Alfred Brendel feiert 80. Geburtstag

Oh, pppetc, da haben wir ja fast zeitgleich gepostet. Noch eine Ergänzung:

Glaubst du, dass gerade bei Schubert's Sonaten so viel "interpretiert" wird, weil das, was passiert, eben nicht laut wie in einem Action-Film ( entschuldige die saloppe Ausdrucksweise) ist, sondern ungleich subtilerer Art ( du schreibst, durch die Konstruktion selbst, aber wie gesagt,da habe ich noch meine Defizite)?

Liebe Grüße

chiarina
 
:D Schubert lebte im 19. Jahrhundert. Sezte ich als bekannt voraus.
Ergo kann Brendel nicht Schuberts Lehrer sein.
Vllt wäre auch für pppetc nicht missverständlich gewesen, wenn ich geschrieben hätte: in meinen Augen ein Meister der Interpretation der Musik Schuberts.

Mit ein wenig guten Willen versteht man trotzdem, was ich sagen wollte in tiefer Verehrung.

Ich denke hier (siehe oben) habe ich deutlich dargestellt, was ich meinte mit "Master of"
Warum ihr trotzdem noch darauf rumreiten müsst, dass Brendel nicht Schuberts Lehrer oder SChlimmeres sei, versteh ich nicht. :confused::confused:Man erkläre es mir.

Mit gutem Willen kann man auch dieses Posting mal zur Kenntnis nehmen, oder?:)

LG
violapiano
 
Ich denke hier (siehe oben) habe ich deutlich dargestellt, was ich meinte mit "Master of"
Warum ihr trotzdem noch darauf rumreiten müsst, dass Brendel nicht Schuberts Lehrer oder SChlimmeres sei, versteh ich nicht. :confused: Man erkläre es mir.

Mit gutem Willen kann man auch dieses Posting mal zur Kenntnis nehmen, oder?:)

LG
violapiano


Liebe VP,

meinst du denn jetzt damit mich? Oder jemand anderen der zuletzt Postenden?

Ich habe das jedenfalls völlig unabhängig davon gemeint. Eher weil ja die Rede davon war, dass gerade ein Schubertscher Notentext realisiert, nicht interpretiert werden solle. Was sich doch auch mit deinen Überlegungen deckt, nicht zuviel mit dem Notentext "anzustellen", z.B. hinsichtlich der Agogik.

Übrigens kann ich aus Gründen des Anstands und der ja gerade neu formulierten Forumsregeln unmöglich genau wiedergeben, was meine Klavierstimmer in meiner Anwesenheit! über Brendel gesagt haben. :p

Ganz liebe Grüße :)

chiarina
 
Liebe chiarina,

nein, ich meinte nicht Dich, aber vielleicht, ich hoffe das, prüfen auch Andere hier Ihre Aussagen diesbezüglich.:):)

Ansonsten erwarte ich die Begründung derjenigen, die nicht Fan von Brendels Interpretationen sind.

rolf, pppetc, gomez, gubu,... um Einige zu nennen, schreibt doch mal eure Sicht der Dinge. Ich habe meine bereits formuliert.
Wenn ihr das auch noch verständlich formulieren würdet, wäre es doch prächtig.:)

LG

violapiano
 
Übrigens kann ich aus Gründen des Anstands und der ja gerade neu formulierten Forumsregeln unmöglich genau wiedergeben, was meine Klavierstimmer in meiner Anwesenheit! über Brendel gesagt haben. :p
Hallo Chiarina,

man soll ja immer auch die "andere Seite hören", daher meine Frage: Kennst du den Essay "Vom Umgang mit Flügeln" von Brendel?

Interessante Lektüre auf jeden Fall! :)

(Soll übrigens überhaupt nicht heißen, dass "deine Klavierstimmer" irren oder dergleichen)

lg marcus
 
Hallo Chiarina,

man soll ja immer auch die "andere Seite hören", daher meine Frage: Kennst du den Essay "Vom Umgang mit Flügeln" von Brendel?

Interessante Lektüre auf jeden Fall! :)

(Soll übrigens überhaupt nicht heißen, dass "deine Klavierstimmer" irren oder dergleichen)

lg marcus

Ich kenn den, er liegt grad vor mir. "Ein großer Teil der Unsicherheit und Ambitionslosigkeit von Stimmern hat seine Ursache in der Unwissenheit der Pianisten, die nicht genau wahrnehmen und mitteilen können, was sie an einem Instrument stört"
Offensichtlich konnte er es zur Genüge :D
 
Mal eine andere Frage:

wie stehts denn um "Brendel spielt Beethoven"?

LG, Sesam
 
Hai chiarina

Glaubst du, dass gerade bei Schubert's Sonaten so viel "interpretiert" wird, weil das, was passiert, eben nicht laut wie in einem Action-Film ( entschuldige die saloppe Ausdrucksweise) ist, sondern ungleich subtilerer Art ( du schreibst, durch die Konstruktion selbst, aber wie gesagt,da habe ich noch meine Defizite)?

So auch und ungefähr: "Gerade" bei Schuberts Sonaten wird so viel "interpretiert", weil
"rein technisch" das Vermögen nicht hinreicht - und das technische Vermögen widerum wird
nicht erlangt, weil der Wunsch, die Sehnsucht, das Verständnis korrumpiert sind (aus welchen
Gründen auch immer) - weswegen das Wort "Dreck" vollkommen ernst gemeint war und ist
(und nicht etwa als "infantile Entgleisung" interpretiert werden sollte):
Seelendreck - es gibt Arten der Weltansicht, für die das eine der Todsünden ist.

Nicht ganz und gar umsonst machte Liszt über fünfzig Schubert-Transkriptionen - und Liszt,
dieser so überaus selten edle Mensch, hatte ein absolut untrügliches Gespür für (musikalische)
Qualität (und er hatte selbsträdernd auch das "technische Vermögen" - in diesen Sphären gibt
schon manchmal das Eine das Andre....).


Hast Du Dir den Wegweiser schon angeschaut?

Herzliche Grüße

stephan
 
Hai chiarina
(...)


So auch und ungefähr: "Gerade" bei Schuberts Sonaten wird so viel "interpretiert", weil
"rein technisch" das Vermögen nicht hinreicht - und das technische Vermögen widerum wird
nicht erlangt, weil der Wunsch, die Sehnsucht, das Verständnis korrumpiert sind (aus welchen
Gründen auch immer) - weswegen das Wort "Dreck" vollkommen ernst gemeint war und ist
(und nicht etwa als "infantile Entgleisung" interpretiert werden sollte):
Seelendreck - es gibt Arten der Weltansicht, für die das eine der Todsünden ist.
(...)

Herzliche Grüße

stephan

Aha- jetzt bekomme ich eine Ahnung, was Du gemeint haben könntest mit deinen Aussagen.:)
 
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rolf, pppetc, gomez, gubu,... um Einige zu nennen, schreibt doch mal eure Sicht der Dinge. Ich habe meine bereits formuliert.
Wenn ihr das auch noch verständlich formulieren würdet, wäre es doch prächtig.:)

LG

violapiano

Liebe violapiano, zu viel der Ehre, mich in diesen Kreis einzureihen.:)


Meine Sicht ist recht schlicht: Von Brendel habe ich mir bisher (fast) nichts angehört. Bereits deswegen maße ich mir auch kein Urteil über ihn an.

Allerdings habe ich eine angeborene Skepsis gegen alles, was von den Medien permanent eher bejubelt wird. So auch bei Pianisten. Die schönsten Konzerte habe ich bisher von Leuten gehört, von denen dort eher selten die Rede ist.

Verglichen mit dessen Werkumfang kenne* ich Schubert bisher ebenfalls eher wenig . Sinfonisches, Lieder -auch in den Liszt-Bearbeitungen-, die von mir sehr geschätzte B-Dur Sonate, etcpp. Vieles steht noch auf dem Plan. Deswegen freue ich mich, nach der unsinnigen Streiterei hier nun doch noch einige Beiträge über Schubert zu lesen. Vielleicht sollte mal ein Schubert-Faden aufgemacht werden....:p

Es grüßt
gubu

* kennen??...... da gehts schon los....:rolleyes:
 
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Liebe Lichtgestalt!



Bitte - tu das!

Schau Dir mal den Wegweiser an -> siehst Du,
wie Schubert dessen Pfeil notiert?


Lieber pppetc,

meinst du diese wahnsinnige Stelle:

(verflixt und zugenäht - wie bekommt ihr anderen es immer hin, hier Notenbeispiele reinzustellen von imslp??? Hilfe!!!! :confused:)

also leider nur in Worten: wenn "Einen Weiser seh ich stehen..." zum zweiten Mal kommt, ist ein Ostinato-g in Achteln in der Mittelstimme komponiert, während die Außenstimmen sich chromatisch nach innen bewegen, ausgehend vom G7 mit 'H und f1.

Und bei dieser fürchterlichen Beschreibung, bei der nicht das Geringste von der ungeheuren Wirkung dieser Stelle wiedergegeben wird, merkt man, wie schrecklich Analysen sein können.

Der komplette Text hier lautet: "Einen Weiser seh ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück.". Danach kommt "Das Wirtshaus", ein Totenacker, zu dem der Wegweiser gewiesen hat. Der Tod ist nah.

Mich berührt die gesamte Winterreise mehr, als ich sagen kann. Schon allein die Noten anzusehen...... .

Liebe Grüße

chiarina
 

...Verglichen mit dessen Werkumfang kenne ich Schubert bisher ebenfalls eher wenig . Sinfonisches, Lieder -auch in den Liszt-Bearbeitungen-, die von mir sehr geschätzte B-Dur Sonate, etcpp. Vieles steht noch auf dem Plan. Deswegen freue ich mich, nach der unsinnigen Streiterei hier nun doch noch einige Beiträge über Schubert zu lesen. Vielleicht sollte mal ein Schubert-Faden aufgemacht werden....:p

Als ich im November einen Schubert-Faden aufmachte, hatte sich kaum jemand dafür interessiert, vielleicht ändert sich das ja jetzt?

Hier darf alles über Schubert geschrieben werden, was Euch einfällt:

https://www.clavio.de/forum/klavier...11709-wann-klingt-schubert-nach-schubert.html
 
rolf, pppetc, gomez, gubu,... um Einige zu nennen, schreibt doch mal eure Sicht der Dinge. Ich habe meine bereits formuliert.
Wenn ihr das auch noch verständlich formulieren würdet, wäre es doch prächtig.:)

Was willst Du von mir? Das habe ich in diesem Faden schon längst getan, wobei ich ein interessantes langes Zitat verwendet hatte, welches großes Lob und herbe Kritik zugleich enthielt.

Bzgl. Ges-Dur Impromptu halte ich mehr von Horowitz´ Spiel, weil es klanglich weitaus differenzierter ist. Erstaunlich freilich ist, dass ein manuell derart einfaches Klavierstück bei zwei Interpreten klanglich derart unterschiedlich ausfällt - aber sowas kommt vor, wie ja Schumanns Träumerei oft genug gezeigt hat.

Leon Fleisher hat die große B-Dur Sonate nach seiner einigermaßen geglückten Heilung von der Dystonie der rechten Hand eingespielt - natürlich nimmt man ein paar technische Mängel wahr (kein Wunder nach so lange Zeit unbrauchbarer rechter Hand), aber Tempo und Tonfall sind kantabel, expressiv und sehr natürlich: nichts erzwungenes, kein erhobener Zeigefinger (a la aufgepasst, hier wird es bedeutsam). Ob diese Aufnahme die richtigen Tempi wählt, weiß ich nicht - aber berührend ist die Klangschönheit und die Natürlichkeit.
 

Meine Sicht der Dinge auszusprechen, fällt mir schwer, weil ich kein Pianist bin,
aber auf eine Art und Weise zum Vorhandensein von Musik beitrage,
die ich hier nicht kommentieren möchte – und mich trotzdem befähigt,
scharf und eindeutig zu urteilen.

Man kann sagen: Angesichts des Notentextes sind alle Interpretationen defizitär,
bestenfalls Näherungswerte dessen, was der Notentext in Vollendung präsentiert -
wahrnehmbar nur für den, der ihn geistig nachvollziehen kann.

Man kann aber auch sagen: Der Notentext ist eine Skizze, eine Rohfassung,
die erst durch den Interpreten zum musikalischen Leben erweckt wird.
Das gilt auf jeden Fall für Musik aus einer Zeit, die noch keine Trennung
zwischen Komponist und Interpret kannte und in der der nicht notierte,
d.h. zu improvisierende Anteil an der Musik wesentlich größer gewesen ist.

Tatsächlich glaube ich, daß Musik einfach realisiert, nicht interpretiert werden sollte.
Gute Musik spricht für sich – zusätzliche Intentionen in sie hineinzulegen bedeutet,
sie nicht verstanden zu haben und die Verständnislücken durch etwas Musikfremdes
kompensieren zu wollen.

D960 in Brendels Einspielung hat für mich eine ganz besondere, aber völlig
musikfremde Bedeutung: Ich habe einen guten Freund, der mit noch nicht einmal
vierzig Lebensjahren an Magenkrebs verstorben ist, in den Tod begleitet.
Ich saß quasi tag und nacht an seinem Sterbebett, und wenn wir nicht gesprochen
oder miteinander geschwiegen haben, hörten wir Musik – natürlich seiner Wahl:
gespielt von einer herumeiernden Musikkassette - die B-Dur-Sonate in Brendels Version.
Das macht mích befangen gegenüber Brendel – zumindest, was D960 betrifft.

Gruß, Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Tatsächlich glaube ich, daß Musik einfach realisiert, nicht interpretiert werden sollte.
Gute Musik spricht für sich – zusätzliche Intentionen in sie hineinzulegen bedeutet,
sie nicht verstanden zu haben und die Verständnislücken durch etwas Musikfremdes
kompensieren zu wollen.

Lieber Gomez,

auf einer ganz banalen Ebene setzt im weitesten Sinne "interpretieren" schon ein, nämlich beim Noten lesen. Demokratisch gleichberechtigt hocken da die Töne eines Akkords übereinander, z.B. der c-Moll Akkord, mit welchem das c-Moll Prelude von Chopin beginnt - der Anblick müsste sagen: alle 6 Noten gleichlaut. Die Praxis aber demonstriert, dass das Ergebnis dieser Notenlesedemokratie unangenehm plump klingt - stattdessen wird gestuft differenziert angeschlagen, und das obwohl der Notentext es nicht explizit vorschreibt. Klar: es gibt ausdrücklich notierte und dazu (leider) auch tradierte Ausführungsanweisungen. Beide tragen zum Klangbild bei, und zwar erheblich.

Dass jede "Interpretation" nur einen Teil des Bedeutungsgehalts eines Musikstücks darstellt oder deutlich macht - das sehe ich genauso. Denn gäbe es eine vollkommene Realisierung, dann hätte das Musikstück seinen Zenit erreicht, es gäbe nichts mehr dazu zu sagen außer: ja, so und nicht anders muß es sein.

Ich stimme Dir aber nicht zu, wenn Du komplett unterstellst, dass jede Interpretation zusätzliche Intenionen beifüge (noch dazu, um Verstehenslücken zu kaschieren). Musik hat oft uneindeutige Anweisungen: morendo, ritardando, rallentando usw. - die werden wohl immer ein wenig verschieden ausfallen bei den Realisierungen.

Ein wenig habe ich den Verdacht, Dir wäre am liebsten, wenn Musik nur noch gedacht und nicht gespielt würde ;) - ich habe aber Zweifel, ob eine komplette Abschaffung der Instrumente ein Segen wäre.

Abstrakt und ideal wäre eine Realisierung, die alles demonstriert und erklärt, was in einem musikalischen Kunstwerk steckt - realer erscheinen mir Interpretationen, die wenigstens plausibel einen guten Teil eines Musikstücks erklären, und diese kaschieren nichts, sondern haben Entscheidungen getroffen. So kann das c-Moll Prelude eher düster, oder tragisch oder pathetisch klingen, was ihm nicht schadet, denn all das steckt drin - geschwindmarschmäßig könnte es zwar auch klingen, das aber wäre ein unverständiges Dazutun.

herzliche Grüße,
Rolf
 
Meine Sicht der Dinge auszusprechen, fällt mir schwer, weil ich kein Pianist bin,
aber auf eine Art und Weise zum Vorhandensein von Musik beitrage,
die ich hier nicht kommentieren möchte – und mich trotzdem befähigt,
scharf und eindeutig zu urteilen.

Man kann sagen: Angesichts des Notentextes sind alle Interpretationen defizitär,
bestenfalls Näherungswerte dessen, was der Notentext in Vollendung präsentiert -
wahrnehmbar nur für den, der ihn geistig nachvollziehen kann.

Man kann sagen: der Notentext ist eine Skizze, eine Rohfassung,
die erst durch den Interpreten zum musikalischen Leben erweckt wird.
Das gilt auf jeden Fall für Musik aus einer Zeit, die noch keine Trennug
zwischen Komponist und Interpret kannte und in der der nicht notierte,
d.h. zu improvisierende Anteil an der Musik wesentlich größer gewesen ist.

Tatsächlich glaube ich, daß Musik einfach realisiert, nicht interpretiert werden sollte.
Gute Musik spricht für sich – zusätzliche Intentionen in sie hineinzulegen bedeutet,
sie nicht verstanden zu haben und die Verständnislücken durch etwas Musikfremdes
kompensieren zu wollen.

D960 in Brendels Einspielung hat für mich eine ganz besondere, aber völlig
musikfremde Bedeutung: Ich habe einen guten Freund, der mit noch nicht einmal
vierzig Lebensjahren an Magenkrebs verstorben ist, in den Tod begleitet.
Ich saß quasi tag und nacht an seinem Sterbebett, und wenn wir nicht gesprochen
oder miteinander geschwiegen haben, hörten wir Musik – natürlich seiner Wahl:
gespielt von einer herumeiernden Musikkassette - die B-Dur-Sonate in Brendels Version.
Das macht mích befangen gegenüber Brendel – zumindest, was D960 betrifft.

Gruß, Gomez

.

Das entspricht sehr dem, was ich denke über Schuberts Musik. In meinen Augen ist sie von sich aus so perfekt. Und sie gibt einfach wenig Spielraum für Agogik.
Mit zu viel agogischer Einflussnahme zerstört man ihre wunderbare Struktur.

Klangfarben finde ich wichtig bei Schubert.
Man denke nur an den Satz aus der B-Dur Sonate. Ich höre da eine Totenglocke und tiefe Verzweiflung, die nach dem entsprechenden Klang schreit.

LG
VP
 
Hallo Gomez de Riquet,

dein Postulat, der Notentext solle einfach "realisiert" und nicht interpretiert werden, hat für mich den Beigeschmack von "Denk nicht drüber nach, spiels einfach".


Und das wundert mich! Muss nicht jeder Musiker versuchen kompositorische Vorgänge nachzuvollziehen? Brendel kommt in D.960 offenbar zu der Auffassung, dass die von Schubert eigens komponierten Überleitungstakte zur Wiederholung der Exposition (samt Wiederholung) wegzulassen sind.
Glaubst du, dass eine solche Entscheidung - egal welche Überlegungen dahinter stehen - immer frevelhaft sind?

In früherer Zeit war es, soweit ich das weiß, üblich noch weit radikaler in die Werkstruktur einzugreifen. Bei Busonis oder Hans von Bülows Notenausgaben findet man entsprechendes.

Kann es nicht sein, dass wir heute manchmal zu viel Respekt vor dem Notentext haben?

lg marcus
 
Dein Postulat, der Notentext solle einfach "realisiert" und nicht interpretiert werden,
hat für mich den Beigeschmack von "Denk nicht drüber nach, spiels einfach".

Also, lieber Marcus,

Du meinst es nicht so - aber so verkehrst Du meine Argumentation ins völlige Gegenteil.

Das Allerwichtigste vor dem Spiel ist doch, die Musik verstanden zu haben,
was intensives Nachdenken mit dem und über den Notentext voraussetzt
(falls sich jemandem die Musik nicht wie von selbst erschließt, wie Clara Haskil,
die ein Stück nur gehört haben mußte, aus dem Nebenzimmer gespielt,
um es in einem ihrer nächsten Konzerte selbst zu spielen - ohne Notenkenntnis!).

HG, Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Auf einer ganz banalen Ebene setzt im weitesten Sinne "interpretieren" schon ein,
nämlich beim Notenlesen. Demokratisch gleichberechtigt hocken da die Töne eines Akkords übereinander...

Lieber Rolf,

ich würde Dir gerne ausführlich antworten, aber ich bin in Eile.

Vielleicht reicht die Kurzversion: Die Töne hocken
ganz und gar nicht demokratisch nebeneinander,
denn das Auge ist ein Aristokrat. Es weiß zu gewichten.
Dazu muß es nichts tun, als den Wegweisern zu folgen,
die der notierende Komponist aufstellt.

Komm mir jetzt nicht mit Witzen à la: Ein Aristokrat, der Wegweisern folgt?
Du weißt, welch strengem Verhaltenskodex sich ein Aristokrat beugen mußte,
und niemand weiß es besser als

Dein fiktiver blaublütiger

Gomez de Riquet

(unterwegs zu ganz unaristokratischer Brotarbeit)
 
Übrigens kann ich aus Gründen des Anstands und der ja gerade neu formulierten Forumsregeln unmöglich genau wiedergeben, was meine Klavierstimmer in meiner Anwesenheit! über Brendel gesagt haben. :p

Dasselbe gilt für "meinen" Stimmer, der hier vor Ort mehrfach für B. gearbeitet hat, und sich bitter beklagt hat, wie er Instrumente zurichten musste, um dessen Geschmack zu entsprechen. Als Gegenbeispiel, mit dem es eine Freude sein muss, zu arbeiten, nannte er Zimerman, der sich intensiver als wohl die meisten anderen Pianisten auch von der technischen Seite mit Klavieren beschäftigt.


Zitat von .marcus.:
Kann es nicht sein, dass wir heute manchmal zu viel Respekt vor dem Notentext haben?

Eine berechtigte Frage, finde ich. Oder vielleicht anders ausgedrückt: Respekt kann man nie genug haben, aber wenn dieser Respekt in Uninspiriertheit oder Schockstarre umschlägt, weil man alles Individuelle, die eigene Interpretenpersönlichkeit betreffende nicht zulassen will, dann wird aus dem Ideal einer "natürlicher Realisierung" ein langweiliges MIDI, das kein Leben atmet, wie das von violapiano verlinkte Beispiel.

Mir gefällt grundsätzlich die Vielfalt und ich möchte so viele unterschiedliche Realisierungen eines Stücks hören wie möglich. Eine "natürliche" Realisierung ist für mich nicht das einzige Kriterium.

Das einzige Live-Konzert von Brendel das ich besuchen konnte, hat mich etwas enttäuscht, und zwar nicht, weil ich etwas überinterpretiert fand, sondern im Gegenteil fand ich es fast schon etwas museal langweilig (mein Klavierlehrer hat über meine Kurzzusammenfassung "geriatrisch" gelacht)....

pppetc hat in einem früheren Beitrag in diesem Faden ein Video von Horowitz verlinkt, in welchem er die Busoni-Bearbeitung "Nun komm, der Heiden Heiland" spielt und am Ende mit Schulterzucken sagt "I didn't compose it". Das kann bei Horowitz nur als Kokettieren verstanden sein, denn es gab wohl wenige Pianisten im 20. Jh., die weniger hinter ein Werk zurückgetreten sind als er. Nicht nur in seinen Transkriptionen, sondern auch in vielen seiner Einspielungen (das letzte Mal ist mir das bei einer Aufnahme der Chopin f-Moll-Fantasie aufgefallen)...da ändert er den Notentext (z.B. "Auffüllen" von Akkorden), ignoriert teilweise Interpretationsvorgaben des Komponisten usw. Dessen ungeachtet ist er einer meiner liebsten Pianisten, eben weil so viel Leben, Seele, Ausdruckswille aus seinen Aufnahmen strahlt. Wer ein Advokat einer natürlichen Realisierung ist, muss Horowitz' Spiel wohl vehement ablehnen, oder?
 

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