Meinerseits finde ich allerdings eine gesunde Ehrfurcht vor solchen Leistungen wie z.B. die Stadtfeld-Einspielung der Goldberg-Variationen angebracht (andere Aufnahmen von Stadtfeld kenne ich leider nicht). Sind das alles musikalische Halbidioten, die diese Einspielung auf vordere Verkaufsränge gebracht haben, dies lässt dein Statement zumindest vermuten?
Genau das ist das Problem hier: Du vergleichst Äpfel mit Birnen.
WAS bitte habe ich im Live-Konzert (wo er mit Beethoven masslos überfordert ist) davon, dass er eine ganze Zeit früher die Goldbergvariationen eingespielt hat (im Studio)?
Gar nichts. Es zeigt nur, wie indifferent und manipulierbar "das Publikum" ist:
- man kauft eine CD, "Kritiker" vergleichen sie sogar mit Glenn Goulds 1955 Aufnahme (!)
- man rennt ins Konzert, weil alle glauben, der auf der Bühne habe was mit dem auf der CD zu tun
Ich will dir nicht Stadtfeld runtermachen, aber du musst etwas distanzierter gucken:
1. DU hast gesagt "Weltklassepianist" (und gleichzeitig auf Listen mit hunderten von einigermassen bekannten Pianisten verwiesen, von denen die meisten ganz grossen auch noch schon längst tot sind...). Sind dort alles Weltklassepianisten?
Weltklasse heisst für mich vielleicht maximal 20 Leute! Eher sogar weniger.
(schau mal die WTA Liste an, da wirds auch spätestens ab Platz 15 gruselig...:D )
2. Beethoven ist nicht Bach, und Live ist nicht Studio.
3. Ich kaufe eine CD nicht, weil dies alle tun. Ich höre sie mir vorher an und ich hab sie auch nicht gekauft. Ich finde sogar die GBV von Charles Rosen interessanter.
4. Martin Stadtfeld wird wirklich massiv überschätzt.
Das ist nicht sein Fehler, das ist der Fehler der Produzenten, Kritiker etc etc die einerseits daran verdienen; genau so funktioniert auch das Klassikgeschäft:
Ein Eisen schmieden, solange es heiss ist!
Andererseits muss man auch sehen, dass der Hunger nach neuen deutschen "Weltklasse"pianisten natürlich gross ist. Momentan sehe ich da nämlich keinen, und in der gewaltigen und langen Reihe der deutschen Klaviergiganten klafft schon länger eine Lücke.
Das ist nichts Böses, das muss man nur richtig verstehen:
Medien, Vermarkter, Produzenten (A) gieren nach
Einnahmen (B), und die
Konsumenten (C) gieren nach
Superlativen (D).
Da
D relativ günstig ist und relativ manipulierbar, ist es klar, dass
A die Gruppe
C durch latente Überversorgung mit
D dazu bringt,
B für
A möglichst zu optimieren.
Alles klar?
Das war so bei David Helfgott (da hat das "Rain-Man-Phänomen" sehr geholfen) und das ist bei vielen jungen, gut aussehenden Künstlern so.
Sie sind eine Zeit lang hip, dann kommen jüngere, hübschere und oft auch nicht weniger gute.
Wäre ich Stadtfeld, ich hätte mich vielleicht auch so vermarkten lassen. Aber wenn er nicht bald die sehr hohen Erwartungen regelmässig und solide erfüllt, die man in ihn steckt, wirds bald ruhig um ihn.
Ich war zB in Zürich sehr kollegial, ich habe dem Konzert nämlich auch nach der Pause noch artig gelauscht... Derweil sich die Reihen tatsächlich (leider? verständlicherweise? unverschämterweise?) massiv gelichtet hatten.
Zum Schluss (um uns wieder kameradschaftlich zu verstehen) ;) :
Ich würde Stadtfeld von ganzem Herzen und in ehrlicher Bewunderung seines durchaus grossen Talents zu 2 Dingen raten:
1. sich 1-2 Jahre zurückziehen und bei einem wirklich ganz grossen Lehrer Unterricht nehmen (möglichst bei einem, ders nicht nötig hat, sein Renomme durch den Schüler zu profilieren).
2. sich ein anderes Management und Umfeld suchen, das ihm diese Zeit lässt und ihn nicht an jedes Bratwurstfestival schickt, um dort auch noch zum 397. Mal die Goldbergvariationen und zum 268. Mal Mozart und Beethoven zu klimpern. (die Mozart a-moll Sonate hab ich übrigens auf DVD, ist auch etwas abgelutscht und seelenlos).
Genau mit solchen Massenauftritten sowie Repertoirewünschen, denen er noch nicht gerecht wird, wird er mental abgelöscht und durchgespielt, bevor er eventuell wirklich ein ganz Grosser werden kann.