Mitbewohner will Klavier lernen / suche nach Anfängernoten

Chiarina, was ist denn Deine professionelle Meinung: Ist so ein Kurs verschwendete Zeit? Ist man danach "versaut" oder kann man evtl. gut darauf aufbauen? Gibt es im realen Leben nicht auch weniger begabte Lehrer, die es nicht so gut machen wie Du und gleiche oder ähnliche Mängel vorweisen, wie der Kurs? Oder ist ein entsprechendes Studium eine Garantie für guten Unterricht?

Lieber Peter,

ich kann das nicht pauschal sagen. Vorab möchte ich drei links posten, die sich mit dem Zugang zum Klavier spielen als Autodidakt beschäftigen:

https://www.clavio.de/forum/klavierspielen-klavierueben/14778-klavier-selbst-beibringen.html

https://www.clavio.de/forum/forum-fuer-anfaengerfragen/12640-suche-autodidakten.html

und hier ein sehr schöner Erfahrungsbericht eines Forumsmitglieds:

https://www.clavio.de/forum/klavierspielen-klavierueben/14497-erfahrungsbericht.html

Aus diesen Berichten geht hervor, wie unterschiedlich und individuell die Bedürfnisse von Menschen sind, auch im Hinblick auf das Klavier spielen. Das macht es so spannend, mit ihnen zu arbeiten. Auch der Lernprozess und die Entwicklung der Persönlichkeit sind vollkommen unterschiedlich. Deshalb kann für den einen richtig sein, autodidaktisch zu lernen, für den anderen, ab und zu mal Klavierunterricht zu nehmen, für wieder andere, regelmäßigen Unterricht zu nehmen. All dies kann man in unterschiedlicher Qualität tun - es gibt Autodidakten, die sehr gut geworden sind, es gibt Schüler mit regelmäßigem Unterricht, der nicht gut ist und bei dem man nicht vorankommt. Du hast es ja selbst erlebt. Nicht immer ist auch die objektive Qualität eine subjektive und umgekehrt. Der eine zieht vielleicht seine innere Befriedigung aus dem eigenen Tun, ohne dass das eigene Spiel objektiven qualitativen Maßstäben genügen würde.

Deshalb kann ich nicht sagen, was für wen gut ist. Ich kann nur aus meiner ganz persönlichen Sicht sprechen. Und aus der heraus würde ich als Autodidakt nicht mit diesen Kursen arbeiten. Ich habe ja schon gepostet, was ich als Autodidakt machen würde.

Dazu ein schönes Zitat:

"Der Jazz-Pianist WOLFGANG DAUNER berichtet z.B. über sich und seine
Musiker-Kollegen, wie die Schallplatte für sie zum entscheidenden Lern-Medium
wurde:
"Die meisten von uns waren Autodidakten. Das heißt, ich habe zwar ganz klassisch Klavier gelernt, aber von Jazz hat mir niemand was gesagt, ich habe mir
alles aus den Platten rausgeschrieben!" (Keyboards 1/1995, 26)
Auch CHICK COREA bezeichnet im folgenden Ausschnitt aus einem Interview diejenigen Musiker als seine Lehrer, deren Schallplatten er hörte:
"Später [...] waren in erster Linie Musiker meine Lehrer, denen ich auf Schallplatte zuhörte. Man sollte diese Phase in der musikalischen Entwicklung nicht
unterschätzen. Aufnahmen kann man immer und immer wieder anhören und
dabei analysieren." (Keyboards 7/1986, 23)"


Das ist das, was ich meinte, von den Allerbesten zu lernen.

Aus meiner Sicht heraus sehe ich den Klavierkurs, so weit ich ihn hier nach den Gratis-Angeboten beurteilen kann, als ungeeignet, um wirklich Klavier spielen zu lernen (Grundkenntnisse/stabile Basis). Es besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dass man klanglich und technisch sich über ein Jahr sehr ungünstige Herangehensweisen angewöhnt, wozu auch Verkrampfungen zählen. Es ist unglaublich mühsam für Schüler, Schlechtes wieder zu "verlernen" (Nica würde jetzt sagen, dass das gar nicht geht, weil man nur etwas neu lernen kann - genau das ist der Grund, wieso so etwas den Schüler so viel Disziplin und Durchhaltevermögen kostet). Ein Jahr ist schon lang.

Grundkenntnisse beim Klavier spielen zu erwerben, heißt, dass man auf diesen aufbauen kann. Um mit einem Bild zu sprechen: es sollte ein gutes Fundament gebaut werden, dass man nicht wieder abreißen muss, um ein gutes Haus zu bauen.

Da finde ich die Sofort-Kurse besser, mal abgesehen von den Vereinfachungen. Die Hörbeispiele klingen bis auf den Flohwalzer und New Here viel besser als bei dem anderen Kurs, der Kurs richtet sich an Ungeduldige, die einfach mal ins Klavierspielen einsteigen und ein paar Stücke spielen wollen. Verpackung und Inhalt stimmen da viel mehr. Es kann schon sein, dass über diesen Einstieg ein echtes, weitergehendes Interesse geweckt wird. Natürlich ist ein Problem, dass die Stücke beim Schüler in der Regel nicht so klingen werden wie beim Hörbeispiel (ich frage mich auch, wie man da das für das 'Im Mondenschein' nötige Pedal erlernen soll) und visuell abgeguckt werden, aber vielleicht ist das manchen Interessenten egal.

Jedem also gern das Seine, wie es so schön heißt, aber wenn man mich unter klavierpädagogischen Gesichtspunkten fragt, kann ich diese Kurse nicht empfehlen.

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Troubadix, Friedrich und PP - ihr seid echt süß!!! :kuss: :oops: :)
 
"Der Jazz-Pianist WOLFGANG DAUNER berichtet z.B. über sich und seine
Musiker-Kollegen, wie die Schallplatte für sie zum entscheidenden Lern-Medium
wurde:
"Die meisten von uns waren Autodidakten. Das heißt, ich habe zwar ganz klassisch Klavier gelernt, aber von Jazz hat mir niemand was gesagt, ich habe mir
alles aus den Platten rausgeschrieben!" (Keyboards 1/1995, 26)
Auch CHICK COREA bezeichnet im folgenden Ausschnitt aus einem Interview diejenigen Musiker als seine Lehrer, deren Schallplatten er hörte:
"Später [...] waren in erster Linie Musiker meine Lehrer, denen ich auf Schallplatte zuhörte. Man sollte diese Phase in der musikalischen Entwicklung nicht
unterschätzen. Aufnahmen kann man immer und immer wieder anhören und
dabei analysieren." (Keyboards 7/1986, 23)"

Zufälligerweise war ich mal in Dauners Haus in Stuttgart, als seine Tochter Geburtstag hatte; da ein Freund von mir wiederum mit ihr befreundet war, gleichzeitg auch mit Anne Haigis in einer WG gewohnt hat.

Ich muss sagen, die Tochter von Dauner hat eine zeitlang auf dem Klavier improvisiert, war toll. Ich hab mich nicht getraut, die 12. ungarische Rhapsodie von Liszt runterzuhämmern. Hätte auch nicht gepasst. Dauner hat auch mal kurz nach dem Rechten geschaut.

Ausserdem, ein guter Freund von mir, Schwager von Deuter, spielt Klavier, da würden manche hier was geben es auch so zu können. Er kann übrigens keine Noten lesen und macht Alles nach Gefühl und Gehör. Mal auf meine Frage, warum er es nicht öffentlich macht, Keith Jarreth wär auch nicht besser, war seine Antwort, wie soll das gehen, es ist eine Meditation.

Was mich anbelangt, ich habe konventinell Klavier gelernt. Ich stehe auf Bach, Beethoven, Chopin, Liszt usw. Aber ich habe grossen Respekt vor Leuten die es auf andere Weise gelernt haben.
 
Was mich anbelangt, ich habe konventinell Klavier gelernt. Ich stehe auf Bach, Beethoven, Chopin, Liszt usw. Aber ich habe grossen Respekt vor Leuten die es auf andere Weise gelernt haben.

Lieber Rudl,

ich auch! So weit ich weiß, konnte Pavarotti auch keine Noten lesen. Ich möchte nur noch einmal betonen, dass die Beschäftigung mit dem Klavierspielen als Autodidakt etwas völlig anderes ist als solch einen Kurs zu machen und natürlich auch nicht ausschließt, Noten lesen zu können. pppetc hatte es in den verlinkten Fäden beschrieben:

Was hat autodidaktisches Lernen mit einem Online-Kurs zu tun?
(...)
Ich seh es allerdings genau andersrum: Ich glaube, daß die Ausnahmen die
Regeln aufstellen, an denen man sich orientieren sollte - wenn überhaupt von
"festen Regeln" gesprochen werden kann. Das jedenfalls habe ich auf dem Wege
meiner autodidaktischen Studien gelernt. Und die Menschen, denen ich dabei
begegnet bin, haben es durch die Bank alle so gemacht: selbst gearbeitet.
Und viel, sehr sehr viel.

Und man sollte sich darüber klar sein, dass einem bei mangelnden Notenkenntnissen die Grundlage jeglichen interpretatorischen Arbeitens an den Stücken der Komponisten unserer klassischen Musikkultur verwehrt bleibt: die Arbeit mit dem Notentext!

Noch was anderes: lieber Rudl, warum hast du das geschrieben:

Alles lächerlich hier. Der reinste Konkurrenzneid von selbsternannten Gurus.

Ich finde das verletzend.

Liebe Grüße

chiarina
 
Wollte nur mal anmerken, daß man, wenn man nach irgendwelchen "Kursen" oder Youtube-Videos / -Tutorials lernt, KEIN Autodidakt ist.

Man hat ja Unterricht, nur halt schlechten und vor allem rückmeldungslosen.

Richtige Autodidakten gehen forschend-probierend-furchtlos an die Sache heran und sammeln sich aus jeder verfügbaren Quelle Informationen zusammen. Das ist nur was für Intelligente, die an der Sache wirklich einen Narren gefressen haben. Nichts hingegen für "casual" Freizeit-Klimperer, und schon gar nichts für die "eigentlich bin ich ja untalentiert" - "huuuu, das ist aber kompliziert, nee, das krieg ich nie hin" - "an sich bin ich ja schon zu alt" - Klientel, die womöglich zudem Tiersens "Amelie", gespielt auf einem Digi, tatsächlich als Traum-Lernziel hat.

Ich kann im übrigen diese Versuche Ahnungsloser, dieses pseudo-autodidaktische Rumgewurstele auch noch mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten zu rechtfertigen, nicht mehr hören. Der wirkliche Grund ist doch immer lediglich, daß man entweder das Geld nicht ausgeben will oder den Aufwand (Fahrt zum Lehrer, regelmäßiges Üben etc.) scheut. Peng, aus.

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
dass das Erlernen eines Instrumentes schlicht und ergreifend jahrelanges, möglichst tägliches Üben erfordert. Dass es neben dieser Bereitschaft seitens des Schülers einen Lehrer braucht, den man wöchentlich mindestens 60 Min aufsuchen sollte.
Das sind doch einfache Wahrheiten,


Götz: -- Löse meine Seele nun. -- Arme Frau. Ich lasse dich in einer verderbten Welt. --
Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Thore. Es kommen die Zeiten des Betrugs, es
ist ihm Freyheit gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird
in ihre Netze fallen. -- Gebt mir einen Trunk Wasser. -- Himmlische Luft. -- Freyheit! Freyheit!
(er stirbt.)
 
Endlich meldet sich Hasi auch mal mit dem lang vermissten "Peng Aus". :)
Wollte nur mal anmerken, daß man, wenn man nach irgendwelchen "Kursen" oder Youtube-Videos / -Tutorials lernt, KEIN Autodidakt ist.
Damit bringst Du für mich die unterschiedlichen Standpunkte und Blickwinkel auf den Punkt. Bisher waren für mich alle möglichen Arten von Onlinekursen (ich sehe sie als Selbstlernkurse) Teil von autodidaktischer Ausbildung, gerade wegen des Fehlen eines Lehrers. Irgend wie habe ich gedacht, dass das jeder so sieht. Mit Blick auf vollständigen Unterricht allerdings würde ich einen Großteil meiner bisher dargebrachten Meinung revidieren.
...und sammeln sich aus jeder verfügbaren Quelle Informationen zusammen
So ein Kurs kann ja auch eine dieser Quellen sein.

Man könnte jetzt noch streiten, ab wann man kein Autodidakt mehr ist bzw. was als Unterricht zählt und was nicht. Für mich bedeutet Unterricht Lehrer/Schüler-Dialog. Alles andere habe ich bisher als autodidaktisch eingestuft.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Nein, man kann nicht streiten. Die Sache ist eindeutig.

Sobald man von außen didaktische oder methodische Hinweise erhält, ist man in dem Moment nicht Autodidakt. (Keiner ist ja immer Autodidakt oder immer Unterrichtnehmer, die Anteile sind bei jedem unterschiedlich.)

Das heißt, sobald einem ein Lehrer oder ein Online-Tutorial sagen: Hier, Kleiner, paß mal gut auf, am besten übst / lernst Du jetzt mal das und das (z.B. ein bestimmtes Stück oder eine bestimmte Übung -> Didaktik), oder sobald einem ein Lehrer oder Online-Tutorial z.B. sagen: Hier gehst Du am besten so und so vor (-> Methodik), ist man KEIN Autodidakt.

Autodidakt ist man NUR, wenn man den reinen "Stoff" (Instrument, Noten, Aufnahmen, Sach-Infos...) vor sich hat und sich daraus alleine herleitet, wie man daraus Musik macht.

LG,
Hasenbein
 
...
a) Das heißt, sobald einem ein Lehrer oder ein Online-Tutorial sagen: Hier, Kleiner, paß mal gut auf, am besten übst / lernst Du jetzt mal das und das (z.B. ein bestimmtes Stück oder eine bestimmte Übung -> Didaktik), oder sobald einem ein Lehrer oder Online-Tutorial z.B. sagen: Hier gehst Du am besten so und so vor (-> Methodik), ist man KEIN Autodidakt.

b) Autodidakt ist man NUR, wenn man den reinen "Stoff" (Instrument, Noten, Aufnahmen, Sach-Infos...) vor sich hat und sich daraus alleine herleitet, wie man daraus Musik macht.

LG,
Hasenbein
a) Wenn mir jemand die Vorgangsweise (wie und in welcher Reihenfolge man etwas macht) erklärt, würde ich das auch Didaktik nennen und nicht Methodik. Als Methodik würde ich bezeichnen, wie man beim Lehren vorgeht, welche Schritte man setzt um das Wissen oder Können zu vermitteln.

b) Das könnte man dann auch Selbstmäeutik nennen.

Gruß cm
 
Zufälligerweise war ich mal in Dauners Haus in Stuttgart, als seine Tochter Geburtstag hatte; da ein Freund von mir wiederum mit ihr befreundet war, gleichzeitg auch mit Anne Haigis in einer WG gewohnt hat.

Ich muss sagen, die Tochter von Dauner hat eine zeitlang auf dem Klavier improvisiert, war toll. Ich hab mich nicht getraut, die 12. ungarische Rhapsodie von Liszt runterzuhämmern. Hätte auch nicht gepasst. Dauner hat auch mal kurz nach dem Rechten geschaut.



Was mich anbelangt, ich habe konventinell Klavier gelernt. Ich stehe auf Bach, Beethoven, Chopin, Liszt usw. Aber ich habe grossen Respekt vor Leuten die es auf andere Weise gelernt haben.

Ich glaube, du hättest ohne Weiteres den Liszt anbringen können. Das Daunersche Haus ist vermutlich ein sehr offenes, musikalisch gesehen.
Von Wolfgang Dauner gibt es eine schöne CD. Da sind drauf Tombeau de Couperin von Ravel und die 3 Gershwin-Préludes.
Als junger Mensch hat Dauner auch einen der 2 Klavier-Parts von Stockhausens Mantra übernommen.
Ich habe auch großen Respekt vor Menschen, die nach Gefühl und Gehör spielen können. Den allergrößten Respekt habe ich vor solchen, die beides haben: Ohren groß wie Wagenräder (bildlich gesprochen) u n d perfekte Lesefähigkeiten.
 

Ich kann im übrigen diese Versuche Ahnungsloser, dieses pseudo-autodidaktische Rumgewurstele auch noch mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten zu rechtfertigen, nicht mehr hören. Der wirkliche Grund ist doch immer lediglich, daß man entweder das Geld nicht ausgeben will oder den Aufwand (Fahrt zum Lehrer, regelmäßiges Üben etc.) scheut. Peng, aus.
Nicht in dieser absolutischten Darstellung. Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die das Selbsterlernen, das Ausprobieren und Tüfteln als Lustgewinn verspürt und daher sich - was auch immer - autodidaktisch erarbeitet. Das sind auch meist die, die als kleine Jungs die Radios zerlegt haben. Wenn sie die dann wieder zusammenkriegen, sind sie angefixt ;-)
 
Richtige Autodidakten gehen forschend-probierend-furchtlos an die Sache heran und sammeln sich aus jeder verfügbaren Quelle Informationen zusammen. Das ist nur was für Intelligente, die an der Sache wirklich einen Narren gefressen haben.

Nee, das ist nur was für Leute mit viel Zeit. Beim autodidaktischen Lernen kommt zu der eigentlichen Übezeit noch die Recherchier-, Rumprobier- und Rausfind-ob-ich-mir-jetzt-wirklich-keinen-Fehler-angewöhn-Zeit. Wenn man einen Beruf hat und dadurch eine täglich verfügbare Übezeit von ca. 30-45 Minuten, kann man sich's abschminken. Leider.

Nichts hingegen für "casual" Freizeit-Klimperer, und schon gar nichts für die "eigentlich bin ich ja untalentiert" - "huuuu, das ist aber kompliziert, nee, das krieg ich nie hin" - "an sich bin ich ja schon zu alt" - Klientel

Was hast Du eigentlich für ein Problem damit? Über das Fettgedruckte hast Du Dich schon öfter mokiert. Erwartest Du allen Ernstes, dass erwachsene Klavierschüler denken "oh, ich bin ja eigentlich total talentiert und supertoll, und nur durch Zufall (oder noch besser: die böse böse Welt, die mich dran gehindert hat) habe ich erst mit 30/40/50 festgestellt, wie toll musikalisch ich bin?"

Talent bedeutet "besondere Leistungsvoraussetzung einer Person in einem bestimmten Gebiet" oder "Begabung, die jemanden zu ungewöhnlichen bzw. überdurchschnittlichen Leistungen auf einem bestimmten, besonders auf künstlerischem Gebiet befähigt". Der entscheidende Punkt dabei ist "besonders, ungewöhnlich, überdurchschnittlich" - per Definition können nur wenige aus einem bestimmten Personenkreis (z.B. Klavierschüler) Talent haben. Wenn plötzlich 50-70% der Klavierschüler als "talentiert" eingestuft würden, dann wäre es per Definition kein Talent mehr, da es dann dem Durchschnitt entsprechen würde.

Es ist also allenfalls ein Zeichen für Realismus, festzustellen, dass man keins hat. Aber diese Form von Realismus ist ja so selten, dass man sich anscheinend dafür rechtfertigen muss. So wie ja auch 80% der Leute zur besseren Hälfte der Autofahrer gehören (illusory superiority) und man selber natürlich in einem Jahr viel mehr lernen wird und am Ende viel besser sein wird als der Durchschnitt (optimism bias)...

Das heißt, sobald einem ein Lehrer oder ein Online-Tutorial sagen: Hier, Kleiner, paß mal gut auf, am besten übst / lernst Du jetzt mal das und das (z.B. ein bestimmtes Stück oder eine bestimmte Übung -> Didaktik), oder sobald einem ein Lehrer oder Online-Tutorial z.B. sagen: Hier gehst Du am besten so und so vor (-> Methodik), ist man KEIN Autodidakt.

Autodidakt ist man NUR, wenn man den reinen "Stoff" (Instrument, Noten, Aufnahmen, Sach-Infos...) vor sich hat und sich daraus alleine herleitet, wie man daraus Musik macht.

Also gibt es in Zeiten des Internets keine Autodidakten mehr :) Da kann man nämlich Listen anschauen, um den Schwierigkeitsgrad von Stücken rauszufinden und sich welche auf dem aktuellen eigenen Level zu suchen, da kann man in Foren nachschauen, welche Stücke für ein Anfängerrepertoire empfohlen werden, da kann man erzählt kriegen, dass man Gehörspiel und Transponieren üben sollte etc etc...
 
Nica, es ist ein Unterschied, ob man sich einbildet, überdurchschnittlich talentiert zu sein, oder ob man denkt, man sei unterdurchschnittlich talentiert (letzteres meinte ich oben).

Es geht nicht darum, festzustellen, wie "toll musikalisch" (also irgendwie überdurchschnittlich / besonders) man ist, sondern darum, festzustellen, daß man durch die bisherige Lebensführung in der Tat versäumt hat wahrzunehmen, daß man die ganz normalen Voraussetzungen hat, um auch mit 30/40/50 noch völlig ok Musikmachen zu lernen.

Aber klar, es gibt immer noch diesen weitverbreiteten Glaubenssatz, daß für ein befriedigendes Musizieren eine besondere Voraussetzung nötig sei, die nur relativ wenigen gegeben ist. (Ist im Zuge des 19. Jahrhunderts ein Massen-Mem geworden; liegt u.a. an der Dämonisierung der Virtuosen und Komponisten.) Dem scheinst Du auch noch erlegen zu sein, Nica.

ist ja auch immer ne gute Ausrede, wenn man es - aus welchen Gründen auch immer, kann ja auch am Lehrer liegen - nicht hinbekommen hat, zweckmäßig und ausreichend zu üben. "Tja, siehste, ich kann's immer noch nicht, das beweist doch, daß ich untalentiert bin."

Und bevor hier wieder aufgrund falschen Verstehens (Verstehenwollens...) Widerspruch kommt: Ja, es gibt Menschen, die besonders talentiert sind, aber von denen reden wir hier nicht. Ich spreche über die ganz breite Masse, deren "Hardwareausstattung" vollkommen genügt, von denen sich aber - u.a. aufgrund obigen Mems - nicht wenige einbilden, ihre Hardwareausstattung reiche eben nicht aus.

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Also wer wirklich (tief drinnen) davon überzeugt ist, er hätte nicht die normalen Voraussetzungen, um einigermaßen akzeptabel Klavier zu lernen, der fängt es auch gar nicht erst an bzw. nimmt keinen Unterricht. Es gibt natürlich Leute, die sich am Anfang nicht sicher sind, ob sie die normalen Voraussetzungen haben, aber das ist was anderes als die Überzeugung, man hätte sie nicht.

Falls Du Schüler hast, die sowas erzählen, dann ist das reine Kokettiererei. Wer wirklich überzeugt ist, etwas nicht lernen zu können, lässt es bleiben.
 
1. Unter Lernen versteht man den Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten.

2. Dies kann aktiv bewusst oder passiv unbewusst geschehen.

3. Passiv unbewusstes Lernen ist bei allen Lebewesen am weitesten verbreitet. Man nennt es wohl Prägung. Dazu gehört (für mich) auch der Erwerb der Muttersprache. Es geschieht durch das simple Eingebettet-Sein in das, was sich im lernenden Lebewesen in seinem Verhalten und Sein durch das Umfeld quasi von selbst abbildet.

4. Aktiv bewusstes Lernen ist (soweit mir bekannt) dem Menschen vorbehalten. Es handelt sich dabei um das willentliche Setzen eines Lernzieles (ob durch den Individualwillen oder durch den Willen der Gesellschaft) und die Realisierung dieses Lernzieles mittels aktiver Verarbeitung und Assimilierung von Informationen.

5. Die Verarbeitung und Assimilierung von Informationen KANN nur vom Lernenden selbst bewerkstelligt werden. INSOFERN ist jeder Lernende Selbstlerner, Autodidakt.

6. Die Informationen bekommt der Lernende
a. durch die Materie selbst, die er "er-lernen" (im Sinne von Er-Klimmen", "Er-Arbeiten" ...) möchte,
b. durch kodierte Abbildungen der Materie (Noten, Spielanweisungen, etc.)
c. durch Lehrer

7. Die intensivste und adäquateste Informationquelle ist die Materie selbst. Nicht-auditive Lernmaterialien und Lehrerwissen sind Wissen aus 2. Hand.

8. Lernen benötigt feedback, welches den Lernenden darüber informiert, ob er adäquat gelernt hat oder nicht, d.h. ob das Assimilierte ein adäquates Bild der zu Assimilierenden Materie darstellt. Solches feedback ist entweder
a. direkt (der Lernende korrigiert sich selbst im direkten Vergleich zwischen dem Assimilierten und dem materialen Orignal mithilfe seiner Sinnesorgane [und da ist in der Musik nur eines zuständig]) oder
b. indirekt durch das Urteil eines Anderen (z.B. eines Lehrers, sozusagen eines "Zeugen")

Aus diesen Zusammenhängen ergeben sich wichtige Fragen:

A. Was ist die musikalische Materie? Musikstücke? Arten sich musikalisch auszudrücken? Die musikalische Ausdrucksfertigkeit an sich?
B. Inwiefern und wann sind Noten neutrale Abbildungen der eigentlichen Materie? Wann sind sie quasi notierte Lehranweisungen? Welche Rolle spielen darin Fingersätze? Ist die Abbildung genauso gut wie das Original?
C. Welche ist im aktiven Lernprozess die ideale Rolle des eventuellen Lehrers, die der Natur der "musikalischen Materie" und dem adäquatesten Lernen am besten entspricht?
etc.

EINES steht fest: Musiklernen ohne Lehrer ist nicht nur möglich, es ist für den Großteil des eigentlichen Lernprozesses unabdingbar. Musiklernen ohne die musikalische Materie und das entsprechende selbständige feedback (wenn man beim Lernen nicht selbst hört und hörend kontrolliert) ist nicht möglich.

LG
 

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