Tempo/Geschwindigkeit frisst Musik

so verschieden sind die Wahrnehmungen: ich halte Guldas Waldsteinsonate für sehr durchsichtig und glasklar gespielt - "Thema verfehlt" vermag ich da nicht zu erkennen, eher das Gegenteil. Wenn ich mir vostelle, diese Sonate würde genau so irgendwo im Unterricht gespielt, und die Lehrkraft würde den Spielenden schelten, da müsste man besagter Lehrkraft sofort die venia legendi entziehen :D - denn man hört in Guldas Waldsteinsonate ein Klavierspiel auf höchstem Niveau!

warum man mit Wut und etwas gequälter Witzelei sich ereifern muss, wenn es für die Sonate op.106 von Beethoven nun mal von Beethoven selber Metronomzahlen gibt, das verstehe ich ganz und gar nicht - - aber es bestätigt ja, was ich dazu schon angemerkt hatte: dass diese Metronomzahlen manchmal für Ärger sorgen... ;) :D

wenn irgendwer was schnelles nicht deutlich spielen kann, dann wird er eben noch üben müssen - entweder es klappt danach, oder er schafft´s halt nicht. wenn irgendwer aufnimmt, was besser noch eine Weile geübt werden sollte, dann ist das eine zwiespältige Angelegenheit: es sagt nämlich nichts über die Musik, sondern demonstriert lediglich den momentanen Könensstand.

wenn, manchmal kommt das vor, über einem Klavierstück "Prestissimo fantastico" steht, dann wird das sicherlich nicht langsam sein: "prestissimo" ist ein Superlativ.

wenn man irgendein prestissimo nicht deutlich spielen kann, dann sollte man so lange üben, bis man es kann - es allerdings langsamer zu spielen wäre dieselbe Verzerrung, als würde man ein allegretto in prestotempo spielen!
 
Hallo,
ein bißchen wundere ich mich auch um Metronomangaben im Kontext von Tempobeschreibungen. Hier fände ich, um dem musikalischen Kontext gerecht zu werden, die Angabe von Tempocharakteristiken relevanter. Einfach ein paar Attribute, Adjektive bemühen, um den Tempocharakter zu beschreiben. Das Klangbild zu umschreiben, steht sicher mehr im Sinne der Komposition, als sie mit einer schnöden Zahl zu belegen. Metronomangaben sind tatsächlich geschwindigkeitsbezogen. Geschwindigkeit und Tempo sind für mich zweierlei. Letzteres hat etwas mit aktiver Zeitgestaltung zu tun, eben ein viel, viel "künstlerischer", kreativer Vorgang als das langweilige Strecke/Zeit Verhältnis inform von Geschwindigkeitsangaben. Das nur am Rande.

LG, Sesam
 
Hallo Neapolitaner,

wenn ich J. Kaiser richtig im Kopf habe, ist Viertel=144 in der Fuge der Hammerklaviersonate sehr, sehr schnell. Sehr viele Pianisten spielen das langsamer. Von Schnabel soll es eine Aufnahme geben, die sich in diesen Temporegionen bewegt. Kennst Du weitere ?

Grüße,
Kristian

Hallo Kristian,

Die beste Interpretation die ich bis jetzt gehört habe ist eine Liveaufnahme von Brendel in London aus dem Jahre 1983.
Er ist da meist mit ungefähr Viertel=132 unterwegs.
Die Aufnahme klingt nicht "sehr sehr schnell" sondern vielmehr sehr schwungvoll und darüber hinaus (Sesam höre) sehr klar und deutlich dargestellt. Im Grunde nur vom Feinsten!
Und ich bin der Ansicht dass das fehlende Tempo dem Charakter des Stückes nur zugute kommen würde.

Ich behaupte ja nicht dass das Tempo einem Menschen aus Fleisch und Blut unter normalen Umständen (ohne ein ganz besonderes Event z.B.) angemessen ist. :p


(Ich habe übrigens noch eine andere Studioaufnahme von Brendel wo er deutlich langsamer aber auch steriler und wie aus der Konserve spielt.)
 
verschiedene Wahrnehmungen

so verschieden sind die Wahrnehmungen: ich halte Guldas Waldsteinsonate für sehr durchsichtig und glasklar gespielt - "Thema verfehlt" vermag ich da nicht zu erkennen, eher das Gegenteil. Wenn ich mir vostelle, diese Sonate würde genau so irgendwo im Unterricht gespielt, und die Lehrkraft würde den Spielenden schelten, da müsste man besagter Lehrkraft sofort die venia legendi entziehen :D - denn man hört in Guldas Waldsteinsonate ein Klavierspiel auf höchstem Niveau!


wenn irgendwer was schnelles nicht deutlich spielen kann, dann wird er eben noch üben müssen - entweder es klappt danach, oder er schafft´s halt nicht. wenn irgendwer aufnimmt, was besser noch eine Weile geübt werden sollte, dann ist das eine zwiespältige Angelegenheit: es sagt nämlich nichts über die Musik, sondern demonstriert lediglich den momentanen Könensstand.

wenn, manchmal kommt das vor, über einem Klavierstück "Prestissimo fantastico" steht, dann wird das sicherlich nicht langsam sein: "prestissimo" ist ein Superlativ.

wenn man irgendein prestissimo nicht deutlich spielen kann, dann sollte man so lange üben, bis man es kann - es allerdings langsamer zu spielen wäre dieselbe Verzerrung, als würde man ein allegretto in prestotempo spielen!

Da hören wir anscheinend wirklich mit anderen Erwartungen.

Für dich ist es durchsichtig und glasklar gespielt. Dies mag für den 1. Satz noch mit Einschränkungen gelten.
Ich sprach ja, dass das E-dur Thema nicht als der grosse Gegensatz hier dargestellt wird, wie es richtig wäre.

Desgleichen werden mir die Triolen zu sehr rhythmisch nivelliert. Die feinen off beat Akzente werden schlecht wahrgenommen.

Im 3. Satz kann von glasklar wirklich nicht mehr die Rede sein. Die Dreiklangsarpeggien in den 16teln werden zu einem Klangbrei und die Steigerung des Tempos im prestissimo Teil wird nicht mehr erreicht, weil er vorher bereits zu schnell war.

Dass hier ein toller Pianist spielt ist schon klar aber mir kommt da der Erlkönig in den Sinn-
speziell im 3. Satz hetzt er mit dem Text durch den Wald- das Ende ist bekannt.

Da gibt es doch nun wirkliche bessere Interpertationen.
 
Liebe Mitdiskutierende,

ich habe den Faden nochmal durchgelesen und sollte wohl zur besseren Verständlichkeit meines Anliegens etwas genauer formulieren:

1. Im Profibereich, wenn sozusagen die Technik so ausgereift ist, dass Tempo und hohe Geschwindigkeit souverän als Gestaltungsmittel eingesetzt wird, habe ich natürlich überhaupt nichts zu meckern! Wer wär´ ich denn auch?

2. Im Falle, dass das Tempo nicht souverän gestaltet werden kann, finde ich trotzdem den Einfluss und die Bedeutung, die hohem, virtuosem Tempo beigemessen wird zu groß. Klar soll man weiter daran üben, sich professionelle Vorbilder nehmen, um schneller zu werden, gar keine Frage! Aber im "Breitenklaviersport", also der musiktragenden Basis (die ich in einer Gesellschaft sehr schätze und wichtig finde), muss man sich doch nicht dem Joch der Virtuosität unterwerfen. Ich weiß auch nicht wie ich das besser beschreiben soll.... mit kommt es halt so vor, als ob die Hochachtung gegenüber Virtuosität und Akrobatik der eigenen Geschmacksentwicklung zunächst eher hinderlich ist. Was dann eben dazu führt, dass das (hart erübte) endlich schnell genug gespielte Stück gar nicht mehr bezüglich der Musikalität kritisch gewürdigt wird.

Ich hoffe, das war nun halbwegs verständlich. Um Gulda & Co. mach` ich mir keine Sorgen :D, aber darum, wenn man sich hier nicht die Musikalität abschaut, sondern nur der Geschwindigkeit nacheifert.
Hier wird es doch ein paar Klavierlehrer geben, die wissen, was ich meine, oder? :?

LG, Sesam
 
Ich frage mich bloß, wie du auf diese Vermutung kommst.

Ich kenne eig. niemanden, der Klavier als Hobby betreibt und dabei sein Augenmerk einzig auf das Tempo reduziert. Stets wird auch auf anderer Ebene sich um die Interpretation bemüht. Sofern man einen Lehrer hat, sollte das ohnehin kein ernsthaftes Problem sein, dass man sich zu einseitig mit einem Stück befasst.

Und auf größerer Bühne, also wo man Profis zuhört, treffe ich es äußerst selten an, dass man lediglich eine Darbietung hört, die nur das Tempo im Stück berücksichtigt und sonst nichts. Von einem Trend oder ähnlichem kann meiner Meinung nach nicht die Rede sein.

Desweiteren würde ich nicht sagen, dass man das Tempo zu ernst nehmen kann. Das Tempo ist eine genauso wichtige Gestaltungsform, wie das Beachten von Akzenten, der Gestaltung der Sätze untereinander etc. pp.

Schönen Gruß, Raskolnikow
 
Hallo zusammen,

ich kenne eigentlich auch niemanden, der nur Temposteigerung im Sinn hat und die Gestaltung überhaupt nicht im Auge hat.

Desweiteren bin ich ebenfalls ein Gegner des Tempoanziehens nur um der Geschwindigkeit willen, was soll das auch?

Ich finde, das Tempo ist zu bemessen am Charakter des Stückes.
Der erste Satz der Waldsteinsonate ist m.M.n. kein primär lyrisches Stück, d'accord?
Darüber steht schnell und mit Feuer, also gehört sie auch schnell, außerdem spritzig. Eher Sekt als Likör.

Für den Berufsmusiker müssen natürlich andere Kriterien gelten als für den Laien.

Für mich ist ein Thema verfehlt, wenn das Tempo mit dem Charkater des Stückes nichts zu tun hat. Oder die Art der Gestaltung den Charakter verfehlt.

Ich denke es gibt einen "grünen Bereich" im Tempo, in dem man sein Tempo wählen kann, gemessen am technischen und gestalterischen Können.

LG
violapiano
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich finde, das Tempo ist zu bemessen am Charakter des Stückes.
Die Waldsteinsonate ist m.M.n. kein primär lyrisches Stück, d'accord?
Darüber steht schnell und mit Feuer, also gehört sie auch schnell, außerdem spritzig. Eher Sekt als Likör.

Liebe violapiano,

das gilt aber nur für den ersten Satz- über dem 3. Satz steht Allegretto und im Schlussteil prestissimo -

und gerade diesen Unterschied muss man herausarbeiten und hörbar machen.
 
Lieber klavigen,
wir sprachen doch auch vom ersten Satz? Den meine ich.:)

Gut, ich hätte es genauer formulieren können: korrigiere also: der erste Satz der Waldsteinsonate ist kein primär lyrisches Stück, d'accord?

LG
violapiano
 
Für mich klingt der dritte Satz wie ein glasklarer, winterlicher Sternenhimmel mit tausenden in der Atmosphäre lebendig funkelnder Sterne.
Wenn das Tempo diesem Sinnbild gerecht wird, ist es für mich perfekt.

Die Tempoangabe Allegretto trifft den Nagel übrigens genau auf den Kopf. :)
 
Zitat von Raskolnikow:
Ich kenne eig. niemanden, der Klavier als Hobby betreibt und dabei sein Augenmerk einzig auf das Tempo reduziert

ich kenne eigentlich auch niemanden, der nur Temposteigerung im Sinn hat und die Gestaltung überhaupt nicht im Auge hat.

Ich auch nicht ;)


Zitat von Raskolnikow:
Ich frage mich bloß, wie du auf diese Vermutung kommst.

Weiß ich eigentlich auch nicht. War eher dem Eindruck geschuldet, dass die Vermarktbarkeit mit virtuosem, makellosem Spiel zunimmt, immer weniger Raum für Individuelles, keine kreative Tadelhaftigkeit mehr, keine Provokation. Keine Musikentdeckungsreisen mehr. Ich wüsste nicht, was ich mir von der aktuellen Bühnenprominenz zum Vorbild nehmen sollte, außer die fast schon penetrante Perfektion in allen fast menschenunmöglichen "Tastenlagen". Aber scheinbar ist ja das das Gefragteste, also lohnenswert dem nachzustreben (?)
Bitte, bitte überschüttet mich mit Gegenbeispielen.

Zitat von violapiano:
Gut, ich hätte es genauer formulieren können: korrigiere also: der erste Satz der Waldsteinsonate ist kein primär lyrisches Stück, d'accord?

Wenn du "lyrisch" als romantisches Schwelgen verstehst, dann d`accord. Mein Lyrik-Begriff geht aber etwas weiter: Dichtung. Und die muss ja nicht immer zart-verträumt sein. Eben, das könnte ich mir als sehr große Herausforderung vorstellen, das Allegro con brio lyrisch und eben nicht prosaisch zu präsentieren (wo es eben nicht prosaisch ist).

LG, Sesam
 

Da hören wir anscheinend wirklich mit anderen Erwartungen.

Für dich ist es durchsichtig und glasklar gespielt. Dies mag für den 1. Satz noch mit Einschränkungen gelten.
Ich sprach ja, dass das E-dur Thema nicht als der grosse Gegensatz hier dargestellt wird, wie es richtig wäre.

Desgleichen werden mir die Triolen zu sehr rhythmisch nivelliert. Die feinen off beat Akzente werden schlecht wahrgenommen.

erst mal hör ich, was es da zu hören gibt, ohne voreingestellte Erwartungen - und was es da in Guldas erstem Satz der Waldsteinsonate zu hören gibt, ist sehr gut: ohne irgendwelche Einschränkungen.

ich wiederhole noch mal: wenn in einer Unterrichtsstunde der Kopfsatz der Waldsteinsonate so, wie von Gulda gespielt, gebracht wird und die Lehrkraft meckert daran herum, dann ist ein Lehrerwechsel äußerst dringend angesagt...

das E-Dur Seitenthema mit seiner cantablen Akkordik ist für sich schon Gegensatz genug, dem braucht man nicht auf die Sprünge helfen: es genügt und ist deutlich, wenn es im Tempo und cantabile gespielt wird - das macht Gulda. Übrigens ist "der große Gegensatz" des Seitenthemas im Kopfsatz dieser Sonate eine etwas merkwürdige Angelegenheit, denn Beethoven verzichtet auf diesen vermeintlichen Gegensatz in der Durchführung komplett!

was in Guldas Aufnahme "rhythmisch nivellierte Triolen" im ersten Satz sein sollen, ist mir schleierhaft, denn man hört dort ein sehr präzises und auch rhythmisch präzises Klavierspiel.

wenn bei Gulda im Kopfsatz irgendwas schlecht wahrgenommen wird, dann liegt das an der schlechten Wahrnehmung - - vermutlich wolltest du was anderes ausdrücken, etwa dass Guldas Klavierspiel hier keinen feinen off-beat Akzente (eine interessanter Begriff im Kontext einer mittleren Beethovensonate) darstellen würde: da mag dich ein Blick in die Noten darüber belehren, dass die Synkopen während der Achteltriolen nirgendwo ein Akzentzeichen aufweisen, überhaupt ist die Notation des Kopfsatzes sehr sparsam mit Akzenten (ich empfehle, vor aller Kritik die Noten sehr genau zu kennen!!). Der Notentext wird von Gulda ohne Einschränkungen oder Undeutlichkeiten realisiert, und das mit Schwung und Elan - - so sollte dieser Satz klingen.

der dritte Satz stand hier, ausgehend von Sesams Beispiel, welches nur dem ersten Satz gilt, nicht zur Debatte.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Sesam,

ich glaube, dass die Wahl des Tempos sehr viel damit zu tun hat, was man hört bzw. hören will.

Früher z.B. war ich manchmal recht detailverliebt und habe deshalb lieber langsamere Tempi gewählt, bei denen ich die Details schön hören konnte. Das ging aber oft zu Lasten der Phrasen und des Spannungsbogens.

Heute höre ich die Details eher im übergeordneten Spannungsbogen und da sind schnellere Tempi manchmal besser.
Es ist also durchaus eine natürlich im musikalischen Rahmen gehaltene Geschmacksfrage, wie schnell man denn nun "schnell" spielt. :p

Ich finde, dass selten oder gar nicht etwas zu schnell gespielt wird von großen Pianisten. Vielleicht manche Mozart-Aufnahmen von früher. Die Gulda-Aufnahme gefällt mir sehr, weil sie wirklich con brio gespielt ist und man alles glasklar hört. Was die YT-Aufnahmen von Hobby-Musikern angeht, kann ich leider nicht mitreden. (Ich habe eher manchmal das Problem, dass auch nicht so schnell gespielte Stücke heruntergerattert werden. :p)

Für mich kann ich nur sagen, dass ich wirklich virtuose Werke durchaus schneller spielen würde, wenn ich es denn könnte :p .

Liebe Grüße

chiarina
 
...bei aller mir rätselhaften Erzürnung über das Phänomen Tempo: ganz und gar nicht kann ich nachvollziehen, was eine Trennung in hie Geschwindigkeit, da Tempo bedeuten mag...

Tempo in der Musik bedeutet nun mal das Zeitmaß und folglich die Geschwindigkeit, in der etwas gespielt werden soll - nicht mehr und nicht weniger. In aller Regel wird das Zeitmaß (Tempo) eines Musikstücks von seinem Urheber, dem Komponisten, festgelegt. Diese Festlegung geschieht mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln und zwar in der Weise, die der Komponist als deutlich genug erachtet hatte. Seit ca. 1850 stand das Mälzelsche Metronom zur Verfügung: seitdem wurde dieses Mittel, das Tempo möglichst exakt vorzugeben, immer wieder dort eingesetzt, wo es den Komponisten nötig erschien. Generell sind die Tempovorgaben eines Komponisten ebenso ernst zu nehmen, wie seine Noten.

Nebenbei: auch vor dem Mälzelschen Metronom hatte man die Dauer von Musikstücken kritisch betrachtet, weil man willkürlichen Temponahmen doch recht misstrauisch gegenüberstand. So wurden beispielsweise Aufführungsdauern notiert - keine schlechte Idee, da man ja die Zeit messen kann.

Und nicht zuletzt scheint es im Allgemeinen doch mehr Konsens über Tempi zu geben: die Aufführungsdauern von Sätzen, welche keine Metronomangabe haben, sind sich doch meist recht ähnlich - es kommt nur sehr selten vor, dass sich Aufführunhgsdauern stark unterscheiden (und wenn das mal der Fall ist, dann hebt auch sofort eine kontroverse Diskussion ein, vgl. Gould und das erste Klavierkonzert von Brahms)
____________________

auf einem ganz anderen Blatt steht freilich der Unfug, der manchmal sogar mit Wut und Eifer betrieben wird:
- natürlich ist es unmusikalisch und blöde, restlos alles auf Teufel komm raus prestississimo zu spielen (und das ganz besonders dann, wenn man´s allegro nicht ml sauber hinkriegt)
leider kommt sowas vor, c´est la vie - aber daraus generell abzuleiten, dass sich überall in der Musik olympische Wettkämpfe breit gemacht hätten und alles andere, sogar den musikalsichen Geschmack, die Klangkultur etc verdrängt hätte, halte ich für arg übertrieben!
 
...bei aller mir rätselhaften Erzürnung über das Phänomen Tempo

Ich hoffe, du beziehst "Erzürnung" nicht auf mich als Fadenurheber. Da hättest du mich gründlich missverstanden. In meinem Fall handelt es sich um nicht anderes als den reflektierenden Umgang mit und das Nachdenken über etwas, das mich bewegt. Das ist doch etwas sehr Schönes und Empfehlenswertes. Dass meine Ansichten und Vorlieben von deinen abweichen ist für mich kein Problem.

Zitat von Rolf:
Tempo in der Musik bedeutet nun mal das Zeitmaß und folglich die Geschwindigkeit, in der etwas gespielt werden soll - nicht mehr und nicht weniger. In aller Regel wird das Zeitmaß (Tempo) eines Musikstücks von seinem Urheber, dem Komponisten, festgelegt. Diese Festlegung geschieht mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln und zwar in der Weise, die der Komponist als deutlich genug erachtet hatte. Seit ca. 1850 stand das Mälzelsche Metronom zur Verfügung: seitdem wurde dieses Mittel, das Tempo möglichst exakt vorzugeben, immer wieder dort eingesetzt, wo es den Komponisten nötig erschien. Generell sind die Tempovorgaben eines Komponisten ebenso ernst zu nehmen, wie seine Noten.

Naja ein prominentes Beispiel kennen wir alle: hier geht es fast gänzlich ohne Tempoangaben. Alles eine Frage des vorausgesetzt "guten Geschmackes" ;)

Zitat von Rolf:
Nebenbei: auch vor dem Mälzelschen Metronom hatte man die Dauer von Musikstücken kritisch betrachtet, weil man willkürlichen Temponahmen doch recht misstrauisch gegenüberstand. So wurden beispielsweise Aufführungsdauern notiert - keine schlechte Idee, da man ja die Zeit messen kann.

Oje, "da man ja die Zeit messen kann", eben darin liegt für mich der Unterschied zwischen Tempo und Geschwindigkeit. Geschwindigkeit kann man messen, Tempo nicht. Ich hatte eigentlich meine Unterscheidung in einem Beitrag oben schon beschrieben, was daran ist unverständlich?

Zitat von Rolf:
Und nicht zuletzt scheint es im Allgemeinen doch mehr Konsens über Tempi zu geben: die Aufführungsdauern von Sätzen, welche keine Metronomangabe haben, sind sich doch meist recht ähnlich - es kommt nur sehr selten vor, dass sich Aufführunhgsdauern stark unterscheiden (und wenn das mal der Fall ist, dann hebt auch sofort eine kontroverse Diskussion ein, vgl. Gould und das erste Klavierkonzert von Brahms)

Das ist leider viel, viel zu selten der Fall. Eben, alles ist recht ähnlich.

Zitat von Rolf:
auf einem ganz anderen Blatt steht freilich der Unfug, der manchmal sogar mit Wut und Eifer betrieben wird:
- natürlich ist es unmusikalisch und blöde, restlos alles auf Teufel komm raus prestississimo zu spielen (und das ganz besonders dann, wenn man´s allegro nicht ml sauber hinkriegt)
leider kommt sowas vor, c´est la vie - aber daraus generell abzuleiten, dass sich überall in der Musik olympische Wettkämpfe breit gemacht hätten und alles andere, sogar den musikalsichen Geschmack, die Klangkultur etc verdrängt hätte, halte ich für arg übertrieben!

Lustig anzusehen, was aus meinem Eingangpost geworden ist: der musikalische Geschmack, die Klangkultur wurde verdrängt, überall haben sich olympische Wettkämpfe breitgemacht. Habe ich dergleichen wirklich geäussert? Oder wird hier zu rhetorischen Mitteln gegriffen?? Musst du nicht, Rolf, ich akzeptiere deine Meinung auch ohne, dass du dich über meine lustig machst.

LG, Sesam
 
ich glaube, dass die Wahl des Tempos sehr viel damit zu tun hat, was man hört bzw. hören will.

Ja, das klingt sehr plausibel. Es geht ja nicht einfach nur um schnell oder langsam (am Ende als bloßer Tribut an die technischen Fähigkeiten), sondern darum, dem Stück eine plastische Form zu geben, ein vielschichtiges Profil. Was da in Zusammenhang gesetzt wird, was gezeigt wird, ist wirklich vom Tempo abhängig; vielmehr umgekehrt.


Früher z.B. war ich manchmal recht detailverliebt und habe deshalb lieber langsamere Tempi gewählt, bei denen ich die Details schön hören konnte. Das ging aber oft zu Lasten der Phrasen und des Spannungsbogens.

...wie gesagt, ich bin glühender Anhänger so mancher Celibidache Mitschnitte. Von wegen verlorener Spannungsbogen :cool:

Es ist also durchaus eine natürlich im musikalischen Rahmen gehaltene Geschmacksfrage, wie schnell man denn nun "schnell" spielt. :p

Völlig deiner Meinung!

Für mich kann ich nur sagen, dass ich wirklich virtuose Werke durchaus schneller spielen würde, wenn ich es denn könnte :p .

Verständlich!

LG, Sesam
 
Scheinbar bin ich gegen derartige Kraftmeierei immun, eher abgeschreckt. Ist das also etwas ganz Tolles, wenn man hier sogar 150 schafft, oder wie? Bekommt man dann einen Pokal?? Kommt mir vor, wie ein Bildhauer, der anstatt das Bildnis die Mühsal der Meisselschläge und Steinbearbeitung im Allgemeinen bei seiner Kunstbetrachtung anführt.
Und der, der nur 130 schafft, muss der in der Ecke stehen und sich schämen? Natürlich mag er das nicht, deshalb gibt er Gas, Hauptsache es kommen 140 raus. Geschafft!! Er ist ein Virtuose! Hurra! Sesam hält sich jetzt die Ohren zu. Egal!

aber Sesam,

da brauche ich doch keine rhetorischen Tricks... wer hier, u.a. auch "rhetorisch" loslegt, das bist Du! siehe oben :D :D und siehe unten:

Zitat von Sesam:
Dennoch steht aber die glanzvolle Virtuosität -vor allem auf die Geschwindigkeit bezogen- selbst bei fragwürdigem Ergebnis landläufig hoch im Kurs (war wahrscheinlich zu keiner Zeit anders). Das versteh` ich nicht. Warum wird nicht einfach mal ein bißchen weniger virtuos gespielt, dafür aber schöner und verständlicher?
Zitat von Sesam:
Geschwindigkeit und Tempo sind für mich zweierlei. Letzteres hat etwas mit aktiver Zeitgestaltung zu tun, eben ein viel, viel "künstlerischer", kreativer Vorgang als das langweilige Strecke/Zeit Verhältnis inform von Geschwindigkeitsangaben. Das nur am Rande.
:D :D

interessant ist Dein Gedanke, dass man Tempo nicht messen könne:
Zitat von Sesam:
Oje, "da man ja die Zeit messen kann", eben darin liegt für mich der Unterschied zwischen Tempo und Geschwindigkeit. Geschwindigkeit kann man messen, Tempo nicht.
mal ganz naiv gefragt: was zeigt im Auto das Zahlenrad mit Zeiger bzw. die digitale Zahlenanzeige an? tja ja, die zeigen das Tempo an, wobei sie es relativ genau messen: ist das Tempo zu hoch, blitzt der Starenkasten und es flattert ein Bußgeldbescheid in den Briefkasten.
Tempo und Geschwindigkeit sind relativ synonyme Vokabeln.

ich kann ja verstehen, dass Du besorgt bist, dass die Musikalität unter einer manischen Fixierung auf möglichst hohes Tempo [also möglichst hohe Geschwindigkeit] seitens der Spielenden leidet - - da stimme ich Dir sogar zu: das wäre nicht nur, das ist sogar Unsinn, wo es so betrieben wird. Und das Ergebnis kann sogar ins klägliche rutschen, wenn die Finger nicht mithalten.

aber zu keinem Konsens bin ich bereit, wenn die von den Komponisten anvisierten Tempi bezweifelt werden: ein allegro con brio ist schnell, ein prestissimo fantastico ist sehr sehr schnell. Zwar gibt es eine relative Varianz, d.h. es müssen weder alle irgendein Stück absolut exakt gleichschnell spielen noch müssen alle irrwitzig rasen - - aber zu auffällige Abweichungen vom geforderten Tempo verzerren nun mal das, was der Komponist notiert hat.

Gruß, Rolf
 
ich kann ja verstehen, dass Du besorgt bist, dass die Musikalität unter einer manischen Fixierung auf möglichst hohes Tempo [also möglichst hohe Geschwindigkeit] seitens der Spielenden leidet - - da stimme ich Dir sogar zu: das wäre nicht nur, das ist sogar Unsinn, wo es so betrieben wird. Und das Ergebnis kann sogar ins klägliche rutschen, wenn die Finger nicht mithalten.

aber zu keinem Konsens bin ich bereit, wenn die von den Komponisten anvisierten Tempi bezweifelt werden: ein allegro con brio ist schnell, ein prestissimo fantastico ist sehr sehr schnell. Zwar gibt es eine relative Varianz, d.h. es müssen weder alle irgendein Stück absolut exakt gleichschnell spielen noch müssen alle irrwitzig rasen - - aber zu auffällige Abweichungen vom geforderten Tempo verzerren nun mal das, was der Komponist notiert hat.

Na dann sind wir uns ja in den wesentlichen Punkten einig. Und was die Unterscheidung zwischen Geschwindigkeit und Tempo betrifft, da haben wir halt je andere Ansichten.

LG, Sesam
 
Und was die Unterscheidung zwischen Geschwindigkeit und Tempo betrifft, da haben wir halt je andere Ansichten.

eventuell sollte man bei synonymen Vokabeln keine allzu anderen Ansichten entwickeln - Tempo in der Musik bedeutet nun mal die Geschwindigkeit, das Zeitmaß, in welchem etwas vorgetragen/gespielt wird.

natürlich steckt in der Vokabel "Geschwindigkeit" das "geschwind" drin, sodass man verleitet sein könnte, dieses Abstraktum nur auf "geschwind = schnell, eilig" zu beziehen - das wäre aber falsch: auch eine Schnecke hat ihrer eigene Geschwindigkeit, mit der sie umherkriecht - das Wiesel hat eine andere :)

und natürlich bringt es nicht viel, das Fremdwort "Tempo", welches für Zeitmaß in der Musik steht, mit zusätzlichen willkürlichen "ästhetischen" Bedeutungen aufzuladen - besser scheint mir doch, das schöne Wort Zeitmaß nicht aus den Augen zu verlieren!

übrigens fallen mir da zwei andere, zusätzliche Begriffe ein, die neben dem messbaren [sic!] Tempo eine große Rolle spielt: der Puls und der Atem. Ich glaube, dass das, was Du unter Tempo verstehen willst, eigentlich den Atem und den Puls von Musikstücken betrifft.

Gruß, Rolf
 

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