Muss man Musik verstehen, um sie zu mögen?

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fips

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Hallo,
nachdem ich ja hier ganz neu angekommen bin, hab ich mich mal so durch die threads gelesen und bin bei einem hängengeblieben, in dem seitenlang über die musikalischen Qualitäten von Bach & Co. diskutiert wurde. Irgendjemand meinte, Bach wäre zu langweilig.

Ein Anderer argumentierte dann sinngemäß, dass das daran liegen könnte, das jemand, der Bach langweilig findet, ihn nur nicht verstehe. Da ich selbst relativ unmusikalisch bin - ich selbst spiele kein Instrument, nur meine Kinder -, denke ich nun darüber nach, wie es kommt, dass ich bei Barockmusik allgemein und bei Bach besonders immer eine Gänsehaut bekomme und mich gar nicht satt hören kann. Verstehen tu ich das ganz sicher nicht. "Darf" ich mich dann ganz offiziell trotzdem als Bach-Fan bezeichnen? Muss man etwas verstehen, um es zu mögen, oder sind meine Gefühle dabei völlig "falsch", da ich die ganze Kompositionstechnik ja überhaupt nicht durchblicke?

Versteht mich überhaupt jemand ;)?
 
Musik ist immer Geschmacksache, auch wenn man sie versteht. Der theoretisch Bewanderte hat mehr Eindrücke, die er verarbeiten kann, der Erfahrene ebenfalls, aber ansonsten bin ich der Meinung, daß jede gute Komposition den einen halt direkt in den Magen trifft und den anderen nicht.

Eine Einschränkung gibt es noch: Wer aus seinen Hörgewohnheiten ein Prinzip macht - also nach dem Motto "kenne ich nicht, kann nicht gut sein", der ist natürlich stark eingeschränkt. Und ganz verzweifelt müssen diejenigen sein, die blind dem Urteil anderer folgen, die wissen im Extremfall überhaupt nicht mehr, was ihnen tatsächlich gefällt und was nicht und kommen möglicherweise zu dem Schluß, sie wären zu unmusikalisch um Musik überhaupt beurteilen zu können.

Und hier meine zusammenfassenden Kurzantworten auf deine Fragen:

Nein.
Nein.
Ja.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Was heißt "Musik verstehen"?

Wenn damit gemeint ist, die Theorie zu kennen, die hinter der Komposition steht, dann denke ich, man muß die Musik nicht "verstehen" um sie mögen.

Wenn damit gemeint ist, daß die Musik zu einem spricht, dann versteht man sie in dem Moment ja schon. Mögen und verstehen wären dann verschiedene Begriffe für das selbe. Ich würde das "intuitives Verstehen" nennen, und das ist für mich das eigentliche Verstehen.

Es gibt durchaus auch Leute, die den technischen Aufbau eines Musikstücks bis ins Detail erklären und beschreiben können - und die trotzdem vom musikalischen Sinn komplett nichts verstanden haben.

Ich denke da jetzt zum Beispiel an manche Analysen von Weberns Variationen für Klavier. Es ist aber auch ganz ähnlich bei Analysen von Bach-Fugen.
 
Jetzt schließt sich für mich gleich die Frage an: Macht es für den Musiker auf der Bühne einen Unterschied, für wen er oder sie spielt? Kann man sich da überhaupt freuen, wenn der ganze Saal voll ist von Leuten, die eigentlich gar keine Ahnung haben und bei ihrem Urteil oder ihrer Würdigung der Leistung nur auf ein diffuses Bauchgefühl hören, anstatt die Qualität der Interpretation eines Werkes wahrzunehmen?
 
wenn der ganze Saal voll ist von Leuten, die eigentlich gar keine Ahnung haben und bei ihrem Urteil oder ihrer Würdigung der Leistung nur auf ein diffuses Bauchgefühl hören, anstatt die Qualität der Interpretation eines Werkes wahrzunehmen?

Wenn der Saal voll ist, freut man sich immer :p

Aber jetzt mal ernsthaft: ich vertraue einem diffusen Bachgefühl viel mehr als einem Bildungsbürgertum, das sich auf iirgendwelche angelesene Halbwahrheiten stützt. Im übrigen kann man schon während dem Konzert deutlich wahrnehmen, ob die Leute konzentriert zuhören oder ob sie es kaum mehr erwarten können, bis das Konzert vorbei ist. Das hängt natürlich zu einem Großteil davon ab, wie gut es dem Musiker gelingt, die Musik sinnvoll, spannend, einfühlsam, mitreißend, abwechslungsreich darzustellen. Dann ergibt sich das Verständnis nämlich auch ganz automatisch - auch für die Nichtfachleute.
 
Musik während des Hörens verstehen? Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieser Prozess ablaufen soll. Versteht man, was der Komponist sich bei der Komposition gedacht hat? Das lässt sich höchstens vermuten, aber das würde ich nicht "verstehen" nennen.
Verstehen, bezogen auf Musik, heißt für mich, die Musik zu "ertragen".

Deswegen sagt man auch häufig bei etwas "exotischerer" Musik: "Du verstehst die Musik nur nicht! :D"

Ich meine hier Stockhausen und Konsorten. Diese Musik "verstehe" ich nicht, und ganz ehrlich, ich will sie auch nicht "verstehen". Denn hätte ich sie verstanden, würde ich sie wahrscheinlich immer wieder anhören wollen, und das möchte ich mir selbst ersparen.

Einen mathematischen Zusammenhang kann man verstehen, aber nicht ein Musikstück.

"Eine Des-Dur Tonleiter.. ahja, das verstehe ich. Da hat der Komponist an eine grüne Wiese gedacht. Und dann diese staccato-Akkorde, das ist eine verflossene Liebe... und dann noch der Triller.. "

Viele vermuten, wenn sie sich Bilder bei der Musik vorstellen können; wenn sie die Musik auf ihre Lebenswirklichkeit beziehen können, hätten sie die Musik verstanden. Aber das ist eher eine Form des Assoziierens, kein "Verstehen".
 
Wenn ein Werk analysiert wird, dann wird oft einfach festgestellt, welchen Musikalischen Mitteln sich der Komponist bedient um bestimmte Wirkungen zu erzielen.
Es reicht aber auch wenn man als "unmusikalischer" zuhörer die Wirkung spürt- man muss nicht wissen warum man eine Gänsehaut bekommt =)
 
Musik muss spannend sein beim Zuhören- und einen fesseln. Dann ist es auch gut. Da braucht man sich nicht die Mühe machen zu analysieren warum, finde ich.:D

Ich halte es immer so, dass ich, bei Konzerten und auch bei Theaterstücken, nur über die Pause hinaus bleibe, wenn es mir Spaß macht.:p

LG
violapiano
 
Mir drängt sich jetzt die "umgekehrte" Frage auf, speziell an diejenigen von Euch, die fit in Musiktheorie sind:
Könnt ihr ein Stück noch wirklich unbefangen hören?
Oder drängt sich die Musiktheorie zwischen Ohr und Herz?
Genießt ihr dank des Wissens oder der Fähigkeit zur Analyse und (musiktheoretischem) Verständnis des Stückes die Musik mehr oder weniger oder ist meine ganze Frage Quatsch? :confused:
 

Ich kann ganz unbedarft Musik mögen oder nicht, auch wenn ich das dann nicht musiktheoretisch analysieren kann - so wie ich einen Menschen auch besser mögen kann, wenn ich ihn/sie nicht psychoanalytisch ergründe. Je mehr ich von den Mechanismen verstehe, wieso etwas so ist wie es ist, desto eher geht es in Richtung "professionelle Anerkennung" - und da gibt es dann erst beim letzten unerklärlichen Besonderen doch wieder Bewunderung (hmmm, verständlich?). Und sowieso ist jeder Jeck...
 
Ich habe immer wieder die gleiche Erfahrung gemacht: Musik wirkt grundsätzlich auf jeden gleich.
Der Unterschied entsteht vor allem dadurch, wie weit sich der Zuhörer bereit ist auf ein bestimmtes Gefühl einzulassen, wie er es bewertet und wie vordergründig oder subtil es vermittelt wird.
Wir alle verbinden z.B. mit Heavy Metal die gleichen Gefühle: Energie, Kraft, Aggressionen ... . Aber unbewusst interpretieren wir sie unterschiedlich. Manche stoßen diese Gefühle ab, manche wollen sie ausleben. Aber eine actiongeladene Filmsequenz unterlegt mit Heavy Metal wirkt auch auf Nichtfans homogen.
Das gilt natürlich auch für Bach und jede andere Musik.
Und das alles hat vor allem nichts mit Musikalität zu tun. Was die positive Wirkung von Musik betrifft sind musikalisch unbedarfte Menschen in gewisser Weise sogar im Vorteil:
Denn der musikalische Fachmann kann die Wirkung eines Musikstückes leicht durch zu viel "Kopfarbeit" entzaubern.
 
Mir drängt sich jetzt die "umgekehrte" Frage auf, speziell an diejenigen von Euch, die fit in Musiktheorie sind:
Könnt ihr ein Stück noch wirklich unbefangen hören?
Oder drängt sich die Musiktheorie zwischen Ohr und Herz?
Genießt ihr dank des Wissens oder der Fähigkeit zur Analyse und (musiktheoretischem) Verständnis des Stückes die Musik mehr oder weniger oder ist meine ganze Frage Quatsch? :confused:

Also, es gibt Fälle, da brauche ich die Theorie. Hätte ich beim Tannhäuser nicht gewusst, dass dieses eine Motiv welches gespielt wurde als der Vorhang schon zu war das Gnademotiv ist, dann hätte ich ja nicht gewusst, dass ihm Verziehen wird... ;)
Un wenn ich Musik wirklich mag, dann will ich auch analysieren, einfach aus Interesse- das ändert meist nichts an meinem Hörempfinden, manchmal hör ich es dann aber auch lieber =)
Es ist mir erst sehr selten passiert, dass das ständige analysieren mich so genervz hat, dass ich das Stück einfach nicht mehr hören konnte. Möglich ist das aber.
 
Haydnspaß, meintest du wirklich "Bachgefühl"?

Musik kann man sehr wohl während des Hörens verstehen, das hat auch nichts mit Mathematik oder "es dur = grüne Wiese mit Schafen" zu tun. Musik ist Kommunikation mit einer sehr eigentümlichen Sprache, die ohne Worte auskommt und sehr vage aber dafür sehr emotional ist.

Mal ein Beispiel aus der Wortsprache - "niederstes Niveau":

"Ey Alte, wann hat man dich eigentlich das letzte Mal so richtig gef****?"

Wer das wortwörtlich verstehen will, ist natürlich völlig auf dem Holzweg, die Antwort auf diese Frage interessiert den Redner nicht die Bohne. Er fühlt sich bedrängt und macht diesem Gefühl luft, so steht es deutlich für jedermann verständlich zwischen den Zeilen und im Tonfall geschrieben. Genauso funktioniert Musik, nur daß man die Worte eben nicht so einfach verstehen kann, das, was dazwischen ist aber sehr wohl. Wenn man jetzt Gramattik, Dialekt/Akzent und Wortwahl analysiert, kann man natürlich noch mehr über den Redner herausfinden und vielleicht auch Schlüsse über die Situation ziehen aber die Grundaussage ist auch ohne dieses völlig klar.

Und jetzt muß man sich mal folgendes Vorstellen: Musik wird weltweit gemacht und die Sprache ist eigentlich immer die gleiche - und das schon seit Jahrhunderten. Lediglich Aussprache und "Modewörter" ändern sich immer wieder. Und so, wie ein Norddeutscher zum Beispiel nicht viel mit einem tiefbayrischen Dialekt anfangen kann, so kann mancheiner eben auch nichts mit Xenakis anfangen. Mit Musiktheorie hat das aber noch nicht viel zu tun, die braucht man erst im nächsten Schritt. Aber der direkteste Weg zur Musik ist immer noch, sie selbst zu spielen. Da kann es einem sogar passieren, daß man etwas zu lieben lernt, was man vorher als Geschmacksverirrung abgetan hat ;)
 
Meinst du echt? Also für mich ist Jazz und Klassik zwei verschiedene Sprachen...

Für mich sind Bayrisch und Deutsch zwei Sprachen, während Polnisch und Russisch für mich sehr ähnlich klingen, beides ist aber falsch.

Mit Jazz und Boogie-Woogie stehe ich allerdings auf geschmacklichen Kriegsfuß, vielleicht hast du ja sogar recht :D
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Meinst du echt? Also für mich ist Jazz und Klassik zwei verschiedene Sprachen...

Ich fand das Beispiel von Guendola richtig klasse. :)

Übrigens zitierst du nicht im Zusammenhang:

Zitat von Guendola:
Und jetzt muß man sich mal folgendes Vorstellen: Musik wird weltweit gemacht und die Sprache ist eigentlich immer die gleiche - und das schon seit Jahrhunderten. Lediglich Aussprache und "Modewörter" ändern sich immer wieder.

Und irgendwie stimmt das doch. Musik war schon immer Ausdruck der Seele, die Sprache der Emotion, des Inneren. Nur ob es sich jetzt in Blue Notes und Jazz-Akkorden ergießt oder in komplexen Fugen oder klassischen Sonaten... das ist eben der Wandel der "Modewörter".

Jazz ist im Übrigen auch eher nicht so mein Ding. :p
 
Ob Nationalhymne oder Weihnachtslied, Filmmusik oder Station-ID, Marschmusik oder Liebesschnulze: Die emotionale Wirkung von Musik ist unabhängig von Geschmack und Musikalität bei allen Menschen die gleiche. Und, so ernüchternd das vielleicht ist, sie ist ziemlich genau berechenbar.
Komponisten, Arrangeuere und Interpreten haben natürlich immer die Möglichkeit die grundsätzliche Ausrichtung umzulenken, trotzdem greifen auch hier wieder erlernte oder z.T. genetische Klischees. Von "nicht gefallen" sprechen die Menschen vor allem dann, wenn ihnen das musikalische Muster zu fremd, zu gewohnt und vorhersehbar ist (z.B. beim Volksschlager), oder wenn sie ein bestimmtes Gefühl nicht zulassen wollen (Die Ärzte beschrieben das mal mit der versteckten "Kuschelrock CD" beim Skinhead).
Meine Aufgabe als Auftragskomponist ist deshalb meistens gewohntes ungewohnt zu verpacken und vor allem positive Emotionen zu bedienen. Und das funktioniert erstaunlich gut.
 

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