Was macht professionelles Klavierspiel aus?

Nicht umsonst habe ich "Details" in Anführungszeichen gesetzt. Detail ist ein nicht ganz treffendes Wort, aber mir ist kein besseres eingefallen. Ein "nah dran sein" trifft es eher. Auch, wenn man gleichzeitig von der Komposition etwas zurück tritt, je weiter man damit kommt. Scheinbar voller Widersprüche, tatsächlich aber nicht. Schwer mit Worten zu erklären.

Vielleicht hilft hier ein Bild weiter:
Wenn ich in Zermatt stehe und das Matterhorn anschaue, dann ist das von grandioser Einfachheit. Ein kolossales Ensemble von Graten und Flächen.
Wenn ich dann aber an der Hörnlihütte stehe oder noch ein paar Schritte weitergehe, dann ist das Ganze von erschreckender Unübersichtlichkeit und man versteht plötzlich, wie es möglich ist sich auf dem Normalweg zum Gipfel zu verirren, was durchaus vorkommt!
 
BP[/QUOTE]
Dennoch gibt es da Unterschiede, die anscheinend - oder scheinbar - schwer zu benennen sind aber das "gewisse Extra" ausmachen oder die "besondere Musikalität" oder was auch immer es ist. Natürlich kann man dieses Extra schwer pauschalisieren oder in Kategorien einteilen.

Ich befürchte, das ist ein wenig wie mit der Zeit, von der ein Physiker meinte irgendwie intuitiv wüsste jeder was das ist, aber eine genaue und belastbare Definition ist fast unmöglich.
Mit den drei Punkten bin ich grundsätzlich schon einverstanden, nur sind auch diese wiederum in der Kategorie 'intuitiv klar aber schwer präzise zu fixieren' angesiedelt!
Was ist das, ein elastischer deutlicher Rhythmus (bei Bach, bei Rachmaninow, bei Schönberg, in einer Liszt Rhapsodie, bei Beethoven????) ?
'Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen!'
Ist das nun der völlige Relativismus: die dilettierende texanische 'Schönheit' , die Chopin's erstes Scherzo schlachtet

View: https://youtu.be/gUiHBjQku0o

und Mitsuko Uchida mit subtilem Mozart? Alles eins, Unterschiede nur im Auge des Betrachters??
Ganz schwierig! Vor allem wenn noch Vorurteile ins Spiel kommen.
Kempff professionell und musikalisch? Yuja Wang nur professionell??
Ich bekenne, ich werde mit jedem Jahr das ich älter werde in allen diesen - durchaus wichtigen und auch notwendigen - Bewertungsfragen unsicherer! Dabei weiss ich ganz genau, wie ich spielen will! Aber müssen alle anderen so spielen!
Zurück zum Beginn, fast alle heute für Geld öffentlich spielenden Pianisten sind so perfekt, dass man von Professionalität sprechen muss; und wenn's nur in den eingeschränkten Sinn ist, dass sie falsche Noten weitgehend vermeiden können!
 
Als Profi heutzutage ist das viel mehr, als das spielen selbst. Die Vermarktung spielt eine entscheidende Rolle. Denn was nützt der beste Pianist wenn ihn niemand kennt? So muss man da und dort in sozialen Medien tätig sein, da und dort die Fäden ziehen und vieles mehr ...
Auch Sympathie und Wirkung auf andere spielt eine entscheidende Rolle.
Oder Frau ein wenig mehr sexy angezogen oder stylischer, schadet sicher auch nicht.

Baremboim von dem ich viel halte, hat einmal über Musik spielen gesagt so in etwa "Man kann beim Musizieren nicht sagen was richtig ist, aber man kann sagen was nicht richtig ist"
 
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Ich habe heute nochmal kurz darüber nachgedacht, wie es dazu kommen konnte, dass sich mein Klavierspiel in den letzten zehn Jahren so positiv entwickelt hat (bei aller Bescheidenheit).

Abgesehen von allen äußeren Einflüssen (Lehrer, Familie, Hochschule, Wohnort, Auftrittsmöglichkeiten etc.) glaube ich gerade, dass folgende Eigenschaften besonders wichtig waren:
  • Ständiges Hinterfragen dessen, was ich tue (darin steckt: Zuhören und Nachdenken)
  • gepaart mit Kreativität und Ideenreichtum, es lebendiger und schöner zu gestalten
  • und zwar sowohl, was Übestrategien angeht, als auch was die Gestaltung eines Stückes angeht.
Ich erlebe besonders beim dritten Punkt eine teilweise erschreckende Unkreativität bei manchen! Das Problem ist, dass man nicht unbedingt merkt, wenn man unkreativ ist. Dafür braucht man einen guten Lehrer, der einen immer ein bisschen anstößt und kleine Gedankenanstöße gibt. Aber: Das sind nur Samen! Die muss man gießen, dann können eigene Früchte wachsen. Kreativität kann man üben!
 

Ich erlebe besonders beim dritten Punkt eine teilweise erschreckende Unkreativität bei manchen! Das Problem ist, dass man nicht unbedingt merkt, wenn man unkreativ ist.

Da hat man als Pianist/in aber auch einen gewissen Vorteil etwa gegen die Fagottisten. Die Literatur an wirklich spielenswerten Stücken ist unauslotbar.
Aber auch nach 40 oder mehr Jahren im Beruf noch neugierig und lernbereit zu sein (das Wort kreativ vermeide ich wenn möglich) , und das als Pianist und als Lehrer, das ist ein erstrebenswertes Ziel!

Auch wenn Du noch jung bist, mit der oben von Dir geschilderten Einstellung kann man in unserem Beruf sehr lange ziemlich glücklich sein!
 
Ich spreche jetzt nur von Pianisten :002: Vornehmlich welchen, die in meinem Alter sind oder jünger.
Aber ich bin durchaus froh, dass ich nicht Fagott studiert habe.
 
Ich erlebe besonders beim dritten Punkt eine teilweise erschreckende Unkreativität bei manchen! Das Problem ist, dass man nicht unbedingt merkt, wenn man unkreativ ist.

Ich fürchte, das liegt hauptsächlich am Unterricht vor der Hochschule. Alte Pfade sind schwer zu verlassen. Es wäre interessant, da deinen Unterricht mit dem anderer zu vergleichen. Vielleicht bist du auch da schon herausgefordert worden, dir selbst Gedanken zu machen, kreativ und selbständig zu sein. Der Unterricht läuft auch auf hohem Niveaus oft so ab, dass der Schüler das macht, was der Lehrer sagt, eher abhängig bleibt und dass bestimmten Arten des Musizierens wie Improvisation, Vom-Blatt-Spiel, Kammermusik etc. wenig Raum gegeben wird.

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Und dass das Üben leider immer noch als Weg verstanden wird, das Stück in die Finger zu kriegen und nicht, das Stück zu verstehen mit der automatischen Folge, es dann auch spielen zu können.
 
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Von meinem vorhergehenden Unterricht kann ich es nicht haben, glaube ich. Aber von meinem aktuellen :005: Wobei ich bei der Unkreativität durchaus auch Leute im Kopf hatte, die denselben guten Unterricht genießen durften.
Viele Denkanstöße habe ich tatsächlich auch durch das Forum und Gespräche mit einzelnen Leuten von hier bekommen. Die ganzen Zutaten hab ich in einen großen Topf geworfen, gut gequirlt und aus dem Teig meine eigenen Brötchen gebacken.
 
Kreativität bedeutet etwas zu schaffen zu können, und zwar etwas Neues. Unkreative spielen ein Stück einfach ab/nach, machen genau, was der KL sagt. Keine Ahnung, was man braucht, um ein Spitzenpianist zu werden. Vielleicht stört da Kreativität, weil das nur Zeit frisst für Ungewisses.
 
Das spricht nicht gerade für die Überzeugungskraft des Studiums oder umgekehrt für die Kraft der frühen Prägung.
 

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