Was macht professionelles Klavierspiel aus?

Zu einem professionellen Performer gehört halt immer auch ein professioneller Zuhöher ;-)

Aber im Ernst: Ich mag mir gar nicht wirklich gerne Performances ansehen, von Genres in denen ich selbst unterwegs bin. Schon gar nicht von Stücken, die ich auch spiele.
Ich denke dann immer nur: "Mist, ich sollte auch mal wieder ein Konzert geben".
Normalerweise gehe ich häufig und sehr regelmäßig in großen Städten an Konzerte aller Art (klassisch) und höre laufend und gern Klaviermusik. Bin also erfahren. Da stört mich sonst nichts, ich denke danach eher über das Stück und die Interpretation nach. Hier hatte ich mich sehr gefreut und war danach perplex und auch enttäuscht. Daher meine Frage:
Ist dieses Programm so schwer, dass das zu erwarten ist? Ist das grundsätzlich normal und bin ich einfach bisher von Top Pianisten verwöhnt worden?
Bin ich durch zu viel Clavio-Lektüre, geschulteres Ohr und eigenes Klavierspiel (mit großer Selbstkritik) hier überkritisch? Grundsätzlich könnte mich ja die Erkenntnis entspannen, dass, wenn das für einen Profi noch im Rahmen ist, ich mir als Amateurin weitaus weniger Druck machen müsste. Andererseits ist das keine Entschuldigung dafür, leichte Stücke zu versemmeln…
Oder es ist ganz einfach so: es gibt verschiedene Niveaus bei Künstlern (Musiker, Maler, Autoren, …) und das war gut, aber nicht sehr gut, und ich hatte einfach zu hohe Erwartungen…
 
Hast du den Anspruch, wenn du in ein Konzert gehst, das keine Fehler passieren dürfen?
Studioaufnahmen gaukeln einem ständige Perfektion vor, allerdings wird da solange performed und geschnitten, bis jeder Fehler ausgemerzt ist. Bei einem Livemitschnitt sieht es dann schon häufig ganz anders aus, das ist völlig normal und das macht für mich auch gerade den Reiz aus, wie professionell geht der Künstler damit um.

Dieses Analysieren kenne ich leider vom Gesang, um so mehr Unterricht ich selber hatte, um so weniger konnte ich andere Gesangsdarbietungen genießen. Man nimmt sich auf Dauer aber sehr viel Freude bei Konzerten oder sie werden irgendwann nahezu unerträglich.

Fehler sind nichts schlimmes, die passieren jedem Profi und sie dürfen auch passieren!! Solange es nicht anfängt völlig stümperhaft zu werden.
Das war mir bewusst, und kleinere Stolperer hab ich auch bei anderen schon mal wahrgenommen. Aber bis gestern war das „mögliche Ausmaß“ bei mir kein Thema.

Beim KlavierschülerInnen-Vorspiel zB war ich eine sehr positive und entspannte Zuhörerin, da war ich aber auch nicht auf Konzertpianisten-Niveau eingestellt.
 
Schauspieler versprechen sich ja auch mal gelegentlich. Das entscheidende Kriterium bei jeder Form von künstlerischer Darbietung ist: Wird die künstlerische Aussage noch deutlich? Oder wird diese durch zu viele Verspieler bzw. Versprecher verdeckt?

Arthur Schnabel hat sich bei der Aufnahme der Beethoven-Sonaten auch immer mal wieder verspielt bzw. gepfuscht. Das würde heute weder in Konzerten und erst recht nicht in Studioaufnahmen akzeptiert werden. Trotzdem wird seine künstlerische Aussage deutlich.
 
Es weiß ja niemand, was an dem Tag mit der Person so los war. Wenn ich z.B. an einem Tag, an dem ich erfahre, dass ein Familienmitglied ins Krankenhaus eingeliefert wurde, ein Konzert zu spielen habe, werde ich das Konzert spielen, aber vielleicht nicht durchgängig hochkonzentriert sein - ich werde nicht musikalisch "schlecht" sein, aber vielleicht doch mal daneben greifen. Oder man hat Rückenschmerzen oder Hühneraugenpein oder was auch immer und muss trotzdem auf diese Bühne. Dann macht man das Beste draus, was an diesem Tag halt möglich ist. Wenn man das Ganze aus welchen Gründen auch immer halt nicht absagen kann.

Es ist allerdings auch aus Deiner Beschreibung, @Wiedereinsteigerin38, schwierig zu sagen, ob Du "Flöhe husten" hörtest oder ob tatsächlich vieles im Argen lag und wie andere Konzertbesucherinnen und -besucher das Ganze empfunden haben. Es war ja aus dieser Runde hier niemand dabei.
 
Ein unvergessliches Kinderalbum von Tschaikowski hatte ich einmal mit Vladimir Nielsen gehört, von dem bekannt war, dass er immer wieder daneben traf. So auch hier. Am Anfang hat es irritiert (Was? Anfängerliteratur – und Profi greift dauernd unsauber!?), und dann war es plötzlich weg, das Ohr hat darüber weggehört, wie bei einem Menschen, der einen Sprachfehler, z.B. Stottern, hat und dabei aber hochinteressante Dinge erzählt. Es war eine wundervolle Interpretation![/I]
 
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Oder es ist ganz einfach so: es gibt verschiedene Niveaus bei Künstlern (Musiker, Maler, Autoren, …) und das war gut, aber nicht sehr gut, und ich hatte einfach zu hohe Erwartungen…
Genau so ist es.

Allerdings: "Zu hohe" Erwartungen hattest du wohl nicht, denn wenn sie zu hoch wären, wären sie unerfüllbar. Da du oft ins Konzert gehst und nicht jedes Mal enttäuscht bist, sind deine Erwartungen also nur grundsätzlich sehr hoch angesiedelt. Vielleicht hattest du im vorliegenden Konzert eher "unerfüllte" Erwartungen, evtl. auch dem Anlass "unangemessene" oder gar "falsche" Erwartungen.
 
einem Chopin Kurzprogramm gehört (Impromptu 36,2, Fantaisie Impromptu 66, Scherzo 31, Polonaise Heroique 53). Kannte ihn schon von einem Duo mit Violine und fand ihn da sehr gut. Heute bin ich perplex: das sind ja sehr bekannte Stücke, die ich zwar vorher nicht extra gehört habe, aber grundsätzlich schon kannte. M. M. nach sind ihm in jedem Stück Dinge passiert, die so nicht im Text stehen.
Gehen wir das Programm mal durch:
Das 2. Impromptu ist elend unhandlich und da können auch sehr versierten Pianisten im marschartigen Mittelteil ein paar Akkorde mit Familie oder Schlimmeres unterlaufen.
Das op. 66 existiert in unterschiedlichen Fassungen und die unterscheiden sich hörbar. Das b-Moll Scherzo ist eher unproblematisch, aber in der As-Dur Polonaise können schon ein paar unsaubere Griffe unterlaufen. Das wäre sozusagen die für den Pianisten entschuldbarste Variante. Vor allem wegen der im Fantasie Impromptu wirklich deutlich hörbaren und auch verstörend klingenden Abweichungen vom Vertrauten. Da findet dann bei einem Teil des Publikums der Vertrauensverlust statt.
Denkbar ist aber natürlich auch Indisposition Unterschätzung des Programms, Arroganz, .... oder was auch immer.
Der Umgang des Pianisten mit der Situation war aber durchaus professionell. Man steht ja nicht auf und verlässt weinend oder fluchend die Bühne. Obwohl man sich gelegentlich danach fühlt.
 
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Es ist allerdings auch aus Deiner Beschreibung, @Wiedereinsteigerin38, schwierig zu sagen, ob Du "Flöhe husten" hörtest oder ob tatsächlich vieles im Argen lag und wie andere Konzertbesucherinnen und -besucher das Ganze empfunden haben. Es war ja aus dieser Runde hier niemand dabei.
Ja, so ist es, aufklären können werden wir genau diesen Fall nicht. Er spielt heute nochmal, aber ich gehe nicht hin, um ihn „auf den Prüfstand“ zu stellen… Das Diskutieren und Nachdenken war auf jeden Fall spannend!
 
Ein unvergessliches Kinderalbum von Tschaikowski hatte ich einmal mit Vladimir Nielsen gehört, von dem bekannt war, dass er immer wieder daneben traf. So auch hier. Am Anfang hat es irritiert (Was? Anfängerliteratur – und Profi greift dauernd unsauber!?), und dann war es plötzlich weg, das Ohr hat darüber weggehört, wie bei einem Menschen, der einen Sprachfehler, z.B. Stottern, hat und dabei aber hochinteressante Dinge erzählt. Es war eine wundervolle Interpretation![/I]
Meine erste Tosca hat gelispelt - das war überraschend, hat dann aber nicht weiter gestört!
 
Genau so ist es.

Allerdings: "Zu hohe" Erwartungen hattest du wohl nicht, denn wenn sie zu hoch wären, wären sie unerfüllbar. Da du oft ins Konzert gehst und nicht jedes Mal enttäuscht bist, sind deine Erwartungen also nur grundsätzlich sehr hoch angesiedelt. Vielleicht hattest du im vorliegenden Konzert eher "unerfüllte" Erwartungen, evtl. auch dem Anlass "unangemessene" oder gar "falsche" Erwartungen.
Inzwischen glaube ich, ich hatte ihn nach dem Duo-Auftritt idealisiert und dachte, allein ist er noch besser. Und das traf dann nicht mit der Realität zusammen. Die für das Umfeld hier vermutlich total ok war!

Heute Nachmittag war ich noch bei einem Trio mit Sopranistin, schottische Lieder von Haydn, das war wunderbar. Sie waren gut drauf, freuten sich und ich mich auch. Da hat sich meine Aufmerksamkeit breit und wechselnd auf alle verteilt.
 
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Gehen wir das Programm mal durch:
Das 2. Impromptu ist elend unhandlich und da können auch sehr versierten Pianisten im marschartigen Mittelteil ein paar Akkorde mit Familie oder Schlimmeres unterlaufen.
Das op. 66 existiert in unterschiedlichen Fassungen und die unterscheiden sich hörbar. Das b-Moll Scherzo ist eher unproblematisch, aber in der As-Dur Polonaise können schon ein paar Unsaubere Griffe unterlaufen. Das wäre sozusagen die für den Pianisten entschuldbarste Variante. Vor allem wegen der im Fantasie Impromptu wirklich deutlich hörbaren und auch verstörend Abweichungen. Da findet dann bei einem Teil des Publikums der Vertrauensverlust statt.
Denkbar ist aber natürlich auch Indisposition Unterschätzung des Programms, Arroganz, .... oder was auch immer.
Der Umgang des Pianisten mit der Situation war aber durchaus professionell. Man steht ja nicht auf und verlässt weinend oder fluchend die Bühne.
Danke für diese sehr vernünftig klingende Einschätzung! 👍🏻
 
Ich frage mal hier aus aktuellem Anlass: Heute Abend habe ich einen Konservatoriumsprofessor mit einem Chopin Kurzprogramm gehört (Impromptu 36,2, Fantaisie Impromptu 66, Scherzo 31, Polonaise Heroique 53). Kannte ihn schon von einem Duo mit Violine und fand ihn da sehr gut. Heute bin ich perplex: das sind ja sehr bekannte Stücke, die ich zwar vorher nicht extra gehört habe, aber grundsätzlich schon kannte. M. M. nach sind ihm in jedem Stück Dinge passiert, die so nicht im Text stehen. Er wirkte danach sehr locker und beim Zugabenwalzer (e-Moll) gelöst. Ist das normal bei diesen Stücken live im Gegensatz zur Aufnahme oder war das ein „Provinz“-Pianist, schlecht vorbereitet oder was weiß ich? (Oder ich hab falsch gehört, auf’s Falsche geachtet oder bin zu kritisch?)
Nerventechnisch ist Klavierspielen bei Kammermusik (selbst schon zu zweit) im Konzert ganz was anderes als ein Soloauftritt auf einsamer Bühne.

Im Ensemble hilft man sich gegenseitig subtil weiter, man hat die Noten vor sich, die Nervosität verteilt sich auf mehrere Schultern.

Ich bin bei Ensemblemusik super entspannt - der Ruhepol -, während ich beim Soloauftritt für ein Einzelstück vorher immer an das 3. Achtel in Takt 46 denken muss, ob es diesmal klappt:angst:. Bei Streichquartetten gibt es die "Solistenangst", wenn mal nicht der Primarius das Thema hat.

Deswegen passt es für mich, dass der Konservatoriumsprof beim Duoabend so gut war.

Typischerweise haben Konservatoriumsprofs eher wenige Soloauftritte, und wenn ich "Kurzprogramm" lese, scheint auch er wenig solo zu konzertieren. (Ist ja kein Problem.)

Da hatte er wohl selbst etwas Solistenangst. Hier passt es gut, dass die Zugabe so gelöst klang, hat er sich doch nun der selbstauferlegten Last eines Klavierrecitals entledigt.

Bei großen Programmen mit Orchester (Solokonzert und Symphonie) kommt es hin und wieder vor, dass die drei Minuten Zugabe des Solospielers besser waren als die halbe Stunde Solokonzert. :019:
 

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