Schreibt doch mal eure Sicht der Dinge.
Meine Sicht der Dinge auszusprechen, fällt mir schwer, weil ich kein Pianist bin,
aber auf eine Art und Weise zum Vorhandensein von Musik beitrage,
die ich hier nicht kommentieren möchte – und mich trotzdem befähigt,
scharf und eindeutig zu urteilen.
Man kann sagen: Angesichts des Notentextes sind alle Interpretationen defizitär,
bestenfalls Näherungswerte dessen, was der Notentext in Vollendung präsentiert -
wahrnehmbar nur für den, der ihn geistig nachvollziehen kann.
Man kann aber auch sagen: Der Notentext ist eine Skizze, eine Rohfassung,
die erst durch den Interpreten zum musikalischen Leben erweckt wird.
Das gilt auf jeden Fall für Musik aus einer Zeit, die noch keine Trennung
zwischen Komponist und Interpret kannte und in der der nicht notierte,
d.h. zu improvisierende Anteil an der Musik wesentlich größer gewesen ist.
Tatsächlich glaube ich, daß Musik einfach realisiert, nicht interpretiert werden sollte.
Gute Musik spricht für sich – zusätzliche Intentionen in sie hineinzulegen bedeutet,
sie nicht verstanden zu haben und die Verständnislücken durch etwas Musikfremdes
kompensieren zu wollen.
D960 in Brendels Einspielung hat für mich eine ganz besondere, aber völlig
musikfremde Bedeutung: Ich habe einen guten Freund, der mit noch nicht einmal
vierzig Lebensjahren an Magenkrebs verstorben ist, in den Tod begleitet.
Ich saß quasi tag und nacht an seinem Sterbebett, und wenn wir nicht gesprochen
oder miteinander geschwiegen haben, hörten wir Musik – natürlich seiner Wahl:
gespielt von einer herumeiernden Musikkassette - die B-Dur-Sonate in Brendels Version.
Das macht mích befangen gegenüber Brendel – zumindest, was D960 betrifft.
Gruß, Gomez
.