Klavierspielen und Gehör???

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Debbie digitalis

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Hallo miteinander,

in der heutigen Klavierstunde hat mich meine KL doch etwas verunsichert:

Sie behauptete während der Klavierstunde (und hat höchstwahrscheinlich auch recht), dass die (wohltemperierte) Klavierstimmung eigentlich nicht exakt sei. Da sie auch Cello spielt, erwähnte sie, dass Streicher zwischen Kreuzen und B-Zeichen unterscheiden. So sei z.B. das Gis nicht das gleiche wie das As (es wird an einer anderen Stelle gegriffen). Der Unterschied muss wohl auch hörbar sein. Wird man folglich durch Klavierspielen evtl. ein wenig "gehörblind"?? - und wie geht es überhaupt, wenn man gleichzeitig ein Streichinstrument und Klavier spielt - ist das dann nicht völlig verwirrend???:confused:


Danke für eine einfache Erklärung!


LG

Debbie digitalis


PS: Ich weiss, es hat vermutlich etwas mit der Frequenz zu tun, aber leider sind meine physikalischen Kenntnisse aus längst vergangenen Schulzeiten lediglich ein großes schwarzes Loch:D
 
die stimmung des cellos muss ggf in richtung klavier etwas nachjustiert werden, aber sonst gibt es keine unterschiede
wenn das klavier zu tief ge- bzw. verstimmt ist, wirds natürlich auch schwierig
 
Hi Debbie,

es gibt viele Stimmungen die "wohltemperiert" sind. Unsere heutigen Tasteninstrumente sind aber meist mit einer gleichstufigen Stimmung temperiert.

Wenn man 12 reine Quinten (-> Quintenzirkel!) übereinanderlegt passiert Folgendes:
C -> G hat ein Schwingungsverhältnis von 2:3. Das ist eine REINE Quinte. Man kann dieses Verhältnis mathematisch aber auch 1:1,5 ausdrücken.
Legt man auf das G nun noch 'ne Quinte drauf, haben wir zwischen C und D ein Schwingungsverhältnis von 1:2,25. Man muss dabei immer zu dem Nenner nochmals dessen Hälfte addieren. Also 1,5 + 0,75 = 2,25.
Das geht nun so weiter bis wir schlussendlich 12 Quinten übereinander gelegt haben. Die oberste Quintton heißt dann His, und das Schwingungsverhältnis zwischen dem untersten C und dem His wäre dann 1 : 129,746337890625.

Wenn Du nun auf Deine Tastatur schaust und einmal 12 reine Quinten übereinanderlegst, wirst Du sehen, dass deroberste Ton wieder ein C ist. Zählst Du nun den Abstand vom untersten C zum Obersten in Oktaven, wirst Du feststellen, dass es genau 7 Oktaven sind.

Nun machen wir mal die gleiche Rechnung, die wir oben mit reinen Quinten gemacht haben, mit Oktaven.
Die erste Oktave, also von C nach C hat ein Schwingungsverhältnis von 1:2. Legen wir noch eine Oktave drauf, haben wir ein Schwingungsverhältnis von 1:4. Bei 3 Oktaven 1:8 und schlussendlich bei 7 Oktaven 1:128.

In diesem Moment sagte der alte Grieche "da dimmd wad ned!"

Die 12 reinen Quinten ergaben ein Verhältnis von 1 : 129,746337890625.
Die 7 reinen Oktaven hingegen 1:128.

Diese Differenz nennt man nun das Pythagoreische Komma.

Wenn wir also die Oktave rein hören wollen, müssen wir tricksen. Wir müssen die Quinten alle ein bisschen kleiner machen.
Bei der heutzutage üblichen gleichstufigen Stimmung sind ALLE Intervalle verstimmt, ausser der Oktave, die ist wirklich rein.
Der Grund zur Aufgabe der reinen Stimmung war das Bedürfnis gleichwohl in allen Tonarten spielen zu können. Man ging also her und teilte die reine Oktave in 12 absolut gleiche Teile. Daher das Wort "gleichstufig".
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Um das nochmal etwas weiterzuspinnen, was Fred schrieb:

Am Klavier spielt man As und Gis mit derselben Taste. Ein Streicher, dahingegen, spielt Töne je nachdem, wo und wie sie in die Harmonie passen. Eine reine Durterz ist z.B. kleiner als die Durterz am Klavier. Wenn ein Streicher also das Gis als Terz vom E-Dur-Akkord spielt, wird er es meistens (Gehör mal vorausgesetzt) tiefer spielen als es auf dem Klavier klingt.

Vor allem bei Kammermusik, wo nur ein Streicher pro Stimme spielt, hört es sich sehr gut an, wenn reine Intervalle gespielt werden, nicht temperierte.

Wenn ein Streicher allerdings mit Klavierbegleitung spielt, muss er sich natürlich auf das Klavier einstellen.

Ciao,
Mark
 
Wenn ein Streicher also das Gis als Terz vom E-Dur-Akkord spielt, wird er es meistens (Gehör mal vorausgesetzt) tiefer spielen als es auf dem Klavier klingt.

hallo Mark,

ich bin mir da nicht so ganz sicher, selbst dann nicht, wenn Streicher das tun: es finden sich gelegentlich in der romantischen Literatur Partituren, in welchen Instrumentengruppen zugleich in zwei enharmonisch verwechselten Tonarten spielen - das müsste ja streng genommen leicht dissonant sein (z.B. gibt es in Wagners "Walküre" eine Stelle, in welcher fis-Moll und ges-Moll simultan notiert sind). Ich glaube eher, dass seit ziemlich langer Zeit für die Notation und Harmonik die gleichstufige Stimmung die Grundlage ist und im Zusammenspiel der Instrumente genutzt werden sollte.

Denken wir uns einfach mal eine Reihe von großen Terzen:
c - e - gis - c
c-e große Terz
e-gis auch
gis-c aber ist so notiert eine "verminderte" (alterierte) Quarte...
insofern wäre für die Terzkette c-e-gis/as-c verständlicher, und da sollte egal sein, ob der Ton nun gis oder as heisst.

Gruß, Rolf
 
Hallo Rolf,

Freilich würde ein Streicher eine Note nie so greifen, dass sie eine Dissonanz erzeugt. Im Gegenteil, was ich sagen wollte: falls ein Streicher nicht ohnehin gleichtemperiert spielt, wird die Neigung (ob bewusst oder unbewusst) eigentlich immer zum reineren Intervall sein - weil sich z.B. eine reine(re) Durterz einfach besser anhört als eine gleichtemperierte - gerade in der Kammermusik. Wiegesagt, ich denke, viele Streicher machen das ganz natürlich, ohne groß daran herumzudenken. Sie spielen einfach nach Ohr.

Ich bin kein Profistreicher, habe aber 20 Jahre lang in diversen Sinfonieorchestern als auch einigen Kammer-Ensembles gespielt. Meine obigen Beobachtungen bezogen sich wiegesagt eher auf Kammermusik. In der Sinfonie geht es eher gleichtemperiert zu.

Was viele Streicher aber nicht begreifen, ist, dass man sich einen Fehler einbaut, wenn man die Quinten rein stimmt. Vier aufeinanderfolgende Quinten (beispielsweise das offene c der Bratschen und das offene e'' der Geigen) ergeben MEHR als zwei Oktaven und eine reine Durterz, und wenn die Quinten nun rein gestimmt sind, hört man das syntonische Komma schauderhaft herausstechen. Wenn man aber darauf hinweist, dass die Quinten alle etwas kleiner gestimmt werden sollten, wird man nur entgeistert angeschaut...
 
Was viele Streicher aber nicht begreifen, ist, dass man sich einen Fehler einbaut, wenn man die Quinten rein stimmt. Vier aufeinanderfolgende Quinten (beispielsweise das offene c der Bratschen und das offene e'' der Geigen) ergeben MEHR als zwei Oktaven und eine reine Durterz, und wenn die Quinten nun rein gestimmt sind, hört man das syntonische Komma schauderhaft herausstechen. Wenn man aber darauf hinweist, dass die Quinten alle etwas kleiner gestimmt werden sollten, wird man nur entgeistert angeschaut...

...da können wir mit dem Klavier froh sein, dass wir das Stimmen meistens Fachleuten überlassen können, und dass die Stimmung dann auch meist ein Jahr lang hält...

Ich muss aber auch zugeben, dass ich wegen des Klaviers nun einmal dessen Stimmung gewohnt bin und so eine auch erwarte - wie Du schreibst, ist das ja in Orchestern ohnehin üblich.

herzliche Grüße,
Rolf

p.s. ich könnte keine Gitarre stimmen... typische Klavierhaltung, sich in Sachen Stimmung stets ins gemachte Nest zu setzen :)
 
Hallo,

hach, schön, diesen Faden zu lesen.:)

Es stimmt schon, dass für Streicherohren die Klavierstimmung immer nur ein Kompromiss ist.
Es liegt einfach der temperierten Stimmung inne und auch den Eigenschaften des Klaviers.

Es stimmt auch, dass man die Quinten beim Einstimmen des Streichinstruments recht eng, eigentlich so eng wie möglich stimmen muss. Besonders, wenn man mit einem Klavier zusammen spielen will.

Außerdem irritiert mich stets, dass hier mit 440Hz und dort mit 443 Herz gestimmt wird.:rolleyes:

LG
violapiano
 
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Um das nochmal etwas weiterzuspinnen, was Fred schrieb:

Am Klavier spielt man As und Gis mit derselben Taste. Ein Streicher, dahingegen, spielt Töne je nachdem, wo und wie sie in die Harmonie passen. Eine reine Durterz ist z.B. kleiner als die Durterz am Klavier. Wenn ein Streicher also das Gis als Terz vom E-Dur-Akkord spielt, wird er es meistens (Gehör mal vorausgesetzt) tiefer spielen als es auf dem Klavier klingt.

Vor allem bei Kammermusik, wo nur ein Streicher pro Stimme spielt, hört es sich sehr gut an, wenn reine Intervalle gespielt werden, nicht temperierte.

Wenn ein Streicher allerdings mit Klavierbegleitung spielt, muss er sich natürlich auf das Klavier einstellen.

Ciao,
Mark




Hallo zusammen,

nach meiner Erfahrung spielen Streicher fast immer leittönig. In z.B. A-Dur ist dann gis als Terz der Dominante E-Dur der Leitton, der sich nach a auflöst. Dieses gis wird dann deutlich höher gespielt als ein as. In Streichquartetten etc. ist das so, in Orchestern müssen sich die Streicher den Bläsern anpassen. Auch mit Klavierbegleitung kann je nach Situation leittönig intoniert werden, wenn nämlich das Klavier die Terz nicht mitspielt. Ansonsten muss sich der Streicher der Intonation des Klaviers zu seinem Leidwesen anpassen, was auch je nach Stimmung des Klaviers/Flügels zu mehr als einem Fluch führen kann ....:D .

Viele Grüße

chiarina

P.S.: Ich habe schon öfter Cembalo in Konzerten gespielt und was musste ich da machen - selber stimmen ..... oh,oh :p !
 
Hallo miteinander,

vielen Dank für eure vielen Antworten!

Dank der ausführlichen Erklärung von Fred ist es mir jetzt klar geworden, was es mit der wohltemperierten Stimmung auf sich hat und wo der Unterschied zur Stimmung der Streichinstrumente liegt.

Da ich nie mit Streichern zusammenspiele, werde ich ja mit der gleichstufigen Stimmung des Klaviers keine Probleme haben.


LG

Debbie digitalis
 

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