Frage zum Notenbild Chopin op28/1

Elio

Elio

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Hi,
ich habe eine Frage zum Notenbild des wunderschönen Chopin Preludes op.28/1:

chopin.bmp


2/8 Takt, bis Takt 17 handelt es sich in beiden Händen wohl um 16tel Triolen.

Ab Takt 18 (zweiter Takt im Bild) ändert sich hier etwas. Links alles wie gehabt.
Mich verwirrt die 5 unter dem Bogen. Es ist wohl keine Fingersatz-5 (im vierten Takt des Bildes sieht man ja die Fingersatz 5 separat). Das hieße, es handelt sich um Quintolen? 5 Noten über den gesamten Takt verteilt.
Was ich aber in den meisten Aufnahmen höre und wie es im Notenbild aussieht nehme ich eher an, dass die ersten beiden Noten der rechten Hand 16tel sind (gegen die 16tel Triolen in der linken Hand) und die restlichen drei Noten 16tel Triolen.

Was meint ihr?

Viele Grüße,
Elio
 
Mathematisch korrekt ist Deine Lesart nicht, aber ich denke, die einzig realistische. Bei Skriabin gibt's übrigens Dutzende von solchen Notierungs-"Schweinereien".

Ein Tip übrigens, wie man sich derartige Polyrhythmen mithilfe einer Tabelle in Word (OpenOffice o.ä.) verdeutlichen kann (die Idee stammt von Herbert Henck):
  • Man erzeugt eine Tabelle mit 1 Spalte und 2 Zeilen.
  • Nun unterteilt man in unserem Falle die obere Zeile in 5 gleichmäßige Spalten.
  • Die untere Zeile unterteilt man in 6 gleichmäßige Spalten.
  • Voilà.
Maßgeblich sind die senkrechten Zellenbegrenzungen links neben den Notennamen. Man sieht deutlich, wie eine mathematisch korrekte Lösung aussehen würde. Und nun jeder nach seinen Fähigkeiten ... ;)
polyrhythmik-tip.jpg

Ich denke, Chopin (der "originale") würde Dir nicht den Kopf abreißen, wenn Du zweites und viertes Quintolen-16tel mit dem zweiten und vorletzten Triolen-16tel gleichzeitig spielst.:D
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die "5" ist fraglos ein Quintolen-Bezeichner. Daß ein Pianist den hervorzuhebenden Daumenton dehnt, wodurch der Eindruck entsteht, daß er eine Duole spielt, mag durchaus sein und wäre durchaus sinnvoll. Die Abfolge der Noten ändert sich dadurch ansonsten nicht, sie wird nur agogischer. Einstudieren sollte man das aber wohl immer erst einmal als "möglichst" genaue Quintole, die agogische Gestaltung kann man erst versuchen, wenn man das Stück im Tempo beherrscht. Hätte Chopin tatsächlich eine Duole gemeint, hätte er keine Quintole geschrieben (vergleiche dazu das cis-moll-Prélude, wo fünf Sechzehntel auf einem Viertel ausdrücklich als Triole plus Duole gekennzeichnet sind).

Herbert Henck ist ein Umstandskrämer. Man benötigt nicht Word, um sich klar zu machen, wie die Notenabfolge bei Polyrhythmen ist. Das geht viel einfacher mit einem alten Handwerkertrick, nämlich unter Ausnutzung der Strahlensätze elementarer Geometrie, wenn man denn schon keine Lust zum Bruchrechnen hat. Kariertes Papier oder irgendeine andere Skala und ein Lineal reichen dafür. Leider ist das ohne Grafik nur ebenso umständlich zu beschreiben, wie Herbert Henck seine Texte zu formulieren pflegt, aber es ist wirklich simpel und braucht keinen Strom, um die Textverarbeitung zu starten.

Zitat für das umständliche Geschwätz von Herbert Henck:
"Die Universalleiste hebt – nur so viel sei an dieser Stelle erwähnt – im Bereich ihrer Regulierschrauben für die Anschlagsstifte sowie der an ihnen befindlichen Skala die mechanisch-optische Gliederung der Klaviatur in Ober- und Untertasten auf und bietet dem Spieler die chromatische Anordnung der Saiten ungebrochen. Diese Dechiffrierung lockert die starke geschichtliche Prägung der Tastenanlage und fördert eine vergleichsweise neutral empfundene, physikalisch-objektive Betrachtung der instrumental verfügbaren Tonhöhen. Zugleich wird ein Denken sowohl in systematische, lineare wie nur statistisch fassbare musikalische Zusammenhänge geöffnet, die sich sowohl kompositorisch wie improvisatorisch verwirklichen lassen, Zusammenhänge, die ungleich weniger belastet sind von dem überlieferten, pianistisch verinnerlichten Tastengebrauch und somit dem Streben nach künstlerischer Autonomie entgegenkommen. Das vertraute Bild der Klaviatur wird dabei durch das bereits Immanente ergänzt, sichtbar und wieder bewusst gemacht."
Welch pseudo-intellektuelle Sprache, um einen simplen Gegenstand zu beschreiben!
 
Was ich aber in den meisten Aufnahmen höre und wie es im Notenbild aussieht nehme ich eher an, dass die ersten beiden Noten der rechten Hand 16tel sind (gegen die 16tel Triolen in der linken Hand) und die restlichen drei Noten 16tel Triolen.

Was meint ihr?

Nachdem die mathematische Fraktion nun ihre Sicht der Dinge dargelegt hat, will ich noch was praktisches dazu sagen. Wenn man sich das Prelude insgesamt ansieht, erkennt man, daß jeder Takt aus einem arpeggierten Akkord besteht, wobei in der rechten Hand eine Melodie in Oktavparallelen eingeflochten ist. Die Melodienoten sind (beginnend in Takt 1 des Preludes)

g a | g a | g a | h c | e d | e d | e d | h a | usw.

Interessant dabei ist, daß Chopin diese Noten in der Mittelstimme auch mit einem Achtelbalken verbunden hat. Er notiert es rhythmisch als Punktierten Rhythmus, obwohl das mathematisch mit der Notierung der Sechzehnteltriolen nicht aufgeht. Chopin war also nicht pedantisch an einer mathematisch exakten Notation - und ich bin ganz sicher genausowenig an einer mathematisch exakten Ausführung - interessiert. Vielmehr war es ihm wichtig, die Melodietöne deutlich hervorzuheben.

Jetzt zu der Stelle ab Takt 18:

nachdem in den Takten 1-17 die rechte Hand immer eine (Triolensechzehntel-) Pause auf der 1 hatte, fällt in den Takten 18, 19, 20, 23, 25 und 26 diese Pause weg. Damit spielt die rechte Hand ein Triolensechzehntel weniger pro Takt. 5 statt 6 Töne - das ist genau, was das Quintolenzeichen hier bedeutet.

ABER

die obere Oktave der Melodie fällt in den Takten 1-17 immer genau auf die Mitte des Takts (4. Triolensechzehntel) - und ich sehe keinen Grund zu der Annahme, daß sich dies ab Takt 18 ändern sollte.

Ich würde beim Üben das Metronom auf Achtel stellen und darauf achten, daß einerseits der Baßton auf der 1 immer pünktlich auf den Schlag kommt und daß der Melodieton der Oberstimme eigentlich schon von Anfang an immer ein bißchen vor dem Schlag kommt (während die drei Sechzehntel am Taktende etwas gedehnt werden). So erhält man den von Chopin geforderten agitato-Effekt. Dies betrifft also wie gesagt nicht nur die Quintolen-Stelle, sondern die rhythmische Gestaltung des gesamten Stücks. Bei der Quintolen-Stelle wird es dann einfach etwas ruhiger (wegen der langsameren Noten der rechten Hand).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Super, vielen Dank für die Ausführungen, jetzt bin ich um einiges schlauer.

Elio
 

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