note mit (das wäre wohl tatsächlich oft unmöglich), sondern sehe auch vielmehr die einzelnen musikalisch zusammengehörenden Einheiten, welche ich beim Spielen als ein Gesamtobjekt sehe und schon (quasi auswendig) weiß, wie dieses einzelne musikalische Element aufgebaut ist und gespielt wird. Bewusst betrachte ich in den Noten eigentlich dann nur noch einzelne Fixpunkte, die helfen nichts durcheinander zu bringen beim Spielen. Zwischen diesen Fixpunkten (das kann alles mögliche sein) betrachte ich einfach irgendwie das Notenbild als Ganzes ohne bewusst hinzuschauen (ich "sehe" es, ohne mich darauf konzentrieren zu müssen - eigentlich ist es ein Blick ins Nirgendwo).

Bei vielen Stücken geht das ganze dann irgendwann automatisch auswendig, wenn das ganze auch ohne Fixpunkte in den Noten funktioniert.

Ein anderer möglicher Aspekt, den ich auch bei mir manchmal beobachte: So wie die Finger sich eine automatische Bewegung irgendwann gerne angewöhnen (Fingergedächtnis), so gewöhnen sich parallel auch gern andere "Macken" beim Spielen an - das kann auch ein "Augengedächtnis" sein, d.h. die Augen schauen irgendwann aus Gewohnheit immer an Stelle X auf den linken Ringfinger, und an Stelle Y auf den dritten Akkord in Takt 19 - ohne dass man das bewusst noch steuert. Wenn dann die Noten weggenommen werden, kann das ganze zunächst im Chaos enden, da die Augen nicht mehr das gewohnte tun können (wie wenn man ein paar Tasten entfernen würde, um damit dem Fingergedächtnis ein Schnippchen zu schlagen - man würde ins Leere schlagen und dadurch durcheinandergeraten.)
Diese Gewohnheit der Augen an die Noten lässt einen oft vermuten, man könne das Stück nicht auswendig, obwohl man es de facto eigentlich schon komplett in sich aufgenommen hat und auswendig Spielen könnte.

Oftmals hilft bei mir einfach zu versuchen, ob es denn schon auswendig geht - die Ergebnisse sind oft erstaunlich. Drei oder vier Versuche ohne Noten in Folge. Der erste geht voll in die Hose und man eckt überall an, der vierte Versuch klingt dann schon sehr flüssig und fast so wie mit den gewohnten Noten. Und das obwohl man zwischen den Versuchen keine Noten angeschaut hat.

Und dennoch spiele ich dann gern immer noch nach Noten - es ist dann kein gefühlter Mehraufwand mehr, aber eine gefühlte Sicherheit. Würde ich öfter mal öffentlich auftreten, wäre das aber vermutlich etwas anderes.
 
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