Wie entsteht ein tolles Instrument?

fisherman

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Angeregt, durch hitzige Diskussionen in einem anderen Faden möchte ich gerne mal o.g. Frage bearbeiten.

Hier mein "Arbeitspapier":

Es scheint, als gäbe es vier grundlegende Faktoren:
1. Konstruktion
2. Material
3. Präzision (und damit der Anteil an Automatisierungstechnik in der Fertigung)
4. Handwerkliches Können/Wissen (und damit Abweichungen von der Präzision)


ad. 1. Das ist grundlegend - unbenommen! Aber: Viele chinesische Instrumente enstehen an namhaften europäischen Reissbrettern. Dennoch sind sie nicht perfekt. Das alleine kann also perfekten Klang nicht ausmachen.

ad 2. Eine Kostenentscheidung. Auch hier dürfte klar sein: Je hochwertiger, je selektiver, desto größer die Chance auf Wohlklang und Spielfreude.

Da diese beiden Punkte unstrittig sein dürften, kann man sie m.E. für weitere Betrachtungen auf Null setzen, das heißt, für den weiteren Vergleich so tun, als ob weitgehend automatisierte (Massen)produktion die gleiche Konstruktion und die gleichen Werkstoffe einsetzt wie die stärker handwerklich orientierte (Mindermengen)produktion.

ad 3. Soweit ich weiß, ist Yamaha der Hersteller mit der größten Fertigungszahl. Demgemäß dürfte er wohl am stärksten automatisiert sein. Für mich ist Yamaha der Hersteller mit der geringsten Streubreite. Ein C3 ist ein C3 und wird klanglich und spieltechnisch von Exemplar zu Exemplar relativ wenig differieren. Inwieweit das auf Kawai und die chinesischen Hersteller zutrifft, kann ich nicht beurteilen.
Dennoch: Trotz perfekter Qualitätskontrolle weichen die Japaner für ihre Spitzeninstrumente auf handwerkliche Fertigung aus.

These: Hochautomatisierte Fertigung in Verbindung mit perfekter Q-Kontrolle schafft geringste Toleranzen in Klang und Verarbeitung, ermöglicht aber nicht, echte Spitzeninstrumente herzustellen.

ad 4. Im Gegenzug weisen handwerklich gefertigte Instrumente (ich nehme hier Steinway als Beispiel) eine vergleichsweis hohe Streung auf. Gerade bei dieser Marke höre ich immer wieder, dass Käufer zig Klaviere/Flügel angespielt hätten, bis sie dann Ihre persönliche Perle gefunden haben.

These: Handwerk erlaubt mehr Toleranz (in alle Richtungen). Trotz Q-Kontrolle (Aussonderung / Nachbearbeitung der Gurken in vielen Produktionsstufen) differieren die Instrumente sehr stark. Und genau das ermöglicht es den Käufern, genau bei diesen Herstellern Ihr Trauminstrument zu finden. Denn: Die Geschmäcker und Vorlieben sind verschieden.

Fazit: Dass auch die Asiaten bei Premiumlinien auf Handarbeit setzen, sollte eigentlich schnell klarmachen, dass für gute Instrumente ein adäquates Maß an menschlichem Gestalten und Eingreifen nötig ist und ein hohes Maß an Automatisierung bestenfalls ordentliche "Gebrauchsinstrumente" (Ausnahmen gibt es immer!!!) liefert.

Ist es so einfach? Wo ist mein Denkfehler?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Wenn du schon so fragst, fisherman... erstmal: Sei unbesorgt, alles soweit ok.

Dies setze ich mal provokativ dazu:
Objektiv gibt es kein Spitzeninstrument.
Ohne die subjektiven Faktoren, mittels derer ein Instrument zum Spitzenteil gekürt und anerkannt wird, ist jedes Instrument, gleich welcher objektiven Qualität, nur eines unter vielen.

So weit einstweilen...

Gruß
Martin
 
Da diese beiden Punkte unstrittig sein dürften, kann man sie m.E. für weitere Betrachtungen auf Null setzen, das heißt, für den weiteren Vergleich so tun, als ob weitgehend automatisierte (Massen)produktion die gleiche Konstruktion und die gleichen Werkstoffe einsetzt wie die stärker handwerklich orientierte (Mindermengen)produktion.
...
Wo ist mein Denkfehler?

Vielleicht schon hier ?:cool: Ein Teil der "Handarbeit" dürfte wohl schon das gezielte Aussuchen von Materialien / Vorprodukten für z.B. den Resonanzboden sein: Bei 600 Instrumenten pro Jahr machbar, bei 100.000 wohl nur schwerlich ...

Gruß
Rubato
 
1. Konstruktion
.....

ad. 1. Das ist grundlegend - unbenommen! Aber: Viele chinesische Instrumente enstehen an namhaften europäischen Reissbrettern. Dennoch sind sie nicht perfekt. Das alleine kann also perfekten Klang nicht ausmachen.

Alleiniger Grund sicher nicht. Aber aufwändig zu produzierende Konstruktionen sind doch ein Kostenfaktor. Da kann ich mir doch vorstellen, dass es da Unterschiede gibt. Lass mich aber auch vom Gegenteil überzeugen wenn es jemand besser weiß ;).

Gruß
Thilo
 
These: Handwerk erlaubt mehr Toleranz (in alle Richtungen). Trotz Q-Kontrolle (Aussonderung / Nachbearbeitung der Gurken in vielen Produktionsstufen) differieren die Instrumente sehr stark. Und genau das ermöglicht es den Käufern, genau bei diesen Herstellern Ihr Trauminstrument zu finden. Denn: Die Geschmäcker und Vorlieben sind verschieden.

Lieber fishi,

aus meiner beschränkten, da einseitigen Sicht stimme ich dem zu. Allerdings ist die Toleranzbreite bei qualitativ hochwertigen Instrumenten wie z.B. Steinway m.M.n. nicht mit einer Einschränkung der Qualität verbunden. Klang und Spielbarkeit differieren, was auch wichtig ist, da individuelle Vorlieben existieren.

Man bedenke z.B., wieviel Zeit Fagottisten und Oboisten für das Schnitzen ihrer Blätter, Klarinettisten für ihre Rohre aufwenden (zur äußersten Belustigung ihrer fachfremden Kollegen! :p ). Die kommen auch aus der Fabrik, müssen aber dann individuell bearbeitet werden, damit sie spielbar sind.

Ich habe auch mal einen Film über das Schnitzen der Grifflöcher bei Blockflöten gesehen. Der reine Wahnsinn............... . Holz wie auch Blätter und Rohre sind eben ein Naturprodukt und reagieren sehr unterschiedlich.

Liebe Grüße

chiarina
 
@fisherman:
es ist ganz anders!

...als Gott der HErr seinen Schöpfungsplan entwarf, da hatte er ein großes Ziel, welchem die Erschaffung der Welt diente: alles, alles, alles, vom Urknall bis zur Arche, hatte nur den Zweck, die Bedingungen für das beste Tasteninstrument bereit zu stellen. Nun lässt sich aber Gott der HErr nicht gerne in die Karten schauen, und so hält er es auch mit besagtem Tasteninstrument: im Geheimen, hinter Schloß und Riegel, verschwiegen und diskret wird es produziert - wir nennen es dann Konzertflügel (von ...) und es kostet sehr sehr viel :D:D:D:D Amen
 
Hallo fisherman,

ich würde einen 5. Punkt hinzufügen

5. Empirie und Nichtwissen ( Bauchgefühl und Gespür)

viele handwerklich traditionell gefertigte Produkte sind auf ihre Weise einzigartig, ohne dass der Hersteller genau weiß, warum.
Es sind zufällige Komponenten wie: vorhandene Hilfsmittel, Prozesse und Maschinen, nicht zuletzt tradiertes empirisches Wissen, die einen hohen Einfluss auf die qualitativen Eigenschaften haben.

Selbst im Rahmen einer Qualitätssicherung sind nicht alle Parameter normierbar, da sie schlichtweg unbekannt sind.
Hier hilft einzig die Bewahrung der Tradition, das Festhalten an langjährigen Lieferanten und angestammter Prozesse.

Ein hohes Maß an Qualitätslenkung- und Sicherung führt zwar zur geringen Serienstreuung, schließt aber empirisches Wissen nahezu aus, da es nicht spezifizierbar ist.:D

Nur bei traditioneller Fertigung und Inkaufnahme höherer Streuung lassen sich Spitzenklaviere produzieren.
Das wäre meine Zustimmung zu deiner These bezüglich hoch automatisierter Fertigung.

Das oben gesagte ist übrigens meine empirische Erfahrung:p mit Qualitätssicherung.

Lieber Gruß, NewOldie
 
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Ist es so einfach? Wo ist mein Denkfehler?
Lieber fisherman,

Aus den Zutaten wird noch kein tolles Instrument, wenn wir von der gleichen Sache sprechen. ;-)

Das Wichtigste fehlt! :p

Bevor alles los geht, hat der Mensch einen Plan im Kopf, einen Geistesblitz, eine Vision. Die Freude und Beharrlichkeit an dieser Vision zu arbeiten und bis ins letzte Detail auszutüfteln, herumzufeilen ist die alles entscheidende Kraft, die ein x-beliebiges Produkt zu einem überextremwahnsinnshypertollem Ding macht.

All jene, die mit dieser Idee infiziert sind und in dem Grade wie sie diese Idee weiter vor sich her tragen bis zum kleinsten Glied in der Kette entscheidet, ob aus den 4 Dingen die Du am materiellen Ende der Produktion lückenlos erwähntest ein tolles Instrument entstehen lässt.

Und JA, dann ist es so einfach!

Eine kleine Zäsur der Idee und es wird Mittelmaß. Ohne dieser Triebfeder, oder Motivation etwas besonderes zu machen wird es unterste Klasse und nur mit Bedacht auf größtmöglichen Gewinn mit geringstem Einsatz wird es zudem zerstörerisch.

LG
Michael
 
Man bedenke z.B., wieviel Zeit Fagottisten und Oboisten für das Schnitzen ihrer Blätter, Klarinettisten für ihre Rohre aufwenden (zur äußersten Belustigung ihrer fachfremden Kollegen! :p ). Die kommen auch aus der Fabrik, müssen aber dann individuell bearbeitet werden, damit sie spielbar sind.
Diese Kombinationen würde ich doch zu gern mal hören. :D:D
 
Hallo allerseits,

zum Thema Konstruktion und Präzision bei der Fertigung möchte ich was anmerken. Das Ziel einer Konstruktion muss ja nicht in jedem Fall der allerbeste Klang sein. Vielmehr könnte die Anforderung gerade die sein, dass die Konstruktion tolerant gegenüber der Materialqualität sein soll und/oder sich mit industriellen Methoden bauen lässt. Dadurch kriegt man dann keine Spitzeninstrumente, sondern annehmbare, gleichbleibende Qualität zu ebenfalls annehmbaren Preisen, die man ungehört von der Stange kaufen kann.

Vielleicht würden die deutschen Konstruktionen, wenn man sie statt in China in Deutschland fertigen würde, auch nicht besser klingen?

Gruß
Karsten
 

Die Beiträge von PianoCandle und dilettant lassen nocmal die Frage aufblitzen:

Was ist ein tolles Instrument im Sinne dieser Frage ? :confused:

Ist "toll" als kompromisslos "bestmöglicher Klang und Spielart" (egal zu welchem Preis und egal z.B. bzgl. Anfälligkeit gegenüber Klimaschwankungen oder was auch immer) zu verstehen ?

Gruß
Rubato
 
Ist "toll" als kompromisslos "bestmöglicher Klang und Spielart" (egal zu welchem Preis und egal z.B. bzgl. Anfälligkeit gegenüber Klimaschwankungen oder was auch immer) zu verstehen ?

Ja und nein, Rubato.
Mein NEIN dazu ist wesentlich, und mein JA folgt daraus.

Wesentlich ist dies:
Klang und Spielart sind keine Bauteile oder sich-selbst-genügenden Funktionen.
Klang und Spielart gibt es NUR dank jeweils tätiger Erzeugung und Anwendung, sowie NUR dank gefühlter und gehörter Wahrnehmung.

Demgemäß:
Optimaler Klang und optimale Spielart sind Vertrauenskomponenten, die ein Hersteller mit konzeptionellem, handwerklichem und kommunikativem Können, von der anfänglichen Materialauswahl bis zum letzten individuellen I-Tüpfelchen so "rüberbringen" muss, dass es sowohl von den Anwendenden als auch von den Hörenden mühelos und möglichst ohne Umschweife genussvoll verstanden wird.

Gruß
Martin
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Klang und Spielart (beides bezogen auf den Spieler) sind sicher die wichtigsten Eigenschaften, aber auch in weiten Grenzen subjektiv.

Es kommen aber doch noch weitere, schon eher objektiv faßbare Eigenschaften hinzu, wie

Langlebigkeit - wie lange behält das Instrument seine ursprünglichen Eigenschaften (Klang und Spielart)?
Wie empfindlich reagiert es vorübergehend oder dauerhaft auf Schwankungen der Umgebung, besonders Feuchtigkeit und Temperatur?
Wie lassen sich Verschleißteile beschaffen und ersetzen?
Ist das Instrument mechanisch robust (häufiger Transport, häufiges verschieben)?

Auch das alles hängt natürlich auch von den Ansprüchen des Benutzers ab, ist aber gegebenenfalls objektiv prüfbar.

LG

Pennacken
 
Ich finde hier auch wichtig, zunächst fest zu halten, dass es in höchstem Maße subjektiv ist, ob jemand ein Instrument allgemein und ein piano speziell toll findet.

Ich verweise hier nur auf die jahrelange Suche vieler Geiger nach IHRER Stradivari, um sich nach vielleicht 10 Jahren wieder von ihr zu trennen, nachdem man sich auseinander gelebt hat. Aber auch bei Klavieren variriert der Geschmack abhängig von Repertoire des Spielers, Klang- und Spielgewohnheit, Geschmack beim Design etc. enorm. Hier spielt die Konstuktion meiner Meinung nach eine ganz starke Rolle, ob das gewollte, die Vorstellung vom gewünschten Instrument, überhaupt erreicht werden kann. Ein moderner Konzertflügel kann nicht mit dem für manch einen empfundenen Ideal eines Hammerklaviers verglichen werden. Der eine mag die spritzige Dynamik eines neuwertigen Instruments bevorzugen, für den anderen ist die Klangtiefe eines eigentlich schon abgespielten und für den Konzertbetrieb ausrangierten Instruments die Erfüllung.

Für G. Gould, muss den leider wieder erwähnen, war sein letzter Steinway D quasi perfekt - für andere wäre er durchgefallen, weil er so reguliert war, dass es vorkam, dass die Hämmer die Saiten ungewollt mehrfach anschlugen.

Auch dürfte das Ergebnis bei der Fertigung des geplanten Instruments selbst bei sorgfältigster Materialauswahl entscheident vom Aufwand und der Fertigkeit der Klavierbauer abhängen, die die Regulation und die Intonation nach Erfahrung und Vorstellung vornehmen.
 

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