Talent wird überbewertet

@Stilblüte
Kann er gleichmäßig gehen? Und dann zu jedem Schritt klatschen? Vielleicht braucht er tatsächlich zu Anfang mehr Rückmeldung vom unterstützenden Körpergefühl.
Das habe ich ihm auch schon mehrfach gesagt und angeregt, dass er auf seine Schritte achtet. Bisher habe ich ihn noch nicht vor mir im Kreis laufen lassen, weil ich ihm nicht gleich zu Beginn des Unterrichts das Gefühl geben wollte, wie ein Äffchen vorgeführt zu werden (er stammt aus einer entsprechenden Berufsgruppe... :heilig:). Allerdings ist er sehr motiviert und interessiert, vielleicht sollte ich das doch einfach mal machen.
 
Ich habe gerade einen erwachsenen Anfänger, der keinen geraden Puls klatschen kann. Irgendwie schockiert mich das. Ich dachte in meiner jugendlichen Naivität, dass das eine einigermaßen universelle Fähigkeit unter Erwachsenen ist (mit kleinen Schönheitsfehlern wie langsamer / schneller werden natürlich). Aber nein. Der Unterschied zwischen simpelsten Rhythmen ist schon eine Herausforderung. Ich schätze, der Schüler hat einfach in diesem Bereich überhaupt keine Vorbildung - woher soll es also dann auch kommen...

Bei der Bundeswehr latschte in der Grundi einer vor mir, der brauchte sechs Wochen, bis er im Gleichschritt marschieren konnte.

War für mich einerseits erschütternd, andererseits eine wichtige Lektion.

Nur, weil man etwas kann, heißt das nicht, das andere das auch können, und sei es nich so grundlgend. Umgekehrt natürlich auch.

Grüße
Häretiker
 
Ich kann es nicht ganz verstehen, denn vermutlich haben diese Leute in ihrem Leben nie etwas gemacht, was ihnen selbst schwergefallen ist
Vielleicht ist es jedoch einfach auch das Talent, jede Aufgabe so zu wählen oder zu strukturieren, dass sie leicht wird, spielerisch sich herausfordern ohne sich zu überfordern und vor allem alle Beschränkungen in Form von "Das ist aber schwer", " Das kann ich nicht" etc. zu streichen, sich mutig dem stellen, was an den Tasten gefordert ist, sich einlassen und Grenzen akzepieren bzw. mit viel Geduld, Beharrlichkeit und Fleiß erweitern.
 
Wenn ich bei meinen Schülern mal gucke, welche von ihnen von anderen als "talentiert" oder "weniger talentiert" eingeordnet würden, fallen mir spontan 3 klare Hauptunterschiede auf:

1. Die "Untalentierten" reagieren schnell auf Noch-nicht-Vertrautes oder etwas knifflig Wirkendes mit "Oh, DAS ist zu schwierig" / "DAS krieg ich nicht hin" (oder mit "Das Stück ist sowieso blöd", auch sehr beliebt...), während die "Talentierten" etwa in der Art reagieren "Alles klar, nicht ohne, ich mach mich an die Arbeit!"

2. Die "Talentierten" sind ohr-orientiert (lernen deshalb oft tendenziell langsamer Noten lesen, spielen lieber nach Gehör bzw. auswendig), die "Untalentierten" haben (aus welchem Grunde auch immer) keinen vernünftigen audiomotorischen Regelkreis etabliert, sondern gehen visuell-motorisch vor.

3. Die "Untalentierten" sind oft tendenziell musikgeschmacklich sehr eingegrenzt, und zwar leider oft auf nicht sehr hochwertige Musik (so dass es immer wieder schwierig ist, ihnen Stücke auszusuchen, die sie so weit mögen, dass sie die Mühe des Übens auf sich nehmen), die "Talentierten" sind offener in alle möglichen Richtungen, so dass man mehr Sachen mit ihnen machen kann, die pianistisch und musikalisch-künstlerisch auch was bringen (aus Klassik oder Jazz).
 
Vielleicht ist es jedoch einfach auch das Talent, jede Aufgabe so zu wählen oder zu strukturieren, dass sie leicht wird, spielerisch sich herausfordern ohne sich zu überfordern und vor allem alle Beschränkungen in Form von "Das ist aber schwer", " Das kann ich nicht" etc. zu streichen, sich mutig dem stellen, was an den Tasten gefordert ist, sich einlassen und Grenzen akzepieren bzw. mit viel Geduld, Beharrlichkeit und Fleiß erweitern.

Oder alternativ probieren sich die Leute wenig in der Breite aus und sind eigentlich unglaublich langweilig. Alles ist möglich.
 
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3. Die "Untalentierten" sind oft tendenziell musikgeschmacklich sehr eingegrenzt, und zwar leider oft auf nicht sehr hochwertige Musik (so dass es immer wieder schwierig ist, ihnen Stücke auszusuchen, die sie so weit mögen, dass sie die Mühe des Übens auf sich nehmen), die "Talentierten" sind offener in alle möglichen Richtungen, so dass man mehr Sachen mit ihnen machen kann, die pianistisch und musikalisch-künstlerisch auch was bringen (aus Klassik oder Jazz).

Was doch im Grunde auch logisch ist, wer wenig Talent oder auch musikalische Vorerfahrung hat, tut sich schwer damit Musik zu "verstehen" die unbekannt ist. Und Musik spielen zu der man keinen Zugang hat, ist anstrengend. Bei den einen ist der Punkt des nicht "verstehens" bei der Zwölfton-Musik, bei anderen eben bei Mozart und co.
 
Was doch im Grunde auch logisch ist, wer wenig Talent oder auch musikalische Vorerfahrung hat, tut sich schwer damit Musik zu "verstehen" die unbekannt ist. Und Musik spielen zu der man keinen Zugang hat, ist anstrengend. Bei den einen ist der Punkt des nicht "verstehens" bei der Zwölfton-Musik, bei anderen eben bei Mozart und co.

Aber Offenheit für neue Erfahrungen ist nach meiner Empfindung tatsächlich eine Charaktereigenschaft (wobei diese Charaktereigenschaft natürlich Lebensbereichspezifisch zum Vorschein tritt. Ich bin z.B. sehr offen für alle möglichen Erfahrungen, welche nicht mein Leib und Leben gefährden, aber werde zum absoluten Schisser sobald es in der Hinsicht abenteuerlich wird :-D )
 
Aber Offenheit für neue Erfahrungen ist nach meiner Empfindung tatsächlich eine Charaktereigenschaft (wobei diese Charaktereigenschaft natürlich Lebensbereichspezifisch zum Vorschein tritt. Ich bin z.B. sehr offen für alle möglichen Erfahrungen, welche nicht mein Leib und Leben gefährden, aber werde zum absoluten Schisser sobald es in der Hinsicht abenteuerlich wird :-D )

Dem kann ich nicht widersprechen. Wobei diese Charaktereigenschaft mindestens ebenso komplex ist wie das Talent. Was ist anerzogen, was Veranlagung? Dann spielt der Kontext eine große Rolle, nicht selten lehnen Menschen Dinge strickt ab, die sie in anderen Zusammenhängen ganz entspannt einfach ausprobieren würden. usw.
 
Wobei man sicher zwischen Talent und persönlichem Geschmack unterscheiden muss. Es gibt gewiss auch Talentierte, die mit bestimmten Genres, die ein Anderer als hochwertig betrachtet, nichts anfangen können. Kenne selbst studierte Musiker, die z.B. Wagner-Opern vorher, während der Aufführung, und nachher grauenvoll finden. Und das kann ich sogar nachempfinden, trotz aller Komplexität...Aber man kann hinterher ja noch zum Italiener...( sofern er dann noch offen hat...);-)
 

Wobei man sicher zwischen Talent und persönlichem Geschmack unterscheiden muss. Es gibt gewiss auch Talentierte, die mit bestimmten Genres, die ein Anderer als hochwertig betrachtet, nichts anfangen können. Kenne selbst studierte Musiker, die z.B. Wagner-Opern vorher, während der Aufführung, und nachher grauenvoll finden. Und das kann ich sogar nachempfinden, trotz aller Komplexität...Aber man kann hinterher ja noch zum Italiener...( sofern er dann noch offen hat...);-)
Es ist davon auszugehen, dass das meist daran liegt, dass sich diejenigen zu sehr von den Texten und Stories der Opern beeinflussen lassen (die in der Tat gerne mal durchaus hanebüchen sind). Oder davon, dass sie gleich "Wagner - Nazis" assoziieren.

Genauso wie ich meine damalige Freundin, die angeblich "Mozart doof fand", mit dem d-moll-Klavierkonzert reingelegt habe, das sie mit Genuss hörte, da sie nicht wusste, dass es von Mozart ist, bin ich sicher, dass die von Stephan Genannten rein instrumentale Wagner-Musik, die ihnen ohne Erläuterungen vorgespielt würde, überwiegend gut fänden.
 
@saugferkel, zwischen den Zeilen Deines Beitrags meine ich zu lesen, dass Du Dich von mir angegriffen oder beleidgt fühlen könntest. Sollte dieser Eindruck stimmen, täte es mir leid und ich bitte um Entschuldigung. Das war ganz und gar nicht meine Absicht.
Nein, überhaupt nicht. Alles gut. :-)

Um sicher zu gehen: Ich wollte weder zweifeln noch lästern. Ich finde es vielmehr beeindruckend, wie weit Du in kurzer Zeit gekommen bist.
Danke. :super:
 
ich sag jetzt nix....:-D
 
Mal zurück zum Thema ;)

Menschen sind unterschiedlich. Es gibt z. B. Menschen mit hübscheren und hässlicheren Gesichtern und die mit hübscheren sind nicht nur hübscher, weil sie als Baby immer hörten wie hübsch sie sind, sondern auch weil sie da genetisch mehr Glück hatten (Messer zählt nicht). Das gilt auch für "Talent" (was immer Talent genau ist).

Aber nicht jedes Supertalent wird auch zum Superstar. Nicht jedes Talent ist so erfolgreich, wie man, von der Menge Talent ausgehend, erwarten würde. Und hier wird es für mich spannend.

Auch wenn ich überzeugt bin, dass eine gewisse Menge Fähigkeiten (Talent) den Erfolg erleichtern, sind dann doch Ansprechbarkeit, Struktur, Interesse, Einsatz, Fleiss, Technik etc. für das Ergebnis entscheidend. Und so kann der weniger "talentierte" durch eine gute Übungstechnik den "talentierteren" überholen.

Ich weiss nicht, ob das tröstlich oder angsteinflössend ist;)
 
Definitiv tröstlich!
Danke.
LG Barbara
 

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