Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


  • Umfrageteilnehmer
    368
das hab ich in einem Opernführer (Pahlen? Blatny?) gelesen, wenn ich mich recht entsinne aus einer Rezension der Münchner Uraufführung - wenn ich wieder daheim bin, schau ichs nach --- nebenbei: just Wagners Opern provozierten mehrmals derartig spektakuläre Kommentare: z.B. bei der UA des Rheingolds wurde hinterdrein die erste Szene (am Grunde des Rheins; Rheintöchter, Mime) als "Hurenaquarium" bezeichnet :D:D
...und was den Tristan betrifft, so ist ja die Karikatur berühmt genug, welche Wagner und Cosima zeigt, denen Hans von Bülow hinterherläuft und Tristanpartiturblätter aufsammelt...
 
Ist das eigentlich Wagners ureigenste "Erfindung", oder ist das literarisch
bzw.musiktheoretisch von irgendwoher angeregt? Kann man dazu irgendwo etwas nachlesen?

Lieber Friedrich,

vielleicht können Dir Rolf, Gubu oder Troubadix genaueres sagen?
Ich bin kein Opernspezialist. Ich kann nur sagen: Wagner war ein Eklektiker,
und die musikalischen und musikdramatischen Quellen, aus denen er seine Anregungen
bezogen hat, sind hinlänglich bekannt.

Aber was sich der reife Wagner auf der Bühne erlaubt, ist meines Wissens präzedenzlos.
Nicht nur, daß er die Norm dessen, was als bühnenwirksam galt, übern Haufen schmeißt.
Seine Stücke sind gerade deswegen ungeheuer bühnenwirksam. Das ist aber letztlich
das Verdienst seiner Musik, des "Beziehungszaubers" jener sich mit den Figuren
und der Handlung verändernden Leit- und Erinnerungsmotive; damit in Zusammenhang:
die Verschränkung der Zeitebenen, die Omnipräsenz des Vergangenen in der Gegenwart.

Übernahme wagnerischer Patentrezepte garantiert noch keine Bühnentauglichkeit.
Die Gegenprobe läßt sich mit einer Fülle spätromantischer Opern anstellen, deren Libretti
sich wagnergleich dem Innenleben ihrer Protagonisten zuwenden, deren Musik betörend schön ist
und von denen bis jetzt keine den Weg ins Repertoire gefunden hat: "La Roi Arthus" von Chausson,
"Feerval" und "L'étranger" von d'Indy (der Wagnérisme wär ein eigenes Kapitel wert, leider kenne ich
die beiden letztgenannten Opern ["Actions musicales" geheißen!] nur auszugsweise);
"Der arme Heinrich" von Pfitzner, "Der Zwerg" von Alexander Zemlinsky.

Das Statuarische, den häufigen Bericht und das Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart
könnte Wagner als Anregung aus der attischen Tragödie bezogen haben, deren Chor
er im kommentierenden Orchester seiner Musikdramen weiterentwickelt sah.

Für die frühe Pariser Zeit müßte herauszufinden sein, welche Texte und Gedichte Baudelaires
Wagner, der sich mit ihm durchs Leben gehungert hat, zu diesem Zeitpunkt kennen konnte
bzw. welche Texte und Gedichte erst danach entstanden und womöglich von Wagner
beeinflußt worden sind.

Herzliche Grüße,

Gomez
 
Ich kann nur sagen: Wagner war ein Eklektiker,
und die musikalischen und musikdramatischen Quellen, aus denen er seine Anregungen
bezogen hat, sind hinlänglich bekannt.
das ist in dieser Totalität mal ein Novum ;) - nicht nur die Zeitgenossen, sondern auch spätere Hörergenerationen fanden den vermeintlichen Eklektiker auf allerlei musikalischen und bühnenmäßigen Gebieten doch recht innovativ :D:D -- oder anders gesagt: wer ist da in der Oper des 19. Jh. kein Eklektiker, hat keine musikalischen und musikdramatischen Quellen als Anregungen sich angeeignet und ausgewertet (und weiterentwickelt)
(ja ok, man kann u.a. Berlioz´ Martyrium erwähnen, allerdings bleibt dieses musikalisch-harmonisch doch eher wenig zukunftsweisend)
 
Lieber Christoph,

ich will Dir nicht Deine Zeit stehlen, aber das:

Das Statuarische, den häufigen Bericht und das Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart könnte Wagner als Anregung aus der attischen Tragödie bezogen haben, deren Chor er im kommentierenden Orchester seiner Musikdramen weiterentwickelt sah.


ist natürlich für mich hochinteressant. Wie könnte ich denn finden, wo sich W. über griechische Tragödie und den Chor äußert? Und warum er dann nicht seinerseits den Chor als "Vierten Schauspieler" verwendet, sondern das Orchester?

Fühl Dich bitte nicht zu einer umgehenden Antwort genötigt und hab einen schönen Sonntagabend!

Friedrich
 
Wie könnte ich denn finden, wo sich W. über griechische Tragödie und den Chor äußert?
zwar nicht speziell diesem Thema gewidmet, aber immerhin ein schöner Aufsatz über die konventionellen Opernchöre im Lohengrin findet sich in:
Egon Voss: Wagner und kein Ende

eher zweifelhaft als Lektüre aus quasi rezeptionsgeschichtlichen Gründen ist hierzu:
Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution (1848 ?)
(man neigt dazu, vom Schriftsteller Wagner ähnliches wie vom Komponisten Wagner zu erwarten - ja... da wird man etwas enttäuscht... aber ok, die Schriften werden ja auch nirgendwo dem Publikum zugemutet)

Dieter Borchmeyer: das Theater Richard Wagners (da ist ein Kapitel über Wagners Verhältnis zur antiken Tragödie drin)

Udo Bermbach: der Wahn des Gesamtkunstwerks (auch da gibt´s was zu deiner Frage, wenn ich mich richtig erinnere)
 
zwar nicht speziell diesem Thema gewidmet, aber immerhin ein schöner Aufsatz über die konventionellen Opernchöre im Lohengrin findet sich in:
Egon Voss: Wagner und kein Ende

eher zweifelhaft als Lektüre aus quasi rezeptionsgeschichtlichen Gründen ist hierzu:
Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution (1848 ?)
(man neigt dazu, vom Schriftsteller Wagner ähnliches wie vom Komponisten Wagner zu erwarten - ja... da wird man etwas enttäuscht... aber ok, die Schriften werden ja auch nirgendwo dem Publikum zugemutet)

Dieter Borchmeyer: das Theater Richard Wagners (da ist ein Kapitel über Wagners Verhältnis zur antiken Tragödie drin)

Udo Bermbach: der Wahn des Gesamtkunstwerks (auch da gibt´s was zu deiner Frage, wenn ich mich richtig erinnere)

Lieber Rolf,

besten Dank! So ein Mist, daß morgen das Sommersemester anfängt, jetzt wo ich so viel zu lesen hätte! ;)

Herzliche Grüße,

Friedrich
 
Parzival

Wer im Südwesten wohnt und sich für den literaturgeschichtlichen Hintergrund von Wagners Parzival interessiert, der interessiert sich sicher auch für folgende Tagungsankündigung (man muß ja nicht jeden Vortrag mitnehmen...).

Schöne Grüße,

Friedrich


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Wolfram von Eschenbach-Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit der
Mediävistischen Abteilung des Deutschen Seminars der Universität
Tübingen

19.09.2012-23.09.2012, Tübingen
Deadline: 15.05.2012

Tagung der Wolfram von Eschenbach-Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit
mit der Mediävistischen Abteilung des Deutschen Seminars der Universität
Tübingen.

Das Anmeldeformular zur Tagung finden Sie zum Download auf der Homepage
der Gesellschaft.

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Mittwoch, 19. September 2012

14.30 Tübingen Stadtführung (Treffpunkt: Stiftskirche, Holzmarkt)

17.00 Großer Senat der Universität, Neue Aula, Wilhemstr. 7
(Geschwister-Scholl-Platz)

Tagungseröffnung, Prof. Dr. Klaus Ridder (Tübingen)
Diskussionsleitung: Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter (Tübingen)

17.30 Eröffnungsvortrag, Prof. Dr. Jan-Dirk Müller (München): "Percevals
Fragen - oder: ein 'Parzival' ohne Mitleidsfrage?"

18.10 Diskussion

18.30 Kleiner Senat der Universität, Neue Aula, Wilhemstr. 7
(Geschwister-Scholl-Platz)

Empfang


I. Der Parzival-Stoff im europäischen Kontext

Donnerstag, 20. September 2012
Ort: Brechtbau, Wilhelmstr. 50, Raum 027

Diskussionsleitung: Dr. Martin Jones (London)

09.00 Dr. Marjolein Hogenbirk (Amsterdam): "Der Parzivalstoff im
niederländischen Kontext"

09.40 Diskussion

10.00 Kaffeepause

10.30 Prof. Dr. Susanne Kramarz-Bein (Münster): "Die altnorwegische
Parcevals Saga im Kontext der königlich-norwegischen Kulturpolitik des
13. Jahrhunderts"

11.10 Diskussion

11.30 Prof. Dr. Jörg O. Fichte (Tübingen): "Das Andere (Hexen, Heiden,
Riesen) in 'Sir Perceval of Galles' - Anmerkungen zu einer
mittelenglischen Version des Parzival-Stoffes"

12.10 Diskussion

II. Übersetzen und Transformieren: Chrétien und Wolfram

Diskussionsleitung: PD Dr. Susanne Friede (Göttingen)

14.00 Prof. Dr. Michelle Szkilnik (Paris III): "Décalage et excentricité
dans le 'Conte du Graal' et dans 'Parzival'"

14.40 Diskussion

15.00 Prof. Dr. Ricarda Bauschke (Düsseldorf): "Chrétien und Wolfram.
Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und
Narrationskunst"

15.40 Diskussion

16.00 Kaffeepause

Diskussionsleitung: Prof. Dr. René Pérennec (Tours)

16.30 Dr. Annie Combes (Liège/Nantes): "Les 'Continuations' du 'Conte du
Graal' et 'Parzival' (réception, transformation, création...)"

17.10 Diskussion

17.30 M.A. Astrid Bußmann und Dr. Britta Bußmann (Erlangen/Tübingen):
"Die Fortsetzung als Bewältigung des Rätsels. Analytisches Erzählen in
Wolframs 'Parzival' und Chrétiens 'Perceval'"

18.10 Diskussion

Freitag, 21. September 2012
Ort: Brechtbau, Wilhelmstr. 50, Raum 027

09.00 Prof. Dr. Fritz Peter Knapp (Heidelberg/Wien): "Die
literarhistorischen Positionen der hochmittelalterlichen
Parzivaldichtungen im Vergleich"

09.40 Diskussion

10.00 Kaffeepause

III. Religion und Wissen: Faszinationskerne des Erzählens

Diskussionsleitung: Dr. Christiane Ackermann (Tübingen)

10.30 PD Dr. Martin Baisch (FU Berlin): "Ästhetisierung und
Unverfügbarkeit. Strategien der Inszenierung von Wissen bei Wolfram und
Chrétien"

11.10 Diskussion

11.30 Prof. Dr. Elisabeth Lienert (Bremen): "Können Helden lernen?
Wissen und Subjektkonstitution in europäischen Parzivalromanen"

12.10 Diskussion

IV. Narration und Komik: Prinzipien des Erzählens

Diskussionsleitung: Prof. Dr. John Greenfield (Porto)

14.00 Prof. Dr. Rüdiger Schnell (Basel/Tübingen): "Narration und
Emotion. Zur narrativen Funktion von Emotionsdarstellungen in Chrétiens
'Perceval' und Wolframs 'Parzival'"

14.40 Diskussion

15.00 Prof. Dr. Elke Brüggen (Bonn): "Irisierendes Erzählen. Zur
Figurengestaltung in Wolframs 'Parzival'"

15.40 Diskussion

16.00 Kaffeepause

Diskussionsleitung: Prof. Dr. Victor Millet (Santiago de Compostela)

16.30 Dr. Sandra Linden (Tübingen): "Frau Aventiure schweigt. Die
Funktion der Personifikationen für die erzählerische Emanzipation von
der Vorlage in Wolframs 'Parzival'"

17.10 Diskussion

17.30 Prof. Dr. Sonja Glauch (Erlangen): "sol ich den munt mit spotte
zern (Pz. 144,3): Eine Miniatur zu Wolframs poetologischer
Selbstvergewisserung im Zeichen des Spottes"

18.10 Diskussion

Samstag, 22. September 2012
Ort: Brechtbau, Wilhelmstr. 50, Raum 027

Diskussionsleitung: Prof. Dr. Friedrich Wolfzettel (Gießen)

09.00 PD Dr. Hans Rudolf Velten (FU Berlin): "Rituelle und parasitäre
Komik. Zu Erzählstrategien des Scherzhaften in Chrétiens 'Le Conte du
Graal' und Wolframs 'Parzival'"

09.40 Diskussion

10.00 Kaffeepause

V. Überlieferung und Edition

10.30 Prof. Dr. Michael Stolz (Bern): "Die Chrétien- und
Wolfram-Überlieferung des Perceval-/Parzival-Romans und ihre editorische
Erschließung"

11.10 Diskussion

VI. Rezipieren und Aktualisieren

11.30 Prof. Dr. Stephanie Wodianka (Rostock): "Perceval franco-allemand:
Gedächtnisgestörter und Gedächtnisgarant. Ein Mythos der
Jahrtausendwende"

12.10 Diskussion

15.00 Exkursion: Schloss und Kloster Bebenhausen

19.00 Gemeinsames Abendessen in Tübingen

Sonntag, 23. September 2012

Abreise

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Klaus Ridder

Lehrstuhl Prof. Dr. Klaus Ridder*-*Lehrstuhl Prof. Dr. Klaus Ridder
 
Wie könnte ich denn finden, wo sich W. über griechische Tragödie und den Chor äußert?

Fühl Dich bitte nicht zu einer umgehenden Antwort genötigt [...]

Lieber Friedrich,

bin tatsächlich in Eile, aber soviel:

Zitat von Richard Wagner:
Der Chor der griechischen Tragödie hat seine gefühlsnotwendige Bedeutung
für das Drama im modernen Orchester allein zurückgelassen, um in ihm,
frei von aller Bewegung, zu unermeßlich mannigfaltiger Kundgebung sich
zu entwickeln; seine reale, individuell menschliche Erscheinung ist dafür
aus der Orchestra hinauf auf die Bühne versetzt, um den im griechischen
Chore liegenden Keim seiner menschlichen Individualität zu höchster
selbständiger Blüte, als unmittelbar handelnder und leidender Teilnehmer
des Dramas selbst zu entfalten.

aus: Oper und Drama, Gesammelte Schriften und Dichtungen in zehn Bänden
Hsrg.: Wolfgang Golther, Berlin/Leipzig o.J., Bd.4, S.190 f.

Sowohl das Orchester als auch handelnde Personen auf der Bühne
übernehmen in Wagners Musikdrama Chorfunktion.

Fortsetzung folgt, herzliche Grüße

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Immer noch in Eile, hab den Text gerade im Netz gefunden, so daß
Du das Zitat/den Schlüsselsatz im Zusammenhang lesen kannst:

S.145 = III.Teil, Seite 44


.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Hier die Fortsetzung: Der nächste Schlüsseltext findet sich
in einer Tagebuchnotiz Cosimas vom 29.September 1871:

Zitat von Cosima Wagner:
"Ich habe einen griechischen Chor komponiert", ruft mir am Morgen
R. zu, "aber ein Chor, der gleichsam vom Orchester gesungen wird;
nach Siegfried's Tod, während des Scenenwechsels, es wird das
Siegmund-Thema erklingen, als ob der Chor sagte, er war sein Vater,
dann das Schwertmotiv, endlich sein eigenes Thema, da geht der Vorhang auf,
Gutrune tritt auf, sie glaubt, sein Horn vernommen zu haben; wie könnten
jemals Worte den Eindruck machen, den diese ernsten Themen neugebildet
hervorrufen, dabei drückt die Musik stets die unmittelbare Gegenwart aus."

aus: Cosima Wagner, Die Tagebücher, Hrsg.: Martin Gregor-Dellin/Dietrich Mack,
München 1976, Bd.1, S.444

- eine Beschreibung des Orchesterzwischenspiels vor der Schlußszene
der "Götterdämmerung", das oft und fälschlicherweise als Trauermarsch
bezeichnet wird, und des Beginns dieser letzten Szene.

Leider ruft mich schon wieder die Pflicht. Rest folgt heute nacht.

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
da finden sich noch andere hübsche Stellen:
Um die öde Szene um den Ariensänger herum zu beleben, hat man das Volk, dem man seine Melodie
abgenommen hatte, selbst endlich auf die Bühne gebracht; aber natürlich konnte das nicht das Volk sein, das
jene Weise erfand, sondern die gelehrig abgerichtete Masse, die nun nach dem Takte der Opernarie hin- und
hermarschierte. Nicht das Volk brauchte man, sondern die Masse, d. h. den materiellen Überrest von dem
Volke, dem man den Lebensgeist ausgesaugt hatte. Der massenhafte Chor unserer modernen Oper ist
nichts anderes als die zum Gehen und Singen gebrachte Dekorationsmaschinerie des Theaters, der stumme
Prunk der Kulissen in bewegungsvollen Lärmen umgesetzt. »Prinz und Prinzessin« hatten mit dem besten
Willen nichts mehr zu sagen als ihre tausendmal gehörten Schnörkelarien: man suchte das Thema endlich
dadurch zu variieren, daß das ganze Theater von der Kulisse bis zum verhundertfachten Choristen diese Arie
mitsang, und zwar  je höher die Wirkung steigen soll  gar nicht einmal mehr vielstimmig, sondern im
wirklichen tobenden Einklange. In dem heutzutage so berühmt gewordenen »Unisono« enthüllt sich ganz
ersichtlich der eigentliche Kern der Absicht der Massenanwendung, und im Sinne der Oper hören wir ganz
richtig die Massen »emanzipiert«, wenn wir sie, wie in den berühmtesten Stellen der berühmtesten modernen
Opern, die alte, abgedroschene Arie im hundertstimmigen Einklange vortragen hören. So hat unser heutiger
Staat die Masse ebenfalls emanzipiert, wenn er sie in Soldatenuniform bataillonsweise aufmarschieren, links
und rechts schwenken, schultern und präsentieren läßt: wenn die Meyerbeerschen »Hugenotten« sich zu
ihrer höchsten Spitze erheben, hören wir an ihnen, was wir an einem preußischen Gardebataillon sehen.
Deutsche Kritiker nennens  wie gesagt  Emanzipation der Massen. 
:D:D manchmal konnte der Richard hübsch schreiben

Der Oper war aus dem Gebiete der absoluten Musik ein ungeheurer Zuwachs an Mitteln des
mannigfaltigsten Ausdruckes durch das moderne Orchester zugeführt worden, das  im Sinne des
Opernkomponisten  nun selbst sich »dramatisch« zu gebärden abgerichtet war. Zuvor war das Orchester nie
etwas anderes als der harmonische und rhythmische Träger der Opernmelodie gewesen: mochte es in dieser
Stellung noch so reich und üppig ausgestattet worden sein, immer blieb es dieser Melodie untergeordnet,
und wo es zur unmittelbaren Teilnahme an dieser Melodie, zu ihrem Vortrage selbst gelangte, diente es doch
gerade immer nur eben dazu, diese Melodie, als unbedingte Herrscherin, durch gleichsam prachtvollste
Ausstattung ihres Hofstaates desto glänzender und stolzer erscheinen zu lassen. Alles, was zur notwendigen
Begleitung der dramatischen Handlung gehörte, wurde für das Orchester dem Gebiete des Ballets und der
Pantomime entnommen, auf welchem sich der melodische Ausdruck ganz nach den gleichen Gesetzen aus
der Volkstanzweise entwickelt hatte wie die Opernarie aus der Volksliedweise. Wie diese Weise dem
willkürlichen Belieben des Sängers und endlich des erfindungssüchtigen Komponisten, so hatte jene dem
des Tänzers und Pantomimikers ihre Verzierung und Ausbildung zu verdanken gehabt: in beiden war aber
unmöglich die Wurzel ihres Wesens anzutasten gewesen, weil diese außerhalb des Opernkunstbodens, den
Faktoren der Oper unerkenntlich und unzugänglich stand, und dieses Wesen sprach sich in der scharf
gezeichneten melismatischen und rhythmischen Form aus, deren Äußerlichkeit die Komponisten wohl
variieren, deren Linien sie aber nie verwischen durften, ohne gänzlich anhaltslos im allerunbestimmtesten
Ausdruckschaos dahinzuschwimmen. So war die Pantomime selbst von der Tanzmelodie beherrscht worden;
der Pantomimiker konnte nichts durch Gebärden für ausdrucksmöglich halten, als was die an strenge
rhythmische und melismatische Konvenienzen gefesselte Tanzmelodie irgendwie entsprechend zu begleiten
imstande war: er blieb streng gebunden, seine Bewegungen und Gebärden, und somit das durch sie
Auszudrückende, nur nach dem Vermögen der Musik abzumessen, sich und sein eigenes Vermögen nach
diesem zu modeln und stereotypisch festzusetzen  ganz wie in der Oper der singende Darsteller sein
eigenes dramatisches Vermögen nach dem Vermögen des stereotypen Arienausdruckes temperieren, und
sein eigenes, nach der Natur der Sache in Wahrheit eigentlich zum Gesetzgeben berechtigtes Vermögen
unentwickelt lassen mußte.

.....und gar:
Man hat die italienische Opernmusik sehr treffend eine Lustdirne genannt. Eine Buhlerin kann sich rühmen,
immer sie selbst zu bleiben; sie gerät nie außer sich, sie opfert sich nie, außer wenn sie selbst Lust
empfinden oder einen Vorteil gewinnen will, und für diesen Fall bietet sie nur den Teil ihres Wesens fremdem
Genusse dar, über den sie mit Leichtigkeit verfügen kann, weil er ihr ein Gegenstand ihrer Willkür geworden
ist. Bei der Liebesumarmung der Buhlerin ist nicht das Weib gegenwärtig, sondern nur ein Teil seines
sinnlichen Organismus: sie empfängt in der Liebe nicht Individualität, sondern sie gibt sich ganz generell
wiederum an das Generelle hin. So ist die Buhlerin ein unentwickeltes, verwahrlostes Weib  aber sie übt
doch wenigstens sinnliche Funktionen des weiblichen Geschlechtes aus, an denen wir das Weib noch  wenn
auch mit Bedauern  zu erkennen vermögen.
Die französische Opernmusik gilt mit Recht als Kokette. Die Kokette reizt es, bewundert, ja gar geliebt zu
werden: die ihr eigentümliche Freude am Bewundert- und Geliebtsein kann sie aber nur genießen, wenn sie
selbst weder in Bewunderung noch gar in Liebe für den Gegenstand, dem sie beides einflößt, befangen ist.
Der Gewinn, den sie sucht, ist die Freude über sich selbst, die Befriedigung der Eitelkeit: daß sie bewundert
und geliebt wird, ist der Genuß ihres Lebens, der augenblicklich ihr getrübt wäre, sobald sie selbst
Bewunderung oder Liebe empfände. Liebte sie selbst, so wäre sie ihres Selbstgenusses beraubt, denn in der
Liebe muß sie notwendig sich selbst vergessen, und dem schmerzlichen, oft selbstmörderischen Genusse
des anderen sich hingeben. Vor nichts hütet sich daher die Kokette so sehr als vor der Liebe, um das
einzige, was sie liebt, unberührt zu erhalten, nämlich sich selbst, d. h. das Wesen, das seine verführerische
Kraft, seine angeübte Individualität, doch erst der Liebesannäherung des Mannes entnimmt, dem sie  die
Kokette  sein Eigentum somit zurückhält. Die Kokette lebt daher vom diebischen Egoismus, und ihre
Lebenskraft ist frostige Kälte. In ihr ist die Natur des Weibes zu ihrem widerlichen Gegenteile verkehrt und
von ihrem kalten Lächeln, das uns nur unser verzerrtes Bild zurückspiegelt, wenden wir uns wohl in
Verzweiflung zur italienischen Lustdirne hin.
Aber noch einen Typus entarteter Frauen gibt es, der uns gar mit widerwärtigem Grauen erfüllt: das ist die
Prüde, als welche uns die sogenannte »deutsche« Opernmusik gelten muß.  Der Buhlerin mag es
begegnen, daß in ihr für den umarmenden Jüngling plötzlich die Opferglut der Liebe aufschlägt  gedenken
wir des Gottes und der Bajadere! ; der Kokette mag es sich ereignen, daß sie, die immer mit der Liebe spielt,
in diesem Spiele sich eng verstrickt und trotz aller Gegenwehr der Eitelkeit sich von dem Netze gefangen
sieht, in dem sie nun weinend den Verlust ihres Willens beklagt. Nie aber wird dem Weibe dieses schöne
Menschliche begegnen, das ihre Unbeflecktheit mit orthodoxem Glaubensfanatismus bewacht  dem Weibe,
dessen Tugend grundsätzlich in der Lieblosigkeit besteht. Die Prüde ist nach den Regeln des Anstandes
erzogen, und hat das Wort »Liebe« von Jugend auf nur mit scheuer Verlegenheit aussprechen gehört. Sie
tritt, das Herz voll Dogma, in die Welt, blickt scheu um sich, gewahrt die Buhlerin und die Kokette, schlägt an
die fromme Brust und ruft: »ich danke dir, Herr, daß ich nicht bin wie diese!«  Ihre Lebenskraft ist der
Anstand, ihr einziger Wille die Verneinung der Liebe, die sie nicht anders kennt als in dem Wesen der
Buhlerin und Kokette. Ihre Tugend ist die Vermeidung des Lasters, ihr Wirken die Unfruchtbarkeit, ihre Seele
impertinenter Hochmut.  Und wie nahe ist gerade dieses Weib dem allerekelhaftesten Falle! In ihrem
bigotten Herzen regt sich nie die Liebe, in ihrem sorgsam versteckten Fleische wohl aber gemeine
Sinnenlust. Wir kennen die Konventikel der Frommen und die ehrenwerten Städte, in denen die Blume der
Muckerei erblühte! Wir haben die Prüde in jedes Laster der französischen und italienischen Schwester
verfallen sehen, nur noch mit dem Laster der Heuchelei befleckt und leider ohne alle Originalität! 
Wenden wir uns ab von diesem abscheulichen Anblicke [...]
 
Lieber Friedrich,

Cosimas Tagebuchnotiz beschreibt anschaulich die kommentierende und reflektierende Funktion
des Orchesters als Chorersatz (im auskomponierten Nekrolog auf Siegfried). Korrekturbedürftig ist
daran nur "[...] drückt die Musik stets die unmittelbare Gegenwart aus." Wagners orchestraler Chor
setzt vorallem Vergangenes in Beziehung zur Gegenwart der Opernhandlung. Manchmal antizipiert er
das Zukünftige.

Aus dem ersten Zitat ("Oper und Drama") geht hervor, daß in Wagners Vorstellung das Orchester,
anders als oft in der Sekundärliteratur dargestellt, nur einen Teil der Chorfunktion übernimmt;
der andere Teil ist den Acteuren auf der Bühne zugedacht.

Bei Deinem nächsten Gang in die UB unbedingt ausleihen:

Manuel Baumbach (Hrsg.), Tradita et Inventa. Beiträge zur Rezeption der Antike,
Heidelberg 2000

Darin findest Du den Aufsatz von Mischa Meier:

"Chöre und Leitmotive in den Bühnenwerken Richard Wagners. Von der griechischen
Tragödie zum Musikdrama"
.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Gomez,

da du es nun mal so geäußert hast, wäre es schön, wenn du noch erklären wolltest, inwiefern Wagner als Opernkomponist ein Eklektiker war - welche Opernkomponisten des 19. Jh. sind denn deiner Meinung nach Eklektiker und welche nicht?

Ich gestehe, dass mich dieses Ettikett etwas ratlos macht: den Zeitgenossen Wagner, und darunter waren sicher nicht nur Esel, erschienen nicht nur seine Musikdramen, sondern sogar schon die "romantischen Opern" Tannhäuser und Lohengrin als sehr innovativ; wenn ich richtig informiert bin, so hielt man die Musikdramen Wagners auch in den Folgegenerationen eher für innovativ als für eklektisch.
 
lieber Gomez,
verstehe ich dich richtig? Sind alle Opernkomponisten des 19. Jh. deiner kundigen Ansicht nach Eklektiker? ;)
 
Ich bin kein Opernspezialist. Ich kann nur sagen: Wagner war ein Eklektiker,
und die musikalischen und musikdramatischen Quellen, aus denen er seine Anregungen
bezogen hat, sind hinlänglich bekannt.



ach Gomez...
dir hat es behagt, pauschal den Wagner als Eklektiker zu bezeichnen - und jetzt frag ich schon mehrmals nach, wie du das meinst: wie wär´s denn mal mit antworten? Worin besteht deiner Ansicht nach der Eklektizismus bei Wagner (die musikal. Form? die Harmonik? oder die Libretti?) und welcher Opernkomponist des 19. Jh. ist kein solcher Eklektiker wie Wagner?
 

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