Werke und Komponisten, die ihr nicht mögt

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St. Francois de Paola

St. Francois de Paola

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20. Apr. 2015
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Der BWV 565-Thread hat mich irgendwie darauf gebracht.

Der Standpunkt, dass man als Musikkenner alles, was Qualität hat, auch schätzt oder sogar liebt, scheint ja gar nicht so unverbreitet. Nicht selten maßt der Profimusiker oder manchmal auch Amateur sich auch zu Recht oder nicht an, alles, was Qualität hat zu mögen und gleichzeitig allem, was er nicht mag, zu Recht oder nicht zu Recht die Qualität abzusprechen. Teilweise verhindert vielleicht auch die anerzogene Erfurcht vor anerkannten Werken und Komponisten, Kritik zu üben.
Mich interessiert da euer Standpunkt, gerne mit Begründung, sowohl, warum ihr anerkannte Meisterwerke wie Beethoven Op. 111 nicht mögt oder auch Sachen wie River flows in you.

Ich fange mal an, mit dem, was ich alles so nicht mag:

1. Haydn - so ziemlich alles
Der oft gelobte und beliebte Witz geht an mir irgendwie vorbei, ich nehme nur langweilige Oberflächlichkeit war.

2. Beethoven - Diabelli-Variationen
So ziemlich alles aus Beethovens Spätwerk verehre ich, egal ob späte Sonaten, Streichquartette oder Symphonie Nr.9.
Nur zu diesem Werk fehlt mir nach wie vor der Zugang, vielleicht ändert sich das ja irgendwann.

3. Chopin
- Fantasie-Impromptu
Gefühlt jeder etwas fortgeschrittene Schüler versucht das mehr oder weniger zu verhunzen; früher mochte ich das, irgendwie hängt einem das aber zum Halse raus
- Etüde Op. 10 Nr. 3
Eigentlich schön, wird aber häufig in verkitschten Verballhornungen à la André Rieu missbraucht, die man nicht mehr aus dem Ohr kriegt

4. eine Menge von Debussy oder Ravel
Ich mag das Zeugs, solange die Programmatik aus meiner Sicht zur impressionistischen Klangsprache passt, wenn es beispielsweise um irgendwelche Arabesken oder Wasserspiele geht.
Wenn es aber um irgendwelche Zwerge, Hexen oder so geht, passt eine strukturiertere Mussorgsky-Rhythmik für meinen Geschmack einfach besser als eine - übertrieben ausgedrückt - Ravelsche Strukturlosigkeit.

5. Busoni
Egal, ob Transkriptionen oder eigene Werke, kann ich 0 mit anfangen.

6. Schönberg, Berg, Webern und Konsorten
Egal wie oft ich mich damit auseinandersetze, ich werde es wohl nie lieben lernen.

7. Exzesse à la Sorabji
Wirkt auf mich, als versucht da jemand Aufmerksamkeit zu erreichen, indem man möglichst lange, musikalisch pseudoanspruchsvolle Werke schreibt, die am Ende wertlos sind.

8. John Cage, Karlheinz Stockhausen und Konsorten
Ich mag Sachen nicht, bei denen nicht die so abgedreht wie möglich komponierte Musik, sondern irgendein mehr oder weniger philosophischer Gedanke dahinter Antrieb des Ganzen ist. Hat dann nicht mehr so viel mit Musik zu tun.

9. Jazz
Kann ich eigentlich nicht mal begründen, mag ich einfach nicht.

10. Kitschiges Zeugs a la River flows in you, Amelie und co.
 
Ich musste kürzlich mal wieder die Norma-Fantasie von Liszt über mich ergehen lassen. Ich kann nicht in Worte fassen, wie langweilig und unnötig ich dieses Stück finde. Dafür habe ich wirklich gar nichts übrig. Aber jedem das Seine. Ich hab den Eindruck, es gibt wirklich ganz unterschiedliche Motivationen und Herangehensweisen ans Musizieren. Eine davon muss eine "sportliche" sein, und solche Leute spielen die Norma-Fantasie. Meinem Empfinden nach hat sie weder Inhalt, noch Aussage, entschuldigung.

Wenn ich im gleichen Konzert "Gargoyles" von Liebermann höre, muss ich nicht überlegen, was ich spannender finde. Manch einem rollen sich dafür bei Liebermann die Zehennägel hoch. Dabei ist das so unfassbar lebendige, spannende Musik voller Bilder und Witz! Ich denke, er ist einer der Komponisten, die man noch eine ganze Weile kennen und spielen wird.
 
Der Standpunkt, dass man als Musikkenner alles, was Qualität hat, auch schätzt oder sogar liebt, scheint ja gar nicht so unverbreitet. Nicht selten maßt der Profimusiker oder manchmal auch Amateur sich auch zu Recht oder nicht an, alles, was Qualität hat zu mögen und gleichzeitig allem, was er nicht mag, zu Recht oder nicht zu Recht die Qualität abzusprechen.
Frage: was ist denn überhaupt "Qualität" in der Musik...? Wann hat ein Werk eine solche? Wie ist Qualität als Begriff definiert, wie schätzt man sie ein, oder wer schätzt sie ein, und letzten Endes sogar: wie wichtig ist dieser Begriff überhaupt?

Nicht zu vergessen: wie sieht es mit der "Qualität" einer Komposition, und einer Aufnahme davon, aus? (das sind zwei ganz verschiedene Dinge).

Der oft gedankenlos gebrauchte Begriff "Qualität" in der Musik (oder in der Kunst ganz allgemein) hat es in sich.

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Was mich persönlich angeht, so ist die Sache denkbar einfach. Ich habe mir mein ganzes Leben lang schon Musik verschiedenster Couleur sehr aufmerksam angehört, bis natürlich auch tief in die Kunstmusik (klassische Musik) hinein.

Was mir im Zuge dieser intensiven Beschäftigung mit Musik im Gedächtnis und in Erinnerung blieb, beziehungsweise was meine persönliche Aufmerksamkeit erregt hat, das gefällt mir halt heute, hier und jetzt.

Einen besonderen "Qualitätsanspruch" leite ich aus meinen persönlichen Vorlieben zunächst einmal nicht ab.

Und vergiß' bei der ganzen Sache eines nicht: Musik ist für uns alle da. Wichtig ist nur eines, nämlich dass die Menschen mit Musik glücklich werden.

Dass man mich mit dem "Musikantenstadl" eher um drei Häuserblocks jagen könnte, der Volksmusikfreund aber vielleicht achselzuckend vor der Liszt-Sonate steht und möglicherweise wohl "nichts" daran versteht, ist - eigentlich unwichtig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr interessanter Faden!!!
 
Frage: was ist denn überhaupt "Qualität" in der Musik...? Wann hat ein Werk eine solche? Wie ist Qualität als Begriff definiert, wie schätzt man sie ein, oder wer schätzt sie ein, und letzten Endes sogar: wie wichtig ist dieser Begriff überhaupt?

Da kann man natürlich drüber diskutieren.
Ich für meinen Teil würde jetzt mal Qualität, so wie ich den Begriff gebraucht habe, so definieren, dass die Kompositionen (Interpretationen wäre ein ganz neues Fass, dass ich jetzt nochmal zulassen wollte) so konzipiert sind, dass man nahezu durch die Bank weg von "angesehenen Instanzen" wie irgendwelchen großen Pianisten, Kritikern, Professoren und Konsorten höchste Anerkennung bekommt.
Die Sonate in h-Moll erfüllt dies sicher, Atemlos durch die Nacht eher nicht.

So wird so gut wie niemand der genannten würde Bachs großen Orgelwerken wie BWV 552, den Goldbergvariationen, der Kunst der Fuge, Bachs Chormeisterwerken wie der Messe in h-Moll oder der Matthäuspassion, Beethovens großen Klaviersonaten Op. 53, 57 (da gab es eine prominente Ausnahme) oder allen dreistelligen Opuszahlen, den großen Beethovenschen Symphonien und Quartetten, Schuberts letzten drei Sonaten, Chopins Balladen oder Liszts Sonate in h-Moll oder Wagners Tannhäuser die Qualität absprechen wollen.

Die auch bei Laien besonders bekannten Werke wie BWV 565, Für Elise, eine kleine Nachtmusik oder auch virtuose Exzesse wie die genannte Norma-Fantasie werden ja viel häufiger in Frage gestellt.

Interessant ist der Punkt, an dem eben dieser Übergang von "Ich mag die Komposition nicht" zu "Ich halte die Komposition für schwach" statt findet.
 
Ich wüsste gar nicht wo ich anfangen soll. Die Liste ist erschreckend lang.
Das Übliche: Ravel, Debussy & Co, Schöneberg und so neumodischer Krams...

Das Schlimme: Chopin. Den habe ich mal geliebt. Inzwischen kann ich das Arperggien-Gedudel nicht mehr hören. Clavio ist zum Teil schuld daran. :-)

...naja, dafür wird mir Bach immer sympatischer (nicht dass ich ihn höre aber ich renne nicht mehr weg)
 
Kunst ist eine Symbiose von Ausdruck und Handwerk. Solange eine Kritik nicht auf handwerklicher Ebene begründet wird, ist sie Geschmacksurteil. Damit kann man als Künstler nur etwas anfangen, wenn man entweder bestimmten Leuten gefallen will oder sollte, oder wenn man umfragemäßig vorgeht und die Daten statistisch auswertet.

Von daher lehrt einen dieser Thread nix darüber, wie man (nicht) komponieren sollte, vielmehr wie die einzelnen Forenmitglieder drauf sind.

Mein Scherflein: Mit Jazz kann ich auch nix anfangen. Und allgemein ziehe ich in der Musik Einfachheit vor. Musik ist meine Oase der Einfachheit, und die ist schon schwierig genug. Problem: Wenn man dasselbe einfache Zeug zu oft hört, ist man schnell satt davon. Dann sucht man eben Abwechselung oder hört etwas virtuosen Kram.

(Offtopic: Popmusik hör ich privat nur noch in homöopathischer und auserlesener Dosis, denn unterwegs werd ich damit ja eh zwangsbeschallt. Gegen die kommerzielle Verpestung des öffentlichen Raums mit Popmusik und durch marodierende Jugendliche, die meinen die Öffentlichkeit über Bluetooth-Speaker mit "ihrer Musik" beglücken zu müssen, Musik als Identifikations- und Provokationsmittel, hab ich mehr als gegen Musikwerke oder -stile, die ich ned mag.)
 
Ich finde Rossini furchtbar.
 
Lieber St. Francois de Paola,

mich interessiert an diesem Thema besonders, WARUM die Geschmäcker unterschiedlich sind und was im Hörer abläuft, wenn er ein Stück nicht mag.

Wichtige Gründe für den Musikgeschmack sind sicher die Hörgewohnheiten und die Persönlichkeit des Hörers!

In mehreren Untersuchungen und Studien wurde festgestellt, dass ein Stück umso beliebter wurde, desto öfter es gehört wurde. U.a. hatte man Jugendlichen ein modernes Stück vorgespielt, das diese beim ersten Mal als absolut grauenhaft bezeichneten. Sie fanden sich nicht zurecht, erkannten in dieser fremden Musik keine Strukturen, nichts Bekanntes. Die Dissonanzen stießen sie emotional ab. Sie fühlten sich ins kalte Wasser geworfen und lehnten das Stück ab.

Dieses Stück hörten sie dann immer wieder, sicher bis zu zwanzig Mal. Und allmählich erkannten sie Strukturen und fühlten sich in der Fremde mehr zu Hause. Kongruent dazu stieg auch die Identifizierung mit dem Stück und der Beliebtheitsgrad, bis die Jugendlichen am Ende sagten, dass sie das Stück mögen würden.

Je öfter man ein Stück bzw. Werke eines Komponisten, einer Epoche hört, desto mehr fühlt man sich zu Hause und desto mehr mag man diese Musik! Gewohnheit bedeutet vieles.

Ich hatte neulich eine Unterhaltung mit einem geschätzten Forumsmitglied über dieses Stück:



Ich bin grundsätzlich für vieles offen und es gibt nur wenig an klassischer Musik, das ich nicht mag. Aber mit Stockhausen habe ich mich im Gegensatz zu z.B. Boulez und Messiaen schon immer schwer getan. Ich hatte beim Hören immer ein schwer erträgliches, sehr unangenehmes Gefühl und habe versucht, dieses Mal beim Hören diesem Gefühl auf den Grund zu gehen.

Es resultiert daraus, dass ich diese Musik nicht verstehe (wobei es Passagen wie am Schluss gibt, die mich berühren). Wie in den Studien glaube ich, dass der Schlüssel zum "Mögen" das Verständnis ist.

Bei Stockhausen verstehe ich die Entwicklungen nicht - tatsächlich ist es so, dass ich gar keine erkenne und mir alles so konstruiert vorkommt. Ich weiß nie, was als nächstes kommt und fühle mich wie in einer dunkle Höhle, wo man absolut nichts sieht und wo eklige Tiere über das Gesicht laufen und Gefahren lauern können.... . Ich fühle mich im Hören einer Art Willkür ausgesetzt und damit fühle ich mich sehr unwohl.

Spannend wird es, wenn man das Stück zum zweiten Mal hört. Denn dann gibt es dieses "dunkle-Höhle-Gefühl" nicht mehr, weil man ja einigermaßen weiß, was kommt. Und dann fangen die Fragen an: "warum komponiert er das so?", "wie wirkt das auf mich?", "wo gibt es Zusammenhänge?" ... . Man beschäftigt sich mit dem Stück und setzt sich damit auseinander. Wohin dieser Prozeß führt, weiß man nicht. Ob man das Stück hinterher mag oder sagt "nee, bei aller Liebe ist das nichts für mich" bleibt offen. Aber im zweiten Fall kann man sein Gefühl besser begründen und hat etwas über das Stück, den Komponisten und sich selbst gelernt.

Ich habe das noch nicht gemacht mit Stockhausen. Ich bin aber sicher, dass sich sowohl mein Hören als auch mein Musikverständnis und mein "Ich" verändern würden, wenn ich es machen würde. Es ist auf jeden Fall eine sehr spannende Entdeckungsreise ins Land des Fremden und Unbegreiflichen.

Die Persönlichkeit spielt natürlich auch eine große Rolle. Analytische Typen hören gern Bach, "romantischere" Typen vielleicht eher Chopin, um es etwas plakativ zu sagen.

Die Qualität eines Musikstücks hat mit Hörvorlieben, mit Geschmack jedenfalls nichts zu tun. Je nach Art der Musik gibt es sicher auch sehr unterschiedliche Qualitätskriterien. Ich meine, dass "Atemlos durch die Nacht" in dem Genre eine hohe Qualität besitzt. Die Kriterien dazu können Ohrwurmqualitäten sein oder hoher Wiedererkennungswert, die bei klassischer Musik wenig Bedeutung haben. Um das aber wirklich beurteilen zu können, müsste ich mich mit dieser Musik mehr beschäftigen und das mag ich nun wiederum nicht. :003:

Liebe Grüße

chiarina
 

Je öfter man ein Stück bzw. Werke eines Komponisten, einer Epoche hört, desto mehr fühlt man sich zu Hause und desto mehr mag man diese Musik! Gewohnheit bedeutet vieles.
Ich glaube, das trifft oft auf die "relativ unkritischen" Musikhörer zu, die sich dann einfach irgendeinem Massengeschmack anschließen, die dann das hören, was ihre Altersgruppe so hört, oder ihr soziales Umfeld, was als "angesagt" gilt usw.

Je kritischer, erfahrener, anspruchsvoller man selbst ist, je mehr Musik man schon gehört hat, je mehr man sich mit Musik schon befaßt hat und komplexe musikalische Strukuren erfassen (und genießen) kann, desto weniger ist man wohl bereit, seine bereits gebildeten Meinungen und Vorlieben (die ja in der Regel dann nicht von ungefähr kommen) einfach mal so über den Haufen zu werfen.
Ich hatte neulich eine Unterhaltung mit einem geschätzten Forumsmitglied über dieses Stück:


Oh weh... aber diese Musik hier geht schon ziemlich abstoßend los. Mehr als ein paar Sekunden wollte ich mir das jetzt nicht geben.

Der Anfang scheint mir irgendeine Mischung aus Feuerwehrauto und penetrantem Türklopfen...
 
Witzig, das Thema hat mich heute morgen bezüglich der beiden Klavierkonzerte von Chopin gerade beschäftigt.

Ich liebe seit Jugendtagen das 2. Klavierkonzert in f Moll, für mich eine der schönsten Kompositonen die je geschrieben wurden. Heute morgen habe ich mir nach sehr langer Zeit auch das 1. mal wieder angehört und ich wurde und werde damit einfach nicht warm.
Beim 2. Konzert gibt es eine ganze Reihe von Phrasen die mir Gänsehaut verursachen, auch nach zigmaligem hören, ich tauche ein in das Konzert und alles andere um mich verblasst. Beim 1. Konzert merke ich, wie meine Gedanken anfangen anzuwandern ich muss mich regelrecht zwingen weiter zuzuhören. Begründungen dafür kann ich absolut nicht angeben. Mein Verhältnis zu Chopin ist überhaupt zwiespältig.

Dafür liebe ich Beethoven, er war für mich der Zugang zur klassischen Musik und zum Klavier. Witzigerweise war der erste Kontakt das Violinkonzert op.61, allerdings als Transkription für das Klavier (op.61a).

Schubert finde ich ebenfalls großartig, zu ihm kam ich aber erst mit dem Singen.

Vor kurzem für mich entdeckt habe ich Ernst Krenek.

Ansonsten sind es immer einzelne Stücke von Komponisten, die mich faszinieren.

Aber bei mir ist es alles ohne musikalischer Wertung, das kann ich auch gar nicht, da mir dafür jegliches Wisen fehlt. Ich bin so ein musikalischer Laie und Dilletant, dass es reine Bauchentscheidungen sind.
 
Meine Erfahrung ist, dass ein Verständnis für bestimmte Musik, die man als zu schwer und sperrig empfindet, sich allmählich entwickelt. Bei mancher Musik stellt sich erst nach längerer Zeit heraus, dass das Unverständnis nur eine Folge der rigiden Verweigerung war. So ging es mir mit Gustav Mahler. Wenn der Zugang erst einmal da ist, dann kommt die Lust auf mehr. @chiarina, danke für deine Ausführungen, die logisch und nachvollziehbar sind.
Klaus
 
Ich glaube, das trifft oft auf die "relativ unkritischen" Musikhörer zu, die sich dann einfach irgendeinem Massengeschmack anschließen, die dann das hören, was ihre Altersgruppe so hört, oder ihr soziales Umfeld, was als "angesagt" gilt usw.

Nein, das trifft auf alle neugierigen, offenen Menschen zu.

Je kritischer, erfahrener, anspruchsvoller man selbst ist, je mehr Musik man schon gehört hat, je mehr man sich mit Musik schon befaßt hat und komplexe musikalische Strukuren erfassen (und genießen) kann, desto weniger ist man wohl bereit, seine bereits gebildeten Meinungen und Vorlieben (die ja in der Regel dann nicht von ungefähr kommen) einfach mal so über den Haufen zu werfen.

Ein treffende Beschreibung des Spießbürgertums! Mit der kleinen Einschränkung (die aber immer zutrifft), dass der Spießbürger nur glaubt, er könne komplexe musikalische Strukturen erfassen. In Wirklichkeit kann er das in keinster Weise, er ist aber nicht dazu bereit, sich auf etwas einzulassen, was seine eigene, enge Komfortzone beeinträchtigen könnte.

Oh weh... aber diese Musik hier geht schon ziemlich abstoßend los. Mehr als ein paar Sekunden wollte ich mir das jetzt nicht geben.

Siehst du!
 
Solange eine Kritik nicht auf handwerklicher Ebene begründet wird, ist sie Geschmacksurteil.

Nein, so einfach kann und darf man es sich nicht machen.

Beispielsweise ist das "Gebet einer Jungfrau" handwerklich nicht schlecht gemacht, es enthält jedenfalls keine groben, klar zu benennenden Fehler. Trotzdem kann man aus musikästhetischer Sicht sehr vieles daran kritisieren und das auch klar und für jeden Musikverständigen objektiv begründen.

Ein Geschmacksurteil ist hingegen ein rein subjektives Urteil. Ich kann für mich begründen, warum ich das Finale der 9. Beethoven-Sinfonie nicht mag, aber diese Gründe müssen für andere keineswegs nachvollziehbar sein.

Die Grenzen zwischen musikästhetischer Kritik und dem Geschmacksurteil sind durchaus fließend, das macht die Sache ein wenig schwierig. Aber es bedeutet nicht, dass es diese Abgrenzung nicht gibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nicht selten maßt der Profimusiker oder manchmal auch Amateur sich auch zu Recht oder nicht an, alles, was Qualität hat zu mögen und gleichzeitig allem, was er nicht mag, zu Recht oder nicht zu Recht die Qualität abzusprechen.
…?? heutzutage ist es anmaßend, etwas zu mögen?

...eine etwas abseitige Ausgangslage für eine Diskussion.

Und wieso wird angeblich generell den Dingen, die man nicht zu mögen "sich anmaßt" ;-), jegliche Qualität abgesprochen?

Die Qualität einer Schwarzwälder Kirschtorte ist sicher hoch unter den Torten, dennoch mag ich dergleichen nicht, esse das nicht - und oh Wunder, ich spreche ihr die Qualität nicht ab.
 
Wichtige Gründe für den Musikgeschmack sind sicher die Hörgewohnheiten und die Persönlichkeit des Hörers!

In mehreren Untersuchungen und Studien wurde festgestellt, dass ein Stück umso beliebter wurde, desto öfter es gehört wurde. U.a. hatte man Jugendlichen ein modernes Stück vorgespielt, das diese beim ersten Mal als absolut grauenhaft bezeichneten. Sie fanden sich nicht zurecht, erkannten in dieser fremden Musik keine Strukturen, nichts Bekanntes. Die Dissonanzen stießen sie emotional ab. Sie fühlten sich ins kalte Wasser geworfen und lehnten das Stück ab.

Dieses Stück hörten sie dann immer wieder, sicher bis zu zwanzig Mal. Und allmählich erkannten sie Strukturen und fühlten sich in der Fremde mehr zu Hause. Kongruent dazu stieg auch die Identifizierung mit dem Stück und der Beliebtheitsgrad, bis die Jugendlichen am Ende sagten, dass sie das Stück mögen würden.

Glaube ich sofort. Ich bin allerdings im Übrigen nicht gänzlich gegen dissonante Musik, bei der die Harmonik nicht mehr funktional analysierbar ist.
Ich mag beispielsweise Le Sacre du Printemps oder Prokovievs 7. Sonate.
Überraschend habe ich festgestellt, dass ich auch
interessant fand.

Es muss auch nicht unbedingt irgendwelches atonales Zeugs sein, dass man nicht beim ersten Hören mag.
Manche komplexen Orgelstücke von Reger, Beethovens Hammerklaviersonate, späte Beethovensche Quartette, Bachs Kunst der Fuge und einige weitere waren bei mir auch eher Liebe auf den zweiten Blick und kein Aha-Erlebnis beim ersten Höre wie die Apassionata.

Bei Schönberg erkannte ich mit der Zeit die Strukturen und, dass das Ganze, irgendwo doch einen Sinn ergibt, mag es aber immer noch nicht.

Ich würde aber die Gleichung abgedrehter, schräger, moderner= komplexer nicht unterschreiben.
Das steht meiner Meinung nach kaum in einem Zusammenhang. Beethoven, Reger, Wagner, Bach, Mahler - alles kann sehr komplex sein.
Nur weil ein Stück atonal ist, ist es nicht komplexer als die Große Fuge in B-Dur.

Das Schlimme: Chopin. Den habe ich mal geliebt. Inzwischen kann ich das Arperggien-Gedudel nicht mehr hören. Clavio ist zum Teil schuld daran. :-)

Bei dem ist aber auch das Problem, dass der einfach nicht gerade viel komponiert hat. Und vieles ist dazu nicht gerade vom Umfang der Goldbergvariationen oder der Sonate D 960.
Reger hätte Chopins Gesamtwerk wahrscheinlich in 10 Opusnummern zusammengefasst.
Und wenn wenig komponiert wurde, das aber sehr gut ist, wird es natürlich rauf und runter gespielt.
Mich würde interessieren, wie oft ein Musikprofessor, er Aufnahmeprüfungen abnimmt und vielleicht noch in irgendeiner Jugend musiziert die Ballade in g-Moll oder das Scherzo in b-Moll zu Gehör bekommt.
 
Die Qualität einer Schwarzwälder Kirschtorte ist sicher hoch unter den Torten, dennoch mag ich dergleichen nicht, esse das nicht - und oh Wunder, ich spreche ihr die Qualität nicht ab.

Du nicht, aber wenn du hier die Leute fragst, wirst du meist die Antwort bekommen, dass die Mondscheinsonate nicht so gut sei, wie die Hammerklaviersonate, die Toccata und Fuge in d-Moll BWV 565 nicht so gut ist, wie Präludium und Fuge in Es-Dur BWV 552, die Kleine Nachtmusik nicht so gut wie die Jupitersinfonie, das Fantasie-Impromptu nicht so gut wie die 4. Ballade usw.

Ein zusätzliches Problem ist, wenn man keine Qualität absprechen darf und es nichts Schlechtes gibt, kann es eigentlich ja auch nichts besonders Gutes geben.
Dann könnte man sich selbst ja leicht mit Bach, Beethoven und co. auf eine Stufe stellen.

Ein weiteres Problem ist, was ist wenn ein Komponist selbst der Überzeugung ist, dass eines seiner Werke besser ist, als ein anderes?
 
Ich würde aber die Gleichung abgedrehter, schräger, moderner= komplexer nicht unterschreiben.
Das steht meiner Meinung nach kaum in einem Zusammenhang. Beethoven, Reger, Wagner, Bach, Mahler - alles kann sehr komplex sein.
Nur weil ein Stück atonal ist, ist es nicht komplexer als die Große Fuge in B-Dur.

Lieber St. Francois de Paola,

das habe ich auch nicht geschrieben in meinem letzten Beitrag! Den Ausdruck "komplex" habe ich nicht erwähnt, allerdings schon den Ausdruck "fremd".

Was Chopin angeht, finde ich nicht, dass der in seinen 39 Lebensjahren wenig komponiert hat! Bach hat natürlich wahnsinnig viel komponiert, ist aber auch sehr viel älter geworden.

Liebe Grüße

chiarina
 

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