Die Notenschrift ist für die Notation diatonischer Musik überhaupt nicht unlogisch und auch nicht mehrdeutig. Es ist klar, dass sie bei nicht tonaler Musik und erst recht bei Musik, die überhaupt nicht mehr auf Halbtonschritten basiert, an ihre Grenzen stößt. Aber das betrifft nur einen sehr kleinen Teil der Neuen Musik. Und solange wir diese Musik auf traditionellen Instrumenten spielen, ist die Notenschrift sogar dazu besser geeignet als jede Neuerfindung - weil nämlich die Musiker mit Hilfe dieser Notenschrift eine Klangvorstellung von dem bekommen, was sie zu spielen haben. Wenn ein Geiger ein Vierteltonvorzeichen sieht, weiß er sofort, an welche Stelle des Griffbretts er seinen Finger aufsetzen muss und er weiß auch, wie der Ton klingen muss. Wenn man stattdessen schreibt: Frequenz = 1297 Hz Dauer = 2,459 s, ist das sicherlich wissenschaftlich toll. Kein Geiger auf dieser Welt kann allerdings irgendwas damit anfangen.
Und warum überhaupt soll sich die Notenschrift nach anerkannten Kriterien für formale Sprachen richten? Musik ist eine Kunst und keine exakte Wissenschaft. Ein Musikstück entsteht und vergeht in dem Augenblick, in dem wir es spielen. Es soll nicht in irgendeiner Weise "exakt" reproduziert werden - die Musik reagiert immer auf den Raum, auf die Zeit, auf die Zuhörer und erst recht auf die ausführenden Musiker. Musik ist ein lebendiger Organismus, und gerade das macht sie doch so faszinierend. Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb ich viel lieber in Konzerte gehe, als mir irgendwelche Aufnahmen anzuhören. Ein Aufnahme ist nur ein schwaches Abbild von Musik. Ein Rest von Lebendigkeit bleibt nur deshalb erhalten, weil ich nicht ganz derselbe bin, wenn ich mir eine Aufnahme wiederholt anhöre. Die ständige Verfügbarkeit von Aufnahmen heutzutage ist allerdings eine Pest und stumpft die meisten Leute so ab, dass sie für die Magie, die Musik im Augenblick ihrer Entstehung ausstrahlt, gar nicht mehr empfänglich sind.
LG, Mick