Wie wichtig sind Etüden?

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Debbie digitalis

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3. Apr. 2009
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Hallo miteinander,

bisher habe ich in meinem Klavierunterricht nie Etüden üben müssen. Mir wurden immer Stücke angeboten, in denen ich spezielle technische Schwierigkeiten - quasi im Stück integriert - mitüben konnte. So weit, so schön!

Allerdings frage ich mich, ob diese Methode für jedermann die richtige Übemethode ist. Natürlich kommt man so (über Spielstücke) am schnellsten voran, und kann die Bewältigung technischer Schwierigkeiten quasi integriert üben.

Allerdings heute:
In den Herbstferien findet kein Klavierunterricht statt, daher hat man auch mit dem aktuellen Stück ein wenig mehr "Luft" und kann zusätzlich zum vorgegebenen Übepensum ein wenig "auf eigene Faust" herumüben bzw. -experimentieren.

so habe ich mir heute gedacht: ein neues Stück in Eigenregie in Angriff nehmen? - besser nicht, es könnten zu viel überflüssige Fehler mit eingeübt werden. Meine Wahl für zusätzlichen, autonom zu bewältigenden Übestoff traf dann ein Heft mit Czerny-Übungsstücken, das ich schon seit längerer Zeit besitze.

Ich suchte eine Übung heraus, nahm sie in Angriff und:
das Ergebnis war verblüffend! Ich stellte fest, dass ich beim Spielen von Terzfolgen wirklich noch einiger Übung bedarf. Was mir beim Spielen von Stücken bisher nie so deutlich aufgefallen war: wenn ich viele Terzfolgen in Folge spielen soll, dann gibt es immer wieder Unregelmäßigkeiten, es "klappert", teilweise schlage ich die beiden Töne nicht völlig synchron an - das Ganze ist äußerst verbesserungsbedürftig! In den Stücken, die ich bisher gespielt habe, ist mir dieser Mangel nie so eklatant aufgefallen.

Spricht dies nun dafür, regelmäßig auch Etüden ins Übeprogramm einzubeziehen?

LG

Debbie digitalis
 
Spricht dies nun dafür, regelmäßig auch Etüden ins Übeprogramm einzubeziehen?

Nö, nicht unbedingt, wie kommst Du auf eine solche Schlußfolgerung?

Frag Dich lieber: Wenn in Deinen "normalen" Stücken Terzfolgen vorkommen, warum ist Dir das "Klappern" dort bislang nicht aufgefallen?

Ist Deine Aufmerksamkeit nicht auf das gerichtet, was notwendig wäre, um das Klappern wahrzunehmen?

Übst Du die Terzpassagen nicht genug mit einer Hand alleine oder nicht langsam genug?

Hast Du vielleicht das Klappern jetzt erstmals wahrgenommen, weil Du erstmals dachtest: "OK, das ist jetzt eine Etüde, da geht's nicht darum, sich in einem tollen Stück zu baden, sondern darum, Genauigkeit zu entwickeln?" und deshalb Deine Aufmerksamkeit ganz anders geartet war?

Merk Dir doch einfach, was für ein "Mindset" Du bei dem Übungsstück hattest, und übe genau mit dieser Einstellung, mit dieser hohen Aufmerksamkeit, auch "normale" Stücke! Dann könnte es sein, daß Du selber erkennst: "Da und da hapert es" und Dir darauf zugeschnitten ein Stück aussuchst bzw. von Deinem Lehrer aussuchen läßt, welches genau diese Probleme adressiert. Kann genausogut eine Etüde wie auch ein "richtiges Stück" sein. Die Inventionen von Bach z.B. verbinden beides auf unerreichte Weise, wie auch Wohltemperiertes Klavier, Chopins Etüden etc.

LG,
Hasenbein
 
Nö, nicht unbedingt, wie kommst Du auf eine solche Schlußfolgerung?

Frag Dich lieber: Wenn in Deinen "normalen" Stücken Terzfolgen vorkommen, warum ist Dir das "Klappern" dort bislang nicht aufgefallen?

Ist Deine Aufmerksamkeit nicht auf das gerichtet, was notwendig wäre, um das Klappern wahrzunehmen?


Hasenbein

Hallo Hasenbein,

wahrscheinlich ist mir das "Klappern" der Terzfolgen auch in den gerade aktuell von mir zu erarbeitenden Stücken schon irgendwie aufgefallen - allerdings war es mir nie so präsent wie in der jetzt bearbeiteten Etüde. Dies spricht ja eigentlich dafür, dass Etüden geeignet sind, dem Schüler zu zeigen wo es technisch noch (besonders) hapert.

Die Erfahrung mit der spontan in Angriff genommenen Etüde führt mich zu folgender Erkenntnis: Offenbar ist bei der umfassenden (technischen und musikalischen) Erarbeitung eines Stücks meine Aufmerksamkeit nicht ausreichend, um spezielle Mängel (wie z.B. teilweise unregelmäßige bzw. klappernde Terzfolgen) auszumachen. Vielleicht sollte ich mein Spiel (dann, wenn ich meine, ein Stück zu beherrschen) öfter mal aufnehmen, um quasi von außen technische Mängel ausfindig zu machen

--- oder einfach öfter mal Etüden spielen???

LG

Debbie digitalis
 
Kann man alles machen; aber das bei weitem Wichtigste ist, zu lernen, im Moment des Spielens die tatsächlich erzeugten Schallwellen besser wahrzunehmen.

LG,
Hasenbein
 
Hallo Debbie,

ich kann nicht sagen in wie weit sie wirklich wichtig sind. Man kann Technik wohl auch anhand von Stücken üben. Etüden sind ja nicht nur reine Technik sondern beinhalten auch ein bisschen "Stück". Ich finde sie einfach bereichernd. Ausserdem sollen so weit ich weiß Technikübungen immer etwas vorgreifen und bereiten so doch auch auf die technischen Problem in neuen Stücken vor.

LG
Jörg
 
Hallo Debbie,

ob Stück oder Etude - die Terzen selbst müssen geübt werden, also z.B.:

Fünf Finger rechte Hand auf c - g legen, langsam c+e, dann d+ f, dann e + g piano anschlagen, ohne die jeweils übrigen Finger zu bewegen. Dasselbe mit Stützfinger, Daumen auf c bzw. 5. auf g. Linke Hand separat analog. Das Ganze eventuell auch in anderen Tonarten (=mit schwarzen Tasten). Und wenn Du das alles langsam und piano hinbekommst, Terzentonleiter (c-dur, chromatisch) langsam und gleichmäßig üben.

Viel Erfolg!

LG

Pennacken
 
Lest mal dieses hochinteressante (und gut lesbare!) Buch hier, dann wißt Ihr, was es mit Etüden auf sich hat, warum man mit ihnen sehr differenziert umgehen muß und warum eine wirklich musikalische, zweckmäßige Musikerziehung nicht auf mechanistischen Konzepten beruht, wie sie seit dem 19. Jahrhundert leider die Klavierpädagogik beherrschen:

http://art-live.de/DISS_PDFVERSION16-Bilder.pdf

LG,
Hasenbein
 
Ob jetzt unbedingt Etueden wichtig sind...ich weiß nicht. Schule der Geläufigkeit so wie Hanonübungen beispielsweise, halte ich allerdings schon für sinnvoll.

Viele Grüße

Styx
 
interessante Frage

mal eine Antwort der etwas anderen Art:
Franz Liszt (1811-86) hat "technische Studien" verfasst, Johannes Brahms (1833-97) "51 Übungen" - beide verstanden was vom komponieren und vom Klavier spielen. Dass beider Klavierwerk nicht aus der Klaviermusik wegzudenken ist, dürfte unschwer nachvollziehbar sein ;) Hochinteressant freilich ist, beide darauf verzichtet haben, ihre techn. Studien / Klavierübungen als etwas so blöde-reisserisches wie eine "einzig wahre Supermethode" zu deklarieren.
Und jetzt das schöne an beider Technikstudien: sie sind so ziemlich das sinnvollste, was man neben den Vorspielstücken üben kann (ja sogar sollte) - denn sie verstellen nicht den Blick, indem sie partout auf einen ausdrucksvollen speziellen Moment in einem Musikstück gerichtet sind, sondern - Heureka! - sie reduzieren: sie fassen die nötigen motorischen Muster exemplarisch zusammen und zeigen gleichzeitig den Weg in den Erwerb technischer Fähigkeiten. (mangelt es irgendwem an dieser oder jener speziellen Fertigkeit, seien es Terzen, seien es Sexten oder sonstwas, wird er hier das nötige finden) -- indes, hähä, beide faseln nicht wortreich, moralisieren nicht, wettern nicht, sondern stellen ihre techn. Studien / Übungen eher wortkarg (also laberlos) vor: denn diese sprechen für sich. Allerdings muss man wissen, wie man mit ihnen umgehen soll und wie sie funktionieren - das kann man zwar den Noten entnehmen und dann staunen, aber es wird leider nicht immer so gemacht...

Nun: ein schöner Selbsttest in Sachen "was vom Klavierspiel verstehen" speziell von Etüden/Übungsverächtern wäre, mal eine der Lisztstudien hier zu erklären - da könnte man doch aufzeigen, wie böse und schlecht das ist --- also aus purem Amüsement würde ich sehr gerne lesen, wie sich eine/r hier mit Liszt und Brahms anlegt :D:D

Man kann auch den/die jeweilige/n Klavierlehrer/in testen, indem man bittet, eine dieser Übungen im Unterricht einzusetzen und dabei zu erklären, wie und warum sie funktioniert.

Ebenfalls sehr schön ist, nach dem Muster dieser Studien/Übungen (wenn mans begriffen hat!) für jeweilige Problemstellen in den Vorspielstücken eigene Übungseinheiten zu kreieren (nebenbei: solche Exempel für Übungen zu irgendeiner vertrackten Stelle in der guten Fachliteratur rekurrieren auf Lisztsche und Brahmssche Muster)

Bon - nu kann man solche Sachen bedenken oder gar machen, man kann sie auch beiseite lassen - - wenn´s am Ende ganz gut klingt, wird´s schon richtig gewesen sein, wenn nicht so geht die Welt dennoch nicht unter.
 
Johannes Brahms (1833-97) "51 Übungen"
Und jetzt das schöne an beider Technikstudien: sie sind so ziemlich das sinnvollste, was man neben den Vorspielstücken üben kann (ja sogar sollte) .....

Dank´für die Bestätigung !

Man kann auch den/die jeweilige/n Klavierlehrer/in testen, indem man bittet, eine dieser Übungen im Unterricht einzusetzen und dabei zu erklären, wie und warum sie funktioniert.

Hat sie von allein versucht - jetzt habe ich gewaltigen Muskelkater in den Händen :D

Gruß
Jörg
 
Und jetzt das schöne an beider Technikstudien: sie sind so ziemlich das sinnvollste, was man neben den Vorspielstücken üben kann (ja sogar sollte) - denn sie verstellen nicht den Blick, indem sie partout auf einen ausdrucksvollen speziellen Moment in einem Musikstück gerichtet sind, sondern - Heureka! - sie reduzieren: sie fassen die nötigen motorischen Muster exemplarisch zusammen und zeigen gleichzeitig den Weg in den Erwerb technischer Fähigkeiten.

Ist richtig - allerdings darf man keinesfalls vergessen, IMMER dazu zu sagen: Es bedarf zusätzlich eines wirklich guten Lehrers, der den genauen Sinn der Übungen auch tatsächlich verstanden hat und sie einem auf eine zweckmäßige und auch musikalische (nicht mechanische) Art nahezubringen versteht.

Dies ist nämlich alles andere als selbstverständlich.

LG,
Hasenbein
 

Hallo miteinander,

nochmals vielen Dank für eure zahlreichen Antworten!

Was die Beurteilung der Etüden angeht: ich kann mich ja lediglich als Spätanfänger äußern und nicht als Klavierlehrer - und das sind natürlich zwei völlig unterschiedliche Perspektiven!

Manche hier sehen offenbar in Etüden einen umständlichen mechanistischen (und offenbar verzichtbaren) Umweg, andere sehen darin die Grundlage für weitere und damit musikalisch-künstlerische Betätigung.

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich hierzu nur sagen: Es gibt immer viele verschiedene Wege die zum Ziel führen! Wenn ich mich an die ersten beiden Semester meines BWL-Studiums erinnere und die Arbeiten, die ich da ganz am Anfang in Mathematik abzuliefern hatte! Oft haben die Korrektoren (ich hatte immer sehr gute Noten!) drangeschrieben: "Geht es nicht ein wenig kürzer?" Ich habe damals mathematisch gesehen wahrscheinlich zu kleinschrittig gedacht! Heute ist es beim Klavierlernen offenbar ähnlich! Manche Klavierschüler kommen offenbar ohne Etüden aus, ich gehöre offenbar zu der anderen Fraktion, die immer zuerst die langwierigere und umständlichere Alternative wählen muss! Aber was solls??? Auch die Umständlichen kommen irgendwann zum Ziel (und vielleicht sogar sicherer als die Vorschnellen!;))

LG

Debbie digitalis
 
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich hierzu nur sagen: Es gibt immer viele verschiedene Wege die zum Ziel führen! ... Heute ist es beim Klavierlernen offenbar ähnlich! Manche Klavierschüler kommen offenbar ohne Etüden aus, ich gehöre offenbar zu der anderen Fraktion, die immer zuerst die langwierigere und umständlichere Alternative wählen muss! Aber was solls??? Auch die Umständlichen kommen irgendwann zum Ziel (und vielleicht sogar sicherer als die Vorschnellen!;))

LG

Debbie digitalis


Wer weit kommen will, muss langsam gehen.
 
Hallo Debbie digitalis,

die Schule der Geläufigkeit von Czerny hat mir sehr viel gebracht, andere Etüden und vor allem Oktavenstudien von ihm ebenfalls.
Für den Privatgebrauch: ein Klavierlehrer müsste eigentlich in der Lage sein, vorab die für seinen Schüler neuralgischen Stellen in einem neuen Stück zu erkennen und diese mit geeigneten Etüden o.ä. vorzubereiten.
Wie viel "Etüde" sein muss oder nicht sein muss ist sicher individuell verschieden. Dazu die Erfahrungen einiger Größen aus der "Vorzeit", aus meinem Blog:

https://www.clavio.de/forum/blogs/walter/51-zitate-grosser-pianisten-und-lehrer.html , dort steht unter anderem:

Technik erarbeiteten sich ausschließlich an Kompositionen: Sascha Gorodnitzki, Shura Cherkassky, Alexander Brailowski und Vladimir Horowitz.

Ferruccion Busoni, nach zwei Jahren technischer Arbeit: Zu meiner großen Freude haben sich Details, die mir immer trotzten, rebellische Triller, stolpernde Bravourpassagen, unebene Läufe, meinen Fingern völlig unterworfen und das Spiel bietet mir neuen Genuß.

Wilhelm Backhaus: Ich kann nicht genug betonen, dass ich meine Technik Tonleitern und nochmals Tonleitern verdanke. Täglich Tonleitern zu üben, scheint mir nicht nur von Nutzen, sondern absolut notwendig.

Nicolas Rubinstein: Tonleitern sollten nie langweilig sein. Wenn sie Sie nicht interessieren, arbeiten Sie so lange, bis Sie Vergnügen daran finden.

Vladimir de Pachmann: Nehmen Sie z.B. die C-Dur Tonleiter; sie ist weitaus die schwierigste von allen. Die C-Dur Tonleiter sollte Schritt um Schritt gelernt werden, bis wir eine solche Fertigkeit erreicht haben, dass wir alle anderen Tonleitern ohne weiteres spielen können. Tonleitern sind von großem Nutzen; spielen Sie sie auf alle möglichen Arten, in Dur, melodisch moll, harmonisch moll, in allen Schlüsseln über vier Oktaven, mit beiden Händen, mit dem Intervall einer Oktave, einer Terz, einer Dezime, einer Sextime, und in entgegengesetzter Richtung über drei Oktaven.

Walter Gieseking: Das Schwierigste ist das Training der Finger zu ebenmäßigem Spiel, denn die Finger sind nicht gleich stark. Aber wenn diese einmal absolut gleichmäßig spielen können, ist alles weitere nur eine Frage des Gedächtnisses.

Die meisten dieser Schlauheiten habe ich von dem alten Büchlein:
Charles Cooke: die Freuden des Klavierspiels (The pleasure of playing the piano). Zürich, Origo-Verlag 1949.

Viele Grüße

Walter
 
Hallo Walter,

vielen Dank für deine ausführliche mit zahlreichen Zitaten bekannter Meister gespickte Antwort!

Diesen Zitaten entnehme ich, dass viele von ihnen technische Übungen alles andere als gering schätzten!

Ich bin auch überzeugt, dass meine KLin bemüht ist, meinen Fähigkeiten entsprechend technisch passende Übungen in den Unterricht einzustreuen!
Aber möglicherweise streut sie ein wenig zu wenig!:D:D

LG

Debbie digitalis
 

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