Können Gefühle minderwertig sein?

Das Dumme ist nur: Einer kann sich wirklich das Hirn zermartert haben, alles gegeben haben, sein Herzblut etc. - und trotzdem kommt nur ein mittelmäßiger Schmarrn heraus.
Und bei anderen Gelegenheiten kommt der großartige, hundertprozentig stimmige Einfall mühelos, plötzlich und unvermittelt und muss nur noch schnell auf die Serviette des Cafes notiert werden, in dem man gerade sitzt.

Ja, stimmt. So einfach ist also der "Qualitätsbegriff" nicht zu fassen ... Mist!

"Musik hat nichts mit Inspiration zu tun, das ist jeden Tag harte Arbeit!"
So ungefähr hat das Dieter Bohlen in einem Interview ausgedrückt.

Beim ESC geben sich ja auch Leute Mühe ...

Grüße
Roland
 
@Micaiah

Deswegen habe ich meine bewusst provokative und simplifizierte These relativiert mit meinem letzten Satz: "Allerdings isses hier immer noch Größenordnungen besser als woanders ..."

Grüße
Roland
 
Abgesehen davon steht immernoch zur Diskussion, ob es so etwas wie objektive Hochwertigkeit von Literatur, Musik oder Kunst überhaupt gibt.

Will keinen auf die Füße treten, aber mal überspitzt ausgedrückt und ohne jmd. beleidigen zu wollen:
Wenn man "objektive Hochwertigkeit" fest stellen könnte, was habe ich davon? Gute Rahmenhandlung, gut aussehende Darsteller, überzeugende Szenen, perfekte Ausleuchtung, aufwändiges Produktionsdesign, hervorragender Schnitt, geschmackvolle Hintergrundmusik, aber von einem "objektiv hochwertigen" Schwulenporno habe ich nichts ...

Grüße
Häretiker
 
Doch, natürlich gibt es objektive Hochwertigkeit.

Es gibt eine kleine Spitze des Eisbergs in der Kunst, bei der Hochwertigkeit objektiv vorliegt: Bach, Beethoven, Michelangelo etc.

Dann gibt es ein riesiges, breites Feld, bei dem man sich durchaus immer mal wieder streiten kann.

Und dann gibt es unten noch das (ebenfalls relativ kleine) Feld der objektiven Un-Hochwertigkeit, z.B. unbeholfener Kompositionsversuch eines Klavierschülers, Stefan-Frank-Roman Nr. 487, RTL-II-Dokusoap etc.
Manchmal wird die Un-Hochwertigkeit auch bewusst von Künstlern als Mittel zur Schaffung wiederum gültiger Kunstwerke eingesetzt. Mozarts "musikalischer Spaß", Bartoks "Konzert für Orchester" etc.

Diejenigen, die behaupten, es gebe keine objektive Qualität, sondern alles liege im Auge des Betrachters, haben also Unrecht - bei einem (allerdings kleinen) Teil der Werke lassen sich sehr wohl sehr klare diesbezügliche Urteile fällen. Was halt nur nicht möglich ist, ist, ein beliebiges Werk X zu nehmen und dies auf einer Qualitätsskala zuzuordnen.
 
Das ist lediglich der heutige Relativismus. Eine echte Seuche.

Zu Recht ist es eine sehr wichtige Errungenschaft der aufgeklärten Zivilisation, dass alle Menschen mit gleichen Rechten ausgestattet sein sollen und gleichermaßen in ihrer Würde geachtet werden sollen.

Nur wird heutzutage übers Ziel hinausgeschossen und die Ansicht verbreitet, dass dies auch damit einhergehe, dass alles, was der dumme, ungebildete X toll findet, gleichwertig sei mit allem, was beispielsweise Mittelschicht-Reihenhausbewohner Y oder Musikprofessor Z toll finden.

Und das ist natürlich ein Schmarrn.

Aber man darf ja mittlerweile nicht mal mehr sagen, dass jemand dumm oder ungebildet sei. Der ist schließlich in Wirklichkeit total klug, kann das nur aufgrund des Umfeldes oder seiner Unterdrückung nicht immer so zum Ausdruck bringen...
 
Zuletzt bearbeitet:

Um wieder auf die Ausgangsfragestellung zurückzukommen:
Ich würde Alekos Frage eindeutig mit Ja beantworten. Woran liegt es, dass man häufig der Ansicht ist, Gefühle seien eine Art "wertfreier" Bereich? Das hat wohl mit zwei gängigen Irrtümern über das Thema "Gefühle" zu tun, die ich hier einmal ansprechen will (vieles wurde schon gesagt, aber vielleicht kann eine erneute Bündelung nochmal weiterhelfen):
1. Gefühle sind rein subjektiv und finden in einem "privaten" Innenraum statt. Falsch, denn Gefühle sind leiblich erfahrbar, jedem anderen sichtbar (Zorn und Scham etwa durchbeben den gesamten Körper) und können sich auch als Atmosphären über eine ganze Menschengruppe oder über Landschaften, Räume etc. aubreiten. "Es ist kein Zufall, daß die erste überlieferte, systematisch ausgeführte Interpretation der Affekte nicht im Rahmen der 'Psychologie' abgehandelt ist. Aristoteles untersucht die páthe im zweiten Buch seiner 'Rhetorik'." (Heidegger: Sein und Zeit, S. 138.)
Eng mit dem ersten hängt der zweite Irrtum zusammen:
2. Gefühle sind (da rein privat) nicht der ethischen Bewertung und keiner Verfeinerung oder Erziehung zugänglich. Nicht umsonst waren "Gefühle" (oder besser Grundhaltungen) wie Zorn, Hochmut und Neid in der Tradition immer wieder Teil von Lasterkatalogen und gehören für den Katholiken sogar unter die Todsünden. Man könnte die gesamte Kunstproduktion und -rezeption vielleicht (unter anderem) als Versuch einer Verfeinerung und Erziehung des Herzens, also der Gefühle, betrachten. Nicht umsonst sagte Bertolt Brecht, daß man durch das Lesen von Gedichten ein "besserer Mensch" werden könne, "ein genußfähigerer, feiner empfindender Mensch". Dasselbe gilt natürlich für Musik.

Und damit sind wir auch bei der Diskussion über die "Wertigkeit" von Musikstücken. Man könnte die Frage auch so formulieren: Welche Atmosphären transportiert ein Stück, leistet es im Auslösen eines Zusammenspiels von Intellekt und Gefühl eine Erziehung des Herzens, eine Verfeinerung des Empfindens, oder dient es nur einem kurzen, oberflächlichen "Genuss"? In der Rhetorik (s. o.) gab es schon immer Ansätze zu einer Ethik der Gefühle, und vieles davon kann man mutatis mutandis auf die Musik übertragen. Man bedenke: Musik ist ein "Stimmungsmacher" par excellence! Und damit hängt die ethische Frage zusammen: Will ich in einer Stimmung der Oberflächlichkeit, der Konformität und Simplizität leben (also den Stimmungen verpflichtet sein, wie sie TEY auslöst) oder will ich von einer Stimmung der Lebenstiefe, der Verfeinerung und Differenzierung umgeben sein (wie sie die Musik der großen Komponisten verbreiten kann)?
Soweit einige Überlegungen, die vielleicht die Diskussion weiterbringen könnten.
 
1) Das Problem ist, dass in der Wissenschaftstheorie inzwischen davon ausgegangen wird, dass alles das Kunst ist, was sich selbst als Kunst bezeichnet oder von anderen so genannt wird. Soweit zum Kunstbegriff.

2) Man kann Musikstücke analysieren (z.B. formal, harmonisch, rhythmisch usw.) und verschiedene Musikstücke eines Komponisten, einer Stilgattung, Epoche etc. miteinander vergleichen.

Man könnte also z.B. sagen: "Das Stück von Bach ist harmonisch sehr komplex und das Stück von Tiersen ist harmonisch sehr einfach gehalten."
Das ist eine neutrale Beschreibung mit der sich wissenschaftlich arbeiten ließe.
Sagte man aber: "Das Stück von Bach ist besser, weil es harmonisch komplexer ist.", dann ist das eine Wertung, die in keiner wissenschaftlichen Arbeit etwas verloren hätte.

Es ist völlig in Ordnung für sich selbst festzulegen, dass einem harmonisch komplexe Stücke besser gefallen und man sie persönlich als wertvoller einschätzt.
Darau kann man aber niemals eine allgemeingültige Regel machen.

In Deinem Beispiel ist das spontane Geklimper des 6-jährigen also unter Umständen Kunst, wenn es als solche bezeichnet wird, ja.
Ob und wie man das dann wertet, kommt darauf an womit man es vergleicht.

In der Mathematik sind Aussagen immer wahr oder falsch.
Das heißt aber nicht, dass das auch automatisch für alles andere in der Welt gilt.

Was sagt denn dann der Musiklehrer zu seinem tüchtigen Schüler bezüglich der Interpretation eines Werkes? "Das hast du ganz fein gemacht, das geht aber nocht besser, wenn du...". Momentmal - besser? Gut schlecht? Besser? WIe würdest du das formulieren? "Ich würde das so interpretieren, weil..." Warum? Weil dann der Inhalt besser... zum Ausdruck kommt?

Immer wieder, wenn ich darüber nachdenke, gibt es schon Gewichtungsmerkmale. Ich finde TEY verglichen mit ... Beethoven auch schlecht. Aber ab und zu kann es auch mal ganz einfache Kost, warum nicht?
 
. Man bedenke: Musik ist ein "Stimmungsmacher" par excellence!

Musik ist für mich Sprache, es kann mich gleichgültig lassen, verärgern, erfreuen usw. Und ebenso wie in der Sprache, ist hier auch die Interpretation wichtig. Wenn mir jemand völlig belangloses Zeugs mittels sehr guter Rethorik erzählt, hab ich da mehr von, als wenn mir jemand etwas an sich spannendes monoton runterleiert. TEY würd ich mal da mit vergleichen "wie ist des Wetter heute, ach ja im Dezember könnt es Winter werden" Würd man hier mehr Rethorik walten lassen, also ein paar Harmonien, Akkorde und Verzierungen mehr, könnt des durchaus interessant werden.

LG
Henry
 
Musik ist für mich Sprache, es kann mich gleichgültig lassen, verärgern, erfreuen usw. Und ebenso wie in der Sprache, ist hier auch die Interpretation wichtig. Wenn mir jemand völlig belangloses Zeugs mittels sehr guter Rethorik erzählt, hab ich da mehr von, als wenn mir jemand etwas an sich spannendes monoton runterleiert. TEY würd ich mal da mit vergleichen "wie ist des Wetter heute, ach ja im Dezember könnt es Winter werden" Würd man hier mehr Rethorik walten lassen, also ein paar Harmonien, Akkorde und Verzierungen mehr, könnt des durchaus interessant werden.
Ein treffender Vergleich, genauso meinte ich das!

Emotionen eines Menschen spielen sich natürlich vornehmlich in dessen Gehirn ab und haben logischerweise auch Auswirkungen auf den Körper. Selbstverständlich können die Mitmenschen manchmal die körperliche oder geistige Angespanntheit eines Menschen spüren. Sie spüren dann aber nur das IRGENDETWAS mit dem anderen los ist. Eventuell können sie auch aufgrund der Körpersprache des anderen ausmachen, ob es sich um Wut, Trauer etc. handelt. Das sind dann aber nur Rückschlüsse, die wir augrund unser Menschenkenntnis und Erfahrung machen. Das eigentliche Gefühl erlebt in seiner vollen Intensität nur der, der es gerade fühlt. Das andere ist dann einfach Sensibilität oder emotionale Intelligenz (z.B. beim Mitleid).
Eben die von Dir skizzierten Modelle der Wirkung von Gefühlen halte ich für falsch oder doch für sehr verkürzt. Zumindest muss man sagen, dass man viele wichtige Phänomene mit diesen Modellen nicht erklären kann. Wären Affekte nur etwas "in den Gehirnen", das sich dann sekundär auf andere überträgt, dann wäre beispielsweise das Aufpeitschen der Stimmung bei einem Fußballspiel oder bei einer guten Parteitagsrede nicht erklärbar. Und dass Wut oder Trauer sich nicht leiblich ausdrücken, kommt doch eigentlich nie vor. Den Super-Stoiker, der das alles verbergen kann, den gibt es nicht.

Ich würde sagen:
Erziehung eines Kindes dahingehend, einzusehen, dass bestimmte Werte vernünftig sind, ist sinnvoll und wichtig. Aber ein Gefühl eines Kindes (z.B. Wut oder Trauer), das gerade gefühlt wird, wegzureden oder zu bewerten ist falsch.
Das heißt nicht, dass man einem Kind jedes "Fehlverhalten" konsequenzlos durchgehen lassen soll. Aber es ist wichtig Kindern immer Erklärungen mitzugeben.
Ich meinte gar nicht primär Kindererziehung, sondern vor allem Selbsterziehung.
 

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