Pianisten: alte Generation vs neue Generation

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Romantikfreak98

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Hallo Clavioaner,

Es ist glaube ich für jeden ersichtlich, dass die jungen Pianisten von heute zumindest rein technisch die Pianisten der alten Generation (Kempf, Backhaus, Fischer, Haskil, Cortot etc außer vielleicht Horowitz) in die Tasche stecken. Gleichzeitig wird jedoch oft behauptet, dass es den jungen Pianisten an Gestaltungs- und Ausdruckskraft fehlt.

Ganz offensichtlich hat der Konkurrenz- und Leistungsdruck, so wie er im Sport und im Kapitalismus allgemein vorgelebt wird, auf die Musikszene abgefärbt.

Sind die jungen Pianisten wirklich schlechter als die alten? Ich möchte hier mal eine Lanze für die jungen Pianisten brechen und sagen, dass ich sehr viele Aufnahmen von ihnen ausgezeichnet finde. Antii Siraala interpretiert Beethovensonaten ganz hervorragend, Anna Vinnitskaya kombiniert ihre fantastische Technik mit großartige Musikalität, Ingolf Wunder und Yevgeni Kissin haben Chopin-Einspielungen vorgelegt, dass man diejenigen von Magaloff und Haraszievic wegpacken kann. Nur Rubinstein kann man sich gelegentlich noch anhören. Außerdem ist mir die moderne Aufnahmetechnik lieber als die historischen Raschelaufnahmen. :D

Ich wundere mich daher, dass immer noch hauptsächlich Pianisten der alten Generation genannt werden, wenn nach „Lieblingspianisten“ oder Pianisten mit besonderer Gestaltungskraft gefragt wird. Warum werden nicht die jungen Pianisten genannt?

Wie seht Ihr das? :roll:
Gruß
Romantikfreak
 
Generell ist die "neue" Generation technisch in der Breite sehr stark. Wobei ich jetzt nicht sagen kann, dass ein Bolet oder Richter technisch schwächer wären als Lang Lang.

Musikalisch gesehen werden leider viele Dinge gerade in Deutschland nicht immer gefördert, es geht oft nur noch um Klang, technische Makelfreiheit, Rhythmus, Pedal - das war's. Viele junge Pianisten trauen sich nicht, mehr als mf zu spielen, die Oberstimme extrem hervorzuheben oder dröhnende Bässe zu spielen. Musik, oder besser gesagt, die verwendeten Klänge müssen nicht immer schön klingen. Ich denke, dass gerade die ältere Generation wie Cortot oder Rubinstein sich mehr getraut haben, musikal. Mittel einzusetzen, die heute bei nicht wenigen Pädagogen verpönt wären.
Bspw. wie Cortot bei Schumann Rubato einsetzt, sowas steht halt in keinem Lehrbuch. Und ich kann nicht sagen, dass ich z.B. Carnaval op.9 von jemand anderem schon mal besser gehört habe.

Abgesehen davon, für mich ist weder I.Wunder ein guter Chopin Interpret noch sind Magaloff/Haraszievic großartige Pianisten.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
...wenn die junge Greneration technisch soooo toll sein soll, warum legt dann kein Hamelin oder Lang-Lang Skrjabins 5. Sonate so hin, wie das der olle verstaubte Feinberg konnte?...?...
 
...wenn die junge Greneration technisch soooo toll sein soll, warum legt dann kein Hamelin oder Lang-Lang Skrjabins 5. Sonate so hin, wie das der olle verstaubte Feinberg konnte?...?...

Vielleicht verschwinden ja gute Techniken mit der Zeit ? :D ( Wenn man nicht aufpasst, und sie wieder neu beschwört ? ) .

Und alles ersäuft im Brei dessen, was jeder andere auch beigebracht bekommt, sodass man eine übersichtliche, allgemeingültige Einheitsmasse bekäme ? :D

Aber..dieser Feinberg: Er hat sogar im Harenberg Klaviermusikführer seine Stellung inne ( und nicht etwa nur hinten, bei den "erwähnten Pianisten laut Harenberg", sondern bei den Leuten, die anscheinend auch Klavierwerke komponiert haben.

Zitat Harenberg, S. 370:

Samuil Feinberg:

[...]In seinem Oeuvre, das neben einigen Liedern und Chören sowie drei Klavierkonzerten ausschließlich dem eigenen Instrument gewidmet ist, spiegelt Feinberg typische Entwicklungen der frühen sowjetischen Musikgeschichte wider - von Skriabin über modernistische Ansätze zu politisch verordneter Einfachheit im klassisch-romantischen Rahmen. Die musikgeschichtlich interessantesten und eigenständigsten Werke entstanden in den 20er Jahren. Feinbergs drei Preludes op. 15 ( 1925 ) stehen deutlich in der Nachfolge des späten Skriabin..[...]

LG, Olli !
 
Abgesehen davon, für mich ist weder I.Wunder ein guter Chopin Interpret noch sind Magaloff/Haraszievic großartige Pianisten.

Hi Legion,

also Wunder find ich gut, und Harasiewicz ist sensationell gut ( zumindest in den Aufnahmen, die ICH hörte und besitze, und zusätzlich hörte ich ihn in den 80er Jahren live. )

Hervorragender Chopin-Experte, aber auch .. warte..mit wem hatte er sich beschäftigt ? Ja, ich glaube, Szymanowski. Aber bei dem kenn ich mich nicht so aus.

Harasiewicz's Dramatique-Polonaise hab ich JETZT noch im Ohr, vom Konzert damals, in den 80ern. Also warum sollte er kein großartiger Pianist sein ?

Bedenke, dass er meines Wissens auch viel Unterrichtstätigkeit versah, sowie ab und an auch in Jurys vertreten war. ( Abgesehen davon hatte er selbst mal den Chopin-Wettbewerb gewonnen ).

Magaloff kenn ich nicht gut genug, aber andere hier bestimmt. Und Wunder auch, der, soweit ich sah, eine tolle Terzenetüde spielte.

Die FRAGE ist allerdings: Sind tatsächlich die "jungen Wilden" heute BESSER, oder SCHLECHTER ? Ich denke, dass kann man mit Fug und Recht - nicht wirklich für jeden beantworten. Es gibt so tolle junge Leute, auch Mädels, die supergut sind, - naja. : Man muss den Älteren aber, so denke ich, einen gewissen Erfahrungsvorsprung nicht absprechen.. . Fragt sich aber, wie die Jugend spielt, wenn sie mal alt, reif und erfahren geworden ist.

Ein Trifonov, ein Wunder, sowie einige Damen werden da sicher noch von sich hören lassen, denke ich ! Aber nur, wenn sie "am Ball bleiben" und auch mal Unkonventionelles bieten - sowohl technisch, als auch musikalisch, was ja sowieso zusammengehört.

LG, Olli ( LMG ) !
 
Außerdem ist mir die moderne Aufnahmetechnik lieber als die historischen Raschelaufnahmen.

Sei Dir unbenommen - jedoch ist die Wahrheit, dass die analoge Aufnahmetechnik Ende der 50er, Anfang der 60er bereits zum Teil eine Qualität erreicht hat, an die KEINE Aufnahme von heute herankommt.

Ein aktueller Beweis ist unter anderem Nils Wogram, Jazz-Posaunist, der mit "Root 70" in den letzten Jahren Alben in Endfünfziger-Original-Analogtechnik aufgenommen hat, einfach mit 3 hingestellten Mikros - diese Scheiben klingen einfach perfekt, lebendig, präsent, warm, besser als alles digital Hingebastelte und Aufgeblasene, was es sonst so heutzutage gibt.

LG,
Hasenbein
 
Sei Dir unbenommen - jedoch ist die Wahrheit, dass die analoge Aufnahmetechnik Ende der 50er, Anfang der 60er bereits zum Teil eine Qualität erreicht hat, an die KEINE Aufnahme von heute herankommt.

Ein aktueller Beweis ist unter anderem Nils Wogram, Jazz-Posaunist, der mit "Root 70" in den letzten Jahren Alben in Endfünfziger-Original-Analogtechnik aufgenommen hat, einfach mit 3 hingestellten Mikros - diese Scheiben klingen einfach perfekt, lebendig, präsent, warm, besser als alles digital Hingebastelte und Aufgeblasene, was es sonst so heutzutage gibt.

LG,
Hasenbein

Oder Oscar Peterson "We get requests" von 1965.

Heutzutage sind produktionstechnische Exzesse sehr preiswert zu haben, die Digitaltechnik ist wahnsinnig billig. Also pflanzt man ein Orchester in eine billige Halle, stellt 40 billige Mikros auf und verlässt sich auf die digitale Nachbearbeitung. Entsprechend künstlich ist der Klang.
Vor mehr als einem halben Jahrhundert stellte man in einem ausgezeichnet klingenden Saal vier Mikrophone auf, die entsetzlich teuer waren. Aber toll. Und eine dicke Tonbandmaschine. Und man wollte so wenig frickeln müssen wie möglich. Purer Klang.
 
...wenn die junge Greneration technisch soooo toll sein soll, warum legt dann kein Hamelin oder Lang-Lang Skrjabins 5. Sonate so hin, wie das der olle verstaubte Feinberg konnte?...?...
Es gibt kaum etwas Unsinnigeres, als interpretatorische Ansätze früherer Generationen mit den Maßstäben von heute messen zu wollen - hätte man die umgekehrte Variante zur Verfügung, also etwa zur Liszt-Zeit per Zeitreise einen Hamelin kritisch würdigen zu können, würde man zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen, wobei ich meine ganz persönlichen Probleme damit habe, Lang Lang im gleichen Atemzug mit Hamelin zu nennen.

Die Unvergleichbarkeit beginnt schon damit, heute bei Studioaufnahmen Bearbeitungsmöglichkeiten eingespielter Takes zu haben, die um Lichtjahre jenseits der Studiopraxis des Grammophon-Zeitalters liegen. Die Wachsmatrizen und Zelluloidfolien boten geringe bis überhaupt keine Möglichkeiten, Misslungenes zu eliminieren - volles Risiko wie beim Liveauftritt war angesagt, nur dass das Publikum abwesend war. Gleichzeitig hinterlässt die Unmittelbarkeit historischer Aufnahmen heute noch ihre Wirkung - alles kommt unverstellter daher mit ihren spezifischen Begleiterscheinungen, wozu auch die Patina dezent rauschender Tonbänder und knisternder Vinylplatten gehört. Vor einigen Jahren besuchte mich ein Black-Music-Produzent zu Hause und ich legte eine 1941 eingespielte Schellackplatte eines seinerzeit berühmten deutschen Tanzorchesters aus meiner Sammlung auf. Er schwärmte von der unglaublich satten intensiven Wärme eines akustischen Basses, er sei bereit, jeden irgendwie vorstellbaren Preis für digitale Apparaturen auszugeben, die nur ein Bruchteil davon zu transportieren sei. Ihm sei jedes Rauschen und Knistern egal, wenn er nur diese faszinierende Wärme des Klanges irgendwie einfangen und mit heutigen Mitteln hörbar machen könnte. Faszination ist ein zeitloses Phänomen -warum soll das nicht auch für Interpretationen pianistischer Meisterwerke durch Meisterhände gelten?

Könnte man Beethoven oder Chopin heute noch spielen hören, wäre der editorische Wert sensationell. Würde man die Interpretationen des frühen 19. Jahrhunderts mit dem Wertesystem des frühen 21. Jahrhunderts beurteilen, käme man vermutlich zu einer katastrophalen Einschätzung. Paganini kann man heute nicht mehr spielen hören, wohl aber Joachim, Auer und Sarasate im frühen 20. Jahrhundert. Bei den Pianisten verhält es sich ähnlich: Um 1900 vernimmt man Manierismen, die heute seltsam anmuten; auch erlaubt man sich Freiheiten bei der Umsetzung des Notentextes seitens führender Größen jener Tage, die bei den Aufnahmeprüfungskommissionen an Musikhochschulen heutzutage Tobsuchtsanfälle hervorrufen würden.

Was würde man dem vielgespielten "Minutenwalzer" abgewinnen, wenn man ihn heute so hören wollte?:







@rolf: Dem ollen verstaubten Feinberg im Livemitschnitt anno 1948 stelle ich eine ebenso intensive und faszinierende Aufnahme des ebenso ollen Sofronitsky zehn Jahre später gegenüber. Was damals anders war? Schon das Aufnahmeverfahren brachte es mit sich, dass man seinerzeit regelrecht um sein Leben spielte, da sich die Möglichkeiten sehr in Grenzen hielten, etwaige gravierende Fehlleistungen nachträglich wegzuzaubern. Auch war es eine recht kostspielige Angelegenheit, seinerzeit Aufnahmen am noch wenig erschlossenen Tonträgermarkt zu platzieren, der heute quantitativ fast schon übersättigt ist. Macht es denn Freude, eine Rose mit einem Kohlkopf zu vergleichen? Was besser duftet, ergibt nun mal keineswegs eine besser schmeckende Suppe...!

LG von Rheinkultur
 
Nur Rubinstein kann man sich gelegentlich noch anhören.

Definiere bitte gelegentlich;), ich höre seine Aufnahmen regelmäßig mit dem größten Vergnügen.

Natürlich gibt es heutzutage eine Vielzahl von Pianisten mit stupender Technik. Dass diese Pianisten aber Größen wie z.B. Richter, Cziffra oder Gould in die Tasche stecken halte ich für eine gewagte These. Außerdem: Früher war eh alles besser:D.

Bzgl. Aufnahmetechnik: Die Aufnahmen von z.B. RCA, DGG, CBS oder MPS vergangener Tage sind ganz hervorragend. Viele sind später nochmals mittels Aufbereitungstechnik verbessert worden, da dürften selbst Klangfetischisten mehr als zufrieden sein.
 
Bzgl. Aufnahmetechnik: Die Aufnahmen von z.B. RCA, DGG, CBS oder MPS vergangener Tage sind ganz hervorragend. Viele sind später nochmals mittels Aufbereitungstechnik verbessert worden, da dürften selbst Klangfetischisten mehr als zufrieden sein.
Grundlegende Veränderungen durch schneidetechnische Eingriffe sind erst im Tonband-Zeitalter ab etwa 1950 möglich geworden. Bei älteren Aufnahmen gibt es zwar immer wieder den kläglichen Versuch, allzuviel von der hörbaren Patina wegzunehmen, um die Einspielungen irgendwie rauschfrei zu bekommen. Weniger ist da oftmals mehr: Lieber ein wenig Grundrauschen zulassen statt das aufgezeichnete Signal durch irgendwelches Filtern zu beeinflussen. Am überzeugendsten sind die historischen Dokumente, wenn man das akustisch realisierbare Optimum der Entstehungszeit akzeptiert und sich auf das Klangideal bestmöglich einstellt.

LG von Rheinkultur
 

Es gibt kaum etwas Unsinnigeres,
(...)
Was besser duftet, ergibt nun mal keineswegs eine besser schmeckende Suppe...!
(@Rheinkultur: sei mir nicht gram)
ich muß dir widersprechen - bis heute hat niemand in Skrjabins sauschwerer fünfter Klaviersonate denselben Grad an technischer Beherrschung bei maximaler Expressivität und das in irrwitzigen Tempi hingekriegt. Feinbergs live Aufnahme dieser Sonate ist ein staunenswertes Dokument, setzt Maßstäbe, an die bislang niemand heranreichte; kein Horowitz, kein Ashkenazy, auch kein Sofrofronitski und kein Margulis hat in dieser Sonate eine vergleichbare Sternstunde gehabt (und du weißt, wie sehr ich Margulis schätze)
ich kann dir bzgl. der Aufnahmemodalitäten nicht widersprechen: bei Feinberg ist es ein Konzertmitschnitt, ohne Seil und doppelten Boden - man kann nur kopfschüttelnd staunen, dass man überhaupt so Klavier spielen kann (in dieser Sonate)

was das Thema des Fadens selber betrifft: ich kann nirgendwo feststellen, dass die sattsam bekannten "ultra-Brecher" der Klavierliteratur*) vor 30, 50 oder 80 Jahren technisch und musikalisch schlechter gespielt worden seien. Es ist zwar heute dank der Klavierpädagogik so, dass das bewältigen lernen von Chopin- und teilweise Lisztetüden besser d.h. etwas breiter/häufiger geworden ist (heutige Klavierstudenten werden im Vergleich zum 19. Jh. früher an dergleichen gebracht), aber das ändert ja nichts an dem Standard, den Feinberg & Co. erreicht hatten.

dass es historische Aufnahmen gibt, die dem heutigen Geschmack nicht mehr entsprechen (z.B. manche Aufnahme von Paderewski), bedeutet allerdings nicht, dass sie schlechter seien - sie sind anders. Ein interessantes Exempel ist die sehr rubato-gesättigte Aufnahme, die der junge Arrau von Balakirevs Islamey gemacht hatte: das wäre heute zu ungleichmäßig, aber pianistisch ist es trotzdem spitze (Arrau konnte virtuos loslegen!)

...ich denk noch mal nach... ...eigentlich sind wir wohl doch ziemlich einig, was die Einschätzung etlicher historischer Aufnahmen betrifft :)

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*) solistisch: Petrouchka, Gaspard, Hammerklaviersonate, Tannhäuserouvertüre, Lisztsonate, mit Orchester Rach3, Reger
 
(@Rheinkultur: sei mir nicht gram)
ich muß dir widersprechen - bis heute hat niemand in Skrjabins sauschwerer fünfter Klaviersonate denselben Grad an technischer Beherrschung bei maximaler Expressivität und das in irrwitzigen Tempi hingekriegt. Feinbergs live Aufnahme dieser Sonate ist ein staunenswertes Dokument, setzt Maßstäbe, an die bislang niemand heranreichte; kein Horowitz, kein Ashkenazy, auch kein Sofrofronitski und kein Margulis hat in dieser Sonate eine vergleichbare Sternstunde gehabt (und du weißt, wie sehr ich Margulis schätze)
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...ich denk noch mal nach... ...eigentlich sind wir wohl doch ziemlich einig, was die Einschätzung etlicher historischer Aufnahmen betrifft :)
Vorsicht: Lies meinen Satz ("Es gibt kaum etwas Unsinnigeres, als interpretatorische Ansätze früherer Generationen mit den Maßstäben von heute messen zu wollen") zu Ende und zwischen den Zeilen weiter. Das "Unsinnige" bezieht sich auf den Vorgang des Vergleichen-Wollens, nicht aber auf die qualitative Seite: Durch die Unmöglichkeit, die Darbietung nachträglich verändern zu können, musste höchstmögliche Meisterschaft auf Abruf präsent sein, ohne aus neunundzwanzig verschiedenen Takes plus auszugsweiser Ergänzungen ein Kunstprodukt im Reagenzglas herstellen zu können. Wollte man vergleichbare Bedingungen herstellen, müsste man Hamelin & Co. neunundzwanzigmal das Stück von Anfang bis Ende durchspielen lassen und die Feinberg-Aufnahme der am besten gelungenen Version gegenüberstellen - und der Vergleich wird mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Gestaltungsperfektionisten von heute gegenüber Feinberg negativ ausgehen. Mir fällt niemand ein, der diesen Zweikampf gewinnen könnte - ich denke, dass Pletnev oder Lettberg heute (auf Augenhöhe gebracht) keine Chance haben, ohne deren Qualitäten schlechtreden zu wollen. Übrigens ist auch die spätere Sofronitsky-Aufnahme live entstanden. Vermutlich werden wir hinsichtlich der anderen Stücke (Beethoven op. 106 und Liszt-Sonate, die drei Petruschka- und drei Gaspard-Sätze, die Tannhäuser-Transkription und die Rachmaninow (Nr. 3)- plus Reger-Klavierkonzerte zu einer vergleichbaren Einschätzung gelangen; da haben Richter und einige andere in früheren Jahrzehnten Referenzen vorgelegt, an denen man heute noch nicht vorbeikommt.

LG von Rheinkultur
 
Das "Unsinnige" bezieht sich auf den Vorgang des Vergleichen-Wollens, nicht aber auf die qualitative Seite:
sagen wir so: natürlich kann man live Aufnahmen vergleichen :)
aber insgesamt: sind wir wohl einer Meinung! Zu behaupten, dass man allgemein heute technisch besser spiele als Pollini, Weissenberg, Horowitz, Feinberg u.a. ist einfach nur eine Demonstration von Unkenntnis (spätestens ein Vergleich vorliegender live Aufnahmen der fünften Sonate von Skrjabin*) ist da deutlich genug)
__________
*) die erwähne ich gerne, da sie sehr oft gespielt, aber weniger oft wirklich bewältigt wird - ein heikles Biest, diese Sonate...
 
Was würde man dem vielgespielten "Minutenwalzer" abgewinnen, wenn man ihn heute so hören wollte?:



[...]


ALLES, lieber Rheinkultur ;)

Dem gewinnt man alles ab, denn das gehört zum Besten, was es überhaupt gibt, finde ich.

Als Du ihn damals das erste Mal verlinkt hattest, im Godowsky-Thread, hab ich 1 Nacht nur das gehört, und es gibt auch eine Notenversion bei IMSLP, unter "Michalowski", die sich zwar geringfügig unterscheidet ( ich hörte mal, dass Leute wie Michalowski oft bei der Vorführung die Stücke nach Belieben veränderten ), aber immerhin !!!

Jedenfalls: Kratzer, und andere Mankos, auch verstimmte Kisten, oder andere der Zeit geschuldete Dinge sind

absolut unwichtig, meiner Meinung nach.

Unsere Ohren sind in jeder Hinsicht ausreichend, trotzdem die Musik zu vernehmen, aus diesen "alten Tagen", und die Meister, die dort agierten... und unsere Vernunft sagt uns schon, dass wir diese Mankos miteinkalkulieren müssen, zumal es sogar HEUTZUTAGE - und ganz klar - die mannigfaltigsten Unterschiede in Instrument und Aufnahmen gibt, und keiner dieser Unterschiede ist "gut" oder "schlecht", denn sie sind zumeist situationsbedingt, und was vorliegt, ist nunmal so.

Und das ist das Gute, denn es macht die ganze Sache so vielfältig und schön.

Einheitsbrei sollte man hingegen ablehnen, finde ich.

LG, Olli !
 
O.K. ich habe mein Thread-Statement absichtlich ein bisschen „provokativ“ formuliert (obwohl ich im Grundsatz zu meiner Aussage stehe). Ich finde, dass Wunder und Kissin (und übrigens auch Demidenko) die h-moll Sonate von Chopin mindestens so gut spielen und interpretieren wie die hervorragende Aufnahme des 70jährigen Arthur Rubinstein. Gegen diese drei, vier Aufnahmen ist diejenige von Maurizio Pollini wirklich nur eiskaltes technisches Brillieren und gefällt mir überhaupt nicht.

Es wurden inzwischen auch Pianisten der „mittleren“ Generation genannt: Richter, Gould, Cziffra. Ich wollte tatsächlich vor allem die älteren Pianisten gegenüberstellen, die meiner Meinung nach durchaus (zum Teil anerkannter Weise) nicht das technische Niveau der Pianisten von heute hatten: Rubinstein hat das zweite Klavierkonzert von Rachmaninov eingespielt, nie das deutlich schwierigere dritte. Und wenn ich mich nicht irre, hat Rubinstein nur einmal die Preludes von Chopin aufgenommen und war mit der Aufnahme selbst nicht zufrieden, weil er bei einigen der schwierigen Preludes offensichtlich an seine Grenzen gestoßen ist. Ich kenne die Aufnahme und muss sagen: es ist wirklich ein Balanceakt – kein Vergleich zu den Preludeaufnahmen Argerichs (für mich die unangefochtene Königin aller Pianisten) und Katsaris‘.

Aber was die Interpretation der Werke Mozarts angeht, gestehe ich, dass mir die Aufnahmen Clara Haskils und Ingrid Haeblers tausend Mal besser gefallen als die neueren Aufnahmen (z.B. die unausgeglichene Jan Lizekis).
 
Ich wollte tatsächlich vor allem die älteren Pianisten gegenüberstellen, die meiner Meinung nach durchaus (zum Teil anerkannter Weise) nicht das technische Niveau der Pianisten von heute hatten: Rubinstein hat das zweite Klavierkonzert von Rachmaninov eingespielt, nie das deutlich schwierigere dritte. Und wenn ich mich nicht irre, hat Rubinstein nur einmal die Preludes von Chopin aufgenommen und war mit der Aufnahme selbst nicht zufrieden, weil er bei einigen der schwierigen Preludes offensichtlich an seine Grenzen gestoßen ist.

Es stellt sich die Frage, ob man das 3. Klavierkonzert von Rachmaninov gespielt haben muss um als großer Pianist zu gelten. Sehr viele andere Größen haben dies aus den unterschiedlichsten Gründen auch nicht getan. Rubinstein hat z.B. auch nicht alle Etüden von Chopin eingespielt, dies hat er übrigens mit Horowitz gemein. Ich kann nicht beurteilen, ob er dazu nicht fähig war (schließlich hat er ja z.B. auch alle Scherzos, Balladen und die Klaviersonaten 2 und 3 wunderbar interpretiert, bei Horowitz habe ich nicht den Hauch eines Zweifels:-)). Seine Kunst bei Chopin zeigt sich für mich nicht in den hoch virtuosen Stücken sondern in der Entstaubung der Interpretationsweise des 19. Jahrhunderts (wie wunderbar sind "seine" Nocturnes und Mazurkas!).
 
Sind die jungen Pianisten wirklich schlechter als die alten?

Wer sich diese Frage beantworten will, muß v.a. musikalische Aspekte in Betracht ziehen.

Das größte technische Meisterwerk ist nichts wert, wenn es musikalisch nicht überzeugen kann; ebenso gilt: für eine musikalisch überzeugende Darbietung muß eine ausreichende Technik eingesetzt werden.

Dieses "ausreichend" kann aber sehr viel sein - denn den Maßstab setzen die Besten, beziehungsweise, das musikalisch überhaupt Vorstellbare (vgl. auch Liszt: Die Technik kommt aus der Musik).

Bestimmt wächst mit der Anzahl existierender Höchstleistungen auch der Wunsch der Klassikhörer nach entsprechenden Höchstleistungen.

Ein Mißverständnis beim Terminus "Technik" ist auch immer, daß man auf (Ultra-)Brecher schaut; man kann eben auch übliche Konzertpianistenstücke so spielen (Anschlagkontrolle, Klangfarben), daß ein ganz deutlicher Technikvorsprung ggü. anderen Pianisten ersichtlich wird, und die Klaviermusik zu einem einzigartigen Genuß wird.

Soviel erstmal dazu...
 

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