Können Gefühle minderwertig sein?

Aleko

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Ein weiteres Thema, welches mich seit gewisser Zeit verfolgt, ist die Frage, ob menschliche Gefühle
minderwertig sein können. Es ist eine ganz heikle Sache und schwer in Worte zu fassen. Ich versuche es trotzdem. Nehmen wir doch mal Musik und zur Veranschaulichung das in diesem unseren Forum recht probates Mittel "TEY" (für die nicht Eingeweihten: Tiersen, Einaudi, Yiruma).

Mal angenommen es treffen sich zwei Menschen, der eine ist in Sachen Musik ein Koryphäe, schwelgt beim Anhören von WTK und späten Beethoven Sonaten, die Musik von TEY verursacht bei ihm höchstens einen Lachanfall und den unwiderstehlichen Drang den Ausschaltknopf zu betätigen. Der andere ist so ganz anders und teilt mit, dass ihn beim Anhören von TEY unglaubliche und bis dato in ihrer emotionalen Intensität kaum auszuhaltende Gefühle überkommen, empfiehlt TEY weit und breit in der aufrichtigen Hoffnung, dass Begeisterung ansteckbar ist, und es noch andere gibt, die seine Freude nachempfinden können. Wichtig ist an dieser Stelle anzumerken, dass wir keinerlei Grund haben anzunehmen, dass einer von den beiden lügt oder seine Gefühle beim wörtlichen Wiedergeben verschönert. Die Gefühle sind also echt.

Der gesunde menschliche Verstand spürt wohl, dass hier etwas nicht in Ordnung ist. Jetzt ist die Frage: wie soll man mit so einer Situation umgehen? Kann man sagen, dass der TEY-Liebhaber minderwertige Gefühle hat? Natürlich liegt man nicht falsch, wenn man sagt, dass der TEY-Verfechter unerfahren und musikalisch ungebildet ist. Man könnte sogar bei vorhandenem Wunsch Kraftausdrücke zu gebrauchen und abwesender Besorgnis, jemandem zu nahe zu treten, so weit gehen und so was sagen wie "Hey Alter, ganz ehrlich, du bist dumm und hast keine Ahnung, geh erstmal Musik studieren, analysiere ein paar Partituren, dann reden wir weiter". Das alles tangiert aber das Thema der Gefühle gar nicht. Der eingeschnappte TEY-Fan besteht darauf, dass sein emotionaler Zustand echt ist, er aufrichtige Freude und Glück beim Hören von TEY verspürt und keinerlei Grund dafür sieht, diesen erfreulichen Zustand durch Anhören von ihm unverständlicher Musik zu gefährden.

Freilich lässt sich dieses Beispiel auf viele andere Musik nicht betreffende Situationen aus dem Leben anwenden. Das Medium Musik habe ich bewusst gewählt als etwas, was nahezu bei jedem Individuum Gefühle hervorrufen kann. Wie seht ihr das, können Gefühle minderwertig sein, kann und darf man überhaupt über Gefühle der anderen urteilen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich könnte mich bestimmt auch für 12 Ton und andere "moderne" Musik begeistern. Dafür müsste ich mich damit aber wohl eingehend beschäftigen - so lange bleibt mir deren Genuss verschlossen.

Das betrifft wohl auch den TEY Hörer. Ich denke es ist ein Fakt, dass alte klassische Musik komplexer, ausführlicher ist, als TEY - rein subjektiv.

Bei vielen scheint eine Hürde zu sein, sich mit tiefer gehender Musik zu beschäftigen. Bei mir liegt diese bei bereits genannten.

Es hat mMn nicht mit dem Wert von Gefühlen zu tun. Es sind Hörgewohnheiten und wie sehr du dich mit einem Typus Musik beschäftigst und bereit bist, auf diese einzugehen.

Keine von beiden Seiten sollte die andere schlecht reden - wie es hier häufig mit TEY gemacht wird.
 
Wie seht ihr das, können Gefühle minderwertig sein [...] ?

"Können Gefühle minderwertig sein?"
Den Ausdruck "minderwertig" finde ich in diesem Zusammenhang diffus. Kannst Du ihn konkretisieren? Minderwertig bedeutet zunächst einmal: von vergleichsweise/relativ betrachtet weniger Wert als andere Elemente einer bestimmten Gruppe, wobei die Wertmaßstäbe, die zur Beurteilung herangezogen werden, noch zu definieren wären.
Wenn man also umformuliert: "Haben einige Gefühle mehr oder weniger Wert als andere?", so stößt man neben dem nicht klar definierten Wertesystem auf ein weiteres Problem - die Definition und Abgrenzung verschiedener Gefühle gegeneinander. Meinst Du mit dem Begriff "Gefühl" eher die Empfindung oder aber die Emotion? Ich nehme mal an, letzteres.

Lassen wir uns ungeachtet dieser Problematik auf Dein Beispiel der beiden Musikhörer ein, bei denen beim Anhören derselben Musik unterschiedliche Emotionen ausgelöst werden: "Kann man sagen, dass der TEY-Liebhaber "minderwertige" Gefühle hat?"

Ich persönlich denke, dass es auf jeden Fall "komplexere", "differenziertere" oder "einfachere" Gefühle gibt; genauso, wie sie von kürzerer oder längerer Dauer sein können. Außerdem unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Wirkung und ihrer Tragweite. Um bei Deinem Beispiel zu bleiben:

Wenn der TEY - Hörer beim Anhören der Musik Freude und Glück empfindet, so sei ihm das gegönnt. Ehrlich empfundene Freude ist wertvoll, genauso wie aufrichtig empfundenes Glück. Beide Emotionen sind aber in der Regel von ephemerem Charakter - und da liegt für mich ein beträchtlicher Unterschied!

Der Beethoven - Hörer kann, wenn es sich um einen intellektuell und natürlich musikalisch ausreichend entwickelten Menschen handelt (inwiefern das überhaupt Voraussetzung ist, weiß ich nicht!), feiner differenziert empfinden.
Das liegt zwar auch im Rezipienten begründet, jedoch nicht ausschließlich - bei einem Werk von TEY würde er wohl vergeblich an der Oberfläche kratzen, weil hinter dem Duft keine Blüte steht.
Beethoven, Chopin, Ravel, Medtner - ihr OEuvre wurde nicht zu dem bloßen Zweck erschaffen, "Freude" oder "Glück", zuweilen auch "Nostalgie" auszulösen. Gefälligkeit ist ein schnell und mühelos erworbenes Gut, das in der Regel die angenehme Eigenheit besitzt, in seiner Wirkung genauso anstrengungslos und flüchtig zu bleiben.

Die Frage lautet für mich also viel eher: Was möchte die Musik? Möchte sie beruhigen, ein Wohlgefallen oder sogar ein Glücksgefühl auslösen?
Oder möchte sie zum Nachdenken anregen, umtreiben, zunächst fesseln und schließlich bewegen?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
TEY-Musik ist nicht deshalb minderwertig, weil sie "minderwertige" Gefühle auslöst, sondern weil sie unehrlich ist und eine Beleidigung des menschlichen Intellektes darstellt. Sie hat deshalb in der Musik einen ähnlichen Stellenwert wie Rosamunde Pilcher in der Literatur oder Bud Spencer-Filme im Kino.
 
Die Gefühle an sich sind sicher nicht minderwertig. Der Irrtum ist, Kunst, in welcher Form auch immer, mit Gefühlsausdruck gleichzusetzen. Kunst ist in erster Linie ein Ausdruck von Geist und Idee, die uns auch emotional bewegen.
 
TEY-Musik ist nicht deshalb minderwertig, weil sie "minderwertige" Gefühle auslöst, sondern weil sie unehrlich ist und eine Beleidigung des menschlichen Intellektes darstellt. Sie hat deshalb in der Musik einen ähnlichen Stellenwert wie Rosamunde Pilcher in der Literatur oder Bud Spencer-Filme im Kino.

menschliche Empfindungen sind per se wertfrei. Sie unterscheiden sich lediglich in der Intensität. Erst die Interpretation durch Menschen gibt ihnen Attribute, die man als wertend bezeichnen könnte.
 
Interessant erscheint mir auch folgender Aspekt, der wohl auch mit Erfahrung, Kompezenz, Motivation etc. zusammenhängen könnte:

Eine gute Bekannte (um die 50), selber langjährige Flötistin in einem Blasmusikverein (Marschmusik, Laienverein), hat bei vielen Gelegenheiten immer wieder betont, wie sehr sie die Musik liebe. Vor allem Bach und Mozart liebe sie sehr. Auf meine mehrmalige interessierte Nachfrage, was sie denn besonders möge und was sie denn so höre und kenne, stellte sich heraus, dass sie tatsächlich von Bach lediglich das Air aus der h-moll Orchestersuite sowie die Klavierfassung von "Jesu bleibet meine Freude" und die Badinerie namentlich kannte. Die Flötensonaten von Bach kannte sie zB nicht. Von Mozart waren es tatsächlich nur die beiden Flötenkonzerte. Und Alla Turca. Sonst nichts. Keine Sinfonie, keine Oper, keine Messe. Nix. Dies schien zu reichen, um bei ihr diese Komponisten besonders als Emotion zu festigen. Auch wenn sie vom immensen Opus beider Komponisten somit ziemlich nichts wirklich kannte bzw. darin null Erfahrung hatte. Mir fiel auch auf, dass sie gern in Musiker- und Akademikerkreisen ihre Affinität zu Bach und Mozart erwähnte...

Dies will ich nicht werten, aber es ist eine interessante Beobachtung. Es gibt auch Leute, die finden Beethoven voll cool (Beethoven = Für Elise und TaTaTaTaaaaaa).
 

Jetzt ist die Frage: wie soll man mit so einer Situation umgehen?

(...)

Freilich lässt sich dieses Beispiel auf viele andere Musik nicht betreffende Situationen aus dem Leben anwenden.

Es gibt ein Zaubermittel, dass lässt einen recht einfach mit solchen Situationen umgehen und führt dazu, dass man sich gar nicht erst Gedanken darüber machen muss, ob es minderwertige Gefühle gibt.

Das Zaubermittel heisst "Andere Menschen respektieren". Dazu noch jeweils ein kleines Tröpfchen Empathie und Gelassenheit und der Drops ist gelutscht.

Das heisst ja nicht, dass man für sich selbst keine Konsequenzen zieht und versucht, solche Situationen möglichst zu meiden oder anderweitig zu umgehen.
 

Die nach meiner Meinung auch über das Ziel weit hinaus schießen. Etwas dümmlicheres als die Libretti zum Ring der Nibelungen kann man sich z.B. ja fast nicht vorstellen, da müsste im Vergleich die erwähnte Rosamunde Pilcher ja den Nobelpreis für Literatur bekommen. Dennoch würde ich Wagner-Liebhaber nicht als intellektuell minderbemittelt bezeichnen;-). Wobei ich auch die kühne Behauptung wage, dass ein sehr großer Teil der Klassik-Liebhaber die jeweils gehörten Werke beurteilt nach gefällt und gefällt nicht, ohne großartige musiktheoretische Kenntnisse. Auch über den Begriff der "unehrlichen Musik", der hier immer wieder fällt, ließe sich trefflich streiten.
 
Es gibt ein Zaubermittel, dass lässt einen recht einfach mit solchen Situationen umgehen und führt dazu, dass man sich gar nicht erst Gedanken darüber machen muss, ob es minderwertige Gefühle gibt.

Das Zaubermittel heisst "Andere Menschen respektieren". Dazu noch jeweils ein kleines Tröpfchen Empathie und Gelassenheit und der Drops ist gelutscht.

Das heisst ja nicht, dass man für sich selbst keine Konsequenzen zieht und versucht, solche Situationen möglichst zu meiden oder anderweitig zu umgehen.

So ein bisschen liest sich dein Beitrag wie eine Unterstellung mir gegenüber, ich würde anderen nicht genug Respekt oder Empathie entgegenbringen. Das bitte ich doch zu lassen ;-)Wenn man mich schon in die geschilderte Situation mit den beiden Musik-Liebhabern hineininterpretieren möchte, dann soll erstmal geklärt werden, wer von den beiden ich denn sein könnte. In Wirklichkeit: keiner von den beiden, es ist wirklich ein rein erdachtes Beispiel.

Ich habe mir bei der Formulierung extra Mühe gegeben, die Musik von den durch sie ausgelösten Gefühle zu trennen. Ich finde es teilweise unglücklich, dass TEY-Bashing mal wieder ausgebrochen ist, wenngleich der Unterhaltungsfaktor bei solchen Sachen immer recht hoch ist :-DIch persönlich finde den Film "Amelie" mit der dadrin enthaltenen Musik völlig schlüssig und kann mir kaum eine passendere musikalische Untermalung der dortigen Geschehnisse vorstellen. Losgelöst von dem Film würde ich mir diese Musik in einem Konzert nicht anhören wollen.

Sonst danke ich für die interessanten Beiträge. Ich sehe mich in meiner Vorstellung bekräftigt, dass über reine Emotionen und Empfindungen anderer nicht urteilt werden kann, wohl aber darüber, was sie auslöst.
 
Ich weiß nicht, ob minderwertig der richtige Ausdruck ist.
Man stelle sich zwei gleichaltrige und gleich musikalisch gebildete Individuen (!!) vor und frage dann nochmal nach Geschmack.
Es könnte glatt passieren, dass der eine sich für Gershwin entscheidet und der andere sagt, Helene Fischer rufe mit einfachen 3-Akkord Liedern die gleichen Glücksgefühle hervor.
Man wäre dann versucht die Intelligenz zu (unter)suchen.
Vermutlich liegt es aber an der Prägung oder irgendeiner Kurve, die das Leben einem beschert hat.
Möglicherweise liegt es aber auch einfach in den Genen.
Während ich mit Musik(instrumenten) aufgewachsen bin und einen Musiklehrer hatte, der uns in der Schule die Stücke wirklich analysieren lies (in unserem Fall z.B. Peter und der Wolf) hat mein Mann bei gehobenerer Ausbildung seiner Aussage bei weitem nicht eine auch nur annähernd tief gehende Bildung im Musikunterricht vermittelt bekommen. Er kann keinen dreiviertel Takt zählen (ohne dass er nicht einfach die 4 leise spricht - und schon ist es bekanntlich keiner mehr). In meiner Familie wurde immer schon musiziert, in seiner niemals.
Jetzt ist er aber genau so überzeugt ein großer Musikkenner zu sein, wie andere in meiner Familie :-D - wo bei ich weiß, dass ich nichts weiß, was ja schon ein bisschen Wissen voraussetzt.
Wer von uns beiden hat jetzt die minderwertigen Gefühle? Er ist bei Bierzeltmusik total glücklich. Ich leide dabei wie ein Hund! Ich kann bei Mike Batts "Hunting Of The Snark" entspannen, andere kriegen Schreikrämpfe.
Gut, mein Gatterich und ich haben nicht die gleiche musikalischen Voraussetzungen, welche ich eingangs gefordert hatte, aber wo findet man die schon?
Wie definiert man minderwertig?
Es ist doch eher der Bildung entsprechend und mit der Historie verknüpft. Wenn man abspeichert, dass die beiden Amigos "schön singen" dann wird man diese als Messlatte ansetzen.
Und leider kann man diesen Maßstab später nur noch schwer ändern.
 
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TEY-Musik ist nicht deshalb minderwertig, weil sie "minderwertige" Gefühle auslöst, sondern weil sie unehrlich ist und eine Beleidigung des menschlichen Intellektes darstellt. Sie hat deshalb in der Musik einen ähnlichen Stellenwert wie Rosamunde Pilcher in der Literatur oder Bud Spencer-Filme im Kino.
TEY und Rosamunde Pilcher... Ok!

Aber lass bloß die Finger von Bud Spencer, Freundchen, sonst Beule !!!
 
"Minderwertige Gefühle"? Vielleicht noch; "entartete Emotionen"? :dizzy:

Jede Musik spricht jeden anders an, ich kann mich zum Beispiel für Militärmärsche begeistern, andere Menschen hassen es. Läuft irgendw TEY, stört es mich zwar nicht, reißt mich aber ebensowenig vom Hocker, das Geräusch eines Staubsaugers hingegen macht mich arg grantig, andere mögen dieses Geräusch.
Mit dem Musikgeschmack ist es das selbe wie mit dem kulinarischen Geschmack; der eine liebt Käse, der andere haßt es, oder ekelt sich gar da vor.

LG
Henry
 
Etwas dümmlicheres als die Libretti zum Ring der Nibelungen kann man sich z.B. ja fast nicht vorstellen, da müsste im Vergleich die erwähnte Rosamunde Pilcher ja den Nobelpreis für Literatur bekommen.

Hast du die Ring-Libretti wirklich gelesen? Oder machst du dich einfach nur lustig über Wagners - auf den ersten Blick tatsächlich seltsam anmutenden - Stabreim?

Dass Wagner den Stabreim gewählt hat, hat allerdings nachvollziehbare Gründe. Zum einen ist es der Versuch, die altgermanische Versdichtung wiederzubeleben, und zum anderen - was noch wichtiger ist - wirkt er in der Oper stark formbildend und ist quasi ein Ersatz für die fehlende Periodenbildung seiner Musik.

Man sollte nicht den Fehler machen, ein Opernlibretto mit einem Roman zu vergleichen (nicht einmal mit einem Drama). Eine Operntext muss ganz andere Anforderungen erfüllen und ist ohne Musik eigentlich nicht denkbar. In dieser Hinsicht sind Wagners Libretti genial und haben einen ganz anderen künstlerischen Anspruch als die Schmonzetten R. Pilchers.

Um noch eines klarzustellen: Ich habe nichts dagegen, wenn jemand TEY hört - es ist mir völlig egal. Ich schaue mir auch mit Vergnügen James Bond oder Indiana Jones-Filme an. Filmkenner werden darüber sicher auch die Nase rümpfen.

Aber immerhin bin ich mir darüber im Klaren, dass diese Filme nur meine niedersten Instinkte bedienen. Bei so manchen TEY-Fans habe ich allerdings den Eindruck, dass sie das Zeug wirklich für große Kunst halten.
 
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