Gänsehaut

Gänsehaut erzeugende Stellen scheinen auf eine strukturelle Schönheit hinzuweisen.

Und wie Schönheit sich nicht abnutzt, so wird es auch bei diesen Stellen nicht zwangläufig erfolgen, dass ihr Effekt sich abnutzt.

Gewagte These:

erst wenn beim Hören der Effekt zunimmt ist man auf dem Weg das Stück wirklich zu erfassen.
 
Und wie Schönheit sich nicht abnutzt, so wird es auch bei diesen Stellen nicht zwangläufig erfolgen, dass ihr Effekt sich abnutzt.

Gewagte These:

erst wenn beim Hören der Effekt zunimmt ist man auf dem Weg das Stück wirklich zu erfassen.

Ich stimme der gewagten These zu.

Zwei kleine Ergänzungen:
erst wenn beim wiederholten Hören der Effekt zunimmt (im Sinne von intensivieren, vertiefen), ist man auf dem Weg, das Stück wirklich zu erfassen.
 
Ich möchte gerne noch mal eingehen auf den Unterschied zwischen selbst gelernter/gespielter Musik und Musik, der man nur zuhört.

Hier wurde schon öfter dargestelt, dass es da Unterschiede geben könnte.

Stichwort Abnutzungseffekt/Gewöhnungseffekt, davon schrieben hier einige Leser.

Was meint ihr dazu?

Mir fällt dazu ein, dass es beim Lernen Phasen gibt, wo man sich noch nicht richtig in die Musik "fallen lassen" kann. Sog. flow-Gefühl, sage ich dazu, das ist dann einfach nicht da.
Stärkste Gefühle des Berührtseins sind am Anfang da, wenn ich mir ein Stück wähle, dann wieder, wenn es in einem fortgeschirttenen Stadium des Lernens ist.

LG
VP
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich kann mich nicht erinnern, jemals Gänsehaus bei einer Musik bekommen zu haben. Da geht es mir eher wie fisherman. Es gibt in manchen Stücken Passagen, da bleibt mir buchstäblich die Luft weg, ich bekomme einen Kloss im Hals und es treibt mir die Tränen in die Augen. Dagegen bin ich machtlos. Es ändert auch nichts, das Stück schon sehr oft gehört zu haben.
Ich sehe mir auch gerne die Partituren solcher Stücke an und analysiere das Notenbild, so gut ich das kann. Normalerweise bin ich dann erst recht tief beeindruckt davon, was der Komponist geschaffen hat. Manchmal tritt eine solche Reaktion erst dann ein, wenn ich die Musik genauer kenne, welche Intentionen der Komponist hatte, usw. (z.B. bei Händels "L`Allegro")
Allerdings ist mir aufgefallen, dass die Interpretation eines Werkes massgeblich ist, wie ich reagiere (eigentlich eine Binsenweisheit). Die Matthäus-Passion mit Harnoncourt ist für mich geradezu gespickt mit Stellen auf die ich reagiere wie oben beschrieben. Die meisten anderen Interpretationen lassen mich dagegen ziemlich kalt.

Interessant finde ich auch, was violapiano und Stilblüte geschrieben haben. Es geht mit ganz ähnlich. Oft finde ich ein Stück, das ich üben möchte wunderbar. In der folgenden Zeit, während des Uebens, stellt sich eine gewisse Gleichgültigkeit ein. Sobald das Stück aber einigermassen sitzt, kommt dieses starke Gefühl wieder. Ich glaube, das hat auch viel mit dem Werk selbst zu tun. Klavierwerke von Bach oder Preludes von Rachmaninoff bbleiben stets spannend. Manche modernen, eher seichten, aber ganz nett anzuhörenden Stücke werden mir beim zehnten mal spielen langweilig.

Ich habe den Eindruck, dass ich mit zunehmendem Alter immer stärker auf Musik reagiere. Eine Erklärung dafür habe ich bis jetzt noch nicht gefunden.

Gruss aus der Schweiz
Klangrede
 
@ rolf:

Es geht mir bei fast jedem Stück so, dass ich es schöner und intensiver (emp)finde, je besser ich es kenne.
Bei der meisten Musik ist es sogar so, dass ich nicht so viel empfinde, wenn ich sie zum ersten mal höre, sondern den Inhalt erst wahrnehme, wenn ich das Stück mehrmals gehört, manchmal gar erst, wenn ichs gespielt habe, weil ich erst dann begreife, worum es geht.
Das ist vor allem bei vor-romantischer Musik so, je komplizierter, desto eher (Beispiel Bachfuge).

Ich fand z.B. die chopin'schen Klavierkonzerte und seine 4. Ballade beim ersten Mal hören recht unspektakulär :D
 
Also, bei der 4. Ballade kann ich das überhaupt nicht verstehen, die ist so toll. Ich hab mich gleich in sie verliebt.

Mit den Konzerten tue ich mich schwerer, den Orchestersatz finde ich nicht so toll.....:floet:

Jetzt gibts Schelte, das ist mir schon klar.

s015.gif










Ob ich es auch hinkriege, den Faden ein bisschen aufzumischen?:D
 
Ich habe bis jetzt auch keine "Gänsehaut" beim Hören von Musik gehabt.
(Außer natürlich wenns kalt war :D)

Jedoch verspüre ich so einen sanften angenehmen Druck im Magenbereich, die Luft bleibt mir weg. Man kann das schwer beschreiben... "Schmetterlinge im Bauch", also Verliebtsein trifft das recht gut. Es breitet sich in mir eine wohlige Wärme aus, oft lächle ich unbewusst und Tränen steigen mir manchmal in die Augen. Es ist wirklich eine Mischung aus "Schmetterlingsgefühl" und "Achterbahngefühl", bei dem einem ja auch die Luft wegbleiben kann.

Ich finde das ganz interessant, was es für unterschiedliche Eindrücke gibt. Das Gänsehautgefühl erlebe ich im Zusammenhang mit "Fingernägel kratzen auf Tafel" oder dem Aneinanderreiben von rauen, trockenen (mit Sand, Kreide oder Staub behafteten) Händen.
Es soll ja auch Menschen geben, denen das Tafelquietschen gar nichts ausmacht - da läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Bin bis jetzt aber auf keinen gestoßen, der auch bei dem "Reibegefühl" Gänsehaut bekommt.
(Manche Menschen schüttelt es sogar, wenn sie mit Watte in Kontakt geraten :D)

Genetisch hängt das wahrscheinlich nicht zusammen :).. meine Eltern sind beide "Gänsehauttypen" wenns um Musik geht.


LG Janik
 
Vieles wurde bereits genannt. Besonders wichtig darunter war mir die persönliche Auseinandersetzung und Erarbeitung des Werkes.

Ich für meinen Teil würde eventuell zwischen zwei verschiendenen Gänsehäuten unterscheiden.
Die eine ergibt sich aus einem Stück, was mir meistens vertraut (kann jedoch ebenso ein neues sein) ist und meistens auch live aufgeführt wird. In dem Fall muss einiges Stimmen, sowohl der Klang, der Interpret und auch das Publikum. Eine richtige Mischung kann zu unbeschreiblicher Gänsehaut führen, wenngleich das relativ selten geschieht, dass so viele günstige Faktoren aufeinandertreffen.

Ich kriege aber gelegentlich auch eine Gänsehaut beim betrachten von Partituren bzw. den Noten im allgemeinen. Insbesondere bei Bach. Wenn man diese Symmetrie und diese Ästhetik sieht und schon beim studieren der Noten langsam die Ahnung bekommt, wie das alles klingt und wie die Stimmen untereinander interagieren (es kann sich aber auch auf die Harmonik etc beziehen) dann überfällt mich ein wohltuendes Schaudern.

Schönen Gruß, Raskolnikow
 
Vieles wurde bereits genannt. Besonders wichtig darunter war mir die persönliche Auseinandersetzung und Erarbeitung des Werkes.

Ich für meinen Teil würde eventuell zwischen zwei verschiendenen Gänsehäuten unterscheiden.
Die eine ergibt sich aus einem Stück, was mir meistens vertraut (kann jedoch ebenso ein neues sein) ist und meistens auch live aufgeführt wird. In dem Fall muss einiges Stimmen, sowohl der Klang, der Interpret und auch das Publikum. Eine richtige Mischung kann zu unbeschreiblicher Gänsehaut führen, wenngleich das relativ selten geschieht, dass so viele günstige Faktoren aufeinandertreffen.

Ich kriege aber gelegentlich auch eine Gänsehaut beim betrachten von Partituren bzw. den Noten im allgemeinen. Insbesondere bei Bach. Wenn man diese Symmetrie und diese Ästhetik sieht und schon beim studieren der Noten langsam die Ahnung bekommt, wie das alles klingt und wie die Stimmen untereinander interagieren (es kann sich aber auch auf die Harmonik etc beziehen) dann überfällt mich ein wohltuendes Schaudern.

Schönen Gruß, Raskolnikow

Es gefällt mir schon mal, dass hier von "Gänsehäuten" gesprochen wird.

Und dann wird deutlich, dass man garkeine Musi hören muss , um die Schauer am Rücken oder Arm zu spüren.

Es reicht, die Musik innerlich zu ahnen und sich vorzustellen.

dies ist bei mir Auslöser genug.

Immer wenn ich konzentriert mir gewisse Stellen innerlich denke oder auch vorspiele kommt dieses Gefühl.

An meinem Unterarm ist es auch dann sehr deutlich zu sehen.
 
@ rolf:

Es geht mir bei fast jedem Stück so, dass ich es schöner und intensiver (emp)finde, je besser ich es kenne.
Bei der meisten Musik ist es sogar so, dass ich nicht so viel empfinde, wenn ich sie zum ersten mal höre, sondern den Inhalt erst wahrnehme, wenn ich das Stück mehrmals gehört, manchmal gar erst, wenn ichs gespielt habe, weil ich erst dann begreife, worum es geht.

@ Stilblüte

kein Problem :) geht mir genauso!
Das dritte Scherzo von Chopin hatte mir gar nichts gesagt (mit Ausnahme der zauberhaften Choralabschnitte), ich fand es scheußlich, absolut nicht das, was ich unter "Chopin" verstand - erst, nachdem ich es konnte, hatte sich das geändert (ich musste es im Studium üben)
Oder Liszts Sonate: die habe ich monatelang für ein unproportioniertes und aufgeblasene Monstrum gehalten, kakophonisch und ohne jeglichen Sinn - das änderte sich dann aber auch nach und nach.
Es wäre auch - meiner Ansicht nach - gar zu naiv, zu erwarten, man könne hochkomplexe Musik beim ersten Hören gleich begreifen - - - bei manchen Sachen geht das, bei anderen braucht man Zeit, bis der träge Groschen endlich fällt (z.B. war mein Groschen für Mozart so träge, dass es viele Jahre gedauert hatte, bis er bei mir endlich fiel)
Und mittlerweile macht mir das Scherzo, die Sonate und vieles von Mozart Gänsehaut, beim hören wie beim spielen :)

herzliche Grüße, Rolf
 

- bei manchen Sachen geht das, bei anderen braucht man Zeit, bis der träge Groschen endlich fällt (z.B. war mein Groschen für Mozart so träge, dass es viele Jahre gedauert hatte, bis er bei mir endlich fiel)
Und mittlerweile macht mir das Scherzo, die Sonate und vieles von Mozart Gänsehaut, beim hören wie beim spielen :)

herzliche Grüße, Rolf

Da hatte ja der Neuhaus schon die richtige Einstellung-

Für die Begabte Jugend erstmal die sogenannten schweren Hämmer wie Rach, Rimski, Liszt usw und später dann die Klassiker und besser Mozart noch nach Beethoven
 
Da hatte ja der Neuhaus schon die richtige Einstellung-

Für die Begabte Jugend erstmal die sogenannten schweren Hämmer wie Rach, Rimski, Liszt usw und später dann die Klassiker und besser Mozart noch nach Beethoven

dann passe ich nicht ins Schema: bis mir Johann Strauß, Bruckner und Mahler gefielen, hatte es noch länger gebraucht als beim Mozart; und Beethovens letzte Sonaten hatten mich schon mit 14 extrem beeindruckt (ungebrochen bis heute)
 
dann passe ich nicht ins Schema: bis mir Johann Strauß, Bruckner und Mahler gefielen, hatte es noch länger gebraucht als beim Mozart; und Beethovens letzte Sonaten hatten mich schon mit 14 extrem beeindruckt (ungebrochen bis heute)

Das ist immer ein Grund zur Freude.

Wenn ich in ein Schema passte und dessen gewahr würde, müsste ich es augenblicklich sprengen.

Der naive Idiot (im griechischen Sinne) ist mir wesentlich sympathischer als der "in Schubladen Stecker".
 
Der naive Idiot (im griechischen Sinne) ist mir wesentlich sympathischer als der "in Schubladen Stecker".

peer group? :D

was soll´s, mittlerweile machen mir das Adagio der letzten Mahlersinfonie, die Straußschen Klänge der Heimat, Mozarts KV330 und sogar manches von Bach Gänsehaut - von den üblichen Verdächtigen (Verdi, Wagner, Puccini) und etlichen Klaviersachen ganz zu schweigen
 
peer group? :D

was soll´s, mittlerweile machen mir das Adagio der letzten Mahlersinfonie, die Straußschen Klänge der Heimat, Mozarts KV330 und sogar manches von Bach Gänsehaut - von den üblichen Verdächtigen (Verdi, Wagner, Puccini) und etlichen Klaviersachen ganz zu schweigen

Nun, bei Bach schauerts bei mir mehr als bei deinen üblichen Verdächtigen-

Wäre auch komisch, wenn es da nicht gewaltige Unterschiede gäbe.
 
Oder Liszts Sonate: die habe ich monatelang für ein unproportioniertes und aufgeblasene Monstrum gehalten, kakophonisch und ohne jeglichen Sinn - das änderte sich dann aber auch nach und nach.

Das geht mir immer noch so mit der Liszt-Sonate... :floet:
Aber ich kann das, was Stilblüte geschrieben hat, ebenfalls bestätigen. Bei manchen Stücken brauche ich Zeit und oftmaliges Hören, bis deren Schönheit hervorbricht. Mit Rachmaninovs drittem Klavierkonzert ist es mir damals so gegangen. Ich war erst völlig erschlagen von den Klangmassen. Erst nach und nach konnte ich dieses hochkomplexe Klanggeflecht auditiv entwirren. Und dann kamen ganze Gänsehautlawinen. Auch mit anderen Stücken ist es mir so gegangen. Oft waren das dann die, die zu meinen Lieblingsstücken wurden.

Grüße von
Fips
 
@ Fips: Ging mir mit dem Stück ebenfalls so.

Ich denke übrigens, das ist ein wichtiger Grund, warum Klassik so unbeliebt ist. Sie hat oft keinen erklärenden Text und man braucht Zeit, Konzentration, Vorwissen und vor allem Wiederholung, bis man etwas versteht und etwas davon hat.
Die meisten sind gewöhnt, ein Lied zu hören und sofort zu verstehen, worum es geht, im direkten Sinn (Text) und übertragenen Sinn.
Wird Musik nicht verstanden, kommen die meisten wohl kaum auf die Idee, dass das mehr sein könnte als ein undurchdringliches, inhaltsloses Wirrwarr, denn viele wissen wohl gar nicht, dass es nach dem ersten Hören noch weitergeht, bzw. erst überhaupt anfängt.
Ich finds ja selber schon anstrengend genug, mir unbekannte Musik zu hören.:D
Und ich ahne zumindest, dass es da noch weitergeht...
 

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