Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


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Lieber pianovirus,

ich befürchte, ich bin eher von der ungebildeten Sorte! :p Wenn ich die Handlung und den groben Verlauf des Librettos noch nicht kenne, ist das das Einzige, worüber ich mich vorher informiere. Ich höre es mir einfach an - und lese lieber nachher etwas darüber. Oft sind die Programmhefte auch mit viel zusätzlicher Literatur gestaltet - es lohnt sich, die zu lesen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Danke erst einmal Euch dreien!

Man liest ja immer wieder, wie beliebt das spielende Sich-Vertraut-Machen mit Opern, Sinfonien, Kammermusik (in Bearbeitungen für zwei oder vier Hände oder zwei Klaviere) vor der breiten Verfügbarkeit von Aufnahmen, Aufführungen, Sekundärliteratur gewesen sein soll. Ist das heute so außer Mode gekommen? (*) Dank IMSLP wäre es ja einfacher als jemals zuvor, eine riesige Fülle von Bearbeitungen zu "durchwühlen".

Ob das nicht-musizierende Rezipieren das spielerisch-verspielte Nachgestalten am Klavier ganz ersetzen kann? Ganz abgesehen vom Spaß, etwas selbst zu machen, auf den man in ersterem Fall verzichtet... Bei Klaviermusik erschöpft sich das Erkunden eines Werkes ja auch nicht darin,

Öfter (mit offenen Ohren) dieselbe Sonate anhören....

;)


(*) Cyprien Katsaris scheint einer der wenigen zu sein, der solche Bearbeitungen, die eher aus praktischen Gründen als zum Konzertvortrag erstellt wurden, nicht nur zum Spaß zu spielt, sondern sogar aufnimmt, z.B.
Selections from the Magic Flute, K. 620 - Act II/15 - Aria - YouTube
Mozart/Hummel - Symphony No. 40 - 1st Movement - YouTube

P.S.
Zitat von chiarina:
Oft sind die Programmhefte auch mit viel zusätzlicher Literatur gestaltet - es lohnt sich, die zu lesen.

Liebe chiarina (nicht böse sein...poco capriccioso): mir ging es bei meiner Frage speziell um die Beschäftigung mit Klavierauszügen oder Partituren -- weniger darum, was man aus Anlass eines Opernbesuchs noch schnell machen könnte, um auch nach zwei Gläsern Sekt noch was mitzukriegen!!! :D :D
 
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Liebe chiarina (nicht böse sein...poco capriccioso): mir ging es bei meiner Frage speziell um die Beschäftigung mit Klavierauszügen oder Partituren -- weniger darum, was man aus Anlass eines Opernbesuchs noch schnell machen könnte, um auch nach zwei Gläsern Sekt noch was mitzukriegen!!! :D

Äh, lieber pianovirus, ich habe jetzt noch mal deinen ersten Post durchgelesen und siehe da: du hast Recht!!! :D Es ging ja tatsächlich um Klavierauszüge etc.! Lesen hilft! :D

Nichts desto trotz sind diese Programmhefte, in denen meist nichts über das Libretto und die Handlung etc. steht, sondern Bezüge und ergänzende Texte von Zeitgenossen und Kritikern zu Werk und Komponist ein vielfältiges Bild zeichnen, sehr interessant zu lesen. Nach zwei Gläsern Sekt intellektuell kaum mehr zu bewältigen. :D

Um endlich mal auf deine Frage zurückzukommen: es bringt total etwas, Klavierauszüge zu spielen! Ich mache das allerdings immer lieber, nachdem ich ein Werk in natura kennen gelernt habe. Früher im Studium habe ich es geliebt, mit Kommilitonen vierhändig alle möglichen Sinfonien vom Blatt zu spielen. Ich habe hier auch Klavierauszüge von Kammermusik, Sinfonien, Wagner-Opern etc.. Gerade bei den zweihändigen Sachen gibt es aber große Unterschiede im Schwierigkeitsgrad.

Manche - ähem - leihen sich auch die Partitur aus und spielen die dann vom Blatt! Kann ich nicht! Partiturspiel hatten nur die Schulmusiker... .

Also nur zu: es ist genau wie du sagst. *lach* Und zum Beispiel Wagners Tristan ist ja harmonisch und auch sonst wirklich wegweisend gewesen. In der Partitur oder wenigstens einem guten Klavierauszug zu stöbern kann einem da Welten eröffnen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Also ich muss sagen, dass ich meine Lieblingsopern mit den Klavierauszügen
ausarbeite (aber nicht immer alles, sondern nur die Lieblingsstellen, wie z. B. im Lohengrin
die beiden "Arien" von der lieben Ortrud). Aber dafür muss der Klavierauszug auch da sein.
Dies sind diejenigen Auserwählten:
WAGNER
Aus dem Ring:
-Walküre
-Siegfried
-Götterdämmerung
Tristan
Parsifal
Lohengrin
STRAUSS
Elektra
Frau ohne Schatten

Mehr hab ich nicht anzubieten. :D :D :D :D
 
Tristan-DVD

Ich habe mir just, ermutigt durch Gubu, der die Produktion kannte, beim Ramschbuchhändler Zweitausendeins die soeben im Verramsch begriffene DVD des Mitschnitts des Dessauer Tristan von 2008 (Regie J. Felsenstein) zum Dumpingpreis von 12,99 gekauft (Tristan und Isolde. Zweitausendeins Edition Musik 15. von Richard Wagner). Die Isolde wird von der mir bislang nicht bekannten, aber fabelhaften Tschechin Iordanka Derilova gesungen, der gegenüber die von mir bei der Augsburger Produktion und ebenso kürzlich im Nürnberger "Holländer" als Senta so bewunderte Christiane Libor völlig verblaßt. Die Inszenierung weist keine schlimmeren als die üblichen Torheiten auf. Insgesamt ein Hochgenuß zum Aldi-Preis.

Grüße,

Friedrich

PS. Der Fliegende Holländer in Nürnberg war wirklich hörens-, sehens- und eine Wiederholung wert. Wer also Lust hat, ein Bier mit mir zu trinken, möge sich am Karsamstag dort einfinden.
 
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Bleibt nur nachzutragen, dass Derilova aus Bulgarien stammt...:)

Seufz. Immer diese Ossi-Pedanterie! ;) Im Ernst: bitte um Entschuldigung; offenbar bin ich nach der langen Nacht (ich konnte nach der 1., gegen 23 Uhr eingeschobenen DVD einfach nicht aufhören) noch nicht ganz Herr meines Gedächtnisses. Dabei habe ich doch seit 1994 einen Heidenrespekt vor den Bulgaren: ich habe niemals wieder in meinem Leben eine solche Heerschar volltrunkener Kongreßteilnehmer angetroffen wie damals anläßlich der Eröffnung eines Tagungszentrums, das aber tatsächlich erst im Herzen seiner Besucher existierte.

Grüße,

Friedrich
 
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Ich habe mir just, ermutigt durch Gubu, der die Produktion kannte, beim Ramschbuchhändler Zweitausendeins die soeben im Verramsch begriffene DVD des Mitschnitts des Dessauer Tristan von 2008 (Regie J. Felsenstein) zum Dumpingpreis von 12,99 gekauft (Tristan und Isolde. Zweitausendeins Edition Musik 15. von Richard Wagner). Die Isolde wird von der mir bislang nicht bekannten, aber fabelhaften Tschechin Iordanka Derilova gesungen, der gegenüber die von mir bei der Augsburger Produktion und ebenso kürzlich im Nürnberger "Holländer" als Senta so bewunderte Christiane Libor völlig verblaßt. Die Inszenierung weist keine schlimmeren als die üblichen Torheiten auf. Insgesamt ein Hochgenuß zum Aldi-Preis

.

....Nicht zuletzt deswegen gilt das Theater für die Hauptstädter als heimliche vierte Opernbühne Berlins, die nicht selten seit Jahrzehnten gleich busweise aufgesucht wird...:p. (Was der Auslastung des mit ca. 1100 Plätzen überdimensionierten Hauses ganz gut tut...)
 
Kleiner Literaturhinweis auf einen soeben erschienenen Titel:

Sven Friedrich, Richard Wagners Opern. Beck 1012 (Richard Wagners Opern | Friedrich, Sven |).

S.F. ist seit 1993 Direktor der Villa Wahnfried und einer der zum Thema etwas zu sagen hat, und das allgemeinverständlich.

Grüße,

Friedrich
 
Mögt Ihr Opern? Das war ja wohl die ursprüngliche Frage....
Ja! Beweis: Ich komme, in exakt dieser Sekunde, aus exakt einer ebensolchen.
Oder, genauer mitgeteilt: Ich komme - gerade eben- hier her - aus der "Unterwelt"
??? nämlich von einem Besuch der Gluck- Oper "Orpheus und Euridice"
(Ohne meine treue, aktive Gefährtin wäre ich da wohl eher nicht hingegangen).
Da hätte ich mich schon eher + freiwilliger in Monteverdis "Orpheo" hineingesetzt / begeben.

Wie war es? Gut! Es war gut? Nein, es war schlecht! Na, was war es denn nun? Gut?.............oder...............Schlecht?
(Ich könnte jetzt dies + das diffenzierter sagen - aber ich bin froh, dass ich das nicht will - und dass es eh´ kein Aas interessiert .....

...Man sieht nur (drin), was man (eh) schon weiss. Man hört nur (raus), was man(eh) schon ist. Aber: ohne solche zeitweiligen EX.kursionen raus aus der banalen Allmacht + Wichtigtuerei unseres Alltags------ würden wir wohl Wesentliches aus unserem Blickfeld verlieren:
Wer wir sind.( oder mal waren). Wer wir mal sein woll(t)en. (wer wir morgen sein könn(t)en).
Kunst ist der der erfolgversprechende Kampf unserer Wünsche gegen die zunehmend verzagten -luftlosen - witzlosen - skrupellosen -verw)irrten - kleinen Welten (...Mikrokosmen...)
Oder, wie Pinocchio es knapper formuliert hat: "In che mondo siamo condannati à vivere"
 
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Tristan & Tristan

Liebe Leute,

ich möchte mich gerne erkundigen, ob jemand von euch sich schon einmal ein bißchen mit dem Verhältnis von Wagners Tristan zu seiner literarischen Vorlage Gottfried v. Straßburg beschäftigt hat. Daß Wagner sich direkt mit Gottfried und nicht nur einem mythographischen handbuch beschäftigt hat, gilt als sicher. Er las Gottfried wahrscheinlich in der bei Beginn seiner Arbeit soeben (1844) erschienenen Übersetzung von Hermann Kurz (dieselbe, die Wapnewski für seine berühmte kommentierten Rezitation verwendet); allerdings gibt es eine etwas ältere Übersetzung von Immermann (1840) und die spätere von Simrock, die auch in Betracht kämen. Daneben kennt er sicher die Bearbeitung des Stoffes durch Hans Sachs, mit dem er sich zu dieser Zeit schon beschäftigt.

Nun, was mich beschäftigt, ist, was Wagner aus Gottfried gemacht oder eben nicht gemacht hat. Ich meine nicht das triviale Faktum, daß er als Dramatiker zur Konzentration gezwungen war und so die erste Hälfte des mal. Tristan weggelassen hat, und auch nicht, daß er natürlich schwankhafte Motive, die sich mit seinem Liebespathos nicht vertrugen, weglassen mußte, wie etwa Brangänes Stellvertretung in der Hochzeitsnacht (wofür ihm H. Rosendorfer sicher Dank wußte). Sondern: aus welchen Motiven hat Wagner zwei für seine dramatischen zwecke absolut passende und zentrale Passagen Gottfrieds ignoriert und eine so radikal gekürzt, daß sie ihre Wirkung vollständig einbüßen mußte?

Der letztgenannte Punkt betrifft die unmittelbaren Folgen der Trankszene, wo Gottfried in feiner psychologischer Zeichnung den Weg von Versuch des Ignorierens und rationalen Bewältigens über das allmähliche Sichdreinfügen bis zum Liebesgeständnis entwickelt. Bei Wagner setzt dagegen die Wirkung des Tranks sehr abrupt sein und seine Folgen werden durch den Volksjubel bei der Ankunft in Cornwall sozusagen zugeschüttet. Der erste Punkt betrifft die Minnegrotte und vor allem die Abschiedsszene nach der Entdeckung des Paares im Garten, deren zarter und ergreifender Dialog bei Wagner durch den dröhnenden Überfall des vom Zwerg zum Ritter aufgebrezelten Melot ersetzt ist.

Die Erläuterungen Pahlens äußern sich dazu meiner Erinnerung nach nicht und der neue Wagner-Führer von S. Friedrich tut es auch nicht. Weiß jemand von euch etwas dazu oder hat einen Literaturhinweis für mich?

Dank und Gruß,

Friedrich
 

Ob es Wagner mit der "Vorlage" nicht so "genau" genommen hat, weil ihm das nicht in sein (musikalisches) Konzept passte?

Wohl in seinem Aufsatz "Zukunftsmusik" -nähere Quellenangaben habe ich nicht- sagt er im besten Wagnerdeutsch: "Mit voller Zuversicht versenkte ich mich nur noch in die Tiefen der inneren Seelenvorgänge und gestaltete zaglos aus diesem intimsten Zentrum der Welt ihre äußere Form. Ein Blick auf das Volumen des Gedichts zeigt Ihnen sofort, daß ich dieselbe ausführliche Bestimmtheit, die vom Dichter eines historischen Stoffes auf die Erklärung der äußeren Zusammenhänge der Handlung zum Nachteil der deutlichen Kundmachung der inneren Motive angewendet werden mußte, nun auf diese letzteren einzig anzuwenden mich getraute. Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der äußeren Welt hängt hier allein von der inneren Seelenbewegung ab. Die ganze ergreifende Handlung kommt nur dadurch zum Vorschein, daß die innerste Seele sie fordert, und sie tritt so an das Licht, wie sie von innen aus vorgebildet ist...."

In dem Buch "Dramaturgie der Oper" von Heinrich Bulthaupt, Leipzig , Breitkopf und Härtel 1902, ist ein 35seitiger Aufsatz enthalten -daraus ist auch das obige Zitat- , der sich mit dem Verhältnis von Wagners Tristan zur "Vorlage" befasst. Falls er Dich interessiert, sag es....

Es grüßt gubu

PS: Man kann es aber auch mit dem dem Wagnerwerk tief verbundenen Opernregisseur Joachim Herz, der ein penibler Quellenforscher war, halten, der mal schrieb: "Ich habe Tristan und Isolde nie inszeniert. Ich fand immer, die Musik ist so schön, Bühne kann da nur stören..." :D (Oper mit Herz I, Verlag Dohr, 2010, S. 269)
 
In dem Buch "Dramaturgie der Oper" von Heinrich Bulthaupt, Leipzig , Breitkopf und Härtel 1902, ist ein 35seitiger Aufsatz enthalten -daraus ist auch das obige Zitat- , der sich mit dem Verhältnis von Wagners Tristan zur "Vorlage" befasst. Falls er Dich interessiert, sag es....

Dank Dir schön Gubu! Der Titel ist in den 80er Jahren noch einmal nachgedruckt worden und steht bei uns in der UB. Am Montag werd ich mal sehen, ob ich 35 Seiten dieser Kunstprosa ertrage ...

Grüße,

Friedrich
 
Lieber Friedrich,

dann schau doch in der UB auch gleich nach:

Peter Wapnewski: Tristan der Held Richard Wagners,
Berlin, 2001

Es ist im Vergleich zu anderen Arbeiten Wapnewskis kein so dichtes Buch,
eher im Plauderton geschrieben, beschäftigt sich mit allem möglichen, darunter auch
der literarischen Vorlage, der Entstehungsgeschichte von Wagners Oper und verfolgt
die Spuren weiter bis zu Thomas Manns gleichnamiger Novelle.

Deine Fragen finden darin keine Beantwortung, wenn ich's richtig in Erinnerung habe.
Erinnern kann ich mich aber, daß Wapnewski auch bei Gottfried dem Liebestrank
sofortige Wirkung nachsagt, Isolde also schon bei der Ankunft in Cornwall keine
virgo intacta mehr ist, was Brangänens Unterschiebung in der Hochzeitsnacht zwingend
notwendig macht; daran anknüpfend der interessante Gedanke Wapnewskis,
daß in Gottfrieds Konzeption König Marke der Unhold ist, denn im was wîp alse wîp,
"ihm war Weib gleich Weib".

Herzliche Grüße,

Gomez
 
Peter Wapnewski: Tristan der Held Richard Wagners,
Berlin, 2001

Es ist im Vergleich zu anderen Arbeiten Wapnewskis kein so dichtes Buch,
eher im Plauderton geschrieben, beschäftigt sich mit allem möglichen, darunter auch
der literarischen Vorlage, der Entstehungsgeschichte von Wagners Oper und verfolgt
die Spuren weiter bis zu Thomas Manns gleichnamiger Novelle.

Deine Fragen finden darin keine Beantwortung, wenn ich's richtig in Erinnerung habe.
Erinnern kann ich mich aber, daß Wapnewski auch bei Gottfried dem Liebestrank
sofortige Wirkung nachsagt, Isolde also schon bei der Ankunft in Cornwall keine
virgo intacta mehr ist, was Brangänens Unterschiebung in der Hochzeitsnacht zwingend
notwendig macht; daran anknüpfend der interessante Gedanke Wapnewskis,
daß in Gottfrieds Konzeption König Marke der Unhold ist, denn im was wîp alse wîp, "ihm war Weib gleich Weib".


Lieber Gomez,

dank dir schön, das hab ich schon gelesen. Das ist tatsächlich eine lockere Sammlung von Essays, wie alles von W. von grundstürzender Gelehrsamkeit; zu meinen Fragen sagt er aber nichts.

Was den Liebestrank betrifft, so scheint er bei Wagner ja wirklich nur mehr mythograpisches Requisit zu sein, denn Isolde sagt in der Exposition ja überdeutlich, übrigens in hübscher Umkehrung des Blickmotivs, wie wir es etwa von Petrarca her kennen, "er sah mir in die Augen". Da ist die Änderung gegenüber Gottfried doch ziemlich klar. Bei Gottfried ist zwar auch die Rede von Blickkontakten in den Szenen nach dem Drachenstich, aber sehr viel weniger klar als bei Wagner, und derlei Ansätze, so sie denn vorhanden sind, werden dann auf Isots Seite durch das Motiv der Rache für Morold völlig beiseitegeschoben. Zwar wollen manche Germanisten auch Gottfried so lesen wie Wagner, aber sie tun es, um ihm das Konzept der selbstverantwortet schuldigen Liebe unterschieben zu können, das aber einen Begriff der Autonomie des Individuums voraussetzt, von dem mich mich frage, ober er im Mittelalter tatsächlich existiert. Sie ingorieren dabei, daß G. ausdrücklich sagt, daß die "Versöhnerin Minne" die beiden zueinander führt. Daß er die Liebe hier als Gottheit personifiziert, dürfte wohl eine Anleihe beim "Götterapparat" des antiken Epos sein und die Machtlosigkeit des beiden gegenüber dem Willen einer höheren Macht andeuten.


Daß Marke der "Unhold" ist, sagt W. meiner Erinnerung nach so eindeutig nicht. Der König ist ja auch eher das Tugenschaf, der aus Unfähigkeit, sich die "Realität" vorstellen zu können, von allfälligen Unterschieden zwischen seinen beiden Bettgenossinnen nichts mitbekommt. Ein Tugendschaf mit ausgeprägter Willensschwäche, das sich von seinen Hofschranzen wider seinen Willen zum Bräutigam machen läßt und dabei auch noch unwissentlich zum Auslöser einer Tragödie wird, denn tatsächlich hat ja Tristan durch seinen Drachenstich und qua Erfüllung der Vorausetzung adeliger Abkunft ebenfalls einen Rechtstitel auf die Prinzessin erworben.

Nun, das gehört sozusagen in die Präsuppositionsmasse der Tragödie und somit konnte sich Wagner nicht damit beschäftigen. Ein wirkliches Rätsel aber ist mir, warum er die Abschiedesszene zwischen T. und I. nicht verarbeitet hat. Die Differeniertheit der psychologischen Zeichnung und die Ungekünsteltheit des Pathos suchen, jedenfalls in der mal. literatur, ihresgleichen. Und Wagner - hat sie einfach in die Pause verlegt.

Herzliche Grüße,

Friedrich
 
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Sondern: aus welchen Motiven hat Wagner zwei für seine dramatischen zwecke absolut passende und zentrale Passagen Gottfrieds ignoriert und eine so radikal gekürzt, daß sie ihre Wirkung vollständig einbüßen mußte?
.............................................
Bei Wagner setzt dagegen die Wirkung des Tranks sehr abrupt sein und seine Folgen werden durch den Volksjubel bei der Ankunft in Cornwall sozusagen zugeschüttet. Der erste Punkt betrifft die Minnegrotte und vor allem die Abschiedsszene nach der Entdeckung des Paares im Garten, deren zarter und ergreifender Dialog bei Wagner durch den dröhnenden Überfall des vom Zwerg zum Ritter aufgebrezelten Melot ersetzt ist.

Fettdruck von mir


Lieber Friedrich,

vorweg - ich habe keine Ahnung! Ich habe schon das Programmheft des letzten Tristan gesucht, in dem nach meiner Erinnerung Einiges dazu steht, es aber leider nicht gefunden.

Ich starte aber mal meinen weiblichen Instinkt (o.k., wir wissen, was davon zuweilen zu halten ist :p ) und vermute schlicht, dass Wagner Action wollte, um die Handlung nicht noch mehr zu einem (sowieso vorhandenen) endlosen Liebesgesülze :p - keine Angst, ich liebe den Tristan!!! - zu machen. Daneben brauchte Wagner auch aus musikalischer Sicht mehr Personen und Charaktere, die einen anderen Klang, eine andere Farbe in die Oper einbrachten.

Das hilft dir nicht weiter, aber ich sag's trotzdem! :p

Liebe Grüße

chiarina
 
[...] Aus welchen Motiven hat Wagner zwei für seine dramatischen Zwecke
absolut passende und zentrale Passagen Gottfrieds ignoriert und eine so radikal gekürzt,
daß sie ihre Wirkung vollständig einbüßen mußte?

Nuja, Wagner läßt die Konvention der Oper als eines Schaustücks hinter sich. So radikal
wie im "Tristan" verfährt er später noch einmal im "Parsifal". Sichtbare Handlungselemente,
die bei anderen Opernkomponisten spannungsfördernd im Mittelpunkt stünden,
werden bei ihm zurückgedrängt wie ein lästiges Anhängsel - an die Akt-Enden:
die Einnahme des Liebestranks kurz vor der Ankunft in Cornwall, Tristans Sturz
in Melots Schwert.

Vorallem die beiden Rahmenakte sind stattdessen angefüllt mit - nichts. Im ersten Akt
die Überfahrt: äußerlich gesehen quälende Langeweile, unter der aber eine kaum erträgliche
Spannung spürbar wird, am stärksten natürlich in der formelhaften Begegnung zwischen
Tristan und Isolde; im dritten Akt das von der Hirtenmelodie umrahmte Siechtum Tristans.
Das Warten, die Ungewißheit und die damit verknüpften Gedankenspiele (imaginiertes Glück
oder Unglück) stehen im Mittelpunkt der Handlung. Vorwärtstreibende Handlungselemente
werden zu Realitätseinbrüchen an den Akt-Enden eingedampft. Das Warten als Operninhalt
greift Puccini im zweiten Akt der "Madame Butterfly" wieder auf.

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Nun, das gehört sozusagen in die Präsuppositionsmasse der Tragödie und somit konnte sich Wagner nicht damit beschäftigen. Ein wirkliches Rätsel aber ist mir, warum er die Abschiedesszene zwischen T. und I. nicht verarbeitet hat. Die Differeniertheit der psychologischen Zeichnung und die Ungekünsteltheit des Pathos suchen, jedenfalls in der mal. literatur, ihresgleichen. Und Wagner - hat sie einfach in die Pause verlegt.
lieber Friedrich,
interessant auch die Frage, was Wagner an Vorauswissen bzw. Stoff- und Motivkenntnis bzgl. der Tristan-Isolde-Überlieferung voraussetzen konnte - das scheint angesichts der Beschäftigung mit mittelalterlicher Literatur um die Mitte des 19. Jh. recht viel gewesen zu sein (man übersetzte und "erforschte" - Beginn der Mediävistik quasi - eine ganze Menge). Insofern kann, wie auch bei den Göttern des Rings und ihren Kabalen, von einiger Vorkenntnis ausgegangen werden. Hier hat ja nun Gomez sehr treffend dargestellt, dass und wie Wagner einen Großteil der Handlung gleichsam nach innen, auf die emotionale Ebene verlegt hat - musikalisch gesehen bewirkt u.a. das die dann umso stärkere, effektvollere Wirkung der Aktschlüsse (so ist das Ende des 1. Aktes duchaus ein Pezzo Concertato).

Hätte Wagner eine ggf. gereimte Übersetzung des kompletten Tristans von Gottfried als Libretto verwenden sollen? Sollte eine Oper dazu da sein, einen bestimmten literarischen Stoff im Einklang mit der Literaturwiss. vorzustellen? ...oh weh, da müsste man so mancher Oper eine sehr schlechte Zensur geben, Librettisten und Komponisten nachsitzen lassen ;)

Verblüffend ist doch, dass trotz Auslassung der "vulgären" Bestandteile der Überlieferung des Tristanstoffes (!), diese handlungsarmen Handlung in drei Aufzügen eine "Musik von nie dagewesener Brünftigkeit" attestiert wurde :) -- Wagner verwendete für seinen Tristan allerlei, d.h. neben Gottfried auch von Platen u.a. und stellte das zusammen, was er dann haben wollte.
 
Lieber Gomez, lieber Rolf,

habt vielen Dank für eure hilfreichen Antworten.

Das Warten, die Ungewißheit und die damit verknüpften Gedankenspiele (imaginiertes Glück oder Unglück) stehen im Mittelpunkt der Handlung.
Danke, mit diesem Satz hast Du einem dumpfen Gefühl in mir zum Licht verholfen ;). Ist das eigentlich Wagners ureigenste "Erfindung", oder ist das literarisch bzw. musiktheoretisch von irgendwoher angeregt? Kann man dazu irgendwo etwas nachlesen?


interessant auch die Frage, was Wagner an Vorauswissen bzw. Stoff- und Motivkenntnis bzgl. der Tristan-Isolde-Überlieferung voraussetzen konnte
Die Voraussetzungen waren tatsächlich günstig. Nicht durch nur das auf breiter Front erwachte Interesse an "germanischer" Mythologie, das übrigens mit einer Abkehr von der klassizistischen Griechenlandbegeisterung einherging (deren erreichtes Ziel, die Errichtung des Königreichs Hellas, zugleich Schwelle eines Desillusionierungsprozesses wurde), sondern auch durch die Verfügbarkeit von Übersetzungen - gleich drei in der fraglichen Zeit (vgl.o.). Und da könnte man nun anknüpfen und fragen, ob die Kenntnis des Originals von Wagner nicht geradzu vorausgesetzt wird, damit der Hörer die spezifische Art der Stoffrezpeption, dieses Nach-innen-Wenden der Handlung, verstehen und schätzen kann (nicht jeder natürlich, aber das Problem der Mehrfachadressierung des Kunstwerks ist ja schon der Antike bekannt).

Hätte Wagner eine ggf. gereimte Übersetzung des kompletten Tristans von Gottfried als Libretto verwenden sollen? Sollte eine Oper dazu da sein, einen bestimmten literarischen Stoff im Einklang mit der Literaturwiss. vorzustellen?
Ach woher, zunächst mußte Wagner ja ohnehin neben Gottfried mindestens eine andere Quelle verwenden, weil G. ja vor Isots "Krankenbesuch" abbricht (der Kuppler Marke gehört m.W. in die spielmännische Stofftradition) - aber die kontte er im Anhang von Kurz' Übersetzung gefunden haben. Sodann war die unterschiedliche Poetik von Epos und Drama der Zeit durch den literaturtheoretischen »Aristotelismus« ja mehr als geläufig. Meine Frage bezog sich darauf, warum er gerade zwei Passagen, die seinem psychologischen Interesse doch entgegenkommen mußte, wie keine anderen bei Gottfried, nämlich die Trank- und die Abschiedsszene massakriert bzw. ingoriert hat. Nun, der Hinweis, daß "eine Handlung", verstanden ist als innere Handlung bei äußerer Redardation, bietet mir einen Zugang. Schade ist es trotzdem.

Dank und Gruß,

Friedrich

eine "Musik von nie dagewesener Brünftigkeit"
Hihi, wer hat das gesagt?
 
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