Wieviel Detailarbeit sollte im Anfängerunterricht sein?

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Musicus

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Mal eine Frage, sowohl an die KL's, also auch was die Erfahrungswerte der anderen unter euch mit der eigenen Herangehensweise im Unterricht angeht:

Welchen Weg geht Ihr, vom Groben ins Feine oder andersrum? Will heißen, was ist in den ersten Jahren "wichtiger": Möglichst viel Spielerfahrung über unterschiedliche Stücke zu bekommen, oder liegt der Fokus auf äußerst genaue Detailarbeit?

Ich spreche jetzt nicht über den totalen Anfängerunterricht. Ich denke da geht es wohl bei allen so, dass quasi im wöchentlichen Rhytmus neue Stücke gelernt werden. Mir geht es um Schüler die ca. 2 Jahren und aufwärts dabei sind, mit einem täglichen Übepensum von 1-2 Stunden und Stücken wie z.B. den kleinen Bach Präludien oder Inventionen.

Mit anderen Worten:

Wie lange feilt ihr an einem Stück im Unterricht?

Wann ist der Punkt gekommen, wo einfach mal ein neues Stück her muß, u.a. um neue technische Herausforderungen anzugehen, Spielerfahrung zu bekommen oder weil man das aktuelle Stück schlicht und einfach satt hat?

Nicht in Frage stehen Punkte, dass natürlich das akkurate Ausarbeiten eines Stückes wichtig ist und man daraus viel lernen kann, dass ein Stück auch nie richtig "fertig" ist usw.

Vielmehr geht es darum, wann der zusätzliche Nutzen, ein bestimmtes Stück nochmals eine gewisse Zeit in die Mangel zu nehmen, geringer ist, als sich einer neuen Aufgabe zu widmen?

Sonnige Grüße
Musicus
 
Für den verantwortungsvollen Pädagogen ist die Sache recht klar:

1) Weniger Detailarbeit, wenn

- der Schüler lange braucht, um ein Stück überhaupt draufzukriegen (sei es, weil er zu faul ist oder weil er einfach ein langsamer Lerner ist); denn wenn man dann auch noch jede Stunde auf lauter Details rumreitet, braucht er noch mehr Wochen für das Stück und verliert die Lust

- oder natürlich wenn der Schüler so gut ist, daß man sich mit den Details gar nicht so lange aufzuhalten braucht

2) Mehr Detailarbeit, wenn

- der Schüler ein schneller Lerner ist

- der Schüler sich für so was interessiert

- der Schüler höhere Ziele mit seiner Überei hat (Wettbewerb, Profikarriere etc.); denn dann müssen alle Beteiligten den Anspruch haben, daß es tipptopp ist, und dann gilt auch keine Rumheulerei a la "Boah, das ist so aaaaanstrengend"

Mist ist aber, die Noten des Schülers mit 1000 Anmerkungen und Zeichen vollzukrickeln; dann sieht er irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, und musikalisches Spiel wird sehr erschwert.

Ziel der Musikerziehung sollte u.a. auch sein, den Feinsinn des Schülers zu wecken und zu entwickeln - d.h., wenn das von vornherein geschieht, wird er Details potentiell nicht als lästige "Zusatzaufgaben" empfinden, sondern es lieben lernen, ganz genau in die Musik reinzuhören und sich an einem wirklich gelungenen Klang zu erfreuen. D.h., die Detailarbeit wird ihm im besten Falle ein innerstes Bedürfnis werden.

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
ich bin ein Freund des pragmatischen 20/80 Ansatzes.

Mit 20 % Arbeitseinsatz 80 % Prozent Ergebnis erzielen.
Die restlichen 20 % kann ich mir vorläufig schenken, da sie mit überproportionalem Aufwand erkauft werden.
(das ist Logik der freien Wirtschaft, aber da ich mich nicht als Künstler sehe, geht das okay; alles andere würde mich in den Wahnsinn treiben..:D )

Zu einem späteren Zeitpunkt, mit gewachsener Sicherheit, kann ich mir die verliebenden 20 % des unfertigen Stückes wieder vornehmen.
Wenn ich diesen Rest wieder als 100 % betrachte gilt hier erneut der 20/80 Grundsatz.
Somit ist die Arbeit am Stück, bzw. an der Technik generell, ein iterativer Prozess, der nie abgeschlossen werden kann.

Diesen Ansatz habe ich meinem Lehrer vorgeschlagen und Detailarbeit an alten Stücken zu gegebener Zeit wieder aufgenommen.
Die Gretchenfrage, wann jeweils 80% erreicht ist, wurde bisher überraschend übereinstimmend zwischen mir und meinem Lehrer beantwortet.

Lieber Gruß, NewOldie
 
Ich handhabe es folgenermaßen;
erst einmal muß das Stück "sitzen", anschließend geht es dann um das Ausfeilen. Es bringt meines erachtens nach nicht viel den Schüler mit alles auf einmal zu überfrachten. Nun ist allerdings Keyboard auch wider eine etwas andere Spezifik als nur rein klassisches Klavier, wo es doch sehr viel weniger festgeschriebene Details gibt. Hier liegen zum Beispiels Details in der Wahl der Instrumente so wie des Rhythmus, Sachen wie ritardando, Sforzato und so weiter spielen da kaum eine Rolle, da für um so mehr die Beherrschung der Elektronik wie zum Beispiel während eines Stückes den Rhythmus oder das Instrument zu wechseln. Solche Details sind natürlich nur möglich wenn das Stück im Grunde genommen auswendig geht.

Viele Grüße

Styx
 
Danke für eure Antworten!

Ich will die Frage vielleicht nochmal umformulieren:

Bringen bei einem Anfänger die letzten Prozentpunkte in einem Stück welches man schon seit vielen Wochen bearbeitet mehr, als wenn man ab einem gewissen Punkt einfach ein paar Unzulänglichkeiten stehen lässt und mit einem neuen Stück weitermacht.

Ein Beispiel mal von mir: Ich spiele nun seit 5 Monaten (neben anderen Stücken) eines der kleinen Präludien von Bach (BWV 934). Selten konnte ich bisher ein Stück so in- und auswendig wie dieses. Am Ende des Tages bleibe ich natürlich aber ein Anfänger, d.h. perfekt ist das logischerweise dann noch lange nicht. Neben der Tatsache, dass ich ein chronischer Vorspielversager bin und schon daher ein Stück 1000%tig sitzen muss, damit ich es zumindest fehlerfrei vorgetragen bekomme, gibt es also immer was zu verbessern.
Alle Dinge die mir mein KL dazu anmerkt leuchten mir ein, ist also auch nicht das Thema.

Nur merke ich z.B., dass sich bei mir dann auch ein Sättigungsgefühl eingestellt und ich das Stück dann auch einfach nicht mehr hören und spielen kann und will.

Mir stellt sich die Frage, ob grössere Verbesserungen nun dadurch kommen, weil man dann weiter beißt, oder wenn man sich in andere Stücke hineinbegibt und durch Spielerfahrung dort auch größere Sprünge in alten Stücken macht, auch wenn man diese nicht derzeit nicht mehr aktiv übt.

Auch würde mich ganz einfach mal eine reine Zahl interessieren, also wieviel Wochen beispielweise aktiven Übens ihr in ein Stück dieser Kategorie steckt?

Viele Grüße
Musicus
 
Hallo Musicus,

Nur merke ich z.B., dass sich bei mir dann auch ein Sättigungsgefühl eingestellt und ich das Stück dann auch einfach nicht mehr hören und spielen kann und will.

Mir stellt sich die Frage, ob grössere Verbesserungen nun dadurch kommen, weil man dann weiter beißt, oder wenn man sich in andere Stücke hineinbegibt und durch Spielerfahrung dort auch größere Sprünge in alten Stücken macht, auch wenn man diese nicht derzeit nicht mehr aktiv übt.

Auch würde mich ganz einfach mal eine reine Zahl interessieren, also wieviel Wochen beispielweise aktiven Übens ihr in ein Stück dieser Kategorie steckt?

Das mit dem Sättigungsgefühl kenne ich auch, und ich finde es schon legitim, ein Stück dann auch erstmal wegzulegen. Du hast dich ja auch schon eine ganz schöne Zeit damit beschäftigt.
Konkret zu BWV 934: genau das habe ich auch geübt Ende letzten Jahres. Etwa zwei Monate lang neben anderen Stücken. Nach dieser Zeit war es ganz sicher noch nicht perfekt und das Ende auch noch nicht zu meiner Zufriedenheit. Dann habe ich es beiseite gelegt mit dem festen Ziel, es mir in absehbarer Zeit wieder vorzunehmen. Die Zeit scheint jetzt gekommen zu sein. Ich werde mich im bevorstehenden Urlaub wieder damit befassen. Ich denke ziemlich sicher, dass mir die Stücke, die ich zwischenzeitlich spielte, geholfen haben, meine Fähigkeiten weiter zu entwickeln und daher glaube ich, dass ich mit dem Präludium noch besser zurecht kommen werde. Ich freue mich wieder richtig darauf!

LG, Rosie
 
Nur merke ich z.B., dass sich bei mir dann auch ein Sättigungsgefühl eingestellt und ich das Stück dann auch einfach nicht mehr hören und spielen kann und will

Eins kann man wahrscheinlich festhalten: wenn der Spaß beim Klavierspielen völlig auf der Strecke bleibt, wird es mit dem Lernen wohl nichts mehr.
Nur: Selbstdisziplin braucht es doch auch, wenn man etwas schneller vorankommen will (?)
(oder etwa nicht...? Könnte sich alles gegenseitig bedingen: durch richtiges Üben verspannt man sich nicht und erlebt oft kleinere Erfolge: der Spaß beliebt erhalten, Selbstdisziplin ist nicht notwendig, weil es mich von selbst zum Instrument hinzieht?)

---

Was das Üben von Stücken generell angeht: ich habe ein recht bunt gemischtes "Übe-Repertiore", wo ich mal zu diesem, mal zu jenem Stück greife, je nach Tagesform. Jedes davon hat aus meiner Warte gesehen relativ hohe Ansprüche, d.h. ich kann ständig an diesen Stücken arbeiten (so kommt keine Langeweile auf). Manchmal fasziniert mich ein Stück besonders, dann übe ich nur dieses, das kann auch passieren...

"Fertige" Stücke spiele ich eher selten, muß man sagen.

Schönen Gruß, Dreiklang
 
Ich will die Frage vielleicht nochmal umformulieren:

Bringen bei einem Anfänger die letzten Prozentpunkte in einem Stück welches man schon seit vielen Wochen bearbeitet mehr, als wenn man ab einem gewissen Punkt einfach ein paar Unzulänglichkeiten stehen lässt und mit einem neuen Stück weitermacht....

Nur merke ich z.B., dass sich bei mir dann auch ein Sättigungsgefühl eingestellt und ich das Stück dann auch einfach nicht mehr hören und spielen kann und will.

Mir stellt sich die Frage, ob grössere Verbesserungen nun dadurch kommen, weil man dann weiter beißt, oder wenn man sich in andere Stücke hineinbegibt und durch Spielerfahrung dort auch größere Sprünge in alten Stücken macht, auch wenn man diese nicht derzeit nicht mehr aktiv übt.

Auch würde mich ganz einfach mal eine reine Zahl interessieren, also wieviel Wochen beispielweise aktiven Übens ihr in ein Stück dieser Kategorie steckt?

Hallo Musicus,

ich antworte dir zu dieser interessanten Frage einmal ganz allein aus meiner persönlichen Unterrichtserfahrung, ohne hier irgendetwas verallgemeinern oder pauschalisieren zu wollen!;)

Ich glaube, dass es schon wichtig ist, dass man - zusammen mit Spaß und Freude an der Musik - einiges an Zeit und Mühe in ein Stück investiert, bevor es als abgeschlossen betrachtet, beiseite- oder zurückgelegt wird. Dies pauschal mit Prozentzahlen gemessen am musikalischen Endergebnis zu beziffern, halte ich für äußerst schwierig.

Wenn der Klavierunterricht gut und den individuellen Fähigkeiten angepasst ist, wird ein neues Stück immer eine Herausforderung für den Schüler sein. Inwieweit diese Herausforderung dann gemeistert wird, hängt neben der täglich/wöchentlich für das Üben aufgewendeten Zeit natürlich auch von dem persönlichen Zugang - technisch und musikalisch - ab, den man zu diesem Stück findet. Hinzu kommt das Ausmaß an Motivation, genau dieses Stück möglichst gut spielen zu wollen.

Bei all dem kann sich im Übungsverlauf eine Vielzahl möglicher Konstellationen ergeben. So kann es z.B. sein, dass man eine Menge Übezeit auf ein Stück verwendet, auch außerordentlich motiviert ist, genau dieses Stück zu lernen, auch einen guten musikalischen Zugang zu diesem Stück und seinen Eigenheiten findet - dann jedoch letztendlich einige technische Schwierigkeiten nicht zufriedenstellend in den Griff bekommt.

Wann es letztendlich Zeit ist, zu sagen: Mit diesem Arbeitsergebnis lasse ich dieses Stück jetzt erst mal stehen und entlasse es aus dem Unterrichtsprogramm, wird wahrscheinlich der jeweilige Klavierlehrer am besten sagen können.

Den Anspruch, ein Stück 100% zu beherrschen, sollten Schüler auch gar nicht haben. Als Schüler lernen wir ja nicht nur Stücke, eins nach dem anderen, sondern entwickeln uns - was ja eigentlich viel wichtiger ist - spieltechnisch und musikalisch langfristig immer weiter.

Daher ist die Vorstellung "das Stück XY ist jetzt zu 100 % oder zu 80 % gekonnt" m.E. eine falsche, da sich die Qualität eines musikalischen Vortrags nicht quantitativ messen lässt. So werden auch Konzerte und musikalische Darbietungen aller Art von den entsprechenden Fachkritikern letztendlich qualitativ beurteilt.

Ist ein Stück mal aus dem aktuellen Unterrichtsprogramm raus, so gibt es zwei Möglichkeiten: entweder legen wir es wirklich erst mal zur Seite und lassen es "reifen" oder wir spielen es regelmäßig immer mal wieder und halten es somit warm.

Der Vorteil beim "Warmhalten" ist, dass das Stück für uns immer noch spielbar bleibt, da wir es durch das regelmäßige Wiederholen nicht vergessen. Die Gefahr des Warmhaltens ist, dass wir es möglicherweise nach einiger Zeit eher einfach runterspielen als beim Spielen musikalisch zu gestalten.

Wenn wir das Stück erst mal eine Zeit lang reifen lassen, dann kann es natürlich passieren, dass es uns nach einigen Wochen / Monaten gar nicht mehr geläufig ist und wir uns erst mal wieder eingehend damit befassen müssen. Allerdings werden wir in diesem Fall feststellen, dass der Zugang zum Stück nun viel einfacher ist als bei der ersten Erkundung und dass viele Schwierigkeiten, die uns beim ersten Erlernen des Stücks viel Mühe bereiteten nun viel einfacher zu handhaben sind.

Daher halte ich es für sinnvoll,von den aus dem aktuellen Unterrichtsprogramm entlassenen Stücken einige "warmzuhalten" und damit ein wenig Repertoirepflege zu betreiben, aber mindestens genauso viele, wenn nicht sogar mehr einfach mal Wochen oder Monate reifen zu lassen und später aus einer Art "höheren Warte" wieder neu aufzunehmen.

LG

Debbie digitalis
 

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