Fermaten in Chorälen

S

Sansibar

Gesperrt
Dabei seit
13. Sep. 2022
Beiträge
9
Reaktionen
0
Wie lange hält man denn die Fermaten an Zeilenschlüssen bei Chorälen? Bei verdoppeltem Wert z.B. auf ZZ.3 von 4 finde ich es schwierig, die nächste Note wieder als Auftakt hörbar zu machen.
Und dann gibt es ja noch die Fermaten auf einer Halben oder sogar punktierten Halben. Verlängert man die auch?
 
Wenn man auf der Fermate nichts weiter macht, ist es wohl wenig sinnvoll, diese länger auszuhalten als es dem eigentlichen Wert der Note entspricht. Wenn man hingegen eine (instrumentale) Überleitung zur nächsten Choralzeile improvisiert, dann hält man die Fermate halt so lange aus, wie es dauert (bzw. fügt eine entsprechende Pause in den Choral ein). Beispiele für solche improvisatorischen Überleitungen findet man beispielsweise in BWV 729 oder BWV 732.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, das leuchtet im Grunde ein. Irgendwo habe ich mal das Dogma aufgeschnappt, daß die Fermaten immer zu verdoppeln seien. So klingt mancher Kirchenchor auch ziemlich behäbig. Das lässt ja vermuten, daß ich nicht der Einzige bin, der diese "Regel" kennt...

Aber das sind ja extrem lange Überleitungen. Etwas, wo die nur eine Viertel dauert gibt es gar nicht?
 
Tja, die Aufmerksamkeitsspanne des geneigten Publikums war im 18. Jahrhundert offensichtlich noch größer als heutzutage...

Ernsthaft: eine Überleitung von der Dauer einer Viertelnote würde zu einer auffälligen metrischen Verschiebung führen - das empfinden sogar heutige Zuhörer als unorganisch und störend.
 
Tja, die Aufmerksamkeitsspanne des geneigten Publikums war im 18. Jahrhundert offensichtlich noch größer als heutzutage...
Hahaha..., so war das nicht gemeint. Die sind mir nicht "zu lang", sondern etwas ganz Anderes, als ich nach deinem ersten Einwand erwartet hätte.

Ernsthaft: eine Überleitung von der Dauer einer Viertelnote würde zu einer auffälligen metrischen Verschiebung führen
So empfinde ich das ja eigentlich auch. Woher kommt nur dieser Dehnungsmythos?
 
Wenn es um den Gemeindegesang geht:
Die Fermaten werden heutzutage überhaupt gar nicht verdoppelt (werden ja auch gar nicht mehr notiert). Aber man geht mit der nächsten Zeile unterschiedlich weiter.

"Katholisch" ist, den ersten Akkord doppelt so lang zu spielen, die Gemeinde fällt dann auf den zweiten Schlag ein.

"Evangelisch" ist, im Takt genau weiter zu singen. Der Fermatenakkord wird hierzu sogar einen Ticken verkürzt, damit die Gemeinde atmet und dann weitersingen kann.

Große Kantoren machen auch heute noch wunderliche Variationes zwischen den Zeilen. Eine schöne Sache!

Und ja, Auftakte sind heikel und sehr schwer zu begleiten. Konzertorganisten, die "mal eben" einen Gottesdienst begleiten, scheitern regelmäßig daran... :teufel:
 
Ich dachte immer, dass eine Fermate zu halten ist bis der Dirigent abpfeift.
 

Das kann man praktisch an jedem Choral- oder Gesangbuch aus dem 19. Jh. verifizieren. Ich habe z.B. gerade das "Choralbuch zu dem Gesangbuche für die protestantische Gesammt=Gemeinde des Königreichs Baiern" von 1820 vor mir liegen, und da sind die Fermaten an den Zeilenschlüssen regulär vorgeschrieben. Dass dadurch die Syntax des Texts oft gestört wird, scheint dem Editor, lt. Vorwort dem "gottseligen Knecht" (d.i. Justin Heinrich Knecht), weniger wichtig gewesen zu sein als der pädagogische Impetus, am Zeilenende auch die stimmlahmste Kehle der Gemeinde wieder einzufangen. Und da Choralgesang ja zum Schulunterricht gehörte ("wöchentlich mit der Schuljugend vorzunehmen" heißt es im Vorwort), bildete der Usus unausrottbare Rhizome.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ach..., verstehe ich das richtig, daß auch erst die Ausgaben aus dem 19. Jhdt. überhaupt das Fermatenzeichen über den Zeilenschlüssen haben? Ich dacht immer, daß sei eben ein Zeichen für Zeilenschluss/Kadenz aus alter Zeit.
 
Nein, verstehst Du so erstmal nicht richtig. Das Ding, dass "Fermatenzeichen" eine Verdopplung des Notenwertes bedeutet: das ist lt. @mick ein Elaborat des 19. Jhd.

Das Fermatenzeichen selbst ist schon älter, und der kreative Umgang damit auch.

Ich bin mir nicht sicher, aber Beethoven hat mal über einen Schlusstakt, der nur eine Pause enthält, eine Fermate gesetzt (1. Satz der kleinen f-Moll-Sonate oder der Pathétique?!? bin im RE und kann nicht schnell nachgucken).

Also, dieses Verdoppeln zählt heutzutage keiner mehr penibel aus. Die de facto erzeugte Notendauer muss vielmehr in einen übergeordneten Rhythmus gut reinpassen (in vielen Coda-Abschnitten von LvB etwa).
 

Das Fermatenzeichen bei Bach bedeutet nicht immer, dass die Note verlängert wird. Bei den choralgebundenen Werken kann man folgendes beobachten:

1. Bei der Gemeindebegleitung war es im 18. Jahrhundert vielerorts üblich, dass die Gemeinde nach jeder Zeile pausierte und der Organist mehr oder weniger sinnvolle Läufe etc. spielte. Von Bach sind einige solcher Sätze für Orgel überliefert. Diese Praxis wurde aber schon damals kritisiert. Die Fermaten an den Zeilenenden bedeuten hier also wirklich ein Anhalten bzw. Pausieren.

2. Bei den Choralsätzen in den Kantaten schreibt Bach an jedem Zeilenende (oder auch öfters) eine Fermate, oft auch sehr kleingliedrig, ohne Rücksicht auf den größeren syntaktischen Zusammenhang des Textes. Hier stellt sich die Frage, ob und wieviel man die entsprechende Noten verlängern soll. Allerdings gibt es auch etliche Choralsätze mit zusätzlichen (Ober-) Stimmen. Diese Stimmen nehmen oftmals keine Rücksicht auf die Zeilenenden bzw. Fermaten. Insofern kann man das als Hinweis deuten, dass auch bei den Sätzen ohne zusätzliche eigenständige Instrumentalstimmen die Fermaten nicht auszuhalten sind.

3. Im Orgelbüchlein, einer Sammlung von kürzeren Choralbearbeitungen, in denen die Melodien ohne Zwischenspiele durchgeführt werden, schreibt Bach an jedem Zeilenende in der Stimme, die den c.f. hat, eine Fermate. Die anderen Stimmem nehmen darauf keine Rücksicht, sondern laufen in ihrem vorgegebenen Bewegungsmuster weiter. Einige Choralbearbeitungen bringen den c.f. im Kanon, auch hier schreibt an den Zeilenenden Fermaten, während die andere, versetzte c.f. - Stimme noch mitten in der Choralzeile ist. Hier ist es also völlig eindeutig, dass das Fermatenzeichen kein Anhalten bedeuten kann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hängt natürlich stark von der Ortsgemeinde ab.

Vor dreißig Jahren war das noch sehr ausgeprägt, aber ist schon viel weniger geworden, stimmt... Ich vermute, wegen der NGL singen nun selbst die vorkonziliaren Uromas besser im Tact.
 
vom Organisten ab.
Wenn der weiß wie es geht, kann die Gemeinde gar nicht anders.
Liest sich wie eine Meinung von unten aus der Kirchenbank...

Im Zweifelsfall hört die Gemeinde einfach auf zu singen. Dann dudeln die Orgeltöne leer zum Altar rüber.

Für die Erziehung einer Gemeinde zu gutem Gesang ist ein Kirchenchor wesentlich effizienter, so dass dann immer mal einzelne Chorsänger mit in den Kirchenbänken sitzen und die eher Unlustigen mitziehen.

Weites Feld.
 
Stimmt. Das genannte Phänomen tritt doch hauptsächlich dann auf, wenn der Organist zwischen Vorspiel und Lied nicht mehr zählt und dann auf der gefühlt "falschen" Taktzeit unvermittelt anfängt.
 
wenn der Organist zwischen Vorspiel und Lied nicht mehr zählt und dann auf der gefühlt "falschen" Taktzeit unvermittelt anfängt.
Das ist mir auch schon öfters aufgestoßen. Da denkt man: "ich wollte doch noch atmen..."
Für manche Organisten gilt: die Pause ist immer genau so lang, wie ich brauche, um die Register zu ziehen. Ob metrisch zu lang oder zu kurz ist dabei unerheblich. :trink068:
 

Zurück
Top Bottom