Talent wird überbewertet

1. Talent wird, wie oben bereits gesagt, allzu gerne als Ausrede benutzt. "Ich krieg's nicht hin - kein Wunder, ich habe ja auch kein Talent."

2. Wie bereits Heinrich Jacoby sehr gut herausgearbeitet hat, gibt es Erziehungs- und Herangehensweisen, die den Menschen zu zweckmäßigen Verhaltensweisen bringen und somit sozusagen "begaben" (bzw. dazu führen, dass er seine Anlagen bestmöglich nutzen kann), und andere, die ihn sich unzweckmäßige Verhaltensweisen angewöhnen lassen, so dass er "unbegabt" erscheint, obwohl seine "Hardware" bei zweckmäßiger Erziehung eigentlich eine erheblich günstigere Entfaltung zuließe.

Daraus resultiert, dass man bei der Beurteilung, ob jemand (oder man selbst!) nun "talentiert" sei, extrem vorsichtig sein muss, sehr viele Fakten heranziehen muss und sich sowohl in dem betreffenden Fähigkeitsgebiet als auch in wichtigen psychologischen und pädagogischen Fragen gut auskennen muss. Das ist nur bei sehr wenigen Leuten der Fall.

Und daraus wiederum resultiert, dass es insbesondere für Amateure absolut nicht zweckmäßig ist, sich über ihre "Talentiertheit" Gedanken zu machen.
Man hat zwei Möglichkeiten: Entweder man sagt "OK, so ambitioniert bin ich auf diesem Gebiet eh' nicht, also wurschtel ich einfach so lange weiter, wie es mir halt Spaß macht", oder man sagt: "Ich will wirklich so viel wie möglich aus mir herausholen", dann kommt man nicht darum herum, sich Lehrpersonen zu suchen, die es WIRKLICH (ich meine: WIRKLICH!) draufhaben und u.a. nicht von "Talent" quatschen, sondern einfach wissen, wie man zweckmäßige Verhaltensweisen fördert und somit Potentiale weitestmöglich weckt.
 
Ich stimme hasenbein völlig zu.

Gerade beim Erlernen des Klavierspieles wird deutlich, dass der Mensch eine Bio-Maschine ist, die man programmieren kann bzw umprogrammieren. Fehler entstehen durch "falsche" Programmierung, also falsches Denken.

Und bei "Fehlern" meine ich nicht nur falsche Töne....
 
Talent - kein Talent, - das sind doch keine diskreten Zustände wie schwanger oder nicht! Es gibt so viele Schattierungen! Wenn ich Talent als eine komplexe 'Ansammlung' verschiedener Eigenschaften und Fähigkeiten begreife, wird diese ganze Diskussion müssig.
Dann habe ich nämlich nur Menschen mit unterschiedlich ausgeprägten Eigenschaften, die ihnen unterschiedliche Zugänge ermöglichen und der vermeintlich talentfreie kann, durch eine andere Zugangsmöglichkeit, durchaus Beachtenswertes erreichen...
 
Der hat mich sehr inspiriert, das dazugehörige Buch "Jenseits von Begabt und Unbegabt" Insbesondere die These, dass Menschen ihre Fähigkeiten durch allerlei Nebenprodukte (eben unzweckmäßiges Verhalten), was sie dann als Charakter bezeichnen, verstellen. Als Erwachsener ist es dann eine Aufgabe, sich zweckmäßiges Verhalten, solches, das meine Fähigkeiten zum Ausdruck verhelfen kann, zu erarbeiten und zwar jeden Tag aufs Neue, und zusätzlich für ein Milieu zu sorgen, welches Wachstum und Entfaltung ermöglicht. Die Verantwortung für dieses liegt bei jedem Menschen allein.
 
natürlich ist es Unsinn, zu versuchen, mangelnden Fleiß und Motivation mit fehlendem Talent zu entschuldigen.
Mit viel Ehrgeiz und sinnvoller Anleitung kommt man auch als normal Begabter in diversen Disziplinene zu bemerkenswerten Ergebnissen.
Daraus aber Talent oder angeborene Begabung als eine nicht fassbare abstrakte Kategorie abzuleiten und damit dessen Einfluss mehr oder weniger als nicht signifikant abzutun, kann nicht richtig sein.
Wie soll man bspw. das angeborene Talent eines Kindes, besser gesagt, Babys, bewerten, das noch bevor es richtig zu laufen gelernt hat, mit etwas über einem Jahr, von sich aus einen Bleistift in die Hand nimmt, und zwar nicht im typischen "Kleinkindkritzelfaustgriff", sondern ganz normal zwischen Daumen und Zeigefinger und kleine Kopffüßler zeichnet, wo im Kopf die Augen, Nase, Mund und Haare am richtigen Fleck sitzen, am unteren Ende der Strichbeine Füsse und am Ende der Stricharme Hände mit 5 Fingern gezeichnet werden?
Ich kenne Erwachsene, deren Strichmännchen kaum besser sind. :-)
Da soll mir niemand mit optimaler frühkindlicher Förderung kommen!
Da ist halt einfach etwas in der Verschaltung der Neuronen, das außergewöhnlich ist.
Eben das, was man landläufig als Talent bezeichnet.
Ich finde es auch seltsam, dass man gerne bereit ist, in Gebieten, wo Ergebnisse objektiv nachvollziehbar und messbar sind, die Existenz von Naturbegabung anzuerkennen, wenn es aber in den diffusen Bereich der Kunst geht, sich damit schwer tut.
Vielleicht spielt da auch immer ein bißchen Neid auf die von Mutter Natur besser Ausgerüsteten mit...:denken:
 
Es ist mir eine Ehre, dass Leute immer an mich denken, ohne es mich merken zu lassen. :heilig:

Ich habe ehrlich gesagt sogar bei @saugferkel Zweifel, ob er tatsächlich außergewöhnliches musikalisches Talent hat.

Ich habe bisher weder in diesem Forum, noch sonst wo behauptet, dass ich talentiert sei. Auf einige Fragen hin habe ich lediglich erzählt, wie ich damit umging und gehe, was ich tat und tue, außerdem was ich damit erreichen will.
@saugferkel, damit will ich Dein Klavierspiel in keinster Weise abwerten, im Gegenteil. Ich glaube nämlich nicht, dass Dir das alles so zufliegt, wie manche hier oft andeuten.

Ich sage nicht wie im Üblichen, dass ich ja "kein Konzertpianist werde", das werde ich mit Sicherheit nicht, da ich bereits einen Beruf habe. Aber ich will anspruchsvolle Konzertstücke in hörbarer Qualität spielen können und das werde ich auch schaffen. Auch wenn es Jahre in Anspruch nehmen würde.

Daher,

@saugferkel, damit will ich Dein Klavierspiel in keinster Weise abwerten, im Gegenteil. Ich glaube nämlich nicht, dass Dir das alles so zufliegt, wie manche hier oft andeuten.

ob Du mein Klavierspiel in irgendeiner Weise abwerten wolltest, ist mir gleichgültig. Ich zeige ja ab und an mit Videos meine bescheidenen Fortschritte, da kann man schon sehen, dass mir ja sowieso nicht alles zufliegt. Ob man es zweifelt, drüber lästert o.ä., ist mir herzlich egal und hält mich nicht davon ab.

Vielmehr habe ich nach seinen Beschreibungen eher den Eindruck, dass er sich - auch außerhalb des Übens am - extrem viel mit seinen Stücken beschäftigt und offensichtlich - wenn er denn Zeit hat - auch extrem konzentriert und zielgerichtet übt. Wenn ich beispielsweise lese, dass er die Stücke immer und immer wieder im Auto hört und sich vorstellt, dass er sogar im Auto "Fingerübungen" macht (also im Prinzip mental übt), dann bin ich mir relativ sicher, dass er letztlich eben doch wesentlich mehr und intensiver übt, also viele andere.

Vlt. könnte jmd. anderer besser spielen als ich, wenn er diese oder andere Übungen fern vom Instrument machen würde. Scheinbar ist es etwas, was funktioniert. So nutzt man auch die wertvolle Lebenszeit sinnvoll und zweckdienlich aus.

Ein Beispiel von einem anderen Thema: "Sprache"

Ich spreche heute noch nicht sehr gut Englisch, spreche dafür aber seit 9 Jahren Deutsch und das unheimlich gerne. Da ich mich auch damals fast ausschließlich damit beschäftigte, als ich neu mit der deutschen Sprache anfing, kam ich sehr schnell voran, konnte fließend sprechen, sodass ich im 8. Monat meines Deutschlandlebens anfangen durfte als Tierarzt zu arbeiten. Jahrelang habe ich mich auch mit dem bayerischen Akzent beschäftigt, habe versucht, Sachen auch im Dialekt richtig auszusprechen, dafür viele Volkslieder gehört und mitgesungen, z.B. von Fredl Fesl, Franzl Lang.

Ich bin dafür ja keine Sprach-Genie, wie viele es in meiner Umgebung behaupten. Ich war und bin dabei nur fleißig.

Ich weiß nur, dass ich ein gutes Fotogedächtnis, ein gutes Gehör, Rhythmusgefühl und gutes Auffassungsvermögen habe. Das Letztere ist auch für meinen Beruf ganz wichtig.

Ob man diese Eigenschaften Talent nennen mag oder nicht, überlasse ich lieber den Anderen. Ich bin der Meinung, jemand, der sich um etwas zielgerichtet bemüht, erreicht sein Ziel früher oder später. Talent hin oder her.
 
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Ich habe ehrlich gesagt sogar bei @saugferkel Zweifel, ob er tatsächlich außergewöhnliches musikalisches Talent hat. Vielmehr habe ich nach seinen Beschreibungen eher den Eindruck, dass er sich - auch außerhalb des Übens am - extrem viel mit seinen Stücken beschäftigt und offensichtlich - wenn er denn Zeit hat - auch extrem konzentriert und zielgerichtet übt. Wenn ich beispielsweise lese, dass er die Stücke immer und immer wieder im Auto hört und sich vorstellt, dass er sogar im Auto "Fingerübungen" macht (also im Prinzip mental übt), dann bin ich mir relativ sicher, dass er letztlich eben doch wesentlich mehr und intensiver übt, also viele andere.

@saugferkel, damit will ich Dein Klavierspiel in keinster Weise abwerten, im Gegenteil. Ich glaube nämlich nicht, dass Dir das alles so zufliegt, wie manche hier oft andeuten.

Ich bin mir hingegen ziemlich sicher, dass die meisten trotz der gleichen Vorgehensweise niemals in solch kurzer Zeit derart spielen könnten.
Ich kenne Späteinsteiger, die 2-3 Stunden täglich üben und trotzdem nicht viel zustande bringen.
Die würden wahrscheinlich alles geben, wenn sie IRGENDWANN einmal so spielen würden.

LG,
NaMu
 
-Off topic-

Späteinsteiger sind eben keine Wiedereinsteiger...:cry2: (muss mal wieder drauf rumreiten)
Für Klavirus bin ich ein Wiedereinsteiger, da ich als Kind bereits autodidaktisch geklimpert habe. Außerdem spielten meine Finger immer Melodien, die ich gerade hörte, nachdem mein Keyboard kaputt ging. Das tue ich immer noch übrigens. Auch wenn im Radio gesprochen wird, deren Sprachtöne spiele ich nach.

Das mache ich auch heimlich mit meinen Zehen.

Nun, wenn ich anfange, echt mit Zehen am Klavier zu spielen, bin ich ein Späteinsteiger oder ein Wiedereinsteiger? :konfus::lol:
 
Zuletzt bearbeitet:

Wenn es um ein Hobby geht ist doch egal ob man Talent hat oder nicht, wichtig ist, dass es Spaß macht.

Aber deswegen darf man das Thema Talent nicht grundsätzlich vernachlässigen. Wer kein Talent hat sollte sich das auch eingestehen dürfen, entweder um zu lassen, was nicht wichtig ist und keinen Spaß macht, oder um sich auf den Hosenboden zu setzen, wenn die Fähigkeit trotzdem gebraucht wird. Wobei es im letzten Fall auch noch wichtig ist, nicht zu streng mit sich zu sein, sonst entsteht Stress und Stress verhindert Erfolg.

Und für Lehrer ist es ganz wichtig, dass sie darauf achten wer wie viel Talent hat. Wer ohne Aufwand tolle Leistungen erbringt, braucht kein Lob sondern Herausforderungen. Wer sich aber abmüht und trotzdem kaum vom Fleck kommt, für den ist es ganz wichtig, dass auch der kleinst Fortschritt bemerkt wird. Denn wie viele hier schon fest gestellt haben, Fleiß ist wichtiger als Talent, aber nur wenn das Talent ausreichend berücksichtigt wird, wird Fleiß als lohnend empfunden, und zwar von den Talentierten ebenso wie von den nicht Talentierten.
 
Was man besonders als fortgealterter Mensch bedenken sollte ist, dass man nicht als blütenweißes Papier mit dem Klavierspielen anfängt. Jeder bringt bereits Fähigkeiten und Kenntnisse mit. Ums mal ganz banal zu formulieren: [Fast] jeder Klavieranfänger kann sprechen, bis zehn zählen, Gehörtes wiederholen, seine Finger bewegen, den Arm beugen, Kraft dosieren, Melodien erkennen und in ihrer Schönheit oder Qualität bewerten, unterschiedliche Lautstärken unterscheiden. Er kann auch lesen und hat in der Schule gelernt, sich in abstrakte, neue Muster hineinzudenken, versteht, das "oben" und "unten", "tief und "hoch" und "rechts" und "links" in bestimmten (Wort-)Verhältnissen zueinander stehen können. Und so weiter.

Außerdem hat ein gewöhnlicher Mensch noch andere Dinge in seinem Leben getan oder erfahren, die mit dem Musizieren / Klavierspielen scheinbar nichts zu tun haben, anscheinend aber doch. Dazu können Dinge zählen wie:
Tanzen, Tätigkeiten / Sportarten mit regelmäßiger Bewegung (z.B. Fahrradfahren, Rudern, Spinnen, Seilhüpfen, Schwimmen...), Sportarten, die eine besondere Schulung der Gelenkbewegung oder Feinmotorik erwirken (z.B. Tischtennis, Billiard...). Alle Arten von Handarbeit inklusive bildender Kunst und Werken. Tätigkeiten, die besondere Aufmerksamkeit oder Achtung erfordern - gedanklich, akustisch oder motorisch, (z.B. Umgang mit Babys, mit zerbrechlichen Gegenständen...). Das Lernen aller Art von Sprachen und von Mathematik. Jede Form von Körperarbeit oder Gedankenarbeit, z.B. Yoga, Autogenes Training, Feldenkrais, Entspannungsübungen, Meditation.
Ganz davob abgesehen natürlich auch: Rezeption von Musik, Singen.

Zusammenfassung:
Je besser das "Körpergefühl", also die Bewusstheit für den Körper, je differenzierter die Wahrnehmung ganz allgemein und je besser ausgeprägt das Gefühl für Gleichmäßigkeit (also gleichmäßige Bewegungen und Gleichmäßigkeit in der Wiederholung - sprich: Rhythmus), desto schneller wird sich Erfolg einstellen.
Dinge wie Intelligenz, Auffassungsgabe und motorische Begabung kommen an anderer Stelle dazu (wobei sie natürlich auch die allgemeine "Vorbildung" bereits beeinflusst haben).

Ich wollte demnächst einen Faden eröffnen in dem ich / ihr schreiben könnt, wie sich das Klavierspielen und Musizieren auf euren Alltag und euer Leben auswirkt. Bei mir sind die Auswirkungen so extrem, dass ich ohne vermutlich ein ganz anderer Mensch wäre. Kürzlich wollte mir jemand vorspielen, mit dem ich vorher ein paar Tage zu tun hatte. Aufgrund seines Verhaltens hatte ich eine Ahnung, wie er spielen würde - und genau das traf ein. Er ging relativ unaufmerksam und unüberlegt durchs Leben, und genauso hat er auch gespielt. Klingt komisch, aber wenn einem das eigene Klavierspielen missfällt, könnte man morgens beim Aufstehen schon anfangen, das zu ändern...
 
Zusammenfassung:
Je besser das "Körpergefühl", also die Bewusstheit für den Körper, je differenzierter die Wahrnehmung ganz allgemein und je besser ausgeprägt das Gefühl für Gleichmäßigkeit (also gleichmäßige Bewegungen und Gleichmäßigkeit in der Wiederholung - sprich: Rhythmus), desto schneller wird sich Erfolg einstellen.
Dinge wie Intelligenz, Auffassungsgabe und motorische Begabung kommen an anderer Stelle dazu (wobei sie natürlich auch die allgemeine "Vorbildung" bereits beeinflusst haben).

Talente, Erfahrungen, Erlerntes übertragen sich natürlich von Fachdomaine zu Fachdomaine. Aber ganz verallgemeinern kann man es auch nicht.
Mein Körperbewusstsein ist durch viele Jahre Kampfsport überdurchschnittlich hoch, in Mathe/Info/Analytik schwimme ich ganz vorne mit, Leute waren schon immer erstaunt wie ich nach wenigen Tönen ein Stück zuordnen konnte, ich hatte schon mehr Hobbies im Leben als viele andere überhaupt Ideen zu Hobbies haben etc.
Trotzdem kämpfe ich mit dem Klavierspielen, meine Handfeinmotorik ist zum kotz....obwohl ich jahrelang als Kind diese Feinmotorik ausdauernder als andere Kinder trainiert habe (Baukästen/Bausätze bis zum Exzess...)
So ganz 1:1 ist es dann halt auch nicht übertragbar.
Ich gehe jetzt trotzdem üben ;)
 
Trotzdem kämpfe ich mit dem Klavierspielen, meine Handfeinmotorik ist zum kotz....obwohl ich jahrelang als Kind diese Feinmotorik ausdauernder als andere Kinder trainiert habe (Baukästen/Bausätze bis zum Exzess...)
So ganz 1:1 ist es dann halt auch nicht übertragbar.
Ich gehe jetzt trotzdem üben ;)

Nichts ist ganz 1:1 übertragbar, aber Korrelationen gibt es. Meine Feinmotorik habe ich mein Leben lang trainert, und die funktioniert auch an den Tasten entsprechend gut. Dafür habe ich andere Schwierigkeiten die Du als Kampfsportler wahrscheinlich nicht hast. Ich stehe zB mit schnellen Bewegungen auf Kriegsfuss.
 
@Andre73 Das was du bisher getan hast hilft dir ganz sicher. Kampfsport erfordert ein Körperbewusstsein, das beim Klavierspielen nur Hilfreich sein kann, das steht außer Zweifel. Die Anspannung der Muskeln ist möglicherweise eine andere, aber man lernt ja im KS gerade, das sehr bewusst zu steuern (glaube ich?!). Vielleicht bräuchtest du ohne diese Erfahrungen einfach noch länger.

Ich habe gerade einen erwachsenen Anfänger, der keinen geraden Puls klatschen kann. Irgendwie schockiert mich das. Ich dachte in meiner jugendlichen Naivität, dass das eine einigermaßen universelle Fähigkeit unter Erwachsenen ist (mit kleinen Schönheitsfehlern wie langsamer / schneller werden natürlich). Aber nein. Der Unterschied zwischen simpelsten Rhythmen ist schon eine Herausforderung. Ich schätze, der Schüler hat einfach in diesem Bereich überhaupt keine Vorbildung - woher soll es also dann auch kommen...
 
Ich habe gerade einen erwachsenen Anfänger, der keinen geraden Puls klatschen kann. Irgendwie schockiert mich das. Ich dachte in meiner jugendlichen Naivität, dass das eine einigermaßen universelle Fähigkeit unter Erwachsenen ist (mit kleinen Schönheitsfehlern wie langsamer / schneller werden natürlich). Aber nein. Der Unterschied zwischen simpelsten Rhythmen ist schon eine Herausforderung. Ich schätze, der Schüler hat einfach in diesem Bereich überhaupt keine Vorbildung - woher soll es also dann auch kommen...

Und damit lieferst Du ein gutes Beispiel. Manche Leute mit einem Naturtalent oder die etwas von Kindesbeinen auf gemacht haben können gewisse Schwierigkeiten einfach mal 0 nachvollziehen, z.B. Motorik oder Rhytmusgefühl oder Noten-Lesen etc.

Das fällt mir immer wieder in diversen Diskussionen auf, vor allen zu Motorik-Übungen (für mich gezwungenermaßen). Ich kann es nicht ganz verstehen, denn vermutlich haben diese Leute in ihrem Leben nie etwas gemacht, was ihnen selbst schwergefallen ist (im Vergleich zu anderen Leuten) oder haben es einfach als unwichtig verdrängt. Ich weiß es nicht.
 
@saugferkel, zwischen den Zeilen Deines Beitrags meine ich zu lesen, dass Du Dich von mir angegriffen oder beleidgt fühlen könntest. Sollte dieser Eindruck stimmen, täte es mir leid und ich bitte um Entschuldigung. Das war ganz und gar nicht meine Absicht.

Ich habe bisher weder in diesem Forum, noch sonst wo behauptet, dass ich talentiert sei.
Richtig. Das wollte auch nicht andeuten. Ich kann mich aber an nicht wenige Fäden erinnern, in denen andere in die Richtung argumentierten: "Ja, sauferkel, der hat hat ja auch außergewöhnliches Talent. Normalerweise kann man das gar nicht schaffen."

Ob man es zweifelt, drüber lästert o.ä., ist mir herzlich egal und hält mich nicht davon ab.
Um sicher zu gehen: Ich wollte weder zweifeln noch lästern. Ich finde es vielmehr beeindruckend, wie weit Du in kurzer Zeit gekommen bist.
 
@Stilblüte
Kann er gleichmäßig gehen? Und dann zu jedem Schritt klatschen? Vielleicht braucht er tatsächlich zu Anfang mehr Rückmeldung vom unterstützenden Körpergefühl.
 
Ich möchte hier mal kurz, nachdem ich diese Diskussion schon quasi angezettelt habe, mal meinen Standpunkt erörtern. Leider habe ich gerade nicht ausreichend Zeit um mir hier nun alle Beiträge durchzulesen und darauf einzugehen, aber ich hoffe dies noch nachholen zu können.

1.) Talent existiert, aber es kommt nicht aus dem nichts.

Natürlich gibt es "talentiertere" und "weniger talentierte" Menschen. Man muss sich dafür nur den Generalbassunterricht an Musikhochschulen anschauen. Manche Leute, welche noch nie zuvor mit Generalbass in Berührung kamen spielen bereits nach einigen Stunden sicher funktionierende Sätze, während andere nach einem halben Jahr des Generalbassunterrichtes noch immer nicht in der Lage sind flüssig Generalbasssätze zu spielen. Man sieht hier also, dass Menschen mit scheinbar (!) gleichen Voraussetzungen stark unterschiedlich schnell lernen. Was hier auffällt sind in erster Line nach meinem Empfinden zwei Dinge:
- Musikalisch "begabte" Jugendliche haben meist schon sehr begeistert, viel und eigeninitiativ Musik in früher Kindheit betrieben.
- Musikalisch "begabte" Jugendliche beschäftigen sich auch außerhalb des Unterrichts und der "Übezeit" intensiv, spielerisch, kreativ und eigeninitiativ mit den Inhalten.
- Die Begabung erstreckt sich meist nicht nur auf die Musik, die Menschen lernen generell auch in anderen Bereichen schnell.
Wenn man das so analysiert bin ich versucht zu behaupten: Talent ist einerseits die Gewöhnung an schnelles, kreatives, selbstreflektierendes Denken, welches sich nicht nur auf einen Lebensbereich erstreckt, gekoppelt mit einer hohen Motivation. Andererseits ist es auch der Vorsprung, welchen man mit diesem Prinzip bereits in früher Kindheit erreichen konnte.

Sprich, mir kommt es so vor: Jemand der "talentiert" ist, ist zu einem großen Teil auch einfach gewohnt sich selbstkritischer, intensiver, kreativer und ausdauerender mit dem "Stoff" auseinanderzusetzen. Es sieht nur danach aus, dass der talentiertere scheinbar weniger tun muss, eben weil er von kleinauf gewohnt ist mehr zu tun, und ihm das nicht viel ausmacht.

2.) Wird Talent überbewertet?

Nein, ich denke nicht. Wenn jemand wirklich talentiert ist im oberen Sinne, nämlich, in der Lage ist viel und kreativ zu arbeiten, und dies gleichzeitig auf diesem Themenfeld eigeninitiativ seit frühester Kindheit tut...dagegen kann man denke ich kaum Anstinken. Aber "kein Talent haben" wird meines Erachtens überbewertet. Wenn man etwas wirklich will, sich intensiv über den ganzen Tag mit etwas beschäftigt, davon überzeugt ist und das über Jahre durchhält kann man wirklich bemerkenswerte Resultate erzielen, obgleich man zu Beginn vielleicht nicht sonderlich viele Fähigkeiten hatte. Aber das erfordert halt harte und intensive Arbeit, die zu Beginn - wenn man es nicht gewohnt ist - vielleicht unangenehm ist, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Aber der Gedankengang, "dass man selbst untalentiert ist, anderen alles zufliegt, und es sich deswegen eh nicht lohnt" verhindert halt so ein Verhalten inhärent und wird damit zur self-fulfilling prophecy. Eine so intensive, spielerische und kreative Arbeit kann halt nur dann lange und ausdauernd betrieben werden, wenn sie einem wirklich Spaß und Freude bereitet, und man dahinter steht. Und das geht halt nicht, wenn man dauernd von Selbstzweifeln geplagt ist. Deswegen meinte ich: Talent ist ein gefährliches Konzept, wenn man es auffasst als "manche können etwas ohne was dafür zu tun, und ich armer Tor werde es nie können *schnief* ". Kinder denken ja auch nicht so, sie denken: "Juhuu, ein Klavier... *klimperklimperklimper* "

3.) Meine Erfahrungen

Ich möchte hier noch kurz meine Erfahrungen wiedergeben, weil ich denke, dass sie aufmuntern können. Ich hielt mich nie für stark musikalisch begabt, und vor 3 Jahren konnte ich gefühlt - ok ich übertreibe etwas, so schlimm war es nicht - nicht einmal die Subdominante von der Dominante unterscheiden. In meinem Freundeskreis befinden sich musikalisch stark begabte Menschen, unter anderem ein Student der Orchesterleitung, der nicht nur Partituren vom Blatt spielen kann, sondern gefült auch in jeder Stilrichtung absolut sicher und überzeugend improvisieren kann. Und natürlich ein untrügliches Gehör hat. Ich dachte da auch "Ok, die haben es, ich hab es halt nicht", und hab mich in Selbstmitleid suhlend auf diesem Status Quo ausgeruht, obwohl ich wirklich absolut unzufrieden damit war. Aber ich hab dann etwas nachgedacht, und mich damit beschäftigt, woher bei diesen Menschen diese "Begabung" kam. Und sie hatten alle irgendwie die selbe Geschichte, Eltern spielten Instrumente, sie saßen von klein auf spielerisch am Klavier, haben einfach alle Noten durchgespielt die es zuhause gab, und das waren bei den jeweiligen Fällen doch scheinbar recht viele, haben viel Musik gehört als Kleinkind, etc. Und dann hab ich an meine Kindheit zurückgedacht, und gesehen, dass es das alles nicht gab: Wir hatten keine Instrumente, ich war der erste in meiner Familie der ein Instrument spielen wollte, Noten hatten wir keine, CDs hatten wir keine, etc. Also woher sollte bitte die gewünschte musikalische Begabung kommen? Ich hab mir dann gesagt, dass ich es einfach versuche und mich so intensiv wie möglich, so lange wie möglich und so ausdauernd wie möglich mit Musik beschäftige. War am Anfang natürlich hart, weil ich gefühlt so viel "nicht konnte", aber mittlerweile bin ich selbst davon überrascht, was mir alles gelingt. Habe z.B. den ersten Satz der g-Moll Sonate in einer Woche gelernt und konnte ihn dann auch auswendig, den dritten Satz in 3 Tagen auswendig gelernt, war in den Gehörbildungsprüfungen sehr gut, etc. Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen, und ich habe schon das Gefühl, dass es der Weg immer weitergeht. Und meine Quintessenz ist: Wenn man gut und schnell lernen kann, kreativ und intensiv arbeiten kann und an sich glaubt kann man auch in höherem Alter sehr viel erreichen. Man muss es halt nur tun. Und genau deswegen sollte man das Konzept des "Talents" nicht zu hochhalten, weil es als Ausrede dienen kann.
Vielleicht hast du auch einfach Talent, welches in deiner Jugend nicht gefördert wurde. Talent macht aber auch laut allen Studien nur einen gewissen Teil aus, deswegen lehnen ja zumindest alle "Talente", mit denen ich vielleicht auch dir hier manchmal auf die Nerven gehe, das Label "Prodigy", "Wunderkind" für sich ab. Einerseits, weil sie das Bild des Zwanges, des Dressierens mit verbinden, welches in ihrem Fall nicht gegeben ist, vor allem aber, weil hauptsächlich der weitaus größte Teil Arbeit, Leidenschaft, Passion damit verbunden ist. Die beschäftigen sich also täglich 4,5,6 Stunden täglich freiwillig nur mit der Musik. Jacob Collier, schilderte vor kurzem in einem Feature, dass es sein kann, dass er quasi den ganzen Tag/Nacht nur vor dem Klavier etc. sitzt, aber kaum Übungen macht. "Work is imperative", drückt es Quincy Jones aus.
Vielleicht klingt es einfach besser, wenn ein wirkliches Talent sich mit gleichem Zeitaufwand mit demselben Stück beschäftigt, so drückte es jemand anders aus. Barenboim kann quasi besoffen am Klavier sitzen und einen gewissen Teil nicht völlig korrekt spielen, aber er klingt dann immer noch besser als 99% der anderen. Da können @hasenbein oder andere talentierte Klavierlehrer noch soviel Potential geschöpft haben.

angeblich übt er gar nicht

http://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/37/david-barenboim-michael-barenboim-soehne-musiker
 
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