Wo hört im Bereich der klassischen Musik die "Allgemeinbildung" auf...

  • Ersteller des Themas Acerbitas
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Du kennst die Schwester der Synapse nicht:angst:?
Das kann nur die Synopse sein. Amen, das sage ich Euch. Und die gibt es im Gegensatz zu den Chicken McNuggets nicht bei McDonald's zu kaufen...!

Du meinst wohl, die Schwester des Kreislaufkollapses:-D
Ich kriege gleich wieder einen meiner elliptischen Anfälle. Das heißt übersetzt, dass ich im Dreieck springen muss!

Wenn die Allgemeinbildung aufhört, klappt es auch nicht mehr mit der deutschen Rechtsschreibung. Diese dann erklären zu müssen ist die reinste Syphilisarbeit!!!

LG von Rheinkultur
 
Es ist immer leicht sich über Unwissenheit bei anderen in Gebieten zu wundern, für die man sich selber interessiert. Gleichzeitig kann man sich selber die Frage stellen, ob man diverse Baustile mit den wichtigsten Architekten und Gebäuden benennen kann oder die wichtigsten Gemälde des Jugendstils, die wichtigsten literarischen Werke und stilistischen Merkmale der Sturm und Drang - Strömung, etc. Selbst wenn man der klassischen Musik nicht abgeneigt ist kann man sich die Frage stellen, ob man die letzten drei Opern Verdis benennen kann oder die Hauptfiguren des Rings. Eine Definition des nötigen Allgemeinwissens in der Kunstmusik halte ich für schwierig.

Viele Grüße!

Guter Punkt. Ich selbst habe diesen Anspruch an mich, ja. Und wäre wohl auch dazu in der Lage, obwohl ich keine Geisteswissenschaft studiert habe. Aber um Deine Beispiele aufzugreifen:
- Baustile: Hier sollte man auf jeden Fall die wichtigsten kennen und sie auch grob geschichtlich einordnen können (Gotik, Renaissance, Jugendstil, Nachkriegsmoderne usw...kein Anspruch auf Vollständigkeit, nur exemplarische Aufzählung)
- Literatur: Auch hier...die Strömung "Sturm und Drang" sollte man zumindest grob mit der Aufklärung in Verbindung bringen können; und wenigstens Goethes "Werther" könnte als Beispiel erwartet werden, ebenso wie Schillers "Räuber". Das war immerhin Pflichtlektüre in der Schule.
Ebenso finde ich es selbstverständlich, dass einem Namen wie Hesse, Mann, Dostojewskij und Gogol keine Fremdwörter sind - trifft auf viele weitere (Schiller, Kafka etc) zu. Dass das Gros der Bevölkerung mit "Heinrich Wilhelm von Gerstenberg" etwas anzufangen weiß, würde ich freilich nicht erwarten.

Ich bin aber in puncto Bildung auch sehr klassisch und konservativ veranlagt und habe eine große Affinität zu Kunst in jeglicher Form; dazu kommt eine von Natur aus unstillbare Neugier.
Obwohl ich selbst nicht in dieser Branche tätig bin, könnte ich aus dem Stegreif auch etwas zu den bedeutendsten Entwicklungen im Automobil-Bereich (Design, Interieur etc.) erzählen; jeder fährt ein Auto und redet ganz selbstverständlich über Linienführung, da sollte einem mMn auch (zum Beispiel) Ian Callum ein Begriff sein; erst recht, wenn man einen Jaguar fährt oder gern den Aston aus diversen 007 - Filmen anpreist.
Außerdem gilt für mich die "goldene Regel": Wovon ich nichts verstehe, davon schweige ich. Und höre demütig und wach zu, wenn ein Connaisseur mir neue Welten eröffnet. Ging mir letztens erst so beim Thema Wein: Natürlich kannte ich die bekanntesten Sorten, wusste über die Grundlagen des Anbaus und des Lagerns Bescheid; aber als ich essen war und wir hatten einen Sommelier in der Runde, habe ich es genossen, mehr darüber zu erfahren. Das ist doch ein Privileg!

Vielleicht bin ich da auch einfach etwas extrem. Ich erwarte sowas ja auch, wie schon erwähnt, nicht (mehr) von meinen Mitmenschen.
Ich freue mich auch aufrichtig über jede Art von musikalischem Interesse!! Echtes und aufrichtiges Interesse an einer Operninszenierung ist mit im Zweifelsfalle auch lieber als zur Schau gestelltes Wissen im Sinne eines elitären Abgrenzungsversuches durch die selbsternannte "Oberschicht".

NACHTRAG: Übrigens gilt dieser Anspruch vor allem auch in Bezug auf die Naturwissenschaften!! Ich finde es wichtig, mathematische, chemische und physikalische Grundlagen verstanden zu haben und auch anwenden bzw. abstrahieren zu können. Vielleicht kommt man auch ohne durchs Leben, aber ich würde sie persönlich im Sinne eines umfassenderen Verständnisses von der Welt und dem Geschehen um mich herum nicht missen wollen.
 
..... jeder fährt ein Auto und redet ganz selbstverständlich über Linienführung....

Ist das dein Ernst?? :konfus:
Es fährt doch nicht jeder Auto (höchstens als Beifahrer) und es spricht nicht jeder über Linienführung - mit mir hat in meinem nicht mehr so jungen Leben noch kein Mensch darüber geredet. Als langjährige Autofahrerin hätte ich jetzt gleich mal eine Frage: Was versteht man unter Linienführung bei einem Auto??? Habe ich jetzt wirklich eine Bildungslücke? :puh:

Allgemeinbildung hat viel mit Schulbildung zu tun. Was auf welcher Schulstufe zur Allgemeinbildung gehört, bestimmen die Politiker. Wer sich darüber hinaus noch mehr Wissen aneignen möchte, findet bei genügend vorhandenem Interesse sicherlich Wege dies zu tun. Bei vielen Menschen ist jedoch das Interesse an klassischer Musik nicht vorhanden und sie sind deshalb auch nicht an einer Bildung in diesem Bereich interessiert.
 
Ganz klar: man braucht keine Allgemeinbildung. So wie man auch keine Musik braucht, kein Klavierspiel, kein Fernsehen etc. Was Allgemeinbildung ist (und vor allem, wie der Kanon der Allgemeinbildung auszusehen hat), darüber streiten sich Bildungsbüger, -politiker und Pädagogen seit Generationen. Aber festhalten kann man doch wohl: je mehr man über die Welt weiß, desto besser versteht man sie, erkennt Zusammenhänge und Abhängigkeiten.

PS: Was einer wissen möchte, bleibt ihm selbst überlassen. Allerdings beschleicht mich das Gefühl, daß Parsifal das große Vorbild der Gegenwart ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
@koelnklavier : Ganz Deiner Meinung!! Daher sagte ich, dass ich das nicht (mehr) von meinen Mitmenschen "erwarte", mich aber über Interesse immer freue. Mir selbst ist es ein Bedürfnis, möglichst viele Facetten der Welt, in der ich mich bewege, kennenzulernen. Das muss nicht jedem so gehen und ich respektiere das (wenngleich ich es nicht immer verstehe).

Ist das dein Ernst?? :konfus:
Es fährt doch nicht jeder Auto (höchstens als Beifahrer) und es spricht nicht jeder über Linienführung - mit mir hat in meinem nicht mehr so jungen Leben noch kein Mensch darüber geredet. Als langjährige Autofahrerin hätte ich jetzt gleich mal eine Frage: Was versteht man unter Linienführung bei einem Auto??? Habe ich jetzt wirklich eine Bildungslücke? :puh:

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Hallo,

ja, das ist mein Ernst. Ich selbst bin auch noch kein "älterer Mensch" und ich kenne sehr viele, die über Autodesign sprechen und fachsimpeln. "Jeder" war wohl eine Übertreibung, zumindest, was das "Reden über Linienführung" anbelangt.
Achtung: Nicht alle von denen, die es tun, sind wohlhabend und besitzen die Autos, von denen sie schwärmen - aber wenn man einen Sinn für Ästhetik hat, kann man manchmal nicht anders, als auch Autos dahingehend zu beurteilen.
Ich würde aber nicht sagen, dass das eine "Bildungslücke" ist, nein! Das war nur ein Beispiel. Ich sagte ja auch, dass das vor allem für Menschen gilt, die eben gern über Inter- und Exterieur parlieren; DANN, so meine ich, sollte man auch ein wenig Ahnung davon haben.

Zu Deiner Frage: "Linienführung" ist einfach die äußere Form des Autos, quasi seine Silhouette; ist die Linienführung eher sportlich-elegant, kantig, markant, aerodynamisch, ...?
 
@Acerbitas

Hui, ist das verkopft, redest Du wirklich auch in echt so gestelzt? Deine Beiträge lesen sich etwas künstlich, aber gut.
Ich habe immer ein Problem damit, wenn jemand auflistet, worüber "man" bescheid wissen sollte, wenn derjenige mit "man" eigentlich sich selber als Maßstab nimmt.
Soll heißen: Schön, dass Du gewisse Dinge so aufsaugst, und Wissen anhäufst. Aber das von anderen zu erwarten ist schon etwas arrogant, oder? Ich habe ein gesundes Halbwissen, gehe mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, aber erwarte das nicht von anderen. Auch Menschen, die nicht meine überragende Intelligenz (Achtung, Ironie) besitzen, können mir immer noch geistigen Input geben. Indem sie eben über andere Dinge bescheid wissen.
Ein Mensch kann sehr interessiert sein, aber er muss sich nicht zwangsläufig alles merken.
Ich habe noch nie über Linienführung "parliert", und werde das nicht tun, da mir das Thema herzlich egal ist (ich teile das Aussehen von Autos in die Kategorien "Schaut gut aus" und "Schaut doof aus" ein).

Was Deine Bemerkung über Chemie und Physik/Mathe angeht: In diesen Fächern war ich immer extrem schlecht, und deswegen denke ich, dass die Erde eine Scheibe ist, und erst seit 5000 Jahren existiert. Scherz.
:-D
Ernsthaft: Bildung und Intelligenz ist nicht alles. Es kommt nicht nur darauf an, was man kann, sondern wie man ist (Emotionale Intelligenz, Herzensbildung), und wie man mit seinem Wissen umgeht.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Es ist immer leicht sich über Unwissenheit bei anderen in Gebieten zu wundern, für die man sich selber interessiert. Gleichzeitig kann man sich selber die Frage stellen, ob man diverse Baustile mit den wichtigsten Architekten und Gebäuden benennen kann oder die wichtigsten Gemälde des Jugendstils, die wichtigsten literarischen Werke und stilistischen Merkmale der Sturm und Drang - Strömung, etc.
Eigenwahrnehmung aus jenen Zeiten, in denen man sich um den Erhalt eines Stipendiums bewarb: Kam es zum Dialog mit einer Prüfungskommission, waren für ambitionierte Berufsmusiker auch außermusikalische Fragen vorgesehen. Eigentlich vernünftig, Schulwissen nach bestandenem Abitur nicht in die Tonne zu kloppen, weiterhin in eine "normale" Tageszeitung zu schauen und über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Interesse ist nämlich durchaus ein wichtiger Teil einer gesunden Lebensanschauung. Was man objektiv "wissen muss", ist allerdings eine ganz andere Frage. "Müssen" muss man lediglich auf die Toilette und am Lebensende sterben - sonst nix... .

LG von Rheinkultur
 
Im Zeitalter von Smartphone, Google und Wikipedia verschiebt sich der Umgang mit "Allgemeinbildung" immens. Die Welt und das Wissen wird immer komplexer, schneller und gefühlt unübersichtlicher.

Heutzutage muss man eher gut klassifizieren können, Schlagwörter wiedererkennen und unter den richtigen Überschriften einsortieren, online danach recherchieren können etc.
Klassifizierung mit breitem Themenkatalog, Überschriften, logische Auffassungsgabe + Mut zur Lücke ist das Gebot der Stunde.

Geschichts-Jahreszahlen aufs Jahr genau büffeln, Biografien auswendig lernen etc. - das sind die Mittel von Vorgestern.

In 5-10 Jahren machste ein Foto von einer Säule und die App sagt dir, welches Gebäude das ist, welcher Stil, wers gebaut hat, Epoche etc. etc.
Schon heute (in Arbeit) lässt Du eine App mitlauschen und sie sagt die nach 10 Sekunden, was für ein Stück das ist, wer der Komponist ist, Stil/Epoche etc. pp.

Wichtig ist da nur, dass man letztlich versteht, wie die Dinge zusammenhängen. Und dazu muss man sich auch mal mit Detail-Beispielen auseinandergesetzt haben. Aber man muss sie halt nicht mehr alle jederzeit parat haben.
 
Was einer wissen möchte, bleibt ihm selbst überlassen. Allerdings beschleicht mich das Gefühl, daß Parsifal das große Vorbild der Gegenwart ist.
Sehe ich genauso:



Und Sokrates hat mit seinem meist falsch wiedergegebenen Ausspruch lediglich eine Distanz zu Scheinwissen angemahnt und nicht behauptet, von nix eine Ahnung zu haben... .

LG von Rheinkultur
 
Ich habe immer mehr den Eindruck, dass den meisten Menschen nie jemand nahe gelegt hat, dass es im Bereich Musik überhaupt etwas zu wissen gibt. Frei nach dem Motto "Über Musik spricht man nicht, Musik hört man".

lg marcus
 

[...] musikalische Allgemeinbildung, die über den Durchschnitt hinausgeht.
Durchschnitt ist halt immer Mittelmaß ...

Und was das "Detailwissen" angeht, das man ja jederzeit im Internet abrufen kann: wenn ich Dinge nicht mehr einordnen kann, die Weimarer Republik vor den Ersten Weltkrieg lege, München an der Spree ansiedle und Mahler als Zeitgenossen Mozarts ansehe ("die paar Jährchen, die dazwischen liegen"), bin ich auch nicht in der Lage, sinnvolle Korrelationen herzustellen. Aber wenn heutzutage schon in den Lehrplänen bloß Kompetenzen eingefordert werden statt Wissen ... - Wie lautete der alte Sponti-Spruch: "Wissen ist Macht. Nichts wissen macht auch nichts!" Schlimm ist nur, daß man dies in den Kultusministerien (also dort, wo Lehrpläne entwickelt werden) mittlerweile auch verinnerlicht hat.
 
Durchschnitt ist halt immer Mittelmaß ...

Und was das "Detailwissen" angeht, das man ja jederzeit im Internet abrufen kann: wenn ich Dinge nicht mehr einordnen kann, die Weimarer Republik vor den Ersten Weltkrieg lege, München an der Spree ansiedle und Mahler als Zeitgenossen Mozarts ansehe ("die paar Jährchen, die dazwischen liegen"), bin ich auch nicht in der Lage, sinnvolle Korrelationen herzustellen. Aber wenn heutzutage schon in den Lehrplänen bloß Kompetenzen eingefordert werden statt Wissen ... - Wie lautete der alte Sponti-Spruch: "Wissen ist Macht. Nichts wissen macht auch nichts!" Schlimm ist nur, daß man dies in den Kultusministerien (also dort, wo Lehrpläne entwickelt werden) mittlerweile auch verinnerlicht hat.

Ich kann ja gern mit anderen Beispielen weitermachen, was ich für Allgemeinbildung halte. Wie funktioniert Auftrieb am Flugzeug? Was bewirkt eine Spule im Schaltkreis? Was bedeutet Welle-Teilchen-Dualismus? Was passiert bei Kernspaltung und -fusion? Warum altern Zellen? Was bedeutet überabzählbar? Was ist vollständige Induktion? Was macht ein Such-Index in Software? Etc. etc. Wir finden bestimmt Beispiele, bei denen ich auch alle Hände überm Kopf zusammenschlage, wie man bei sowas nicht zumindest die Grundlagen zusammenbekommt und so durchs Leben stolpern kann. Yo, nix wissen macht auch nix..."In Mathe war ich immer schlecht". Alle klatschen... *seufz*
 
Wer deutlich mehr über Komponisten weiß, als das, was @cwtoons aufgezählt hat, hat keine Allgemeinbildung, sondern der ist schon Insider oder gebildet, so würde ich mal spontan sagen.
Ich finde es immer höchst aufschlussreich, was ich als Konzertbesucherin nebenbei so über die anderen im Publikum aufschnappe: Die einen spielen die Klaviersonate "trocken" mit, und andere kriegen es nicht mal mit, dass die Programmpunkte Mozart und Bach getauscht wurden (obwohl es vorher noch angekündigt wurde).
Keine Wertung. Einfach nur eine Feststellung.
Man kann nicht alles wissen. Und die Welt ist voller spannender Dinge.
 
Allgemeinbildung ist irgend wie ein diffuser Begriff. Für mich ist es die Bildung, die man benötigt, um ohne Einschränkungen den Alltag zu bewältigen. Und dazu gehört nicht all zu viel. Die Basics: Lesen, Schreiben, Rechnen. Darauf aufbauend Sachen wie die STVO, Grundkenntnisse in EDV, logisches Denken...halt so allerlei Selbstverständliches für den Alltag (was für viele aber nicht selbstverständlich ist*). Vieles an Lernstoff aus der Schule, was man später nicht braucht, vergisst man einfach. Für mich ist das auch ok. In anderen Regionen und Gesellschaftsformen sind die Basics evtl. ganz andere (Pflanzen, Tiere, Sterne... "wie finde ich wieder nach Hause").
Das hat nichts mit beruflicher Ausbildung oder Hobby zu tun. Bei Beidem eignet man sich schon wieder Spezialwissen an.

*Beispiel mein Vater:
Ich habe ihn immer bewundert wegen seines Allgemeinwissens. Zu fast Allem wusste er so viel. Egal was, er konnte stundenlang darüber interessante Vorträge halten. Irgend wann hat der Computer und das Internet (privat als auch beruflich) Einzug in sein Leben gehalten und es war dahin mit seiner Allgemeinbildung. Bis heute kommt er nicht klar und es ist eine enorme Einschränkung in seinem Alltag.
 
Beispiel mein Vater:
Ich habe ihn immer bewundert wegen seines Allgemeinwissens. Zu fast Allem wusste er so viel. Egal was, er konnte stundenlang darüber interessante Vorträge halten. Irgend wann hat der Computer und das Internet (privat als auch beruflich) Einzug in sein Leben gehalten und es war dahin mit seiner Allgemeinbildung. Bis heute kommt er nicht klar und es ist eine enorme Einschränkung in seinem Alltag.

Wo ist denn seine Allgemeinbildung hin?
Oder konnte er mit den Neuerungen nicht mehr schritthalten?
 
Meiner Ansicht nach kommt es bei jeder Form der „Bildung“ nicht so sehr darauf an, das Meer leer zu trinken, sondern immer besser schwimmen zu lernen. Wer wirklich schwimmt und nicht nur am Strand herumtapst, der ist im Meer, im ganzen Meer zugleich.

Eine andere Frage betrifft das Verhältnis zwischen der „Breite“ der Bildung und ihrer „Tiefe“. Lernt man einen Abschnitt des Meeres genauer kennen, oder versucht man, möglichst viel Gebiet abzuschwimmen? Hier würde ich ganz klar für Tiefe plädieren. Flaubert schrieb in einem Brief: „Comme on serait savant si l’on connaissait bien seulement cinq ou six livres.“ („Wie gelehrt wäre man, wenn man nur fünf oder sechs Bücher gut kennen würde.“) Es kommt also nicht auf Quantität an, sondern auf Qualität und Intensität. Man kann z. B. das Gesamtwerk eines Komponisten wirklich in der Tiefe kennenlernen und hat dann mehr davon, als wenn man von fünfzig Komponisten ein paar Werke oberflächlich kennt. Wenn einer sagt, was und wieviel er gelesen oder gehört hat, muss deshalb immer die Frage lauten: Wie gelesen? Wie gehört?

Der Gedanke, dass es einen „Kanon“, eine abzuarbeitende Liste von Werken geben müsse, die jede/r kennen sollte, halte ich für Unsinn – es sei denn, man versteht eine solche Liste nur als Anregung. Letztlich muss jeder selber herausfinden, was sein persönlicher „Kanon“ ist. Und es geht dabei nicht in erster Linie um einen festen Bestand von Wissen, das man dann sozusagen als sicheren Besitz „hat“ wie eine CD-Sammlung, sondern eher um die Aneignung von Sensibilitäten, von Verständnis, also eher um ein „Sein“, ein „Können“.
 

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