So, hier nun das Interview mit Martin Stadtfeld aus der Rheinzeitung. Vielen Dank an Tosca
Martin Stadtfelds Weg zum Erfolg
In kaum einer Zunft wird derart heftig um die Spitze gekämpft wie bei den Pianisten. Sehr gut Klavier spielen können viele - eine Karriere macht kaum einer. Martin Stadtfeld aus dem Westerwald ist es gelungen. Er berichtet aus den aufregenden Jahren des Aufstiegs.
Oben wird die Luft dünn: Das trifft auf jede Begabung zu, sei es in der Musik, in der Wissenschaft oder im Sport. Doch jede Sparte hat ihre eigenen Gesetze und ihr spezielles Platzangebot für Spitzenleistungen. In der Welt der Klaviervirtuosen ist dieser Platz begrenzt: Unter Tausenden hervorragend ausgebildeter Pianisten schaffen nur wenige den Sprung auf die Konzertbühne, einen Plattenvertrag nennen noch weniger ihr eigen. Der 26-jährige Martin Stadtfeld, geboren in Koblenz und aufgewachsen in Gackenbach im Westerwald, gehört zu dieser kleinen Gruppe. Mit einer Aufnahme von Johann Sebastian Bachs "Goldberg-Variationen" katapultierte er sich über Nacht in die Klassikcharts und auf die Programme wichtiger Festivals. Doch reibungslos wie im Märchen funktionierte auch sein Weg nicht: Im Gespräch erzählt der junge Virtuose vom Weg in die Terminbücher der Konzertveranstalter.
Herr Stadtfeld, von außen ist es wie im Märchen: Mit der ersten CD gleich in die Top Ten, Fernsehauftritte, Liebesbriefe auf der Homepage...
Ja, in den letzten drei Jahren ist unglaublich viel passiert. Dabei haben die Ereignisse für mich eine gewisse Kontinuität: Meilenstein war der Bach-Wettbewerb 2002 in Leipzig, da konnte ich in Fachkreisen auf mich aufmerksam machen.
Sie haben diesen wichtigen Wettbewerb als erster bundesdeutscher Pianist gewonnen. Wie wichtig ist eine solche Marke?
Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen - unsere Klassikszene ist eine sehr kleine Welt. Ich hatte so auf einmal den Status eines Geheimtipps - das ist eine unheimlich gute Eintrittskarte. Dann geht erst mal alles von selbst, man erhält Einladungen, dann kommen die ersten Kritiken, man steht in der FAZ...
Wie sind die Kritiker mit Ihnen am Anfang umgesprungen?
Durchweg sehr wohlwollend. Ich glaube, man hat erst mal eine Art Welpenschutz, und es macht auch den Kritikern Freude, zu beobachten, wenn jemand viel versprechend anfängt und den Durchbruch noch nicht geschafft hat.
Dann kam der nächste Schritt...
Ja, natürlich: Die CD. Ich hatte einen ganz losen Kontakt zum Label Sony. Das hörte sich nicht schlecht an, blieb aber ganz vage. Davon hatte ich irgendwann genug und dachte mir: Mache ich halt mal eine Platte. Der SWR hat mir die Möglichkeit gegeben, die "Goldberg-Variationen" im Studio aufzunehmen. Das lief ganz problemlos. Wesentlich schwieriger war für mich die Wahl des Klavieres: Ich war mir bewusst, dass bei dieser Platte alles stimmen muss, dass ich ein Instrument brauche, auf dem ich ganz uneingeschränkt meine Emotionen ausdrücken kann. Und ich habe es gefunden: Es gibt in Mailand einen "Edeltuner" für Steinway-Flügel, der mir drei Instrumente vorbereitet hat. In einen davon habe ich mich total verliebt - der würde 100 000 Euro kosten, aber er hatte auch wirklich alles, was ich wollte. Ich habe ihn mit Riesenaufwand nach Kaiserslautern ins Studio transportieren lassen. Und das habe ich selbst zahlen müssen.
Was ist das für ein Gefühl, mit solchem Aufwand zum ersten Mal ins Studio zu gehen?
Ich hatte mir viel vorgenommen - ich wollte eine Visitenkarte, von der ich sagen kann: "Hier, Leute, das ist meins!" Drei Tage im Studio, das war schon eine Kiste. Der erste Tag hat gar nicht gut geklappt, ab dem zweiten war ich ganz entspannt, wir haben wild drauflos aufgenommen und gar nichts mehr abgehört währenddessen. Und dann kam das Warten - ich habe die Bänder mit zitternden Fingern abgehört und war ganz froh mit dem Ergebnis. Dann ging das Ergebnis nach Berlin zu Sony - aber da war ich schon ganz gelöst. Ich war mit sicher, alles gegeben zu haben. Und dann kam auch der erlösende Anruf: "Das gefällt uns supergut, das machen wir!"
Dann ging der Rummel richtig los...
Ja, die Plattenfirma wurde richtig aktiv. Interviewtermine, PR-Auftritte, Fotoshooting. In dieser Zeit habe ich viel dazu gelernt - ich konnte mich aber immer ganz gut entspannen. Die meisten Klippen habe ich recht unbefangen umschifft, zum Beispiel den Auftritt in der "NDR-Talkshow". Eigentlich ist so etwas für mich wie vor einem wichtigen Konzert: ein angenehmer Kick.
Dann waren Sie im Handumdrehen überall präsent, vom Fachblatt bis zur Frauenzeitschrift, auf Ihrer Homepage schwärmten reihenweise weibliche Fans...
Es war schon komisch, über mich überall in den Zeitungen und sogar in den Internet-Chats zu lesen - ich konnte mich selbst sehen wie durch eine Glasscheibe. Anfangs war all das für mich und bedeutsam. Und ich war fürchterlich angreifbar. Wenn jemand etwas gegen mich schrieb, was auch ins Persönliche ging, konnte ich das zunächst gar nicht einordnen.
Irgendwann ist auch bei den Kritikern der von Ihnen genannte "Welpenschutz" vorbei - wie verändert sich die Situation, wenn man nicht mehr Geheimtipp ist und die Fachpresse auch mit harten Bandagen loslegt?
Der erste Verriss - ja, er trifft einen schon. Ich hatte ihn einfach nicht für eine Sache erwartet, die ich liebe und mit Leidenschaft mache.
Kam das wirklich so unerwartet? Sie waren ja schließlich mit einem großen Werk an den Start gegangen, das zu Vergleichen mit wichtigen Kollegen provoziert - und Sie haben sich mit Ihrer unorthodoxen Interpretation doch ziemlich aus dem Fenster gelehnt...
Das war mir nicht bewusst, weil das einfach meine Art war, Bach zu spielen. Oktavieren, Hände kreuzen - das machte ich schon lange. Der riesige Erfolg hat auch mich überrascht.
Sie sind für die "Goldberg-Variationen" mit dem Echo-Preis als Nachwuchskünstler mit hervorragenden Verkaufszahlen ausgezeichnet worden - die zweite Platte kam gleich hinterher. Warum wieder Bach?
Alle haben mich gewarnt: "Nimm bloß nicht sofort wieder Bach auf, sonst landest Du in einer Schublade, aus der Du nicht mehr rauskommst!" Aber als Sony gleich wieder eine Platte herausbringen wollte, fand ich es ganz logisch: Ich habe soviel Bach gespielt, und ich hatte so ein ausgefallenes Recital-Programm rund um Bach, das es noch gar nicht so häufig auf Platte gibt. Und diese zweite CD lief tatsächlich ähnlich gut im Verkauf wie die erste.
Im vergangenen Jahr und 2006 ist Ihr Konzertkalender pickepacke vollgestopft - wie gehen Sie mit diesem großen Programm um?
Nach der CD kamen die Einladungen für die kommende Saison. Deswegen merke ich diesen großen Effekt erst seit ein paar Monaten. Es ist für mich überwältigend, dass ich mit reinen Klavierabend-Programmen ohne Orchester auch in große Säle eingeladen werde. Im Studium hatte ich immer wieder gehört: Man kann in die großen Säle nur noch die Superstars einladen, Maurizio Pollini, Alfred Brendel, Martha Argerich - auf einmal werde ich dort selbst eingeladen. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss, den ich jetzt erfüllen muss. Das Schönste an den Konzerten: Es kommen viele junge Leute. Ich kann also glücklicherweise nicht einstimmen in das allgemeine Wehklagen über das überalterte Publikum. Dabei ist ja so ein Klavierabend mit seiner langen und totalen Konzentration auf nur eine einzige Sache heutzutage eigentlich völlig anachronistisch - aber vielleicht ist genau das das Geheimrezept.
Quelle: Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz Stadt vom 22.04.2006, Seite 61. -
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