Komponist Elliott Carter ist tot

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Erst HWH - und jetzt Elliot Carter.

Und beide waren bis zuletzt blitzwach.
 
Oh mein Gott, das mit Hans Werner Henze habe ich gar nicht mitbekommen, ich war letzte Woche nämlich gar nicht in Deutschland und hatte auch kaum Internetzugang. Ach herrje. :(

Gott bewahre uns immerhin den guten alten Boulez noch ein bisschen...
Wenn man sich die Geburtsjahrgänge ansieht und mit der durchschnittlichen Lebenserwartung in Beziehung setzt, muss man natürlich mit derartigen Nachrichten rechnen. Henze war schon seit langen Jahren schwer an Parkinson erkrankt und trotz seines schlechten Gesundheitszustands kompositorisch bis ans Lebensende hellwach und aktiv - von seinem Assistenten David Graham habe ich von Zeit zu Zeit Näheres vernehmen können. Andere Komponisten dieser Generation sind schon einige Jahre nicht mehr am Leben, z.B. Berio, Nono oder Stockhausen. Letzterem hatte der zehn Jahre ältere Jürg Baur mit einem Klavierstück namens "Adieu Stockhausen" ein kompositorisches Denkmal gesetzt, bevor er selbst das Zeitliche segnen musste.

Elliot Carter hat nun wahrlich ein biblisches Alter erreicht - und das nun vollendete Lebenswerk wäre einer ästhetischen Betrachtung würdig, sofern man nicht vor postseriellen Schreibweisen zurückschreckt, die sich einem nicht eben leicht erschließen. Für Klavier wäre von Aussagekraft folgendes Zeugnis der Reife (mit Noten):
Elliott Carter: Night Fantasies [w/ score - 1/2] - YouTube
Elliott Carter: Night Fantasies [w/ score - 2/2] - YouTube

Unüberhörbar sind die neoklassischen Wurzeln in der dreieinhalb Jahrzehnte früher entstandenen Klaviersonate, mit der er in etwa auf der gleichen Augenhöhe mit dem ein Jahr älteren Wolfgang Fortner steht: Elliot Carter: Piano Sonata (1943-46) - YouTube

Dass trotz der postseriellen Schreibweise ein gewisser spielfreudiger und musikantischer Duktus nie zum Versiegen kam, zeigt folgendes Spätwerk:
Elliot Carter ~ Two Diversions - YouTube

Abschließend eine Miniatur des fast neunzigjährigen - mit Notenmaterial illustriert, das den Zugang zur eigenen Einstudierungstätigkeit schon ein wenig zu präzisieren vermag. Sicherlich bietet sich in so manchem Fall eine behutsame Repertoire-Erweiterung für eigene solistische Auftritte an:
Elliott Carter: Matribute [w/ score *and* fingerings!] - YouTube

Spezialisten wie Ursula Oppens, Charles Rosen und Pierre-Laurent Aimard haben einiges in ihrem Repertoire - vielleicht kommen andere auf den Geschmack? Es muss ja nicht immer Stockhausen oder Boulez sein...

...meint Rheinkultur
 
Liebe Rheinkultur,

herzlichen Dank für deinen schönen und sehr informativen Beitrag - Carter würde sich bestimmt freuen.

In der Tat hat er ein biblisches Alter erreicht - sogar so alt, dass letztes Semester eine Freundin, die ein Stück von ihm in der Prüfung spielte und mal wissen wollte, wie alt er eigentlich ist, bereits an den Quellen gezweifelt hat ;)

Spezialisten wie Ursula Oppens, Charles Rosen und Pierre-Laurent Aimard haben einiges in ihrem Repertoire - vielleicht kommen andere auf den Geschmack? Es muss ja nicht immer Stockhausen oder Boulez sein...

Wahre Worte! Gerade vor ein paar Wochen wurde meine Aufmerksamkeit durch einen Vortrag von Aimard noch einmal gezielter zu Elliott Carter geführt - es war der Versuch eines Abrisses über Schlüsselwerke der Neuen Klaviermusik, Komponisten und ihre Stile. Vieles von dem, was gesagt wurde, kannte ich schon, doch Carter war für mich die Entdeckung des Abends. Ich kannte ihn zwar schon, aber nicht wirklich gut. Dieser Abend hat bewirkt, dass ich nun große Lust habe, etwas von ihm zu spielen, schon alleine, um seinen Umgang mit und seine Konzeption von Polyphonie besser kennenzulernen. Gerade auch im Vergleich zur Verwendung der Polyphonie in der Musik Ligetis interessiert mich diese andere Konzeption sehr.

Nochmal danke für deinen Beitrag!

Herzliche Grüße,
Partita
 

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