"Weil das nach klassisch-orthodoxer Sichtweise nur dann erlaubt ist, wenn 'una corda' oder 'mit Verschiebung' in den Noten steht..." (Chaotica)
Ist schon schön, was manch "klassisch-orthodoxer" Klavierlehrer seinem Schüler für einen Quatsch erzählt. Aber das Wort "orthodox" beschreibt ganz gut, was dahintersteckt: der Wahn, die rechte, einzig wahre Lehre zu kennen. Kann man aus der Tatsache, daß viele Komponisten nie oder nur selten Una-Corda-Vorschriften hinzufügten, wirklich schließen, daß sie die Benutzung des linken Pedals abgelehnt hätten? Beethoven schreibt es gelegentlich ausdrücklich vor, daraus kann man vielleicht, vielleicht schließen, daß man es sonst bei ihm nicht anwenden sollte. Schubert schreibt es nie vor, aber bei kaum einem Komponisten gibt es mehr Gelegenheit, es sinnvoll einzusetzen.
Ob man eine Regel für seinen Einsatz angeben kann, weiß ich nicht, man kann's immer nur ausprobieren, und ob es sinnvoll einsetzbar ist, hängt auch sehr vom Instrument, dessen Klangcharakter und Intonation ab. In den meisten Fällen ist das eine (gewissermaßen künstlerische) Entscheidung des Spielers. Vor allem aber ist es eine Entscheidung, die man nur auf einem
flügel erkunden kann -- beim Piano macht das linke Pedal wenig Sinn; und wenn dort die Bändchen zu stramm sind (dann wackeln die Tasten, wenn man es tritt), mindert es auch noch die Funktion des Spielwerks so, daß man eher schlechter zuverlässig leise spielen kann.
Die Verschiebung (so heißt das linke Pedal beim Flügel auch) kann bisweilen dazu dienen, pp zu spielen, ist aber in erster Linie ein Klangregister, und zwar das einzige, welches das Klavier besitzt. Einem Schüler die Benutzung des einzigen Klangregisters zu "verbieten", wie Agerer berichtet, ist ziemlicher Unsinn, aber ihm zu sagen, daß es auf dem Klavier nicht weiter wichtig, kein Klangregister und manchmal hinderlich ist, könnte Sinn machen. Wenn Violapiano sagt, daß es "viel schöner klingt ohne linkes Pedal", dann fehlt schlicht die Erfahrung mit einem Flügel, bei dem es gut klingt. Es ist Erfahrungssache und vielleicht eine Frage des Geschmacks und bestimmt eine Frage des jeweiligen Instruments -- es klingt nicht auf jedem Flügel gleich gut. Deswegen hat es auch wenig Zweck, hier beispielhafte Stellen nennen zu wollen, denn auf einem Klavier kann man das nicht nachvollziehen. Da hält man sich denn einfach an die Vorschriften Beethovens und an die Empfehlungen des Lehrers, bis man genügend eigene Erfahrung auf guten Instrumenten gesammelt hat. Oder man hört sich mal gute Aufnahmen an, wo der überzeugende Einsatz der Verschiebung eigentlich immer heraushörbar sein sollte.
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Jörg Gedan
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