Auswendig lernen und theoretisches Musikverständnis

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Manu77

Guest
Hallo zusammen,

ich bin neu hier, also bitte entschuldigt, falls ich überflüssige Einträge erstelle, die an anderer Stelle schon behandelt wurden.
Ich bin begeisterter Hobby-Pianist, allerdings fehlen mir fast komplett die theoretischen Grundlagen.
Da mich viele Stücke faszinieren, spiele ich immer einiges parallel und würde natürlich am liebesten alles (dauerhaft) auswendig können, vor allem, wenn ein Stück dann mal geschafft ist. Meine Klavierlehrerin möchte aktuell, dass ich Consolation No. 3 von Liszt aufführungsreif einübe, ich habe aber große Probleme beim Auswendig-Lernen (speziell die linke Hand), einfach, weil ich die Harmonien nicht verstehe. Vom Blatt geht es inzwischen eigentlich flüssig und gut, wobei vom Blatt bedeutet, dass ich es eigentlich motorisch fast auswendig kann und nur bei der linken Hand Noten-Unterstützung brauche.
Jetzt endlich meine Frage: Wo soll ich nur mit der Theorie anfangen, damit ich auch verstehe, was da harmonisch vor sich geht? Quintenzirkel pauken? Vielleicht hat jemand einen Tipp? Ich gehe davon aus, dass besseres Verständnis der sinnvollste Weg ist, um Stücke schneller einzuüben und auswendig zu lernen.
Danke :)
 
Hallo Manu,

Ich gehe davon aus, dass besseres Verständnis der sinnvollste Weg ist, um Stücke schneller einzuüben und auswendig zu lernen.

Ich teile diese Meinung, auch wenn das hier im Forum oft kontrovers diskutiert wird.

Die Musiktheorie ist ziemlich umfangreich. Nur den Quintenzirkel zu pauken wird nicht reichen. Es gibt ein paar Standardwerke, die einen guten Überblick liefern, z.B. die Harmonielehre von Dieter de la Motte.

Schau mal hier...

https://www.clavio.de/threads/suche-theorie-buch-zur-harmonielehre.19506/

Man muss einige Grundlagen lernen, wie Intervalle, Stufen und Funktionen, Kadenzen etc. Leider ist es aber nicht damit getan, sich einfach kurz ein Buch durchzulesen. Man muss das ganze üben, Schritt für Schritt. Dafür bieten sich z.B. Choräle an. Deine Klavierlehrerin sollte da eigentlich entsprechende Vorschläge machen können um dich progressiv an immer komplexere Sachen heranführen zu können, z.B. durch Streichen von Akkorden, die du mit deinem momentanen Wissensstand noch nicht verstehen kannst etc. Bis man ein Liszt-Stück analysieren und wirklich verstehen kann, wird es einige Zeit dauern, es lohnt sich aber, diesen Weg zu gehen.

Viele Grüße und viel Spaß im Forum!
 
Hallo Troubadix,

vielen Dank, das ist ein guter Tipp! Das bestelle ich mir. Ich lese auch lieber ein Buch, als Wikipedia & sonstige Online-Hilfen.

Ich fürchte auch, dass es ein sehr weiter Weg ist, bis ich Liszt-Stücke auch auf dem Papier verstehe, aber ich muss jetzt einfach damit anfangen :)

Liebe Grüße
 
Lieber Manu,

Ich gehe davon aus, dass besseres Verständnis der sinnvollste Weg ist, um Stücke schneller einzuüben und auswendig zu lernen.

Nach meiner Erfahrung ist das eine wechselseitige Beziehung. Klar, man lernt schneller wenn man mehr versteht, aber man versteht auch mehr wenn man sich dazu zwingt moeglichst viel in moeglichst kurzer Zeit zu lernen, und mit diesem "Modus" nicht aufhoert. Das Gehirn beginnt dann mit der Zeit immer mehr Strukturen akustisch, visuell und haptisch zu begreifen, weiter gehen immer mehr musikalische Strukturen in das "Spiel- und Verstaendnis"-Repetoire ueber. Die Aufgabe der Musiktheorie ist meines Erachtens viel mehr diese Strukturen die man intuitiv mit der Zeit erkennt zu benennen (und somit auch das Merken zu vereinfachen). Es ist jedenfalls keineswegs so, dass die Reihenfolge "Musiktheorie ==> Anwendung im Spiel" zweckmaessig ist. Um Musiktheorie zu verstehen braucht man viel Musikerfahrung, um die Relevanz der theoretischen Konzepte zu begreifen.

Jetzt endlich meine Frage: Wo soll ich nur mit der Theorie anfangen, damit ich auch verstehe, was da harmonisch vor sich geht? Quintenzirkel pauken? Vielleicht hat jemand einen Tipp?

Ich kann dir sagen wie ich hier vorgegangen bin. Allerdings ist es ein frustrierendes und langwieriges Business, und man braucht eine Menge Durchhaltevermoegen. Bei mir hat es bis zu den ersten Erfolgen ca. ein Jahr gebraucht, aber nun wird es ziemlich rasant immer besser.

Also zunaechst ist ein solides Wissen in allgemeiner Musiklehre wichtig. Das kann man auch zunaechst einfach "lernen". Hier fand ich das Buch von Wolf besonders gut, oder noch kondensierter die einleitenden Kapitel in "Harmonielehre im Selbststudium".

Dann Gehoerbildung. Das ist vielleicht wirklich das allerwichtigste. Wenn dir die Sache wirklich am Herzen liegt, kann ich dir nur raten, dich nach einem Privatlehrer in Gehoerbildung umzuschauen. Da lernt man wirklich eine Menge.

Nun ist es wichtig alle erlernten theoretischen Konzepte immer beim Spiel, Blattspiel (gerade viel Blattspiel ist wirklich wichtig) und Musikhoeren zu "verwenden" und wirklich in diesen Konzepten zu denken, wie man halt auch in Sprache denkt um den Hoer-, Seh- und Tasteindruck moeglichst eng mit den "Woertern" zu verflechten. Ich habe damals zunaechst mit Akkorden und ihren Umkehrungen begonnen, dann alle Kadenztypen klassifiziert und aufgeschrieben (in welcher Stimme welche Klausel ist, Art der Subdominante, auch phrygische Wendungen, Vorhalt- und Durchgangsbildungen, etc.) und bin quasi dauerhaft in meinem Kopf den Klangeindruck, die Haptik und das Notenbild durchgegangen. Leider gibt es hierzu kein so wirklich gutes eigenstaendiges Buch. Ich habe damals zuerst den Wolf und den de la Motte gelesen, mir viele Bachchoraele angeschaut, Arbeitsblaetter von meinem GHB Lehrer verwendet, im Kopf versucht Choraele zu schreiben, dann im Buch "Der Choralsatz bei Bach und seinen Zeitgenossen" gelesen, etc. . Sei nicht ungeduldig, mit der Zeit vervollstaendigt sich das Bild immer weiter. Es dauert halt einfach etwas. Ein sehr gutes Buch ist auch "Gehoerbildung, Satzlehre, Improvisation" von Kaiser. Versuche dich auch in Improvisation, und versuche auch hier den Hoereindruck mit theoretischen Konzepten zu verbinden.

Ein weiterer Tipp ist: Versuche herauszufinden was es fuer dich heisst Musik zu "verstehen" und wenn du das Gefeuhl hast etwas nicht "verstanden" zu haben (eine Stelle, ein Stueck, etc.) dann probier solange herum bis du das Gefuehl hast es zu verstehen. Ich denke was das heisst ist bei jedem hoechst individuell.

Dann zum Thema Auswendiglernen: Mir hilft hier mentales ueben sehr sehr viel.

Das war jetzt alles was mir eingefallen ist. Viel Erfolg!
 
Hui,
vielen Dank! Das klingt in der Tat nach einem sehr zeitintensiven Projekt. Aber das Ziel ist definitiv, in Konzepten/Strukturen zu denken, ich will ja nicht jede Notenfolge auswendig lernen. Das motorische Gedächtnis, das mir gute Dienste erweist, versagt leider, wenn ich ein Stück zu lange nicht mehr angerührt habe ...
 
Jetzt endlich meine Frage: Wo soll ich nur mit der Theorie anfangen, damit ich auch verstehe, was da harmonisch vor sich geht? Quintenzirkel pauken?
Nachdem alibiphysiker nun die ganz schweren Geschütze aufgefahren hat, will ich einmal betonen, dass du schon dadurch sehr viel weiterkommen wirst, wenn du dich mit grundlegenden Akkorden beschäftigst, d.h. Dur-/Moll-Akkorde, Dominantseptakkorde, Vorhalte, verminderter Septakkord, übermäßige und verminderte Akkorde etc. Das ist auch schon einiges an Stoff, wenn man damit noch gar nicht vertraut ist, aber es erlaubt dir schlussendlich ein Gewimmel von Tönen als eine Harmonie zu begreifen.

lg marcus
 
Hi Marcus,

danke für deine Nachricht! Ich habe mir jetzt das Buch von da la Motte bestellt. Das scheint ein guter Anfang zu sein. Vielleicht betrachte ich die Stücke dann etwas anders. Ich spiele eigentlich fast nur Romantiker (+ Beethoven & Bach, wobei mir Letzterer nur wirklich gut gefällt, wenn er von Gould gespielt wird), die sollten harmonie-theoretisch doch gut zu erfassen sein :)

Wie heißt denn das Buch von Wolf?
 
Wie kann ich mir das denn vorstellen? Also ganz ohne Notentext und abseits vom Klavier das Stück durchgehen? Sorry, falls es eine blöde Frage ist, aber das habe ich noch nie ausprobiert.
Ne, das ist keineswegs ne bloede Frage. Ich denke bloss auch hier, dass es ziemlich individuell ist, wie genau man vorgehen muss, dass es einem hilft.

Ich habe hier drei Modi: Mentales Ueben mit Klavier und Noten, mentales Ueben ohne Klavier mit Noten, mentales Ueben ohne Klavier und ohne Noten (letzteres kann man gut Abends im Bett machen, da ist es auch irgendwie extrem nachhaltig, da das Gehirn dann ueber Nacht darueber bruetet :-D) .

Beim Mentalen ueben mit Klavier und Noten sitze ich neben dem Klavier mit den Noten, und stelle mir ganz genau vor, wie ich es spiele. Incl. Klangeindruck, Haptik, etc. Dabei kommen mir haeufig erstaunlich viele Ideen zur musikalischen Gestaltung (viel mehr als wenn ich am Klavier sitze lustigerweise). Wenn ich das Gefuehl habe den Abschnitt um den es mir ging komplett verstanden zu haben, genau zu wissen wie er sich anfuehlt und anhoert und zu wissen was ich alles will, dann setze ich mich ans Klavier und spiele es moeglichst fehlerfrei. Wenn Fehler passieren, setze ich mich wieder hin, und versuche den Fehler mental zu beheben. Das funktioniert alles natuerlich nicht immer, gerade wenn die technische Schwierigkeiten ueber meiner aktuellen Komfortzone sind oder wenn Stellen sehr unbequem sind, muss man natuerlich auch am Klavier rumprobieren.

Beim Mentalen ueben ohne Klavier und mit Noten spiele ich das Stueck abschnittsweise im Kopf "fehlerfrei" durch, wobei ich mich auch hier jeder Note und allem was ich tun will vergewissere. Sonst gilt das gleiche wie oben. Und ohne Noten mach ich halt das gleiche ohne Noten.

Der Punkt ist m.E., dass das was man ohne Probleme mental ueben kann, wo man jede Note verstanden hat und genau weiss was man will auch absolut fehlerfrei und textsicher am Klavier spielen kann. Das kann man durch mentales ueben m.E. sehr gut trainieren. Gefaehrlich wird es bei "motorischen Automatismen" oder "partiellem weghoeren" (Wenn man sich akustisch nicht auf die gesamte Mehrstimmigkeit konzentriert sondern nur einzelne Melodielinien bewusst hoert, und den rest irgendwie hinbastelt).

P.S. Die Buecher von Wolf heissen ganz unspektakulaer: "Allgemeine Musiklehre" und "Harmonielehre" :-D.
P.P.S. Sehr wichtig ist auch folgende Weisheit: Das Gehirn lernt Fehler mit. Wenn du eine Stelle verfuschst, und sie immer verfuschst, dann lernst du sie zu verfuschen. Wenn du den Text an ner Stelle nicht genau kennst, und da immer drueberspielst, dann lernst du da drueberzuspielen, etc.

P.P.P.S. Ich kann mir vorstellen dass das alles nun irgendwie auf den ersten Blick etwas schlimm klingt. Aber versuch es einfach! Es dauert vielleicht ein paar Tage, aber ich kann mir vorstellen dass es echt auf jedem Uebestand was bringt :-)
 
Zuletzt bearbeitet:
Nachdem alibiphysiker nun die ganz schweren Geschütze aufgefahren hat, will ich einmal betonen, dass du schon dadurch sehr viel weiterkommen wirst, wenn du dich mit grundlegenden Akkorden beschäftigst, d.h. Dur-/Moll-Akkorde, Dominantseptakkorde, Vorhalte, verminderter Septakkord, übermäßige und verminderte Akkorde etc. Das ist auch schon einiges an Stoff, wenn man damit noch gar nicht vertraut ist, aber es erlaubt dir schlussendlich ein Gewimmel von Tönen als eine Harmonie zu begreifen.

lg marcus
Pardon, das hab ich tatsaechlich in nur einer Zeile abgewimmelt, ist aber sehr sehr wichtig. Ich dachte klargemacht zu haben, dass man schrittweise vorgehen muss und nach und nach mehr versteht. Aber wenn ich mir meinen Beitrag so durchlese :-D Hab ich das nicht klargemacht. Danke dir!
 
Ich habe hier drei Modi: Mentales Ueben mit Klavier und Noten, mentales Ueben ohne Klavier mit Noten, mentales Ueben ohne Klavier und ohne Noten (letzteres kann man gut Abends im Bett machen, da ist es auch irgendwie extrem nachhaltig, da das Gehirn dann ueber Nacht darueber bruetet :-D)

Interessant, das probiere ich einfach mal aus! Aber zuerst kommt das Buch :)
 

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