Was ist ein angemessenes Lerntempo?

Da liegt das Problem. Beim Notenlesen geht es nicht darum, herauszufinden welche Töne zu spielen sind. Es geht darum, die Musik zu erfassen. Musik besteht nicht aus einzelnen Tönen.
Das klingt auch sehr verkehrt.
Für Dich scheint alles verkehrt zu klingen, was Du nicht kannst oder nicht willst. :-)Es gibt keine "One-Size-Fits-All"-Methode, würde ich mal sagen. Jeder Mensch ist anders. Natürlich geht es beim Notenlesen um die Musik. Ich mache schon sehr lange Musik, habe jahrzehntelang gesungen. Ich kann die Musik mit einem Blick auf das Notenblatt erfassen. Als Musik, nicht als einzelne Noten. Aber ich kann sie nicht spielen. Weil ich eben jetzt erst mit Klavier angefangen habe. Das ist der Unterschied.

Und das Metronom ist ein gewaltiger Helfer. Den ich genauso wie Du lange Zeit unterschätzt habe. Ich habe mich immer dagegen gesträubt, mit dem Metronom zu üben. Weil ich sehr musikalisch bin, schon ewig Musik mache und immer eine musikalische Vorstellung von einem Stück habe. Die ich meinte, mit dem Metronom zu zerstören. Weil das Metronom so "unmusikalisch" ist. Aber in letzter Zeit habe ich gemerkt, dass das Metronom die Musikalität unterstützt, nicht zerstört. Man muss es nur richtig anwenden. Und seither geht es wirklich viel schneller, neue Stücke zu lernen oder Stücke schneller spielen zu können, ohne den musikalischen Ausdruck zu verlieren oder die Gestaltung. Da ich es nie ausprobiert hatte, war ich dagegen. Jetzt, da ich es ausprobiert habe, bin ich dafür.
 
Wichtig finde ich auch, dass man Strukturen erkennt und nicht Note für Note übt. Welchen Bewegungsablauf kenne ich vielleicht schon von einem anderen Stück. Wo sind Wiederholungen im Stück u.s.w.
Wenn man noch nicht viele Stück gespielt hat, gibt es noch nicht viele Bewegungsabläufe, die man schon kennt. Alles ist neu. Aber in der Zukunft hoffe ich dann, dass ich die Bewegungsabläufe, die ich jetzt lerne, für die Stücke nutzen kann, die ich dann lerne.

Aber die Geschichte mit den Strukturen, das habe ich auch schon gemerkt, wie wichtig das ist. Muster erkennen, wiederkehrende Läufe oder Phrasen, Akkorde. Ich schreibe jetzt zu jedem Stück erst einmal die Akkorde auf. Und übe die linke Hand dann, indem ich immer die Akkorde dazusage. Das hilft ungemein. Auch wenn man sieht, das ist diese und diese Umkehrung und dadurch schon die richtige Handhaltung einnimmt, die Finger sich schon automatisch richtig auf die Tasten legen. Das habe ich früher sehr unterschätzt und vernachlässigt. Jetzt mache ich das mehr und mehr. Und es erleichtert das Üben und Lernen sehr.
 
Ui, da sind jetzt aber viele tolle Ideen zusammengekommen! Es ist sicher richtig, dass ich schneller vorankäme, würde ich mehr üben, das ist ja mit allem so. Ich bin aber beruflich gut ausgelastet und habe Familie, bin häufig den ganzen Tag nicht zuhause, da ist mehr einfach nicht drin. Ich bin schon froh, wenn ich jeden Tag ans Klavier komme, denn auch das gelingt mir nicht immer.

Ja, die Stücke im zweiten Band dieser Europäischen Klavierschule sind wirklich schwerer als die im ersten, häufig denke ich, zu schwer. Aber da ist wohl Geduld gefragt. Ich übe die Hände getrennt, anders würde das gar nichts werden. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob das vielleicht auch anders gehen könnte.

Ich bin beruhigt, dass ich mit meinem Problem nicht allein bin. Offenbar habe ich einfach unterschätzt, wie komplex das Klavierspielen ist.
 
Wenn ich gleich mit beiden Händen anfange, brauche ich länger, als wenn ich mit getrennten Händen anfange, die beide mit dem Metronom auf Tempo bringe und dann die Hände zusammensetze. Dann aber natürlich in einem sehr viel langsameren Tempo.
Hm, klingt für mich nach ziemlich lange Zeit ziemlich wenig Spaß und ziemlich wenig Musik. Selbst wenn es schneller gehen sollte, hätte ich da gar keine Lust zu. Zumal ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich die Hände oft sogar gegenseitig unterstützen können. Sowohl rhythmisch als auch harmonisch.

Vereinfachen / Reduzieren gehört auch zu meinen Übetechniken. Aber nur in wenigen Ausnahmefällen besteht diese Vereinfachung im kompletten Weglassen einer Hand.

Was machst Du denn mit der jeweiligen anderen Hand, wenn Du nur die eine übst?
 
Sicherlich eine gute Empfehlung. Aber die Qualität des Übens ... Da geht es wieder los. Was bedeutet das? Was sollte man üben und wie lange? Fünf Minuten Tonleitern, fünf Minuten Arpeggios, fünf Minuten Kadenzen, fünf Minuten das Stück? Dann sind die 20 Minuten vorbei. Aber ist das Qualität? Das weiß ich immer nicht.

Nein, Qualität heißt natürlich nicht, einfach Übungen zu machen. Auch da kommt es darauf an, wie sie gemacht werden.
Sicherlich gibt es in diesem Forum schon Threads zu Übetechniken, kluges Üben etc. Für mich bedeutet es vor allem, eine genaue musikalische Vorstellung zu haben und den gewollten Klang schon innerlich hören zu können. Diese Überlegungen geben stets die Richtung (Der Klavierpädagoge Heinrich Neuhaus spricht vom "Künstlerischen Bild") vor und anschließen muss sich dann, wie ich das erreiche. Hier verhalte ich mich wie ein Wissenschaftler, bin neugierig, erkunde und bin vor allem aufmerksam - auf den Klang (Entwicklung des Ohrs), das Körpergefühl und vieles mehr. Kein Arbeitsschritt umsonst. Technische Übungen brauchen ebenfalls die gesamte Aufmerksamkeit und das gespannteste Ohr. Sie sollten am Anfang des Übens geübt werden, nicht am Ende.

Ansonsten nicht vergessen, dass man ein Instrument SPIELT ;)

Das fand ich übrigens sehr interessant zum Thema Üben:

 
Zuletzt bearbeitet:
Bin auch Späteinsteigerin und manchmal frustriert. Sehr motivierend sind die Aufnahmen aus der Coronazeit, als es Onlineunterricht gab. Man übt , bis es aufnehmbar klingt. Das Hören klärt die Probleme und ein paar Wochen später klingt es tatsächlich besser. Als ich zur Kur täglich 1,5 Stunden üben könnte, gab es einen deutlichen Schub. LG Bleib dran
 
@Katia
Auch ich bin Späteinsteiger (Ü60, Start Ende 2020, 45min Unterricht pro Woche beim KL vor Ort, Übe-Leistung je nach Arbeitsanfall in der Firma und anderen Hobbies durchschnittlich auch ne halbe Stunde pro Tag, aktuell sehr volatil - es ist halt Märzsonne und noch viel Schnee zum Skifahren )

Was mir bei Dir auffällt:
Du schreibst was von Tonleitern - das sind für mich „technische“ Themen.
Welche Stücke gefallen Dir und spielst Du gerne ?

Ich kenne jetzt die „Europäische Klavierschule“ und deren Stücke nicht.

Mein letztes, abgeschlossenes Stück war Chopin Prelude E-Moll op28 Nr. 4 (Henle Level: 4) und ich fange im Moment an mit der Bach Invention Nr.1 C-Dur BWV 772 (Henle: 3).
Den Chopin habe ich schnell gelernt , weil ich das Stück persönlich lernen wollte; eines der Stücke, die mein KL in der Liste „will ich auf alle Fälle spielen“ gleich am Anfang bekommen hat.
Der Bach ist jetzt das „technische Pflichtstück“ meines KL für mich, für mich eine Qual. Aber: Challenge accepted. Ich lerne erstmal die Hände li. und re. abschnittsweise alleine und dann Note für Note und Takt für Takt das Zusammenspiel. Hier plane ich für das Stück mal locker 2+ Monate ein.

Was mich als Anfänger wurmt:
YouTube Videos mit Jugendlichen, wie Lucas Jussen, die komplexe Stücke, wie die Waldstein Sonate bereits virtuos aufführen können.
Verwandte, die meine Stücke („ah, Du spielst Klavier - darf ich mal ?“) dann immer noch vom Blatt (!) spielen können.

Was mir Freude bereitet:
Ein Stück, dass ich dann so spielen kann, dass wieder eine professionelle Aufnahme bei meinem KL (Bechstein Flügel) möglich ist. Service meines KL.
Die Stücke, die ich bisher gelernt habe, an unserem akustischen Piano zu spielen. Auswendig. Ohne Noten. Und es klingt gut. Z.B. Burgmüller, Ballade op.100 Nr. 15.
Ich spiele auch „sehr einfache“ Stücke gerne, und hole dazu den Bartok Mikrokosmos Band 1/2 raus.


Empfehlung für Dich:
sprich mit Deinem KL, was willst DU .
Dein KL wird Dir sagen, ob möglich, wie möglich.

Viel Spaß beim Üben und eben auch fertig geübte Stücke spielen !
K.
 

Hm, klingt für mich nach ziemlich lange Zeit ziemlich wenig Spaß und ziemlich wenig Musik. Selbst wenn es schneller gehen sollte, hätte ich da gar keine Lust zu.
Genau das ist es. Damit triffst du es auf den Punkt. DU hast dazu keine Lust. Aber mir machen Übungen Spaß. Auch Tonleitern. Deshalb habe ich Übungen auch lange Zeit mehr gespielt als Stücke. Das ist es eben: Jeder Mensch ist anders. Für mich ist es ein großes Vergnügen, die Hände einzeln mit dem Metronom zu üben. Und auch deshalb mache ich das jetzt sehr gern. Wahrscheinlich bin ich vergnügungssüchtig. :-)Hätte ich schon eher gewusst, wie viel Spaß das macht, hätte ich mir viel Zeit sparen können. Aber ich habe im Prinzip genauso gedacht wie Du: Das KANN doch gar keinen Spaß machen. Was für ein Irrtum. Es macht Spaß und ist sehr effizient. Mehr kann man sich nicht wünschen.:-D

Was machst Du denn mit der jeweiligen anderen Hand, wenn Du nur die eine übst?
Entweder gar nichts oder den Rhythmus klopfen oder dirigieren. Je nachdem, wozu ich gerade Lust habe.
 
Sie sollten am Anfang des Übens geübt werden, nicht am Ende.
So habe ich es ja auch lange Zeit gemacht. Aber dann hat man keine Kraft mehr für das Stück, ist schon unkonzentriert und ausgelaugt, wenn man das Stück das erste Mal anspielt. Ich bin nämlich keine 18 mehr. :-) Als junger Mensch ist das kein Problem. Wenn man älter wird, muss man auch die Übetechniken überdenken, scheint mir. Man kann sich nur kurze Zeit konzentrieren, und diese kurze Zeit muss man dann optimal nutzen. Wenn ich die ganze Zeit mit Übungen fülle, kann ich keine Stücke spielen. Aber ich kann die Übungen dann sehr gut. ;-)

Deshalb spiele ich jetzt die Stücke zuerst. Und wenn ich zum Schluss noch Zeit und Lust und Kraft habe, die Übungen. Da ich sonst bei den Übungen hängenbleibe und gar nicht bis zum Stück komme. Der Vorteil dabei ist: Ich kann das Stück schon als Übung nutzen. Bzw. die Übungen dann am Schluss auf das abstimmen, was ich vorher im Stück nicht gekonnt habe. Oder eben das Stück zu einer Übung machen. Eigentlich braucht man nicht wirklich separate Übungen. Jedes Stück enthält die Teile, die auch Übungen enthalten. Aber da ich Übungen eben auch sehr gern spiele, möchte ich irgendwie doch nicht ganz darauf verzichten. Also hänge ich sie an, wenn ich mit dem Stück fertig bin.
 
Was mich als Anfänger wurmt:
YouTube Videos mit Jugendlichen, wie Lucas Jussen, die komplexe Stücke, wie die Waldstein Sonate bereits virtuos aufführen können.
Der spielt aber auch schon 20 Jahre lange, während Du erst ein Jahr spielst. :-)Was spielt es für eine Rolle, dass er jugendlich ist? Du bist, was das Klavier betrifft, verglichen mit ihm noch ein Wickelkind. Und das ist es, was man sich klarmachen muss. Sonst ist man sinnlos frustriert. Es ist nun einmal nicht so, dass man, nur weil man älter ist, mehr kann als ein Jugendlicher. Das bilden wir uns nur ein. ;-)
 
Aus meiner Sicht sollte man Tonleitern nicht einfach nur "technisch" betrachten. Auch Tonleitern können (und sollten) musikalisch gestaltet werden. Das Klavier ist ja keine Schreibmaschine. Die Orgel auch nicht ;-)
Das ist glaube ich der Hauptirrtum. Dem ich bis vor kurzem auch unterlegen bin. Dass das Metronom so etwas Roboterhaftes hat, das ich nicht will. Ich will "musikalisch" spielen. Aber man kann auch Tonleitern musikalisch spielen. Z.B. in verschiedenen Rhythmen, in verschiedenen Gruppierungen, also mal drei, mal vier, mal fünf Töne als Gruppe usw. Wie viele Stücke gibt es, in denen Tonleitern vorkommen? Eine nach der anderen bei einem Stück von Mozart, das ich gerade gehört habe. Das ist keine technische Übung, das ist ein Stück. Aber seine Tonleitern muss man dafür können. Oder sie eben dann in und an diesem Stück trainieren, damit man es spielen kann.
 
Und das Metronom ist ein gewaltiger Helfer. Den ich genauso wie Du lange Zeit unterschätzt habe. Ich habe mich immer dagegen gesträubt, mit dem Metronom zu üben. Weil ich sehr musikalisch bin, schon ewig Musik mache und immer eine musikalische Vorstellung von einem Stück habe. Die ich meinte, mit dem Metronom zu zerstören. Weil das Metronom so "unmusikalisch" ist. Aber in letzter Zeit habe ich gemerkt, dass das Metronom die Musikalität unterstützt, nicht zerstört. Man muss es nur richtig anwenden. Und seither geht es wirklich viel schneller, neue Stücke zu lernen oder Stücke schneller spielen zu können, ohne den musikalischen Ausdruck zu verlieren oder die Gestaltung.
Da kann ich dir voll recht geben und mir fällt folgendes Video dazu ein, ist zwar nicht Klavier und auch nicht Klassik, aber eine Analogie ist trotzdem zulässig:
 
Ich habe das Metronom völlig unterschätzt. Ich habe immer ohne Metronom geübt und fand das eigentlich auch in Ordnung. Ich kann zählen, ich habe ein gutes Rhythmusgefühl ... Was brauche ich da noch ein Metronom? Aber das war eben der Irrtum. Das Metronom gibt mir eine Struktur, die ich vorher nicht hatte und die sehr hilfreich ist. Da ich momentan sehr schnell immer wieder neue Stücke einübe (da die Stücke auf meinem Niveau ja nicht besonders lang und auch nicht besonders schwierig sind), hilft mir das Metronom, sofort von Anfang an eine Struktur zu haben und schnell mit dem Lernen eines neuen Stückes voranzukommen. Wenn ich es dann spielen kann, brauche ich kein Metronom mehr.
 
Ich hatte das Metronom gerade im Einsatz, um meine linke Hand bei einem Walzer in einen gleichmäßigen Rhythmus von Anfang bis Ende zu bringen. Es ist mir verdammt schwer gefallen, immer mit dem Metronom im Einklang zu bleiben.
Gestern habe ich es dann wieder weggelassen und jetzt kommt mir mein Walzer plötzlich ganz einfach vor und ich kann ihn flüssig durchspielen. Hat also scheinbar was gebracht.
 

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