Tempo halten

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Ich habe einen ziemlich weit fortgeschrittenen Klavierschüler, der bei klassischen Stücken das Tempo stabil hält. Sobald es jedoch um patternbasiertes Improvisieren im Pop-/Rock-, Blues- oder Swingbereich geht, wird er nach und nach immer schneller, v.a. dann, wenn die Pattern der linken Hand Synkopen enthalten.

Habt ihr Ideen für Methoden, mit denen man daran arbeiten kann, dass der Schüler ein stabiles Tempogefühl entwickelt?
 
Ich glaube hier wird ein Problem ersichtlich, das viele Klavierschüler entwickeln. Der Pianist übt, spielt und lebt entgegen vieler anderer Instrumentalisten in seinem stillen Kämmerlein. Meistens alleine und ohne Mitmusiker. Das wirkt sich leider vor allem im Bereich Rock/Pop/Jazz am meisten aus. Ich gehe davon aus, dass die Pattern nämlich nicht als fester Groove im größeren Sinnzusammenhang ablaufen, sondern als einzelne Lied-Bausteine.
Vielleicht hilft es die Patterns ersteinmal leichter zu halten und zu Aufnahmen zu "compen" (falls das keine legitime Eindeutschung von Comping ist bitte ich zu entschuldigen). Am allerbesten wäre natürlich das ganze mit ein paar anderen Musikern zu üben, aber das wird aktuell wohl etwas schwierig sein. Eine gewisse Band/Big-Band-Erfahrung sollte die einfachste Lösung für diese Art Problem sein.
Es gibt eine App von der WDR Big-Band die man da nutzen könnte. Nennt sich glaub ich schlicht "Play Along"
 
@Snoob
Das ist natürlich eine Möglichkeit. Allerdings ist das Tempogefühl dann ja fremdgesteuert, von außen (prinzipiell wie ein Metronom). Für das stabile Tempogefühl, also für die Fähigkeit, eigenständig das Tempo zu halten, nützt das ja nichts. Oder meinst du, dass man das dadurch irgendwann verinnerlicht hat?
 
Ich glaube dass eine gewisse Tempostabilisierung durch ein besseres Verstehen des Grooves kommt, welcher alles in Rock/Pop/Jazz regiert. Wenn ich z.B. mit Band spiele, dann laufen bei mir nicht Taktweise (oder 8-taktig oder wie auch immer) Patterns ab, sondern ich habe einen gewissen Groove im inneren Ohr. Sei das nun ein rhythmisches Pattern, ein Basslauf oder was auch immer, und ich setze da mein Klavier drüber. Auch wenn ich solistisch improvisiere.
Das ist mehr ein Gefühl als eine bewusstes Denken in 1-2-3-4. Das ermöglicht es auch, immer wieder aus den Patterns auszubrechen, sie zu modifizieren oder beliebig zu kombinieren, ohne dass man "raus kommt". Und dieser zugrundeliegende Groove läuft eben in einem sehr gleichmäßigen Tempo weiter, egal wie viele Synkopen, Off-Beat-Kicks oder sonstige Gemeinheiten ich dann in mein Spiel einbaue. Quasi ein verinnerlichter kleiner Schlagzeuger fernab vom reinen bewussten Mitzählen der Takte. Quasi eine Form der Klangvorstellung, die z.B. auch hilft Rock/Pop Nummern immer im selben (oder zumindest sehr ähnlichen) Tempo zu beginnen, ohne einzuzählen. Eine gut eingespielte Band braucht niemanden der einzählt.
Um so etwas zu trainieren könnte es auch helfen ein wenig Jazz-Literatur zu hören und versuchen in den komplexeren Solo-Passagen das Metrum nicht zu verlieren beim Zuhören (wenn dein Schüler aus der Klassik kommt vielleicht mit etwas wie Eugen Cicero anfangen und dann mal ein wenig Petrucciani einwerfen).
 
Ok, danke, das klingt nach einer sinnvollen Methode.
 
Eine kleine Übung die ich gerne mit Schülern mache.
Das Schnellerwerden beim Improvisieren ist ja ein allzu bekanntes Phänomen, durchaus nicht nur bei Schülern. ( Joe Viera hat mal Aufnahmen von bekannten Jazzern untersucht und festgestellt, dass kaum einer das Tempo bis zum Schluss konstant hält, wenn auch in dem Fall die Abweichungen relativ gering sind).
Die Schüler spielen sich ja gewissermaßen ein wenig in Rage, vor allem wenn sie bewusst oder unbewusst möglichst viel "Virtuosität" zeigen wollen. Die Kontrolle des Beats geht dann verloren.
Die Übung: spiele E I N EN Ton pro Takt. Wenn dies klappt, zwei Töne. Usw..Sobald die Sache ins Rutschen kommt, wieder zurück. Synkopen links erschweren die Sache. Da lasse ich gerne vereinfachen, z.B. bei Caravan den 3-2 Clave auf schlichte Halbe reduzieren.
 
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@walsroderpianist
Super Tipp, danke. Also eine stete Steigerung der Komplexität bei gleichzeitiger Tempokontrolle.
 
Kleine Ergänzung : beim Beispiel von Ellingtons Caravan handelt es sich bei der Begleitung eigentlich nicht um Synkopen, sondern um ein Metrum mit unterschiedlich langen Grundschlägen.
 
Oder meinst du, dass man das dadurch irgendwann verinnerlicht hat?
Man verinnericht es auf jeden Fall auch im Bandkontext.

Ich habe von Anfang an mit anderen zusammen Musik gemacht, daher weiß ich nicht, wie das andersrum ist.

Am Klavier gelingt es mir, den groove zu halten ... oder ich bemerke wenigstens, wenn ich langsamer oder schneller geworden bin. Manchmal lasse ich auch ein Metronom mitlaufen, aber das mache ich eher, um die Geschwindigkeit einzelner Parts kontrolliert zu steigern.

Auch an ein Metronom gewöhnt man sich irgendwann .. und braucht es dann fast nicht mehr.
Es geht eigentlich nur darum, die Bewegungsabläufe gleichmäßig auszuführen. Ein "Bezug" zu irgendwas (sei das ein inneres Tempogefühl, ein Metronom oder andere Musiker) hilft enorm, das Tempo zu halten ... allein schon weil man merkt, dass man zu schnell oder zu langsam ist, weil die Anderen (oder das Metronom) dann eben zu langsam oder zu schnell sind.
Das ist auch kein externes Metronom ... im Bandkontext Musik zu machen, ist immer ein Gemeinschaftsprojekt. Nur wenn man gemeinsam im gleichen Tempo bleibt, erreicht man das Ziel - Musik.

Durch jahrelanges Zusammenspiel hat sich bei mir so etwas wie ein "inneres Schwungrad" entwickelt. Fast wie ein mentaler Mühlstein, der träge und unaufhaltsam seine Runden dreht, und dabei ganz leicht eiert (für den Impuls ... egal wo der liegt).

Leider hat häufiges Zusammenspiel auch eine Nebenwirkung.
Wenn man sich gut kennt, und schon lange gemeinsam musiziert, dann lernt man irgendwann, sich sehr schnell an die Anderen anzupassen.
Dadurch fällt es manchmal schwer, das Tempo in einer solchen Band effektiv zu kontrollieren ... eigentlich kommt dafür fast nur die Percussion in Frage.

Ich habe zwar keine Band, in der ich Klavier spiele (höchstens für Solo-Nummern), aber ich glaube, dass das Instrument für die Entwicklung der individuellen Tempostabilität im Bandkontext (und anderswo) keine Rolle spielt.

Um das zu entwickeln, könnte es auch helfen, in eine Trommelgruppe einzutreten (es muss nicht immer Klavier sein). Natürlich nur, wenn das auch Spass bringt.
 
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Kleine Ergänzung : beim Beispiel von Ellingtons Caravan handelt es sich bei der Begleitung eigentlich nicht um Synkopen, sondern um ein Metrum mit unterschiedlich langen Grundschlägen.
Das habe ich gerade gelesen.
Interessant, dass das so lange unwidersprochen stehen blieb.
"Ein Metrum mit unterschiedlich langen Grundschlägen" - aaaaha. Soso.
War mir noch nicht bekannt, dass so etwas existiert. Wird das so an der renommierten Musikhochschule Walsrode gelehrt? :coolguy: :026:

Und bezüglich "3-2-Clave" - Du meinst vermutlich, dass man im Bass die Figur "1" - "2und" - "4" spielt ("Rumba-Bass"), ne? Denn ich wüsste nicht, wie sonst bei einer Piano-Solo-Version die Clave direkt (also als tatsächlich gespielte Figur) einfließen sollte... Dann ist die Bezeichnung aber auch falsch, denn die 3-2-Clave ist bekanntlich ein 2taktiges Rhythmuspattern, das von keinem Instrument (außer ggf. von den Claves oder einem sie vertretenden Percussionsinstrument) gespielt wird, sondern lediglich einen Rahmen setzt, welche Rhythmen in den Groove passen.
 

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