Wie sinnvoll sind Analysen fürs Üben/Spielen

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11. Apr. 2007
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Hallo,

hier soll es nun um Sinn und Unsinn von Analysen gehen ;)

Mich würde interessieren, ob ihr glaubt, dass es 1) beim Üben helfen kann 2) beim Verständnis des Stücks 3) ?? 4) ??

Im Thread zu den Chopin Preludes gibt es mittlerweile Analysen zu den Preludes Nr.2/7/16/18/20. Hat jemand eines dieser Preludes studiert und hat durch die Analyse ein anderes Verständnis oder einen anderen Zugang zu dem Stück gefunden?
Oder ist letztlich alles sinnlos und das rein intuitive Verständnis ist das allerwichtigste?
Gibt es hier Leute, die sich grundsätzlich Stücke genauer anschauen, wenn sie sie lernen?

So, ich denke, das ist jetzt so kontrovers gestellt, das irgendwer wohl antworten wird :D
 
Mich würde interessieren, ob ihr glaubt, dass es 1) beim Üben helfen kann 2) beim Verständnis des Stücks 3) ?? 4) ??
zu 3) und 4) kann ich nichts sagen :D. bei 1) und 2) ein uneingeschränktes JA.

Im Thread zu den Chopin Preludes gibt es mittlerweile Analysen zu den Preludes Nr.2/7/16/18/20. Hat jemand eines dieser Preludes studiert und hat durch die Analyse ein anderes Verständnis oder einen anderen Zugang zu dem Stück gefunden?
der erste schritt einer harmonischen analyse ist die bestandsaufnahme, mit welchen klängen habe ich es zu tun. Viel schwieriger ist schon, das verhältnis der klänge zueinander zu bestimmen und sich bewusst zu machen, welche konsequenzen dies für den melodischen und weiteren harmonischen verlauf hat. die meisten "analysen" finde ich unbefriedigend, weil sie bei der blossen bestandsaufnahme stehen bleiben. ähnliches trifft auf für den formalen bereich zu.

lg
a.
 
Hallo,

hier soll es nun um Sinn und Unsinn von Analysen gehen ;)

Mich würde interessieren, ob ihr glaubt, dass es 1) beim Üben helfen kann 2) beim Verständnis des Stücks 3) ?? 4) ??

Im Thread zu den Chopin Preludes gibt es mittlerweile Analysen zu den Preludes Nr.2/7/16/18/20. Hat jemand eines dieser Preludes studiert und hat durch die Analyse ein anderes Verständnis oder einen anderen Zugang zu dem Stück gefunden?
Oder ist letztlich alles sinnlos und das rein intuitive Verständnis ist das allerwichtigste?
Gibt es hier Leute, die sich grundsätzlich Stücke genauer anschauen, wenn sie sie lernen?

So, ich denke, das ist jetzt so kontrovers gestellt, das irgendwer wohl antworten wird :D
Ich denke, dass die Analyse eines Stücks auf jeden Fall beim Verständnis helfen kann. Und das Verständnis des Stücks hilft wiederum beim Üben. Also, Punkt 1 und 2 bauen aufeinander auf. Wenn ich mir allerdings anschaue, wie ich übe und wie ich mir ein Verständnis von einem Stück verschaffe, dann passiert das nicht dadurch, dass ich mich hinsetze und eine harmonische Analyse wie im Chopin-Préludes-Thread mache.

Vielmehr erfasse ich oft automatische viele Harmonien und ihre Wirkungen im Umkreis von ein paar Takten, ohne dass ich mir dies immer bewusst mache. Schon etwas anders ist das in bezug auf die größeren Proportionen eines Stücks und das Verhältnis einzelner Teile zueinander. Da kaue ich schon mal länger dran herum, bis ich so nach und nach den Aufbau ("Komposition") erfasse.

Es kommt aber auch immer darauf an, mit welchen Stücken man es zu tun hat. Es gibt Stücke, die man relativ schnell versteht (was noch nicht heißt, dass sie ebenso schnell zu wirklicher Musik werden, wenn man sie spielt) und andere, die sehr komplex und "verwurschtelt" sind. Gerade bei letzteren kann es, glaube ich, sehr hilfreich sein, sich mal den harmonischen und formalen Aufbau im Detail anzuschauen.

Grüße von
Fips
 
Vielmehr erfasse ich oft automatische viele Harmonien und ihre Wirkungen im Umkreis von ein paar Takten, ohne dass ich mir dies immer bewusst mache. Schon etwas anders ist das in bezug auf die größeren Proportionen eines Stücks und das Verhältnis einzelner Teile zueinander. Da kaue ich schon mal länger dran herum, bis ich so nach und nach den Aufbau ("Komposition") erfasse.
Das find ich wirklich interessant. Die Frage ist wohl, welche Informationen die Analyse liefert, die einerseits wichtig zur Interpration sind und andererseits nicht intuitiv erfasst werden können.
Dummerweise sind diese Erkenntnis ja die schwierigsten und brauchen einen erfahrenen Analysten. Einfach die Harmonien aufzuschreiben hilft da selten weiter. Eher muss man alle Parameter anschauen und ihr Zusammenspiel, um nachzuvollziehen, wie der Komponist es gemacht hat.

Ein gutes Beispiel für eine solche Erkenntnis leifert Barenboim in einem der Masterclass-Videos ;)
Die Einleitung zur Fuge fängt mit gebrochenen Oktaven an und tastet sich dann durch ein paar Akkorde zu einem Ende, auf einem solchen Akkord. Barenboim fragt dann, warum gerade auf diesem Akkord die Progression zu Ende geht. Seine Antwort: Weil der langsame Satz ebenda geendet hat. Man ist also wieder genau da.
Das ist für mich ein Beispiel für eine Erkenntnis, für die man schon den analytischen Über- und Durchblick braucht, und die tatsächlich interpretatorisch wertvolle Informationen liefert.
(Diese Passage ist in diesem Video um die Minute 3 herum. Ich habe frei übersetzt)

lg marcus
 
ZItat wikipedia

Eine Analyse ist eine systematische Untersuchung, bei der das untersuchte Objekt oder Subjekt in seine Bestandteile zerlegt wird und diese anschließend geordnet, untersucht und ausgewertet werden. Dabei dürfen die Vernetzung der einzelnen Elemente und deren Integration nicht außer Acht gelassen werden.


Wenn ich ein Stück übe/spiele, passiert eigentlich genau das. Meist bin ich mir dessen aber garnicht bewußt. Bei Problemstellen beginne ich dann auch schon mal, richtig bewußt zu analysieren, um "spieltechnische Probleme" (die ja meist musikalische Verständnisprobleme sind) oder lesetechnische Probleme in den Griff zu bekommen.

Wenn man auswendig spielen will oder muß, dann wird am Analysieren wohl kein Weg vorbeigehen.
 
Wenn man auswendig spielen will oder muß, dann wird am Analysieren wohl kein Weg vorbeigehen.

Wieso? (nagut, wenn man das Stück in sinnvolle Abschnitte unterteilt, Wiederholungen und Fast-Wiederholungen erkennt, etc. ist das ja auch schon eine Analyse).

Ansonsten denke ich ähnlich. Ich glaube, die Analyse ist praktisch, um der Intuition auf die Sprünge zu helfen, aber sie kann auch problematisch sein, wenn sie zu intensiv (z.B. als Selbstzweck) betrieben wird UND dabei gleichzeitig die Intuition vernachlässigt wird.

Aber die Intuition nützt einem überhaupt nichts, wenn man keine Erfahrungen hat, auf die man sich berufen kann. Scriabin ist für mich nicht leicht zu spielen, weil der Sinn und Zusammenhang seiner Musik für mich längst nicht so offensichtlich ist, wie der von klassischen oder romantischen Komponisten. Auch das wohltemperierte Klavier und ähnliche Kompositionen machen mir da Schwierigkeiten.

So gesehen ist die Analyse dort hilfreich, wo die Intuition im Dunkel tappt, also als Hilfsmittel zum Verständnis.

Es wäre eigentlich interssant, mal ein Stück bewußt falsch zu analysieren und darauf eine Interpretation aufzubauen - logischerweise gegen die Intuition. Allerdings erscheint mir das ein bischen wie die Quadratur des Kreises..
 
von guido von arezzo (um 1.000 n.chr.) ist der spruch überliefert:
musicorum et cantorum magna est distancia : isti dicunt, illi sciunt, quae componit musica; nam qui facit quod non sapit, diffinitur bestia.

zwischen dem musicus und cantor besteht ein grosser unterschied: diese singen, jene wissen, wie sich musik zusammensetzt; denn wer tut, was er nicht weiss, verdient, ein tier genannt zu werden.
unsere abendländische musik ist seit anbeginn geprägt durch rationalität, angefangen von einem in sich schlüssigen zeichensystem bis hin zu den unterschiedlichen satz- und kompositionsregeln. erst wenn man mit diesem "vokabular" und den (gleichsam grammatischen) regeln vertraut ist, vermag man, musik als eine art von sprache zu erleben. (vertrautheit bildet sich schon durch früheste hörgewohnheiten, ist also nicht zwangläufig ein intellektueller vorgang.)

das spannende ist, dass dieses durch und durch rationale konstrukt "musik" zum träger emotionaler inhalte wird. und wer die bausteine kennt, kann sich ihrer bedienen und im hörer die entsprechenden gefühle freisetzen. (man denke nur an den septvorhalt am schluss der matthäus-passion.)

der hörer braucht keine aktive kenntnis dieser "grammatischen" regeln zu haben. der schöpferische und nachschöpferische künstler sollte aber mit der grammatik vertraut sein. dabei ist es unerheblich, ob ich einen "neapolitaner" als solchen benennen kann. wichtig ist, dass ich um die wirkung dieser klangverbindung weiss.

literaturtip:
h.h.eggebrecht: musik im abendland. prozesse und stationen vom mittelater bis zur gegenwart. 838 S. münchen (piper) 1991. 838 S. ISBN 349222301X
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
nam qui facit quod non sapit, diffinitur bestia.

APPLAUS !!!

Ariadne:
meine absolute Zustimmung ist Dir gewiss - und allerbesten Dank für das herrliche Zitat: das hatte ich nicht gekannt (mittelalterliche Musik, Neumen, Gregorianik usw. zählt zu meinen vielen Bildungslücken, welche ich nicht allesamt schließe, damit noch etwas Licht zu mir durchdringen kann) :)

zum irgendwie "verdächtigten" (warum eigentlich?) "analysieren":
niemand, der ein Klavierstück spielen will, muss einen musikwissenschaftlichen Essay verfassen, da die hierfür aufgewendete Zeit der Übezeit fehlt... :) aber sinnvoll ist, wenn man sich in musikalischen Techniken etc auskennt (Harmonielehre, Satzlehre, Musikgeschichte), denn dann kann man sinnvoller den Verlauf (Klangerzählung) eines Musikstücks in sich aufnehmen. Das merkt man doch vor allem dann, wenn man mal was ungewohntes - z.B. atonale Sachen von Schoenberg oder Skrjabin - machen will!... (als ich "Kreuze" aus Pierrot Lunaire üben musste, hatte ich genau aus diesen Gründen vehement geflucht)

erinnert sich keiner daran, wie orientierungslos man als Anfänger (Kind) war, weil man noch nicht wusste, warum Tonkombinationen gut klingen und z.B. einen Durdreiklang nicht automatisch auf jeder Taste hat richtig anschlagen können, sondern herumsuchen/stochern musste???

je mehr man weiss und erkennt, umso verlässlicher ist die Orientierung (und niemand sagt, dass man beim spielen dauernd "Tristanakkord" und "Neapolitaner" murmeln muss - aber erweiterte Kadenzen und Modulationsmechanismen in allen Tonarten können, das hilft)

als Experiment zum Test des eigenen Musikverständnisses: mal "Wotans Abschied" (Walküre) & "Isoldens Liebestod" von Wagner lesend zu verstehen suchen, dito Ravels "Ondine" und z.B. die ersten zwei Seiten von Skrjabins 5. Sonate.

mit rational durchanalysiertem Gruß,
Rolf
 
also ich finde es ist wichtig WAS man analysiert...
wenn man Bach fugen spielt MUSS man einfach gucken, wo sich die DuX (führende) stimme befindet und wo die Comes...
das geht eben nur durch blosses hinschauen ( sprich analyse ^^ )
ebenso wie bei vielen anderen stücken wie z.B. Sonaten...
Es ist wichtig dort zu wissen wo Exposition Durchführung und Reprise beginnen damit es auch richtig herausspielen kann... Motive sollen hier und da herausgespielt werden und viele Läufe sind eigentlich auch nur irgendwelche Tonleitern die somit nicht mehr allzuschwer sind...
das alles geht aber eben nur wenn man ein stück vorher richtig analysiert!!!

aber ich kann den einwand auch sehr gut verstehen!
denn als alter Musik Lkler musste ich auch schon so manche symphony und so manches Liebeslied analysieren!!!....
SOLCHE analysen sind zwar auch lehrreich... meiner Meinung nach aber nichts anders als Spielerrei und nicht wirklich sinnvoll....
wobei man auch das so nicht sagen kann denn es ist sehr interssant, wie manche Motive und Themen in eine solchen Symphonie verarbeitet werden und in den entsprechenden berufen lässt sich sicher auch daraus eine menge lernen....
aber ich glaub weniger fürs klavierspielen ;)
von daher nochmal allgemein:
"nicht für jedes Stück ist eine Analyse notwendig, bei vielen anderen aber widerrum schon. Eine Analyse ist aber in jedem Stück eine sehr große Hilfe!"

lg mUsIcFrEaK
 

ja Gott sei Dank ich würde sterben wenn ich mich für jedes kleine Liedchen erst Stunden hinsetzen müsste anstatt es sofort vom Blatt zu spielen xD...:P
"Einfache" Stücke sind außerdem eh oftmals die schönsten^^...
Das hat mir eben zu denken gegeben ! :)

Wenn ich ein kleines Liedchen habe, das ich schon vom Blattspielen kann, ist die Analyse dann noch eine "sehr große Hilfe"? Ich denke nicht ;)

lg marcus
 

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