Lehrer und ihre Methodik - ein Beispiel

  • Ersteller des Themas Lucia
  • Erstellungsdatum

L

Lucia

Dabei seit
9. Apr. 2009
Beiträge
19
Reaktionen
0
Die Unterrichtsmethodik ist üblicherweise eine andere als ich sie erlebt habe. Doch möchte ich gern darüber erzählen.

Ich habe mit der Klarinette angefangen. Mein Lehrer eröffnete die erste Stunde mit einer Erklärung, Musik sei ein hartes Brot, ganz hartes Brot. Dann zitierte er noch: "Nur 5 % sind Talent, der Rest ist Handwerk!". In seinen Augen war ich zu alt, um ein Instrument zu lernen.

Der Unterricht bei ihm war hartes Brot. Meinen Kindern möchte ich einen solchen Lehrer nicht zumuten, weil man ziemlich viel Hartnäckigkeit braucht, um das durchzuhalten. Wahr ist aber auch, dass ich dort unglaublich viel gelernt habe, wovon ich heute noch profitiere.

Er war gelegentlich der Ansicht, ich würde falsch üben. Habe ich auch. Ziemlich drastisch machte er mir klar, wie er sich üben vorstellt. Seitdem spiele ich eine Passage solange, bis ich sie kann. Und wenn es 40mal ist. An Stolperstellen beginne ich zwei Takte vorher, um den Übergang zu schaffen.

Technik ist nötig, das musste man können. Wehe nicht.

Zum Üben ist immer Zeit. Es war in seinen Augen besser, zehn Minuten gut zu üben als eine Stunde sinnlos zu klimpern. Hat er nicht Unrecht. Ganz und gar nicht. Aber schwer, das jemanden ins Hirn zu prügeln. Er hat es geschafft, nicht auf die nette Art.

Auf "Ich will doch nur zum Spaß Klarinette lernen..." hörte ich "Wir sind hier nicht in einem Zirkel!".

Wie gesagt, meinen Kindern würde ich das nicht zumuten wollen. Aber ich kann durch ihn sehr viel. Und bin in der Lage, allein weiterzuarbeiten.
 
Da stimme ich Dir vollkommen zu: Richtige didakatische Ansätze und deren angemessene Vermittlung / Umsetzung im Unterricht sind ganz verschiedene Dinge. Ich habe etliche solcher Lehrer, wie Du ihn geschildert hast, am eigenen Leib erlebt - leider.
 
Liebe Lucia!

Verhinderter Philharmoniker-Chef-Klarinettist dein Herr Klarinettenlehrer??? Küchenpsychologisch ausgedeutet.

Auch ich bin ganz deiner Meinung, dass man eben nicht Angst und Schrecken verbreiten muss, um Menschen zum Lernen zu animieren. Ich hatte mal so einen grausigen Reitlehrer. Mein Gott war das ein A****! :roll:

Allerdings klingen in deiner Beschreibung auch zwiespältige Töne an. Irgendwie hört es sich fast ein wenig idealisierend an, wenn du mehrfach betonst, dass du dort sehr viel gelernt hast und noch heute von diesem Unterricht profitierst. Hm.
Abzüglich aller unangenehmen Übertreibungen die dein Klarinettenlehrer an den Tag gelegt hat, finde ich eine gewisse Verbindlichkeit zwischen Lernendem und Lehrer nicht verkehrt. Natürlich muss die Hauptzutat gegenseitiges Vertrauen sein, aber prinzipiell halte ich es schon für angemessen und erlaubt, wenn der Schüler erstmal in der "Bringschuld" ist und von Lehrerseite etwas eingefordert wird. Freundlichkeit, Humor und Herzlichkeit bleiben da ja nicht ausgeschlossen.

LG, Sesam
 
aber prinzipiell halte ich es schon für angemessen und erlaubt, wenn der Schüler erstmal in der "Bringschuld" ist und von Lehrerseite etwas eingefordert wird. Freundlichkeit, Humor und Herzlichkeit bleiben da ja nicht ausgeschlossen.

Hallo Sesam,

ich gebe Dir prinzipiell Recht. Ich finde jedoch, daß es einen Unterschied macht, ob ich eine Sprache (oder ein Computerprogramm etc.) lernen will oder ein Musikinstrument. Hier muß sich der Schüler in einem "gefährlichen" Maße emotional öffnen und ist dadurch angreifbarer und verletzbarer. Deswegen trage ich als Lehrer eine viel größere Verantwortung. Wissen und Können spielen sicherlich eine wichtige Rolle. Aber das darf nicht alles sein.

Die "Bringschuld" des Schülers: Ernsthaftigkeit, auch wenn das Musizieren nur dem "Zeitvertreib" dient. Man beobachte einmal spielende Kinder - mit welchem Ernst sie bei der Sache sind und die Welt um sich herum vergessen. Diese Ernsthaftigkeit fordere ich in der Tat ein. Um es überspitzt zu formulieren: Nicht das Resultat oder der Zeitaufwand ist entscheidend (wohlgemerkt beim Dilettanten - Liebhaber!), sondern die innere Haltung. Die sollte in ihrer konsequenten Ausrichtung dem Profi nicht nachstehen.
 
Wolfgang, das hast Du wirklich auf einen guten Nenner gebracht: Ernsthaftigkeit ist das Schlüsselwort. Daher habe ich auch keine Probleme mit meiner Kl (im Gegensatz zu vielen anderen), wenn ich mal nicht weitergekommen bin. Ich bin ernsthaft dabei. Und leide mehr als die KL, wenn es mal (aus welchen Gründen auch immer) nicht so klappt...
 
Zitat von koelnklavier:
Hier muß sich der Schüler in einem "gefährlichen" Maße emotional öffnen und ist dadurch angreifbarer und verletzbarer. Deswegen trage ich als Lehrer eine viel größere Verantwortung.
Das triffts genau!

Wollte eigentlich noch ein paar Worte dazu schreiben, aber ich find den Satz so gut, da kann ich fast nichts hinzufügen. Lediglich vielleicht, dass Disziplin und Übersicht über den Lernvorgang, teilweise erst mit dem Erwachsenenalter kommen, zumindest bei mir so. Die Weisheiten meines damaligen KLs (der ein guter Pädagoge ist) habe ich damals vermutlich einfach noch nicht vollständig verstanden und umsetzen können, heute merke ich: "Da sollte ich beide hände einzeln üben", "Diese Akkordwechsel sollte ich besonders gut üben", etc.

Ernsthaftigkeit kann man denke ich schon verlangen.

Jedenfalls finde ich es auch sehr wichtig dass die musikalische Entwicklung ihren gebührenden Platz findet, denn Technik allein macht keine Kunst, mit einem Fotoapparat kann man fotorealistische Bilder machen, aber nicht jedes Foto ist ein Kunstwerk, obwohl die Technik jedem Maler überlegen sein müsste.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Liebe Lucia!

Verhinderter Philharmoniker-Chef-Klarinettist dein Herr Klarinettenlehrer??? Küchenpsychologisch ausgedeutet.

Auch ich bin ganz deiner Meinung, dass man eben nicht Angst und Schrecken verbreiten muss, um Menschen zum Lernen zu animieren. Ich hatte mal so einen grausigen Reitlehrer. Mein Gott war das ein A****! :roll:

Allerdings klingen in deiner Beschreibung auch zwiespältige Töne an. Irgendwie hört es sich fast ein wenig idealisierend an, wenn du mehrfach betonst, dass du dort sehr viel gelernt hast und noch heute von diesem Unterricht profitierst. Hm.

Ich verstehe Lucias "zwiespältige Töne", da ich auch mal so einen Lehrer hatte. Er hatte ziemlich rabiate Methoden seine Schüler zum Üben zu zwingen. Z.B. 100x eine falsch geübte Stelle spielen... Alle seine Schüler waren sehr gut und wer das geforderete nicht leisten konnte wurde rausgeschmissen. Ich habe diesen Lehrer gleichzeitig geliebt und gehasst, weil er zwar gnadenlos sein konnte, aber der netteste Mensch war, wenn man die geforderte Leistung gebracht hat. Einen großen Teil des Erfolges den ich als Schüler hatte habe ich ihm zu verdanken Auch heute noch profitiere ich von dem Gelernten. Auch wenn ich während des Studiums mal Hilfe brauchte habe ich mich immer an ihn wenden können und Hilfe bekommen.
Mein Lehrer war übrigens kein verhinderter Solist, sondern Lehrer aus Leidenschaft. Es war einfach seine Einstellung, dass man Kinder zu ihrem Glück zwingen muss. Fragwürdig finde ich heute daran, dass er aus jedem Schüler einen Geiger machen wollte und dass die Entscheidung praktisch schon bei Grundschulkindern gefällt wurde. Die Eltern die ihre Kinder zu diesem Lehrer schicken wissen ja was sie erwartet und schicken ihre Kinder gerade deswegen dorthin.
 
Ich habe diesen Lehrer gleichzeitig geliebt und gehasst, weil er zwar gnadenlos sein konnte, aber der netteste Mensch war, wenn man die geforderte Leistung gebracht hat.
Sorry, aber wenn ich das lese, bekomme ich Gänsehaut. Zuwendung bei Leistung, bzw. Liebesentzug bei Nicht-Leistung finde ich sehr bedenklich. Was dabei herauskommt, sind Erwachsene mit mehr oder weniger ausgeprägten Versagensängsten. Sie "funktionieren", um geliebt zu werden.

Sicher muß man als Lehrer mitunter eine Unerbittlichkeit und Hartnäckigkeit an den Tag legen, aber auch dies sollte mit einer unerschütterlichen Liebenswürdigkeit geschehen. (ich weiß, wie schwer das bisweilen sein kann :rolleyes:).

Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß man auch von solchen Lehrern etwas lernen kann - aber um welchen Preis! Auffallend finde ich, in welch hohem Maße "sadistische" Lehrer eine neue ähnlich geartete Lehrergeneration zeugen.
 
Finde ich auch schrecklich... nur bei guter Leistung wird der Schüler gut behandelt..:mad:

Ich finde, man darf als Lehrer nicht seine Zuwendung von der Leistung abhängig machen. Im schlimmsten Fall macht das den Schüler krank.:confused:

Dann doch lieber ehrlich kritisieren und aufrichtig loben oder eben auch nicht.
 
Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß man auch von solchen Lehrern etwas lernen kann - aber um welchen Preis! Auffallend finde ich, in welch hohem Maße "sadistische" Lehrer eine neue ähnlich geartete Lehrergeneration zeugen.

huh...
...das sind die Mendelschen Erbgesetze der Klavierpädagogik...
:) :)
spitzer Bleistift unter die Hand, Thaler auf den Handrücken, Metronom, Lehrbuchfingersätze, erhobener Zeigefinger - - - also ein paar Unsitten sind doch inzwischen ausgestorben, oder?
...aber der Spagat zwischen Streichelzoo und Konzertetüde, Ambition und Faulheit (sic, die gibt es, resistent gegen das aussterben) wird ewig für Diskussionsstoff sorgen!
Beethoven soll mal wem einen Packen Bücher an den Kopf geschmissen haben, in der Hoffnung, dass so was hängen bliebe; Chopin hat gebrüllt und Stühle zerdeppert; Cortot hat mit Absicht niemandem gezeigt, wie man eine böse Oktavenstelle hinkriegt (die er konnte)... früher war der Streichelzoo-Anteil gewiss geringer als heute, was nicht heisst, dass das grandiose Pädagogik war - aber einige habens überlebt.
ich weiss nur eines: allein durch Voodoo-Zauber oder Beten wird sich eine Chopinetüde nicht spielen lassen :) aber wie man dahin kommt: das ist ja das ewige Diskussionsthema, welches ohne Lösung bleiben wird
...vielleicht müsste man eine Umfrage starten, selektiert nach denen, die mit 15-16 Jahren schon paar Chopinetüden spielen können (aber wie organisiert man das?)
spaßig allerdings ist, wenn man spielerisch verschiedene "Unterrichtsstile" einsetzt, d.h. zwischen diesen wechselt - das lockert auf (und macht beiden Seiten Spaß)
Gruß, Rolf
 
Sorry, aber wenn ich das lese, bekomme ich Gänsehaut. Zuwendung bei Leistung, bzw. Liebesentzug bei Nicht-Leistung finde ich sehr bedenklich. Was dabei herauskommt, sind Erwachsene mit mehr oder weniger ausgeprägten Versagensängsten. Sie "funktionieren", um geliebt zu werden.

Sicher muß man als Lehrer mitunter eine Unerbittlichkeit und Hartnäckigkeit an den Tag legen, aber auch dies sollte mit einer unerschütterlichen Liebenswürdigkeit geschehen. (ich weiß, wie schwer das bisweilen sein kann :rolleyes:).

Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß man auch von solchen Lehrern etwas lernen kann - aber um welchen Preis! Auffallend finde ich, in welch hohem Maße "sadistische" Lehrer eine neue ähnlich geartete Lehrergeneration zeugen.

Deine Meinung, Wolfgang, teile ich uneingeschränkt. Die Höchstleistungen, die auf diese Weise "erzeugt" werden, können u.U. erstaunlich sein, aber sie wachsen nicht harmonisch aus und mit dem Menschen, der sie erzeugt, sondern werden auf Kosten des menschlichen Wachstums "eingebläut".

Ich schätze mal, dass dies ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Leistungskultur in unserem Kulturkreis ist. Kein Wunder, dass viele Menschen so verkrampft an den Leistungen unserer Gesellschaft hängen, - müssten sie darauf verzichten, dann gäbe es nichts mehr, was ihren Selbstwert stützt.

Leistung als Ersatz für echten Selbstwert. Das ist das, was auch bei solchen Unterrichtsmethoden rauskommt.

Grüße von
Fips
 

Hallo rolf,

sicherlich braucht es eine gewisse härte, um große Leistungen vollbringen zu können. Sowohl des Lehrers dem Schüler gegenüber als auch eine gewisse Härte des Schülers sich selbst gegenüber, eine Zähigkeit und Ausdauer, eine hohe Selbstdisziplin.
Ich bin davon überzeugt, dass man nur ein wirklich guter Techniker wird, wenn man über gute Übestrategien verfügt, konsequent und unnachgiebig Fehler ausmerzt.

Was mir nicht behagt, ist die Verknüpfung von Haltung des Lehrers gegenüber seinem Schüler mit dessen Leistung. Es ist wie klassisches Konditionieren, wenn Du fuktionierst, belohne ich Dich mit Zuwendung und Aufmerksamkeit, wenn nicht, strafe ich Dich mit Unfreundlichkeit.

Was lernt der junge Schüler daraus? Er verknüpft Leistung mit Zuwendung, und das, mit Verlaub, finde ich fatal.
Ich werde nur gemocht, wenn ich Leistung bringe-schlimm. Ist doch traurig, oder?

Ich bin in der Hinsicht selbst gebranntes Kind und schlage mich täglich mit den Folgen herum. Und das muss man erstmal wieder aus dem Kopf rauskriegen.:rolleyes:

Eine weitere Strategie eines Lehrers war in meinem Fall: Ohne mich bist Du nichts. Nur mit mir kannst Du was werden. Das vermittelte ein Lehrer mir als Kind.
 
Was lernt der junge Schüler daraus? Er verknüpft Leistung mit Zuwendung, und das, mit Verlaub, finde ich fatal.
Ich werde nur gemocht, wenn ich Leistung bringe-schlimm. Ist doch traurig, oder?

...schwierig, weil provokant (bzw. sehr einseitig formuliert) :)

ein kleines Fritzchen will partout nicht stubenrein werden, aber Mutti soll es loben und lieb haben, obwohl es schon in die 4. Klasse geht und der Onkel Doktor unterucht hat, dass das kleine Fritzchen völlig gesund ist (ok, eine blödelige Analogie :) - ich probiers nochmal) "he Boss, ich krieg das zwar nicht hin, sorry, aber die Gehaltserhöhung/Aufstieg muss jetzt echt sein" (hm...auch nicht viel besser) :)

so eine westliche Leistungsgesellschaft auf dem Boden abendländischer Kultur ist schon eine schwierige Sache...

aber mal etwas realistischer: enthält nicht jede Sozialisation eine gewisse Anpassungsleistung (Enkulturation) wenigstens in dem Sinn, dass von jedem auch erwartet wird, sich wenigstens halbwegs zu bewähren? ich glaube nicht, dass messbare (gar durch Prügelpeitsch-Methoden erzwungene) "Leistung" notwendig und überall an "Zuwendung" geknüpft ist.

... ... na ja, und dann glaube ich auch nicht, dass der Klavierunterricht der einzige Ort ist dieser Welt ist, wo Zuwendung erteilt oder vorenthalten bzw als Erpressung eingesetzt wird... ... :)

wer sich partout in den Kopf gesetzt hat, virtuose Klaviersachen zu mögen und gerne selber spielen zu können, wird sich in irgendeiner Weise den Anforderungen dieser Musik anpassen - wie? da führen verschiedene Wege sowohl nach Rom als auch in Sackgassen...

eigentlich ganz normale Vorgänge

Gruß, Rolf

(oh, noch ein stichelndes Scherzlein: "he du böse fiese Etüde, du sollst dich jetzt echt mal nicht so zickig anstellen, da müssen wir mal drüber reden dass du dich nicht ohne üben spielen lässt, das ist echt nicht ok, also da musst du schon auch was tun finde ich statt nur immer so unnahbar zu sein"...)
 
...schwierig, weil provokant (bzw. sehr einseitig formuliert) :)
(...)
so eine westliche Leistungsgesellschaft auf dem Boden abendländischer Kultur ist schon eine schwierige Sache...

aber mal etwas realistischer: enthält nicht jede Sozialisation eine gewisse Anpassungsleistung (Enkulturation) wenigstens in dem Sinn, dass von jedem auch erwartet wird, sich wenigstens halbwegs zu bewähren? ich glaube nicht, dass messbare (gar durch Prügelpeitsch-Methoden erzwungene) "Leistung" notwendig und überall an "Zuwendung" geknüpft ist.


... ... na ja, und dann glaube ich auch nicht, dass der Klavierunterricht der einzige Ort ist dieser Welt ist, wo Zuwendung erteilt oder vorenthalten bzw als Erpressung eingesetzt wird... ... :)

wer sich partout in den Kopf gesetzt hat, virtuose Klaviersachen zu mögen und gerne selber spielen zu können, wird sich in irgendeiner Weise den Anforderungen dieser Musik anpassen - wie? da führen verschiedene Wege sowohl nach Rom als auch in Sackgassen...

eigentlich ganz normale Vorgänge

Gruß, Rolf

(oh, noch ein stichelndes Scherzlein: "he du böse fiese Etüde, du sollst dich jetzt echt mal nicht so zickig anstellen, da müssen wir mal drüber reden dass du dich nicht ohne üben spielen lässt, das ist echt nicht ok, also da musst du schon auch was tun finde ich statt nur immer so unnahbar zu sein"...)

Ich finde es gar nicht so einseitig und provokant. Habe ja auch geschrieben, dass ich die Notwendigkeit harter Arbeit sehe.
Klar haben wir eine Leistungsgesellschaft:)
Dennoch ist es für einen Menschen, besonders für ein Kind, nicht gut, zu wissen, dass es ohne Leistung auf Zuwendung vezichten muss.

Erpressung, hast Du formuliert, ja, so ist es für mich auch ein Stück weit.

Aber muss denn Zuwendung immer etwas mit Leistung zu tun haben?:confused: Ich finde das generell als Haltung nicht richtig.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Rolf,

hast Du nicht selbst in einem anderen Thread geschrieben, wie problematisch Du es findest, ein Instrument, mit dem Du Emotionen ausdrückst, als Mittel zur Konkurrenten-Aussschaltung (bei Wettbewerben) einzusetzen?

Ist es nicht eine ähnliche Pervertierung, ausgerechnet die Musik zur Domestizierung von Kindern (egal ob begabt oder unbegabt) zu mißbrauchen? Natürlich erfordert Musikmachen Anstrengung. Vielleicht wird manch einer durch Zuckerbrotz und Peitsche erfolgreich. Aber wer zählt all diejenigen, die auf der Strecke bleiben?

Meine (bescheidene pädagogische) Erfahrung lehrt mich, daß diejenigen, denen von Lehrern und Elternhaus ein gesundes (!) Selbstbewußtsein vermittelt wurde, die man ermutigt (und nicht verängstigt) hat, letztendlich die überzeugenderen Musiker geworden sind. Sie mögen vielleicht drei Sekunden langsamer sein als die anderen, weniger dB erreichen und den ein oder anderen falschen Akkord greifen. Aber ehrlich gesagt: Nach diesen Kriterien habe ich noch nie urteilen wollen.
 
hallo kölnklavier,

ich verstehe Deine "Einwände" nicht so recht, da ich nirgendwo die "schwarze Pädagogik" früherer Zeiten als vorbildlich erwähnt habe; auch über das "domestizieren" vermittels Instrumentunterricht habe ich nichts geäußert, zumal ich selber niemanden domestiziere (ich bin ja weder im Zirkus, noch hauptberuflicher Dompteur) :)

dass es für den, der dem Selektionsverfahren in der "Ausbildung" ausgesetzt ist, kein leichtes Brot ist, weil er ja emotoinal sehr beteiligt ist, habe ich sehr wohl - aus tagtäglicher Erfahrung - geschrieben; es ist so, und sonderlich schön ist das nicht.

...sicher tippt man hier schnell oder "gschwind" wie man im Schwabenland sagt, und da ist es leicht möglich, wie man aneinander vorbei reden kann, so auch aneienander vorbei tippen/lesen.

sicher ist nur: wer partout sein Klavierspiel auf Konzertniveau bringen will, steht keiner ganz leichten Aufgabe gegenüber und wird dabei unterschiedliche Erfahrungen sammeln... aber das wollen ja bei weitem nicht alle, und es gibt moderatere Wege, sich mit musizieren zu beschäftigen - wer da guten Unterricht erhält, der hats angenehmer, wer herben Unterricht hat, wirds aushalten oder sich nach anderem umschauen.

suum quique :) und natürlich placet experiri :)

liebe Grüße in die preussische Gürtelfestung Köln,
Rolf
 
Ein Beispiel aus der Hausfrauenwelt zum Thema "Umgang mit Fehlern der Kinder":

Fritzchen hat den Vorzeichenwechsel mal wieder verpatzt. Eine - zugegeben einfache - Möglichkeit ist es, den kleinen Kerl runterzumachen. Gut, er wird sich anstrengen und vielleicht klappt es. Aber er wird ebenso mit Angst sich ans Klavier setzen und Stück für Stück den Spaß verlieren und erst recht nicht beginnen, seine Kreativität wachsen zu lassen und auszuleben, denn das setzt ja Spaß an der Sache voraus.

Die zweite Möglichkeit besteht in ermunternden Worten, die nur kritisieren, wenn es nötig ist. So in der Art: "Ach, Fritzchen, hat nicht geklappt. Komm, versuchen wir es noch einmal, erst einmal ganz langsam. Wirst sehen, das wird." In verfahrenen Situationen ist es auch gut, mit einem Quatsch-Lied abzulenken und dann wieder neu zu beginnen. Der Effekt ist, dass Fritzchen lernt, mit seinen Problemen umzugehen und sie zu bewältigen. Es erhält die sichere Basis, die es braucht, um sich sicher und akzeptiert zu fühlen. Das Klavier wird es mögen, keine Angst haben und zuversichtlich in die Welt schauen, seine Kreativität ausprobieren und die Musik als Teil seiner Selbst betrachten. Allein schon der positive Effekt, etwas Schwieriges bewältigt zu haben, ist dieser Mühe wert. Macht aber eben mehr Mühe, weil man sich auf das Fritzchen einstellen muss. Und wenn man, wie bei Lehrern üblich, mehrere solcher Fritzelinchen und Fritzchen hat, muss man seinen Beruf lieben, um das wirklich zu machen.

Zu meinem Lehrer: Ein Konflikt lag darin, dass ich aus organisatorischen Gründen nicht endlos täglich üben konnte. Ich wurde ein sehr guter Blattspieler, um diesen Mangel auszugleichen. Gab weniger Probleme. Aus dem Schlechten, nämlich der Härte, wenn eine Passage nicht klappte, wurde das Gute, von dem ich sehr profitiere. Daher diese Einschränkung. Ohne ihn würde ich das nicht so gut können. Ebenso die Gewohnheit, ein Stück erst auf dem Papier durchzulesen, bevor ich es spiele. Weil ich auf neue Stücke neugierig war, habe ich im Bus nach Hause begonnen, sie zu lesen. Hat ein wenig gedauert, bis ich das richtig konnte. Ich habe Zeit sparen können, weil ich das Stück vor dem ersten Üben schon kannte. Aber so habe ich auch begonnen, mir gleich beim Lesen Gedanken über die Interpretation zu machen, wo ich worauf achten muss etc. Das kann ich heute selbst bei Chorpartituren. Ich profitiere von einem Problem, das ich im Unterricht hatte.
Er brachte mir bei, beim Blattspiel zu versuchen, einen, zwei oder gar drei Takte nach vorn zu sehen. Fand ich blödsinnig, bis ich es verstand. Vor allem, weil er darauf herumritt. Es geht nicht darum, den gesamten Notentext sofort zu erfassen. Doch Vorausschau erspart viel Überraschung.

Insgesamt eine harte Schule, die nicht immer Spaß gemacht hat. Vor allem, weil die Stückewahl nicht so ganz dem entsprach, was mir vorgeschwebt hatte. Ermunterung und Zuspruch wären sehr gut gewesen, die habe ich vermisst.

Einen solchen Lehrer möchte ich für meine Kinder nicht. Aber ich käme mit so einem Stiesel wahrscheinlich klar.
 
@ Rolf: ich glaube, du hast nicht ganz begriffen! In all deinen sorgfältig gewählten Worten finde ich nichts über das von Lucia angesprochene und in den folgenden postings weitergesponnene Problem: es geht um Kinder (und natürlich auch Erwachsene), die seelische Wunden davontragen, aufgrund gewisser Unterrichtspraktiken. Es geht nicht um Jungpianisten, die hin und wieder einen Durchhänger haben und keine andere Sprache verstehen, als dass man ihnen in den Allerwertesten tritt, damit sie eben diesen zum Klavier tragen und endlich üben.

Ich helf dir mal auf die Sprünge:
anima animae
animae animarum
animae animis
animam animas
anima animis

:D :floet:

Liebe Grüße, Sesam
 
@ Rolf: ich glaube, du hast nicht ganz begriffen! In all deinen sorgfältig gewählten Worten finde ich nichts über das von Lucia angesprochene und in den folgenden postings weitergesponnene Problem: es geht um Kinder (und natürlich auch Erwachsene), die seelische Wunden davontragen, aufgrund gewisser Unterrichtspraktiken.

:D :floet:

Liebe Grüße, Sesam

hallo Sesam,

bist Du wirklich ganz sicher, oder liest Du nochmal bissle nach? :)

und mal ganz neutral: wer ganz gerne Klavier spielt, einfach so für sich daheim, und für dieses Hobby auch Unterricht nimmt, für denjenigen wird das Hobby doch wohl kaum zum Lebensmittelpunkt - wenn da jemand mal einen "strengen altmodischen" Lehrer hat, muss das notwendig gleich zu "seelischen Wunden" führen? wer im Fußallclub kickt und vom Jugendtrainer nicht zum Stürmer erkoren und auch nicht für die Bundesliga weiterempfohlen wird (auch wenn derjenige gerne wie Maradonna kicken würde), wird der sich umgehend ob der Kränkung entleiben, oder wird der nicht doch ganz normal ein überwiegend normales Leben führen, auch nach dem Jugendfußballclub"desaster"?

"die Kirche im Dorf lassen" wäre auch eine Überlegung - ich meine damit, dass man nicht alles so heiss essen MUSS, wie es gekocht wird.

und da heutzutage durchaus eine "Überbehütung" von Kindern praktiziert wird, ist die Frage legitim, welchen Anteil Erziehungsstile und innerfamiliäre Haltungen am Ausmaß der Verletzlichkeit von Kindern haben, die in aller Regel auch Schüler sein müssen (Schulpflicht) und manchmal eben noch zusätzlich freiwillig Schüler (Musiksachen) sein können; kurzum: je geringer das Frustrationspotential, umso ärger die Seelenpein, wenns mal keine Streicheleinheiten hagelt :) - - - da Du mir eine geistige Lateinlektion zukommen ließest, danke ich gelehrig mit einem alten römischen Rechtsgrundsatz: "audiatur et altera pars" (man höre auch die andere Seite) - - - - - und wieder ernsthafter (zuvor war eine Prise Humor enthalten): es gilt bestimmt, auch zu bedenken, dass der "grimme Lehrkörper" nicht die einzige Instanz im Leben eines Kindes ist, welche für das Frustrationspotenzial und das Ausmaß von "seelischen Schäden" ursächlich ist; wie gesagt, nicht die EINZIGE Ursache - und da Klavierunterricht nicht das wichtigste im Leben der Mehrheit ist, sollte man dieser Nebensache nicht die Last aufbürden, psychotherapeutische Profiheilung leisten zu müssen.

ich selber glaube nicht, dass der Anteil an seelischen Erkrankungen im Bevölkerungsdurchschnitt von "herbem Unterrichtsstil in Klavierstunden" verursacht wurde, ich glaube eher, dass deren ursächlicher Anteil eher marginal ist - - - aber wie so vieles, ist auch das ein heikles Thema...

ach ja, das Thema hier ist ja durchaus thematisch verwandt mit ein par anderen Themenfäden hier - da ist viel Interessantes angesammelt, aus vielen verschiedenen Perspektiven und vielen verschiedenen Erfahrungshorizonten (und manches amüsante ist auch dabei)

liebe Grüße, Rolf
 
lieber Rolf, ich tendiere eigentlich voll zu Deiner Linie, habe aber vor einiger Zeit erfahren müssen, dass es tatsächlich einige erwachsene Menschen gibt, die heute noch (50+!!!) nachts schweißgebadet aufwachen, weil der üble Mathelehrer (er war de facto ein A...) sie im Traum an der Tafel wieder einmal so richtig fertig gemacht hat (unter der Gürtellinie, versteht sich). Wenn also Fast-Rentner solche Jugenderlebnisse noch im Traum verarbeiten müssen, dann scheint es wohl Menschen zu geben, die nicht verzärtelt aufwuchsen (50/60er Baujahr) und denen ein eigentlich unwesentlicher Mensch (der Fußballtrainer war ja viel wichtiger) dennoch tiefe Wunden zufügen konnte...
 

Zurück
Top Bottom