Peter Wapnewski: Tristan der Held Richard Wagners,
Berlin, 2001
Es ist im Vergleich zu anderen Arbeiten Wapnewskis kein so dichtes Buch,
eher im Plauderton geschrieben, beschäftigt sich mit allem möglichen, darunter auch
der literarischen Vorlage, der Entstehungsgeschichte von Wagners Oper und verfolgt
die Spuren weiter bis zu Thomas Manns gleichnamiger Novelle.
Deine Fragen finden darin keine Beantwortung, wenn ich's richtig in Erinnerung habe.
Erinnern kann ich mich aber, daß Wapnewski auch bei Gottfried dem Liebestrank
sofortige Wirkung nachsagt, Isolde also schon bei der Ankunft in Cornwall keine
virgo intacta mehr ist, was Brangänens Unterschiebung in der Hochzeitsnacht zwingend
notwendig macht; daran anknüpfend der interessante Gedanke Wapnewskis,
daß in Gottfrieds Konzeption König Marke der Unhold ist, denn im was wîp alse wîp, "ihm war Weib gleich Weib".
Lieber Gomez,
dank dir schön, das hab ich schon gelesen. Das ist tatsächlich eine lockere Sammlung von Essays, wie alles von W. von grundstürzender Gelehrsamkeit; zu meinen Fragen sagt er aber nichts.
Was den Liebestrank betrifft, so scheint er bei Wagner ja wirklich nur mehr mythograpisches Requisit zu sein, denn Isolde sagt in der Exposition ja überdeutlich, übrigens in hübscher Umkehrung des Blickmotivs, wie wir es etwa von Petrarca her kennen, "er sah mir in die Augen". Da ist die Änderung gegenüber Gottfried doch ziemlich klar. Bei Gottfried ist zwar auch die Rede von Blickkontakten in den Szenen nach dem Drachenstich, aber sehr viel weniger klar als bei Wagner, und derlei Ansätze, so sie denn vorhanden sind, werden dann auf Isots Seite durch das Motiv der Rache für Morold völlig beiseitegeschoben. Zwar wollen manche Germanisten auch Gottfried so lesen wie Wagner, aber sie tun es, um ihm das Konzept der selbstverantwortet schuldigen Liebe unterschieben zu können, das aber einen Begriff der Autonomie des Individuums voraussetzt, von dem mich mich frage, ober er im Mittelalter tatsächlich existiert. Sie ingorieren dabei, daß G. ausdrücklich sagt, daß die "Versöhnerin Minne" die beiden zueinander führt. Daß er die Liebe hier als Gottheit personifiziert, dürfte wohl eine Anleihe beim "Götterapparat" des antiken Epos sein und die Machtlosigkeit des beiden gegenüber dem Willen einer höheren Macht andeuten.
Daß Marke der "Unhold" ist, sagt W. meiner Erinnerung nach so eindeutig nicht. Der König ist ja auch eher das Tugenschaf, der aus Unfähigkeit, sich die "Realität" vorstellen zu können, von allfälligen Unterschieden zwischen seinen beiden Bettgenossinnen nichts mitbekommt. Ein Tugendschaf mit ausgeprägter Willensschwäche, das sich von seinen Hofschranzen wider seinen Willen zum Bräutigam machen läßt und dabei auch noch unwissentlich zum Auslöser einer Tragödie wird, denn tatsächlich hat ja Tristan durch seinen Drachenstich und qua Erfüllung der Vorausetzung adeliger Abkunft ebenfalls einen Rechtstitel auf die Prinzessin erworben.
Nun, das gehört sozusagen in die Präsuppositionsmasse der Tragödie und somit konnte sich Wagner nicht damit beschäftigen. Ein wirkliches Rätsel aber ist mir, warum er die Abschiedesszene zwischen T. und I. nicht verarbeitet hat. Die Differeniertheit der psychologischen Zeichnung und die Ungekünsteltheit des Pathos suchen, jedenfalls in der mal. literatur, ihresgleichen. Und Wagner - hat sie einfach in die Pause verlegt.
Herzliche Grüße,
Friedrich