Libermann Level IV : Meine Damen und Herren, bitte non-percussive!

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Hallo liebe Clavios,

da es, was naturgemäß nicht überraschend ist, in einem anderen Thread zu Diskussionen kam, ob es wohl sinnvoll sei, mit von den Klaviertasten weit losgelösten Armen, Händen und Fingern quasi "aus der Luft" auf die Tasten zu knallen oder die Arme, Hände und Finger aus der Luft herunterfallen zu lassen auf die Tasten, wird glücklicherweise Libermann, Schüler von Petri und Lehrer meines Freundes aus den USA, in diesem, nunmehr vierten Libermann-Thread, für Klärung sorgen.

Es geschieht dies gebündelt in diesem Thread, wenngleich mehreres schon an "verteilten" Stellen gesagt wurde, und weil immer noch Unverständnis für ganz logische und wichtige Erkenntnisse herrscht, wie ich an einigen Aussagen letztlich las.

Ich teile dieses Eingangsposting, weils länger wird, in 2 Teile auf.

Ich zitiere auf Englisch, übersetze dann aber ins Deutsche.

Hier also Teil 1:

Voranstellen möchte ich dieses Zitat Libermanns:

"The Romans already put mind and body together when they said, "Mens sana in corpore sano." Goethe reversed the idea: "Es ist der Geist, der sich den Körper baut". I rather prefer putting it that way;

_________________

Zunächst das:

"In how many ways do you think a tone can be produced by moving the key down? Most people answer: "One". Actually there are three possibilities. The first and most common is to move the key from top to bottom, three-eighths of an inch. The second is to move from the top to the point of escapement, about halfway down. And the last, from this point to the bottom. This is true on every grand piano."

ÜS.: Was meinen Sie: Auf wieviele Arten kann ein Ton durch das Herunterbewegen der Taste produziert werden? Die meisten Leute antworten: "Auf eine Art." Doch tatsächlich gibt es drei Möglichkeiten. Die erste - und gebräuchlichste - ist, die Taste von oben bis zum (Tasten-)Boden / bis ganz nach unten zu bewegen, 3/8 Inch. Die zweite ist, sie von oben bis zum Auslösepunkt zu bewegen, etwa halb runter. Und die letzte ist, von diesem erreichten Punkt bis ganz nach unten. Das trifft für jeden Flügel zu.
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Nun dies:

"But the noise which we can and must avoid is the impact of finger with the key. This noise is especially harmful because it occurs before the piano tone. I will speak about how to avoid this in a later lecture on touch."

ÜS.: "Aber das Geräusch, das wir vermeiden können und vermeiden müssen, ist der Aufschlag von Finger(n) auf die Taste(n). Dieses Geräusch ist besonders schädlich, weil es vor dem Klavierton auftritt. Ich werde in einer späteren Vorlesug zum Thema "touch" darüber sprechen, wie man es vermeidet.
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Und nun dies hier:

"Every Thursday I ask my last student to help me move this piano. Imagine that I would pull in one direction and she in another. I, being stronger than she, would succeed, only in spite of her, not because of her. Now, when you pulled your wrist down in an attempt to play louder ( something that many players do ) you pulled your fingertips up instead of helping to push them down. You succeeded in making a fairly loud sound, but you paid too much for it."

ÜS.: "jeden Donnerstag bitte ich meine letzte Schülerin, mir zu helfen, dieses Klavier zu bewegen. Stellt Euch vor, ich würde in eine Richtung ziehen und sie in eine andere. Da ich stärker bin als sie, würde ich gewinnen, aber nur ihrer zum Trotz, nicht wegen ihr. Nun, wenn Ihr Euer Handgelenk nach UNTEN bewegt habt, um zu versuchen, lauter zu spielen ( so machen es viele Spieler ), dann habt Ihr Eure Fingerspitzen nach OBEN bewegt, anstatt (ihnen) zu helfen, sie runterzubewegen. Ihr habt erfolgreich einen einigermaßen lauten Sound zustandegebracht, aber Ihr habt zu viel dafür bezahlt.."

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"the louder we want to play, the more muscular energy we have to use."

ÜS.: "Je lauter wir spielen wollen, desto mehr muskuläre Energie / Muskelenergie müssen wir verwenden."


==> Teil 2 folgt gleich...
 
==> Teil 2 zu Posting #1:

Und nun:

"What is important in piano playing is complete control of the key, from top to bottom of its journey downward. How we move the key down -- this, besides our musical talent, determines the quality of our playing. Now what is a controlled movement, and what is uncontrolled?

In his book " The Riddle of the Pianist's Finger", Arnold Schultz gives the following example:

Imagine that someone has asked you to push his stalled car. There are two ways to do this. Probably you will approach his car with yours, so that your front bumper is touching the other car's rear bumper, and then very gently and gradually you will move it forward. It is ideal for your car to keep constantly in contact with his, because then you control its movement.

Now imagine that you are impatient and you step on your gas and run into the other car. At the moment you hit it, you lose control over this car, perhaps even over your own.

This kind of uncontrolled movement has two disadvantages in piano playing, first because it is uncontrolled, and second, because reaction is equal to action, and when we hit a key it resists and recoils, and this diminishes the speed with which it descends, more than if we would go down with the key.

To move this bench with my foot I will use first an unprepared or percussive movement.

There I kicked it very energetically, and it didn't go far or fast.

Now I will use an unpercussive, or prepared touch.

You see how much more efficient the latter was; I acted more gently, using much less muscular energy than in the first case.

I am very enthusiastic about non-percussive touch for three reasons:

1. ) It gives better control over the key descent.
2. ) It is more efficient.
3. ) It has not the noise of a key-finger-impact.

There is a popular French pianist, Nicole Henriot, who played very successfully here in the Bay Area. When I first met her and looked at her fingers I was really scared, because they were almost black from terrible continual hitting. Every chord was struck with her arms starting almost above her head. I mus say, she never hit a wrong note; it's incredible what kind of technique she had, in this sense. But it was harsh because of the impact of her fingers on the keys, and her fingers were even harder than normal. She is always more successful in concerti than in solo recitals, because you can't hear this noise so much against an orchestra.

I recently read a book by Neuhaus, an old friend of mine, director of the Conservatory in Moscow, and teacher of both Richter and Gilels. He writes that he doesn't mind at all if in the moments of great dramatic impact where a tremendous force is necessary the pianist raises his arms over his head. Well, I mind very much, and I don't recommend this procedure."
[...]
( Anm. Olli: Beispiel c-Moll-Prelude von Chopin, Hervorheben von Einzeltönen in lauten Akkorden: ) By grasping with the fingers, moving the hand down ( wrist up !! ( Anm. Olli: Dieses "wrist up" ist im Text doppelt unterstrichen.) and the arm forward you would have all the ff you want. [...]

ÜS.: Was beim Klavierspielen wichtig ist, ist vollständige Kontrolle der Taste(n) von oben bis nach unten, auf ihrer Reise hinunter. Wie wir die Taste(n) runterbewegen, das bestimmt - neben unserem musikalischen Talent - die Qualität unseres Spiels. Aber was ist "kontrollierte Bewegung" , und was ist "unkontrollierte" ?

In seinem Buch "Das Rätsel vom Finger des Pianisten" gibt Arnold Schultz folgendes Beispiel:

Stellt Euch vor, jemand hat Euch gefragt, sein festgefahrenes / liegengebliebenes Auto anzuschieben. Das geht auf zwei Arten: Wahrscheinlich werdet Ihr Euch mit Eurem Auto seinem nähern, so dass Eure Frontstoßstange seine hintere Stoßstange berührt, und Ihr werdet es dann ganz sanft und allmählich vorwärtsbewegen. Es ist ideal für Euer Auto, in kontinuierlich in Kontakt zu seinem zu bleiben, weil Ihr dann dessen Bewegung kontrolliert.

Nun stellt Euch vor, Ihr seid ungeduldig, Ihr latscht aufs Gas und rast in das andere Auto: Im Moment des Zusammenstoßes verliert Ihr die Kontrolle über das andere Auto, und vielleicht auch über Euer eigenes.
Diese Art der unkontrollierten Bewegung hat 2 Nachteile im Klavierspiel:

1. ) Sie ist unkontrolliert, und 2. ) da Reaktion = Aktion, und wenn wir eine Taste "hämmern" ( "hit" ) / derartig bewegen , dann leistet sie Widerstand und "schlägt zurück", und das VERRINGERT die Geschwindigkeit ihrer Runterbewegung mehr, als wenn wir MIT IHR ZUSAMMEN runtergehen.

Um diese Bank hier mit meinem Fuß zu bewegen, werde ich zuerst eine unvorbereitete oder perkussive Bewegung verwenden.

Da! Ich habe sie sehr energisch getreten! Aber sie bewegte sich nicht sehr weit oder schnell.

Nun werde ich eine nichtperkussive oder vorbereitete Bewegung anwenden:

Ihr seht, um wieviel effizienter das war! Ich agierte sanfter, und ich brauchte dabei viel weniger Muskel-Energie als im ersten Fall.

Aus drei Gründen mag ich den nichtperkussiven Touch sehr:

1. ) Er gibt mehr Kontrolle über die Runterbewegung der Taste(n).
2. ) Er ist effizienter.
3. ) Er hat nicht das Geräusch des Taste-Finger-"Zusammenstoßes".

Es gibt eine beliebte Französische Pianistin, Nicole Henriot, die hier in der Bay Area sehr erfolgreich spielte. Als ich sie zuerst traf und ihre Finger sah, war ich wirklich erschrocken, weil sie fast schwarz von schrecklichem dauernden Draufschlagen / Hämmern waren. Jeder Akkord wurde von ihr geschlagen, mit ihren Armen fast über ihrem Kopf beginnend! Ich muss sagen, sie traf nie eine falsche Note; es ist unglaublich, was für eine Art von Technik sie - in diesem Sinne - hatte. Aber es war derbe, wegen des Zusammenpralls ihrer Finger mit den Tasten, und ihre Finger waren sogar härter als normal. Sie ist jedesmal erfolgreicher in Konzerten als in Solo-Recitals, da man dieses Geräusch gegen ein Orchester nicht so intensiv hört.

Neulich las ich ein Buch von Heinrich Neuhaus, einem alten Freund von mir, Direktor des Moskauer Konservatoriums, und Lehrer von Richter und Gilels. Er schreibt, dass es ihm gar nichts ausmache, wenn in Momenten großer dramatischer Bedeutung, wo eine unglaubliche Kraft notwendig sei, der Pianist seine Arme über seinen Kopf hebt.

Nun, mir macht das sehr viel aus, und ich empfehle dieses Prozedere NICHT.
[...]
( Anm. Olli: Beispiel c-Moll-Prelude von Chopin, Hervorheben von Einzeltönen in lauten Akkorden: ) "Durch das Greifen mit den Fingern, während sich die Hand RUNTERBEWEGT ( HANDGELENK HOCH !! ( Anm. Olli: Dieses "wrist up" ist im Text doppelt unterstrichen.) ) und den Arm nach vorne, habt Ihr jedes ff, das Ihr wollt. " [...]
__

Zum Schluss noch Vladimir Horowitz.

Wie bereits im anderen Thread erläutert, und unabhängig davon, was er spielte und was nicht, sagte er zu Gary Graffman, seinem Schüler, folgendes:
Zitat aus Glenn Plaskin, Horowitz-Biographie, S. 305:

Zitat von Horowitz:
"Man muss die Streicher imitieren und den Gesang; das ist die einzige Möglichkeit, aus einem Klavier - einem perkussiven Instrument - ein singendes Instrument zu machen. Aus diesem Grund rate ich auch von Bartok oder Strawinsky oder Copland ab - man soll das Klavier nicht so gebrauchen. Schon möglich, dass diese Komponisten gute Musik geschrieben haben, nur will ich sie nicht spielen. Aber ich höre sie mir durchaus gerne an."

Zwei Einwände lasse ich gelten: "UNKONTROLLIERTHEIT" ( durch Hämmern, z.B. ) kann in Einzelfällen die Intention des Komponisten und im Werkzusammenhang sein ( z.B. Gottschalk ( Wilde Tänze von Farbigen ), oder Skriabin ( SIch Annähern an unkontrollierbare Elemente ) ), und, da wir mit der Zeit gehen, sind jedem Pianisten evtl. ein oder zwei theatralische Effekte zuzubilligen. Man sollte also auch perkussiv spielen KÖNNEN, aber bitte nicht zu oft.

Guten Rutsch und LG, Olli!!
 
ÜS.: Was meinen Sie: Auf wieviele Arten kann ein Ton durch das Herunterbewegen der Taste produziert werden? Die meisten Leute antworten: "Auf eine Art." Doch tatsächlich gibt es drei Möglichkeiten. Die erste - und gebräuchlichste - ist, die Taste von oben bis zum (Tasten-)Boden / bis ganz nach unten zu bewegen, 3/8 Inch. Die zweite ist, sie von oben bis zum Auslösepunkt zu bewegen, etwa halb runter. Und die letzte ist, von diesem erreichten Punkt bis ganz nach unten. Das trifft für jeden Flügel zu.
das ist absolut richtig
(nebenbei: da gibt es innerhalb dieser drei Möglichkeiten nocht etliche Verfeinerungen)

für langsame laute Akkorde ohne nennenswerte Distanzen (Chopin Prelude c-Moll) benötigt man keine ausholenden Schwungbewegungen - sind Akkorde weiter voneinander entfernt und das Tempo wird im Vergleich zum Prelude erhöht (Mussorgski großes Tor), lässt sich kein permanenter Tastenkontakt realisieren; bogenförmige (dabe gerne flache!) Schwünge des Arms bringen die Hand zu den weit voneinander entfernten Akkorden, dabei unterstützt dieser Schwung die Schubkraft (das meint Libermann) des Anschlags.

das Klavier hat neben cantablen auch perkussive Anteile, ob man das mag oder nicht - gelegentlich kann das perkussive Spielen sogar höchst cantabel sein: Wagner/Liszt Liebestod (Akkordrepetitionen) :-)
 
das ist absolut richtig
(nebenbei: da gibt es innerhalb dieser drei Möglichkeiten nocht etliche Verfeinerungen)

Japp. Dazu kommen wir aber erst, würd ich sagen, im fünften Level, wo es um Legato geht, und wo Dinge erörtert werden, die noch nicht zur Sprache kamen, und die ich mir aufbewahrt habe.

Ansonsten hab ich wenig Einwände, Rolf, WENN wir beachten, auch die von Dir erwähnte HIN-Bewegung zu meinethalben weit auseinanderliegenden Akkorden bzw. deren Tasten so effizient und schnell wie möglich zu realisieren, damit wir schnell in Tuchfühlung mit den Tasten kommen. Grundsätzlich jedoch führt schon von der Logik her kein Weg an Libermann und Horowitz vorbei.

LG, Olli.
 
Ansonsten hab ich wenig Einwände, Rolf, WENN wir beachten, auch die von Dir erwähnte HIN-Bewegung zu meinethalben weit auseinanderliegenden Akkorden bzw. deren Tasten so effizient und schnell wie möglich zu realisieren, damit wir schnell in Tuchfühlung mit den Tasten kommen.
beim langsam üben (um sich Treffsicherheit anzugewöhnen), ist es richtig, sich blitzschnell zu bewegen und dann schon längst auf den zu treffenden Tasten da zu sein
beim spielen im Tempo ist das nicht immer möglich, jedenfalls nicht dann, wenn es wirklich sehr schnell wird, z.B. Sprungsequenz Mephistowalzer

was du ganz übersiehst, ist:
1. ist es in hohem Tempo erforderlich, die Hände/Finger/Griffe so schnell wie möglich auf die weit entfernten Tasten zu werfen und dort sofort mit der richtigen Dosierung anzuschlagen (Beethoven op.111 Var.3, Mephistowalzer aaO, Chopin Impromptu Fis-Dur)
2. kann man allerlei Anschlagsweisen, dann muss man an besagten Stellen nicht abwarten
3. mit perkussiver Spielweise ist kein von weit oben auf die Tasten schlagen gemeint*)

Grundsätzlich jedoch führt schon von der Logik her kein Weg an Libermann und Horowitz vorbei.
das will schlau klingen, ist aber so, wie du es darstellst, Unsinn.
1. hat kein Libermann das Klavierspiel erfunden (stattdessen gehört er zu den vielen, die durchaus richtiges über Klaviertechnik geschrieben haben - man sollte es aber auch begreifen...)
2. Horowitz meint in dem isolierten Zitat aus einen Interview keine Spieltechnik, die er etwa ablehnen würde (was für ein Blödsinn: Schumanns Toccata ist perkussiv par excellence, und Horowitz hat sie gern und wie der Teufel gespielt), sondern er meint eine Stilrichtung innerhalb der gemäßigten Moderne, in welcher das Klavier weitgehend ohne seine cantablen Tugenden eingesetzt wird (gibt es bei Strawinski, Copeland u.a.)

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*) allerdings gibt es Hinweise zur Ausführung in diese absurde Richtung, z.B. Cz. Marek über die Akkorde in der Einleitung von Tschaikowskis erstem Konzert "aus großer Hubhöhe martellato geschlagen" (sinngemäß zitiert) - das halte ich für wenig günstig; zwar ist es machbar, ohne sich zu verletzen, aber es geht anders (Schubkraft und Hände mit Schwung versetzen) besser
 
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