Falscher Hase

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Gomez de Riquet

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Guten Abend!

Hat jemand den gerade zuendegegangenen Kunstfälscherprozeß mitverfolgt?
Ich nur am Rande, aber mit einer gewissen Sympathie für Wolfgang Beltracchi –
einer Sympathie, die nicht dem Betrug gilt, sondern der Fälschung. Ein Maler,
der es geschafft hat, 14 seiner Bilder unter den Namen von Max Ernst oder Derain
auf dem Kunstmarkt unterzubringen, muß begabt sein.

Mir gefällt dabei u.a. das Zwielicht, in das der Originalitätsgedanke rückt.
Es gab glückliche Galeristen und Sammler, die sich über einen neuen Derain
oder Max Ernst freuten – hatten sie den berühmten Namen gekauft oder das Bild?
Haben sich die Bilder wie Dorian Grays Portrait verändert – in diesem Fall bedingt
durch ihre Enttarnung als Fälschungen? Werden sie in fünfzig Jahren auf Auktionen
wieder hoch gehandelt – als echte Beltracchis, von dem Maler, dem die Kunstwelt
attestierte, daß er wie Derain und Max Ernst malen konnte?

Warum gibt es kaum vergleichbare Fälle von Musikfälschung?
Originales (Noten-)Papier und originale Tinten dürften nur schwer aufzutreiben sein.
Es übersteigt meine Kenntnisse, wie man so etwas auf „alt“ trimmen kann. Meines Wissens
hatte Kujau, der Fälscher der ******-Tagebücher, damit auch schon seine liebe Not.
Die Standard-Ausreden stinken auf ein paar Meilen gegen den Wind – nach Fälschung
(das Autograph befinde sich in Privatbesitz, und der Eigentümer gewähre niemandem Einblick;
das Autograph sei verschollen, aber man habe zufälligerweise eine Abschrift retten können).
So geschehen bei dem legendären „Adelaide“-Violinkonzert D-Dur KV Anh. 294a
das Marius Casadesus 1933 der erfreuten Fachwelt vorlegte, als angebliches Jugendwerk Mozarts.
Erst über dreißig Jahre später erfolgte der wissenschaftliche Nachweis der Fälschung.

Ein guter Fälscher greift vorhandene Skizzen oder Ideen eines Komponisten auf.
Ludwig Nohl rekurrierte auf ein paar real existierende Skizzen Beethovens, aus denen
er das berühmte WoO59 („Für Elise“) formte. Bei Remo Giazzottos Adagio g-Moll
war die Datenlage noch dürftiger: nichts als ein bezifferter Genralbaß und ein paar isolierte
Melodiefragmente. Giazzotto komponierte à la manière de Albinoni, was die Kulturindustrie
nicht davon abgehalten hat, das Werk unter Albinonis Namen zu vermarkten.
Winfried Michel nahm sich 1993 die Incipits von sechs verschollenen Haydn-Klaviersonaten,
komponierte sie „zu Ende“ und konnte mit ihnen sogar für einen Moment die Fachwelt düpieren.
Noch heute kann man diese schöne Eulenspiegelei vom Amadeus-Verlag beziehen
(Bestell-Nr. BP 2557)

Der Fall Giazzotto leitet über zu einem benachbarten Phänomen: dem der Fehlzuschreibungen.
Das prominenteste Bespiel wird gerade in einem Nachbar-Thread diskutiert:
Toccata und Fuge d-Moll BWV 565, die eher aus der Zeit der Bach-Söhne,
wenn nicht sogar von einem der letzteren stammen dürfte.
Und erinnert sich noch jemand an die berühmte „Jenaer Symphonie“ C-Dur,
die ehrfürchtig bestaunt wurde, gewissermaßen als Beethovens „Nullte“?
Seit Friedrich Witt als Autor enttarnt ist, kräht kein Hahn mehr nach ihr.
Auch hier wieder die (rhetorische) Frage: Ist denn die Musik schlechter geworden,
seit es nachgewiesen ist, daß sie nicht von Beethoven stammt?

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Nun, beim "Butterbrot" ist bis heute nicht geklärt ob es denn tatsächlich aus W.A.Mozart`s Feder stammt.

Viele Grüße

Styx
 
Zwischendurch noch was berühmtes aus der Literatur:
Ossian Ossian

Ja, es muß in der Zeit des "Sturm und Drang" bzw. des aufkommenden Nationalismus
besonders verführerisch gewesen sein, eine ganze Mythologie im Alleingang zu ersinnen.
Auch das "Kalevala" als zusammenhängendes Epos ist eine Fiktion, die Arbeit eines Arztes
namens Elias Lönnrot, der das Material zusammengestellt hat.
 
Ein spannender Faden!
In der Tat ist mir ein Beltracchi viel sympathischer als irgendein Anlagebetrüger. Im Prinzip ist dieser Fall das Realität gewordene Drehbuch zu "Wie klaut man eine Million?" mit Audrey Hepburn. Eine großartige Spitzbüberei, ermöglicht zum einen vom Personenkult um große Namen, zum anderen von einer Gutachterszene, die an jedem als "authentisch" erkannten Werk mehr verdient, als an der Entlarvung einer Fälschung. Ein schönes Detail aus dem Verfahren: Beltracchi versuchte wohl, seine Mittäter zu decken und stellte das Vorliegen einer Bande in Abrede. Hierauf soll der Vorsitzende in rheinischem Dialekt geantwortet haben "Dat is nisch nötisch, dat Sie zum Notar jehen un sachen, wir jründen jetz die Beltracchi-Bande..." Einen echten Beltracchi hinge ich mir heute schon gern ins Zimmer...

Gruß,
Cem.
 

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