Wo hört im Bereich der klassischen Musik die "Allgemeinbildung" auf...

  • Ersteller des Themas Acerbitas
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Man kann z. B. das Gesamtwerk eines Komponisten wirklich in der Tiefe kennenlernen und hat dann mehr davon, als wenn man von fünfzig Komponisten ein paar Werke oberflächlich kennt.

Das Problem ist aber, dass man beispielsweise das Gesamtwerk Beethovens gar nicht begreifen kann, wenn man nicht auch sehr viele Werke anderer Komponisten kennt. Ohne wenigstens Bach, Haydn und Mozart verstanden zu haben, wird man auch Beethoven nicht verstehen. Und Bachs Musik wiederum erschließt sich kaum ohne Kenntnis der Vokalpolyphonie, des norddutschen, italienischen und französischen Stils, Mozart nicht ohne die italienische Oper und die Mannheimer Schule und Haydn nicht ohne Carl Philipp Emanuel Bach. Es hängt alles mit allem zusammen - meiner Meinung nach ist eine isolierte Betrachtung fast immer sinnlos.
 
Guter Einwand. Sagen wir es so: Man muss einen guten Kompromiss zwischen Tiefe und Breite der Bildung finden.
Für eine isolierte Betrachtung habe ich natürlich nirgends plädiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit @Gomez de Riquet s Zitat könnte man den Gedanken noch weitertreiben: Man kann viele von Bachs religiösen Vokalwerken nicht ohne die protestantische Theologie verstehen, diese wiederum nicht ohne die Bibel, diese nicht ohne Kenntnis der Sprachen und der Umwelt Israels und Griechenlands uswusf.
Wie gehst Du, @mick, mit der Spannung um, dass alles mit allem zusammenhängt, man also eigentlich alles wissen müsste, man dies aber niemals kann?
 
[...] dass alles mit allem zusammenhängt, man also eigentlich alles wissen müsste, man dies aber niemals kann?
Man muß wohl oder übel mit diesen Lücken leben, aber man sollte auf diese Lücken nicht auch noch stolz sein. Ich finde es immer wieder peinlich, wenn Menschen mit ihren rudimentären Mathematikkentnissen (da hapert es bisweilen schon an den Grundlagen der Bruchrechnung) kokettieren.
 
Wie gehst Du, @mick, mit der Spannung um, dass alles mit allem zusammenhängt, man also eigentlich alles wissen müsste, man dies aber niemals kann?

Ich versuche halt, soviel wie möglich zu lernen und zu verinnerlichen. Mehr bleibt einem ja nicht übrig - wenn man warten würde, bis man alles bis ins kleinste Detail verstanden hat, wär man tot, bevor man das erste Stück spielt oder dirigiert.
 
Wie gehst Du, @mick, mit der Spannung um, dass alles mit allem zusammenhängt, man also eigentlich alles wissen müsste, man dies aber niemals kann?
Anstelle von @mick antworte ich mit einem in Juristenkreisen beliebten Satz: Man muss nicht alles wissen, es genügt zu wissen, wo's steht... .

Damit diese Äußerung nicht so an der Oberfläche hängen bleibt, ergänze ich: Entscheidende und grundlegende Zusammenhänge sollten greifbar sein, um diese zum besseren Verständnis zeitnah vertiefen zu können. Das genügt voll und ganz, um mit Ernst und Verstand künstlerisch und wissenschaftlich arbeiten zu können.

LG von Rheinkultur
 
Man muß wohl oder übel mit diesen Lücken leben, aber man sollte auf diese Lücken nicht auch noch stolz sein. Ich finde es immer wieder peinlich, wenn Menschen mit ihren rudimentären Mathematikkentnissen (da hapert es bisweilen schon an den Grundlagen der Bruchrechnung) kokettieren.

Und ist das nicht gerade seltsam?
Physik, Mathematik, Chemie...wenn man dort nicht mal die Grundlagen kennt, geschweige denn etwas Breitenwissen mitbringt - alles kein Problem. Gesellschaftlich anerkanntes Beipflichten, gemeinsames erleichtertes Wegklatschen.

Aber wehe man kennt gewisse Komponisten, Maler, Dichter, Werke, Epochen, Stile, Jahreszahlen etc. nicht - dann ist der Untergang des Abendlandes besungen, die Allgemeinbildung mit Füßen getreten, der schuldige Banause schnell am Pranger - sowas kann man keinesfalls zugeben!

Ich finde es zumindest viel wichtiger, wenn die Leute etwas von den Grundlagen der Physik verstehen als aus dem Stehgreif zu wissen wer Mahler ist. Ich kann aber auch akzeptieren, wenn andere das anders sehen - was ich nicht akzeptieren kann ist dieses Nase-Gerümpfe über andere, weil sie z.B. irgendeine lateinische Redewendung erst nachschlagen müssen etc. Das ist ziemlich kleingeistig.
 
Ich versuche halt, soviel wie möglich zu lernen und zu verinnerlichen. Mehr bleibt einem ja nicht übrig - wenn man warten würde, bis man alles bis ins kleinste Detail verstanden hat, wär man tot, bevor man das erste Stück spielt oder dirigiert.

Ähnlich wie der junge @mick hat es auch schon der alte Goethe gesehen (vorsicht: Bildung!)

WAGNER: Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.
(Goethe Faust I)​
 
Allgemeinbildung ist irgend wie ein diffuser Begriff. Für mich ist es die Bildung, die man benötigt, um ohne Einschränkungen den Alltag zu bewältigen. Und dazu gehört nicht all zu viel. Die Basics: Lesen, Schreiben,

Es trifft zwar nicht auf Clavio zu, aber auf den Kommentarbereich von YT & Co.: Man scheint heutzutage auch ohne sichere Beherrschung dieser Basics heil durchs Abitur zu kommen.:schweigen:

Das finde ich persönlich schlimmer als die Unkenntnis der Existenz und des Werks von Gottfried von Einem.
 
Man muß wohl oder übel mit diesen Lücken leben, aber man sollte auf diese Lücken nicht auch noch stolz sein. Ich finde es immer wieder peinlich, wenn Menschen mit ihren rudimentären Mathematikkentnissen (da hapert es bisweilen schon an den Grundlagen der Bruchrechnung) kokettieren.

Ich setze mal das Like gedanklich für meinen Mann mit (der nicht im Forum präsent ist), der sich immer wahnsinnig über dieses Kokettieren aufregt. Und ich kann das mittlerweile verstehen.
 

Und ist das nicht gerade seltsam?
Physik, Mathematik, Chemie...wenn man dort nicht mal die Grundlagen kennt, geschweige denn etwas Breitenwissen mitbringt - alles kein Problem. Gesellschaftlich anerkanntes Beipflichten, gemeinsames erleichtertes Wegklatschen.

Aber wehe man kennt gewisse Komponisten, Maler, Dichter, Werke, Epochen, Stile, Jahreszahlen etc. nicht - dann ist der Untergang des Abendlandes besungen, die Allgemeinbildung mit Füßen getreten, der schuldige Banause schnell am Pranger - sowas kann man keinesfalls zugeben!

Das liegt schlicht daran, dass ganz viele Allgemeinbildung mit enzyklopädischem Wissen gleichsetzen. Das ist es aber freilich - zumindest für mich - nicht. Eie Epoche etwa benennen und zeitlich situieren zu können heißt noch lange nicht, ihre Bedeutung begriffen zu haben.

Und in den Naturwissenschaften bringt enzyklopädisches Wissen nun gar nichts.
 
Ähnlich wie der junge @mick hat es auch schon der alte Goethe gesehen (vorsicht: Bildung!)

WAGNER: Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.
(Goethe Faust I)​

Und dieses Werk sollte man wirklich gelesen haben. Das gehört für mich - aufgrund von Inhalt und Sprache - unverzichtbar zur Allgemeinbildung. Das einzige Werk, das ich ungefähr 10-20mal gelesen habe.
 
Vielleicht war er auch älter, keine Ahnung. Fiel mir bei dem Stichwort "mehrmals gelesen" halt dazu ein.
 

In meiner Kirche wurde noch nie Toccata und Fuge gespielt (oder meintest du bei Dracula was anderes?) :cry:
Dafür in diesem Jahr ganz viel Reger :party: . Ich finde ja solche Jubiläen immer schön um sich intensiver mit einem Komponisten zu beschäftigen (also was für seine Algemeinbildung zu tun?)

Allgemeinbildung muss ja kein festabgestecktes Wissen sein. Wenn man nur mit Neugier auch an unbekanntes herangeht, dann hat man schon das wichtigste Bildungsprinzip verstanden: die Lust am Lernen.
Um beim Beispiel zu bleiben: Liest man in der Zeitung vom Reger-Jahr und weiß nicht, um wen es sich handelt, ist das kein Problem. Schade finde ich es nur, wenn man es dann nicht nachschlägt. (Muss ja nicht Meyers Konversationslexikon sein, das geht auch schneller.)

P.S. Gilt natürlich nicht nur für Künstler, sondern auch für Wissenschaftler etc.
(Und nein, um etwas über Mozart zu lernen, müssen die Kinder nicht bis zum 300. Geburtstag warten...)
 
"Allgemeinbildung" ist nach meinem Verständnis weniger ein fester Kanon als das Ergebnis vielseitigen Interesses an den Phänomenen der Welt, in die man für einige Zeit geworfen wird.

Es kann keine LISTE geben, an der entlang man sich hangelt und Punkt für Punkt abhakt!

Auch das "bestandene Abitur" ist kein Ausweis für eine gute Allgemeinbildung, auch wenn viele Menschen der älteren Generation dies dafür hielten (Pech für diejenigen, die bis zum Abitur noch nichts von der DNA gehört hatten, weil das Dingens bis dahin noch nicht entdeckt war - zu "meiner Zeit" war man sich noch unschlüssig hinsichtlich des K/T-Ereignisses, postulierte eine Ausrottung des Homo neanderthalensis durch Homo sapiens, Vegetarier waren zum Tod durch Mangelernährung verdammt und das partnerschaftliche Prägeverhalten des Menschen entsprach dem von ... Graugänsen und dergleichen Unsäglichkeiten mehr).

Allgemeinbildung muss lebenslang gepflegt werden, das Gymnasium kann und soll allenfalls die Grundlage dafür liefern, sich selbständig weiterhin kundig machen zu können.
 
"Wo hört im Bereich der klassischen Musik die "Allgemeinbildung auf?"

Die musikalische Allgemeinbildung (das gilt auch für klassischen Rock und Punk) hört genau da auf, wo man nicht mehr konkretisieren kann was man hört.
Sprich: zum Hören, Beschreiben, Begreifen oder Spielen von Musik muss man nicht wissen dass Beethoven aus Bonn kommt oder ob Chopin zum Frisör ging.
Wichtiger zum einfachen Verständnis von Musik (=grundlegende Allgemeinbildung für Musik) ist es zu hören, dass es in der Mondscheinsonate über die bVI zum Neapolitaner, Dominante, Quartsextakkord etc. geht - oder zumindest zu hören wo bei "Hänschen klein" die Dominante einsetzt.

Leider hat zu meiner Zeit die Schule total versagt mir dieses Allgemein-Wissen zu vermitteln.
Wichtiger war damals das Geburtsdatum von Beethoven zu erlernen. Zum Glück erkannte ich diesen Schwachsinn und wandte mich dem eigentlichen Allgemeinwissen der Musik zu woraufhin meine Noten im Musikunterricht bei der Vermittlung von musikalischer Allgemeinbildung oft in unergründlich tiefe Abgründe rutschten. :-)
 

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