Chopin Ballde Nr. 3 As-Dur op. 47

pawa

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Aus wie vielen Themen besteht eigentlich Chopins 3. Ballade? Keine Frage, das Hauptthema wird ganz am Anfang vorgestellt und taucht hauptsächlich am Ende wieder auf in voller Pracht. In Takt 57 wird dann ein zweites, eher leichtes und lockeres Thema zunächst in F-Dur vorgestellt, das auch immer wieder kehrt. Aber was passiert in Takt 65/66? Beginnt hier ein drittes, später ebenfalls wiederkehrendes, Thema, oder zählt das zum zweiten Thema (eine Art Moll-Variante) hinzu? Und was spielt man ab Takt 116? Ist das ein drittes/viertes Hauptthema, das später auch wieder kehrt, oder ist das nur eine Art Zwischenspiel?

Viele Grüße, Patrick
 
Keine Frage, das Hauptthema wird ganz am Anfang vorgestellt

Mh, keine Frage? Und was wäre, wenn die Ballade mit einer Introduktion beginnt und das zweigeteilte Hauptthema in Takt 57 beginnt und in Takt 65 seine Fortsetzung findet?

Wie dem auch sei - interessanter als die formalen Aspekte sind die inhaltlichen Aspekte dieser Ballade. Chopin soll durch die Ballade "Świtezianka" von Mickiewicz zur Komposition des Werkes angeregt worden sein. Auch, wenn der Zusammenhang nicht sicher ist und Chopin die Vorlage sowieso niemals wortgetreu vertont hätte, lohnt sich die Lektüre. Die Einleitung könnte ihre Entsprechung im Beginn der literarischen Vorlage haben (wo die Protagonisten noch an Land sind) und das barkarolenartige Thema in F-Dur/f-Moll ab dem Teil, in dem die Nixe den Jägerburschen in den See lockt. *) Bei der dramatischen cis-Moll-Stelle ist gut vorstellbar, dass der Bursche an dieser Stelle von der Nixe verflucht wird und im See ertrinkt.:017:

Hier ist eine (mittelgute) deutsche Übertragung des Textes:

Wer ist der Jüngling hoch und schlank?
Wer ist mit ihm die Dirne?
Am Switež schreiten sie entlang
Beim Lichte der Gestirne.

Sie reicht ihm süsse Beeren dar,
Er pflückt ihr manche Blüte.
Das ist gewiss ein liebend Paar,
Das tief und heiss erglühte!

Sie treffen stets zur selben Zeit
Bei Nacht am Baum zusammen.
Ein Schütz ist er; wer ist die Maid
Und woher mag sie stammen?

Sie geht - wer folgte ihrem Lauf?
Sie kommt - wer weiß von wannen?
Wie Wassers Blume taucht sie auf,
Eilt irrlichtgleich von dannen.

"Sprich, schöne Maid, woher du kamst,
Und sei nicht so verschwiegen,
O sage, welchen Weg du nahmst,
Und wo dein Heim mag liegen.

Der Sommer schwand, der Herbst zog ein,
Und Nebel deckt die Lande,
Soll ich denn ewig harren dein
Am wilden Wasserrande?

Dem Reh gleich irrst du für und für
Bei dunkler Nacht im Haine;
O Teure, bleibe ganz bei mir,
Sei endlich ganz die Meine!

Mein Hüttchen liegt nicht weit von hier,
Von dichtem Wald umgeben,
Ich habe Wildpret allezeit,
Auch Milch und Frucht zum Leben."

"Halt ein! Verwegner," ruft die Maid,
"Mein Vater sagte weise:
Der Männer Wort voll Süßigkeit
Birgt oft des Fuchses Weise.

Wir fürchten ihre Falschheit mehr,
Als ihrer Glut wir trauen,
Ich gäbe dir vielleicht Gehör,
Doch - darf ich auf dich bauen?"

Er klagt der Hölle seine Qual,
Dass sie ihm Hilfe leihe,
Er kniet und schwört beim Mondenstrahl,
Doch - hält er auch die Treue?

"O halte sie, ich rate gut;
Wer seinen Eid gebrochen, -
Auf Erden wird sein Frevelmut,
Wird jenseits noch gerochen."

Sie spricht es, drückt den Kranz ins Haar,
Nicht länger darf sie weilen,
Sie grüsst ihn, um wie immerdar
Entschwebend fortzueilen.

Der Schütze strebt durch Busch und Strauch
Die Fliehende zu fassen,
Umsonst - sie schwand wie Windeshauch,
Hat ihn allein gelassen.

Er kehrt zurück durch wilde Flur
Und wankende Moräste,
Die Stille rings durchbrechen nur
Beim Tritt die dürren Äste.

Er lenkt den Schritt den See entlang
Und schaut in seine Wellen,
Im Forste rauscht der Wind so bang,
Des Wassers Fluten schwellen.

Die Tiefe gähnt, die Woge bebt,
Und wie ein Bild im Traume,
Ein wunderholdes Weib entschwebt
Des Switež Silberschaume.

Der weißen Rose gleicht ihr Bild,
Genetzt von Taues Zähren,
Ein leichtes Nebelkleid umhüllt,
Den Leib der Himmlischhehren.

Die Jungfrau singt: "Du junges Blut,
Du schmucker Schütz vom Haine!
Was irrst du um des Switež Flut
Beim hellen Mondenscheine?

Was sehnst du nach der Losen dich?
Sie mag wohl Glut entfachen,
Doch lockt sie nur - und wendet sich
Hinweg, dich auszulachen.

Es sänftige mein zärtlich Wort
Dein Seufzen und dein Bangen:
Zu mir! zu mir! die Welle dort
Wird uns vereint umfangen.

Du sollst das Wasser, klar und frisch,
Bald gleich der Schwalbe streifen,
Bald tiefer gleich dem muntern Fisch
Mit mir den See durchschweifen.

In Silbergrundes Schoss bei Nacht,
Bedeckt von Spiegelzelten,
Ist unser Lilienbett gemacht
Zum Traum von Himmelswelten."

Vom Busen sinkt die Hülle ihr,
Der Schütz blickt keusch zur Erde, -
Sie naht ihm sanft und ruft: zu mir!
Mit lockender Gebärde.

Sie schwebt dem Regenbogen gleich
In Kreisen ihn umziehend,
Durchschneidet dann das nasse Reich,
Demantne Tropfen sprühend.

Der Jüngling naht - steht wie gebannt -
Will fliehn - und kehrt zur Stelle.
Da fühlt sein Fuss an Ufers Rand
Das Schmeicheln einer Welle.

Sie kost so sanft, sie kost so lind,
Bis sie ihn ganz berückte, -
Es war, als ob ein schüchtern Kind
Die Hand des Liebsten drückte.

Alsbald vergass sein Wankelmut
Die, der sein Eid erklungen:
Und blindlings eilt er in die Flut,
Vom neuen Reiz bezwungen.

Er eilt und schaut, den Blick gespannt,
Die Fläche trägt die Tritte,
Er gleitet - fern vom trocknen Strand -
Bis in des Seees Mitte.

Sie drückt ihm sanft die Hand zum Gruss,
Er schaut die schönen Wangen,
Ihn reizt der Rosenmund zum Kuss,
Schon will er sie umfangen.

Da weht ein Luftzug - und befreit
Vom falschen Nebelscheine,
Erblickt er deutlicher die Maid, -
Es ist - sein Lieb vom Haine!

"Wo ist dein Schwur? Wo blieb mein Rat?
Wer seinen Eid gebrochen, -
Schon hier wird seine Frevelthat,
Wird jenseits noch gerochen!

Nicht in der Flut ist dein Verbleib,
Für dich erglänzt sie nimmer;
Die Erdengruft verschlingt den Leib
Und löscht des Auges Schimmer.

Doch harrt die Seele tausend Jahr
Am Baum, wo wir uns trafen,
Sie lechzt vor Glut der Hilfe bar
Und leidet Höllenstrafen."

Der Schütze hört's, es irrt sein Gang,
Sein Blick durchspäht die Wellen,
Im Forste rauscht der Wind so bang,
Des Wassers Fluten schwellen.

Ihn fasst des Strudels wilde Kraft,
Und, wo mit grausem Munde
Die bodenlose Tiefe klafft,
Sinkt er mit ihr zu Grunde.

Noch heute braust das Wasser fort; -
Beim Lichte der Gestirne
Sieht man zwei nicht'ge Schatten dort:
Den Jüngling und die Dirne.

Sie tanzt auf Silberwellen noch,
Er ächzt am Baum in Flammen.
Ein Schütz war er! Nun sagt mir doch,
Woher die Maid mag stammen!

*) Gewisse Parallen zu einem knapp 70 Jahre später komponierten (und erheblich schwierigeren) Klavierstück sind nicht zu übersehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir sind da noch keine Parallelen aufgefallen... Was meinst du?
 
Mick, also ich tue mich sehr schwer, das literarische Werk mit dem Musikwerk zu vergleichen. Aber ich finde deinen Ansatz interessant, dass die Ballade mit einer Einleitung beginnt und erst dann das Hauptthema kommt. Dagegen spricht aber, dass dann das einleitende Thema am Schluss zum beherrschenden Hauptthema wird. Gruß Patrick
 
Mick, also ich tue mich sehr schwer, das literarische Werk mit dem Musikwerk zu vergleichen.
Die Ballade ist selbstverständlich keine Programmmusik im engeren Sinne, aber ich finde schon, dass die Bezüge zur "Świtezianka" durchaus herstellbar sind. Da ist zunächst die Einleitung, in der das Unklare der Herkunft der Nixe durch ein quasi zielloses, fragmentarisch wirkendes Aneinanderreihen von Motivfetzen zum Ausdruck gebracht wird. Das Verschwinden der Undine "Umsonst - sie schwand wie Windeshauch" könnte mit den auseinanderstiebenden Arpeggien gemeint sein. Der Beginn des Wellenrhythmus' ab T. 52 könnte mit der Stelle assoziiert werden, an der der Jägerbursche "das Schmeicheln einer Welle" spürt und sich zunächst vorsichtig auf den See begibt. Wenn das Thema sich schließlich zum ff steigert, eilt er "blindlings eilt er in die Flut, vom neuen Reiz bezwungen". Etc.pp. - auch für den weiteren Verlauf der Ballade lassen sich passende Bilder in der literarischen Vorlage leicht finden. Natürlich lässt sich die Ballade auch ganz anders deuten - Chopin hat ja bewusst vermieden, die Pianisten durch Nennung der Vorlage in ihrere Fantasie einzuengen. Und formal ist diese Ballade (wie die anderen auch) als eine abgewandelte Form eines Sonatensatzes interpretierbar - also definitiv einer Form der absoluten Musik.

Dagegen spricht aber, dass dann das einleitende Thema am Schluss zum beherrschenden Hauptthema wird.
Das spricht nicht unbedingt dagegen - ein solches Vorgehen ist in der Romantik nicht so selten; in zahlreichen Sinfonien werden sogar Motive bzw. Themen vorangegangener Sätze am Ende noch einmal rekapituliert.
 
Ok, also meinst du wohl als Parallele den potentiell programmatischen Bezug?
 
Kann mir einer folgende Frage beantworten, auch wenn sie nicht mehr zum eigentlichen Thema gehört: Wie spielt man den Vorschlag in Takt 136 zusammen mit der Oktave: Zuerst den Vorschlag und dann die komplette Oktave, oder das obere Es als Vorschlag und dann quasi als Hauptton das untere Es? Ich hoffe, dass man es auf dem Bild erkennen kann, dass zwischen Vorschlag und oberem Es ein kleiner Bogen ist.

upload_2019-11-29_19-2-55.png

Gruß an alle Chopin-Fans,
Patrick
 

Ich meine den Bogen (Haltebogen?) unterhalb des Vorschlags-Es zum oberen Es hin.
 
dann ist doch die Antwort klar! Quasi eine abwärts arpp. Oktave, auf keinen Fall den oberen Ton zweimal anschlagen. Ob das es oben vor oder auf der Zählzeit kommt, ist Geschmackssache (Puristen werden für auf der Zählzeit stimmen)
 
Hallo Rolf, vielen Dank für deine Antwort, dann muss ich jetzt diese Stelle überarbeiten, denn den kleinen Haltebogen habe ich jetzt erst entdeckt...

@rolf, wenn du gerade hier bist, was meinst denn du zu meiner Eingangsfrage oben: Beginnt in Takt 65 ein neues Thema oder ist das ein Teil des Hauptthemas, das in Takt 57 beginnt?

Gruß Patrick
 
in Takt 65 beginnt kein neues Thema! Das ist eine Variante (jetzt kurz f-Moll und As-Dur statt des anfänglichen F-Dur) des zentralen Themas, welches Takt 54 erstmals erscheint (nach den überleitenden, den Rhythmus schon klarmachenden synkopischen Schaukel-Es)
 
Hallo Rolf, danke für deine Antwort! Wenn man die f-moll Takte ab Takt 65 als Variante des Hauptthemas sieht, macht das natürlich Sinn. Mich fasziniert bei dieser Ballade unglaublich, wie Chopin das Anfangsthema, das Hauptthema und dessen Variante sowie das dritte Thema ab Takt 116 im weiteren Verlauf des Stückes ineinander mischt, insbesondere wenn sich am Schluss die Themen fast schon eine Art Verfolgungsjagd zu liefern scheinen.
 

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