Brahms Intermezzo 117/1

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... ich könnte wetten, dass ich gestern hier zum Thema geschrieben habe. Wurde anscheinend heimlich gelöscht.

Gauf!
 
Nope, steht noch da; sogar eine Antwort darauf. Augen auf!
 
Ganz genau, Peter - das empfindet man "instinktiv", auch ohne "Experte" zu sein, dass das nicht schlüssig ist.

Lieber hasenbein.

dann bin ich ganz klar kein Experte, denn ich finde die Stelle durchaus schlüssig. Sie ist zwar, wie Peter schon sagte, eigenwilliger im rubato als das erste Phrasenende, aber diese Phrase endet deutlich intensiver und verträgt mehr Agogik.

Du hast zwar absolut Recht, was die zusammenfassenden Bewegungen angeht - das ist tatsächlich oft die Ursache -, aber hier glaube ich das nicht. Florg würde mit fingerzentriertem Spiel niemals eine solche Klangbalance hinbekommen. Ich weiß nicht, ob du das Stück kennst, aber es ist tatsächlich klanglich sehr heikel, u.a. weil die Melodie in der Mittelstimme liegt.

Lieber florg, ich freue mich sehr über die erneute Aufnahme und finde sie deutlich besser! Die jetzige Schlichtheit lenkt die Aufmerksamkeit ganz auf den Klang und hat dabei viel Ruhe - sehr schön!

Nicht schlüssig ist für mich das rubato am Ende von Takt 13 und in Takt 14, dort vor allem bei den Sechzehnteln. Die Sechzehntel bekommen m.E. dadurch eine Bedeutung, die ihnen nicht zusteht und lenken zu sehr von der fallenden Oberstimme ab.

Das crescendo vor dem Piu Adagio finde ich nun viel besser, da weniger. Eventuell könnte es noch etwas klagender klingen, denn jetzt kommt ja das Piu Adagio.

Das überzeugt mich noch nicht, es ist mir noch zu leidenschaftlich und laut. Sowohl in den Sechzehntel links als auch in den Akkorden rechts, die mehr Differenzierung vertragen könnten (Oberstimme?).

Spiel doch mal den Anfang des Stücks als Akkord (also Es-Dur) und danach den ersten Takt des Piu Adagio als Akkord (es-moll). Das Es-Dur wirkt fast licht, das es-moll sehr dunkel - es sind zwei unterschiedliche Klangräume.

Ich verstehe dein Spiel so, dass du die dunkle Seite der Macht :D in es -moll absolut empfindest, aber eben eher als leidenschaftlich. Aber gibt das das Stück her, wenn da pp sempre steht (man könnte auch zweites Pedal benutzen)? Könnte es nicht eher sehr leise, fast mystisch und geheimnisvoll klingen? Bei dir ist es so direkt - m.E. kommt es von weit her und enthält dunkle Abgründe.

Und meint das ma molto espressivo verbunden mit dem cresc./decresc. nicht eher, dass es noch ein ganz wenig Licht in all der Dunkelheit gibt? Aber eben nicht zuviel? Oder dass da bei aller Entrücktheit doch noch etwas präsent ist?

Du könntest diesen Teil auch mal stimmenweise üben, z.B. links komplett und rechts nur die Melodie oder rechts alles plus Bass (erste Sechzehntel jeder 4er-Gruppe). Versuche, wie leise du spielen kannst und experimentiere mit den Lautstärken. Ich meine, dass man bei der ersten Sechzehnntelgruppe links auf keinen Fall cresc. machen sollte! Da agieren links und rechts voneinander dynamisch unabhängig.

Herzlichen Dank für die erneute, sehr berührende Einspielung und weiterhin viel Freude!

chiarina
 
@florg
Kennst du das Gedicht und seinen Hintergrund, das Brahms dem Intermezzo als Motto mitgegeben hat? Es geht um eine unglückliche Mutter (Lady Anne Bothwell), die in den Gesichtszügen des Kindes den Vater des Kindes (ihren Cousin) wiedererkennt. Der hat sie wegen einer Anderen verlassen, und mit dem es-Moll-Mittelteil hat Brahms ohne Zweifel die Trauer der Mutter über die Untreue des Mannes gemeint. Das Lamento der Lady ist kein verzweifelter Aufschrei, sondern tiefe, stille Resignation - sie liebt den Untreuen ja immer noch.

Hier ist das ganze Gedicht:

Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn,
Und schläfst du sanft, bin ich so froh,
Und wimmerst du – das schmerzt mich so!
Schlaf sanft, du kleines Mutterherz,
Dein Vater macht mir bittern Schmerz.
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn.

Dein Vater, als er zu mir trat,
Und süß, so süß um Liebe bat,
Da kannt ich noch sein Truggesicht
Noch seine süsse Falschheit nicht.
Nun, leider! seh ichs, seh ichs ein,
Wie nichts wir ihm nun beyde seyn.
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn.

Ruh sanft, mein Süsser, schlafe noch!
Und wenn du aufwachst, lächle doch,
Doch nicht, wie einst dein Vater that,
Der lächelnd mich so trogen hat.
Behüt dich Gott! – Doch machts mir Schmerz,
Daß du auch trägst sein G'sicht und Herz.
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn.

Was kann ich thun? Eins kann ich noch.
Ihn lieben will ich immer doch!
Wo er geh und steh nah und fern,
Mein Herz soll folgen ihm so gern.
In Wohl und Weh, wie's um ihn sey,
Mein Herz noch imm'r ihm wohne bei.
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn.

Nein, schöner Kleiner, thu es nie;
Dein Herz zur Falschheit neige nie;
Sey treuer Liebe immer treu,
Verlaß sie nicht, zu wählen neu;
Dir gut und hold, verlaß sie nie –
Angstseufzer, schrecklich drücken sie!
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn!

Kind, seit dein Vater von mir wich,
Lieb ich statt deines Vaters dich!
Mein Kind und ich, wir wollen leben;
In Trübsal wird es Trost mir geben –
Mein Kind und ich, voll Seligkeit,
Vergessen Männergrausamkeit –
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn.

Leb wohl denn, falscher Jüngling, wohl!
Der je kein Mädchen täuschen soll!
Ach jede, wünsch ich, seh' auf mich,
Trau keinem Mann und hüte sich!
Wenn erst sie haben unser Herz,
Forthin machts ihnen keinen Schmerz –
Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!
Mich dauerts sehr, dich weinen sehn.
 
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Ach. Mal wieder gegen die ach so bösen Männer, die an allem Schuld sind.

Dabei ist SIE doch auf den Alpha-Grübchen-Beau, den alle Mädchen pimpern wollten, reingefallen. Und nun beklagt und wundert sie sich, dass er weitergezogen ist, nachdem er ihr (Rausziehen war und ist halt nicht die allerbeste Methode...) unabsichtlich ein Gör gemacht hat.
 
@mick , nur die erste Zeile ist in englisch vor dem Stück abgedruckt. Bei der Suche im Netz habe ich nicht mehr dazu gefunden.
Henle schreibt, ein schottisches Lullaby diente Brahms als Vorbild. Mich würde interessieren wie dieses Lied wirklich klang.
Danke für die Zeilen, das ist ja schon recht aufschlussreich!

Edit: Zitat korrigiert
 
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@florg , das Gedicht hat, wenn ich heute Morgen richtig gucke, @mick eingestellt, nicht @maxe , oder?
 
Ach. Mal wieder gegen die ach so bösen Männer, die an allem Schuld sind.

Dabei ist SIE doch auf den Alpha-Grübchen-Beau, den alle Mädchen pimpern wollten, reingefallen. Und nun beklagt und wundert sie sich, dass er weitergezogen ist, nachdem er ihr (Rausziehen war und ist halt nicht die allerbeste Methode...) unabsichtlich ein Gör gemacht hat.
Ne, so war es nicht. Die waren verheiratet, wie es sich gehört. Das Kind war kein Bankert.
 
1. Ich klopfe lediglich Sprüche.

2. Ich könnte auch davon anfangen, dass sie mit ihrem Cousin ein Kind gekriegt hat - da ist doch von vornherein einiges schräg...

3. Ich versuche lieber zu vergessen, welche Story Brahms bei dem Intermezzo im Kopf hatte. Dann kann ich dieses sehr schöne Stück doch bedeutend besser genießen...
 
nur die erste Zeile ist in englisch vor dem Stück abgedruckt.

... was übrigens eine kleine Extravaganz des Herausgebers ist, denn Brahms kannte das Gedicht zweifellos aus Herders Volksliedsammlung (deren englischer Bestand aus Thomas Percy's Reliques of Ancient English Poetry von 1765 stammte), und dort erscheint es in deutscher Übersetzung. Brahms hat es von dort in seine eigene, nur fragmentarisch erhaltene Volklieder- Sammlung übernommen, und zwar zusammen mit einem weiteren schottischen Volkslied (»O weh, o weh, hinab ins Tal«).
Vgl. P. Jost, Brahms und das Volkslied, in W. Sandberger, Brahms-Handbuch, 2016, 199-206
 
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Der hat sie wegen einer Anderen verlassen, und mit dem es-Moll-Mittelteil hat Brahms ohne Zweifel die Trauer der Mutter über die Untreue des Mannes gemeint. Das Lamento der Lady ist kein verzweifelter Aufschrei, sondern tiefe, stille Resignation - sie liebt den Untreuen ja immer noch.

Lieber mick,

ich frage mich bei solchen außermusikalischen Bezügen immer, inwieweit sie in die Komposition einfließen. Ich dachte auch, weil das hier im Faden schon angesprochen wurde, dass der Bezug klar war.

Für mich ist wichtiger, was in der Komposition selbst steht. Auch was Brahms selbst über diese Stücke geschrieben hat, er nannte sie "Wiegenlieder meiner Schmerzen". Ich glaube, dass sehr viel Persönliches in diesen Stücken eingefangen ist und das Motto bzw. Gedicht den Anstoß gab, aber nicht in irgendeiner Weise programmatisch zu deuten ist.

Ich empfinde den Mittelteil als außerordentlich vielschichtig. Resignation - ich würde es lieber tiefe Trauer nennen - ist natürlich wesentlicher Bestandteil. Aber nicht der einzige. Resignation ist für mich etwas Statisches - man bewegt sich kaum noch und hat keine Hoffnung mehr.

Hier ist aber im Vergleich zum Teil vorher die Wirkung durch die Sechzehntel fließender, auch wenn das Tempo insgesamt langsamer ist. Auch durch die cresc./decresc. geschieht etwas. Die Frage ist, was. Dann die Registerwechsel in der rechten Hand. Was bedeutet das, warum ist es so komponiert, wie klingt es, was soll es ausdrücken?

Wenn man denn einen Bezug zum Gedicht herstellt, besteht er aus meiner Sicht darin, dass immer das Kind im Mittelpunkt steht. Auch im Mittelteil! Nicht umsonst hat Brahms die besagte Strophe an den Anfang der Komposition gestellt. Dann ergibt es auch Sinn, dass der Mittelteil so vielschichtig ist: die Liebe zum Kind, die sich auch in Zärtlichkeit ausdrückt. Große Trauer, aber vielleicht auch Trost (Zitat:" Mein Kind und ich, wir wollen leben; In Trübsal wird es Trost mir geben –"), ich finde immer, dass dort auch ein wenig Licht zu finden ist. :)

Was es nun aber ist, was man damit verbindet, ist so individuell wie es Menschen gibt, die das Stück spielen. Den Bezug zu kennen ist wichtig, denn es dient zum Verständnis. Aber was man persönlich mit der Musik verbindet, kann ganz unterschiedlich sein. Für florg ist es aus meiner Sicht wichtig, was ER damit verbindet, welche Saiten die Klänge in ihm anschlagen, welche Bilder auftauchen, ob überhaupt Bilder auftauchen etc.. Im Unterricht oder im Spiel ist es nicht wichtig, ob er sich in die Lady einfühlen kann, sondern was in ihm ist, wenn er diese Stelle spielt und hört.

Und existenziell wichtig ist für mich da der Notentext. Durch ihn wird deutlich, was Brahms wollte und evtl. aus dem Gedicht mitnimmt. Der Mittelteil könnte ja theoretisch auch ein Aufbegehren sein oder Verzweiflung ausdrücken. Durch das sempre pp etc. wird aber völlig klar, dass es das nicht sein kann.

Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen finde ich immer sehr berührend, bereichernd und spannend!

Liebe Grüße

chiarina
 
Ich glaube, dass sehr viel Persönliches in diesen Stücken eingefangen ist und das Motto bzw. Gedicht den Anstoß gab, aber nicht in irgendeiner Weise programmatisch zu deuten ist.
Programmatisch in dem Sinne, dass die Komposition sich an dem Gedicht entlang hangelt, ist das Intermezzo natürlich nicht. Diese Art der Komposition hat Brahms ohnehin abgelehnt - das war ja einer der Hauptkritikpunkte der Traditionalisten an den "Neutönern" um Liszt und Wagner.

Aber was sich Brahms meiner Meinung nach zu eigen macht, ist die traurige, resignative Stimmung des Textes. Diese Stimmung kann - und sollte man - losgelöst von der konkreten Situation betrachten, denn dieses Gefühl der Trauer kann ja durch verschiedene Dinge ausgelöst werden - die Emotion bleibt mehr oder weniger dieselbe. Brahms kann in dem Text über die verlassenen Frau Bothwell eine Allegorie auf seine enttäuschten Gefühle gegenüber Clara erkannt haben - wir können es vermuten, wissen es aber nicht. Mir ging es nur darum, den Emotionsgehalt des Textes zu verdeutlichen - und der deutet ganz klar darauf hin, dass hier eben keine aufbrausende Leidenschaft im Spiel ist.

Man kann das selbstverständlich auch dem Notentext entnehmen - aber dazu muss man erstmal genau wissen, was die Vortragsbezeichnungen bei Brahms bedeuten und wie er sie gemeint hat. Ich finde, der Text kann dabei durchaus helfen!
 
Hallo mal wieder,

ich habe die letzen Wochen immer wieder dran gefeilt und versucht einige eurer Tipps umzusetzen. Hier ist der vorerst letzte Stand, nachdem ich das Stück nun etwas ruhen lassen werde - bis Griechenland? :bye:

https://soundcloud.com/florg/intermezzo-op-117-nr-1
 

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