Warum wird keine geniale Musik mehr gemacht?

Genialität eines Künstlers müsste man objektiver einschätzen können, anhand bestimmter Kriterien, die vielleicht Musikwissenschaftler anwenden können.

Wenn das tatsächlich möglich wäre, wäre es wirklich einfach. Egal, welche Kriterien man auch immer nimmt, ein Computer könnte aufgrund solcher Kriterien Stücke komponieren, die genauso genial oder noch genialer sind als die der genialsten Komponisten. Das kann bisher kein Computerprogramm, und es wird auch nie so ein Computerprogramm geben.

Die Genialität eines Musikstücks beginnt ja genau dort, wo die allgemein anerkannten Regeln aufhören bzw. überschritten werden. Wo das Falsche plötzlich auf wundersame Weise zum Richtigen und zum überirdisch Schönen - oder auch zum erschreckend Wahren - wird. Die Mittel, um dies zu erreichen, können nicht die "normalen" Mittel sein. Wunder kommen immer unerwartet und in wundersamer Form.

Doch müsste nicht eines dieser Kriterien das ästhetische Gespür des Komponisten sein, womit wir doch wieder beim Geschmack sind? Komplexität allein kann ein Genie nicht ausmachen.

Bin ich derselben Ansicht. Komplexität hat mit Genialität nichts zu tun.

Ist das "ästhetische Gespür" ein Merkmal von Genialität? Ich glaube nicht. Ästhetik ist nur die Fassade des Kunstwerks. Leider verwechseln viele Leute die Fassade mit dem eigentlichen Inhalt des Kunstwerks. Sie können sich noch nicht einmal vorstellen, daß es da noch irgendetwas anderes geben könnte als diese Fassade.
 
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Hi,

Die Genialität eines Musikstücks beginnt ja genau dort, wo die allgemein anerkannten Regeln aufhören bzw. überschritten werden. Wo das Falsche plötzlich auf wundersame Weise zum Richtigen und zum überirdisch Schönen - oder auch zum erschreckend Wahren - wird. Die Mittel, um dies zu erreichen, können nicht die "normalen" Mittel sein. Wunder kommen immer unerwartet und in wundersamer Form.

Sehr gut formuliert, finde ich. Dem kann ich nur zustimmen. Das Phänomen "Genialität in der Musik" rational und messbar erfassen zu wollen gleicht irgendwie dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Alle wissen irgendwie, was gemeint ist, aber genau definieren kann man es kaum. Da trifft es deine Beschreibung IMHO doch viel besser.

Gruß,
Pigpen
 
Es wird dauernd geniale Musik gemacht, produziert und komponiert...

....nur leider bekommen das die Leute erst 200 Jahre später mit;)
 
Hi,

Wenn das tatsächlich möglich wäre, wäre es wirklich einfach. Egal, welche Kriterien man auch immer nimmt, ein Computer könnte aufgrund solcher Kriterien Stücke komponieren, die genauso genial oder noch genialer sind als die der genialsten Komponisten. Das kann bisher kein Computerprogramm, und es wird auch nie so ein Computerprogramm geben.

Ich arbeite in der IT Branche und da gibt es (oder gab es zumindestens) ja tatsächliche Leute (KI und so), die meinen, man kann mit einem Computer das menschliche Gehirn simulieren. Das menschliche Gehirn arbeitet nach völlig anderen Prinzipien (nicht digital, alles ist vernetzt, Lernen durch Veränderung der Struktur) wie ein Computer, daher wird das nie funktionieren oder nur in Teilbereichen.

Die Genialität eines Musikstücks beginnt ja genau dort, wo die allgemein anerkannten Regeln aufhören bzw. überschritten werden. Wo das Falsche plötzlich auf wundersame Weise zum Richtigen und zum überirdisch Schönen - oder auch zum erschreckend Wahren - wird. Die Mittel, um dies zu erreichen, können nicht die "normalen" Mittel sein. Wunder kommen immer unerwartet und in wundersamer Form.
Bei den "nicht normalen Mitteln" bin ich mir nicht sicher. Ich glaube die "genialen" Künstler arbeiten auch mit den ganz normalen Mitteln (Farben und Leinwand bei Malern, Kompositionsregeln/Harmonien bei Komponisten, Rechtschreibung und Grammatik bei Schriftstellern). Aber sie ordnen die Elemente anderst, eben genial an.


Ist das "ästhetische Gespür" ein Merkmal von Genialität? Ich glaube nicht. Ästhetik ist nur die Fassade des Kunstwerks. Leider verwechseln viele Leute die Fassade mit dem eigentlichen Inhalt des Kunstwerks. Sie können sich noch nicht einmal vorstellen, daß es da noch irgendetwas anderes geben könnte als diese Fassade.
Mit Ästhetik hab' ich immer ein Problem. Ich bin hoffnungslos veraltet oder romantisch. Für mich muss ein Kunstwerk auch ästhetisch sein.

Gruß
 
Es wird dauernd geniale Musik gemacht, produziert und komponiert...

....nur leider bekommen das die Leute erst 200 Jahre später mit;)

also ich teile eigentlich diese Meinung^^
das problem ist nur das sie in den ganzen Massen sowohl von menschen als auch von verschieden musikRICHTIGUNgen TOTAL untergeht...
und wenns keine mitbekommt wird sich leider auch in 200 jahren keiner mehr dran erinnern >.<...
habe auch so ein gefühl das viel weniger notiert wird sodas auch später kaum was gefunden werden kann... ( aber vllt irre ich mich da...)
 
vielleicht gibt es musiksoziologische Gründe, in diese würde dann auch eine Kapitalimuskritik hinein gehören (Genie erkennt, nix verdienen zu können, und schreibt folglich Filmmusik, Musicals oder arrangiert die Patterns irgendwelcher "Hits"...)

----ehe es raucht und kracht: ich entschuldige mich bei allen für meinen Sarkasmus----

...aber für meine, notfalls gerne begründbare Meinung, entschuldige ich mich nicht...

ok: es gibt tatsächlich "geniale" zeitgenössische Musik, sowohl aus der ultramodernen postseriellen Schule (z.B. Pierre Boulez: der lebt immer noch, und seine Klaviersonaten sind faszinierend - wenn sie einem denn gefllen), als auch aus den quasi "gemäßigteren" Zonen: die Sinfonien von Gorecki, die Kammer- und Kirchenmusik von Arvo Pärt (ja saperlot: "fratres" für Violine und Klavier ist beinahe ein Hit!!!), durchaus auch die Musik von Phillip Glass! man könnte noch mehr aufzählen.

die "soziologische" Popularität allerdings (warum mögen nur 5-10% die so genannte Klassik?) ist eine Größe, bei der sich die Relationen in den Jahrunderten seit Palästrina eigentlich kaum was geändert hat - lediglich seit grob gesagt 150 Jahren liegt die Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik in Noten, seit rund 100 Jahren in Aufnahmen vor.

Es ist wie mit der Literatur: ein Thriller liest sich leichter, als James Joyce - aber er setzt auch ein anderes Verständnis voraus. Verkürzt gesagt: "Kultur" ist nichts "leichtes", was man sofort versteht - es macht Mühe, sich das Verständnis zu erarbeiten: das wollen nicht alle Erdenbürger. Ebenso wie nicht alle z.B. promovierte Teilchenphysiker sind...

Ich kann nichts dafür, dass eine Chopinetüde sich nicht so leicht erschließt, wie ein Meisterwerk von Herrn Bohlen --- deklariert man aber das Meisterwerk von Bohlen zur "Kunst", wird man sich mit diesem Ansinnen argumentativ lächerlich machen...

...aber da darf man nicht zu pessimistisch sein: 5-10% der "Abendländer" sind statistisch immer noch genug, damit Mozart, Wagner und Spießgesellen weiter überleben :)
 
Aber warum nicht? ;)

Der Vergleich zwischen einem promovierten Teilchenphysiker und einem klassischen Musikhörer finde ich unangebracht. Denn als promovierter Teilchenphysiker muss man schon selbst Hand anlegen. Klassische Musik muss man nur hören.

du hast recht: "sachlich" ist meine vergleich unangebracht - aber statistisch hauts schon ungefähr hin :)
(und ich hatte ja gebeten, mein bissle Sarkasmus nicht auf die Goldwaage zu legen)
Gruß von Rolf, der endlich wieder daheim ist und im Gartenhaus als Feierabend ein wenig durchs Forum "marodiert" :) :)
 
du hast recht: "sachlich" ist meine vergleich unangebracht - aber statistisch hauts schon ungefähr hin :)
(und ich hatte ja gebeten, mein bissle Sarkasmus nicht auf die Goldwaage zu legen)
Gruß von Rolf, der endlich wieder daheim ist und im Gartenhaus als Feierabend ein wenig durchs Forum "marodiert" :) :)

Ich finde den Vergleich sehr gut! Wie sollte ein Laie beurteilen können, ob eine Komposition genial ist? Das kann er vermutlich so gut, wie ein Laie in Sachen Teilchenphysik ein neues Teilchenmodell beurteilen könnte.

Oder sprechen wir hier von dem umgangssprachlich gebräuchlichen Wort "genial", das ungefähr aussagt "toll", "geil" oder ähnliches? Dann hat ein Laie natürlich die volle Kompetenz, Musik als genial oder nicht genial zu beurteilen, aber dann ist diese Diskussion auch am Ende, denn auch heute noch wird viel Musik umgangssprachlich als "genial" bezeichnet :D
 
ich würde nicht unbedingt sagen, dass es heutzutage weniger geniale menschen gibt. ich denke sogar, dass es mehr geniale menschen gibt als früher, jedoch ist es weitaus schwieriger geworden herauszustechen und etwas völlig neues zu entwickeln, welche die menschen schlichtweg vom hocker reisst.

gruss
s/W
 

Würde heute irgendwo ein Künstler auftauchen, der anerkanntermaßen die Genialität, Virtuosität, Exzentrik und Originalität eines Mozart besäße. Wie würde man ihn in den Medien präsentieren? - als Genie, Musik-Gott, King of Classic, Musiker de Jahrtausends... ? Es gäbe für einen solchen Fall überhaupt keinen Ausdruck mehr.
Will heißen: Schon die Inflation der Superlative macht es fast unmöglich noch wirklich glaubwürdig auf ein echtes Genie aufmerksam zu machen, so dass die Meisten davon kaum Notitz nehmen würden.
Bach und Mozart wären im 21. Jahrhundert vermutlich auch musikalisches Fastfood geworden.
 
Genie - die Gesellschaft macht das Genie. Denn es ist die Aufwertung von einem Menschen durch andere Menschen. Nichts anderes.

Das ist so definitiv nicht richtig. Das Wort Genie (genius) bezeichnet den Urheber, also denjenigen, der etwas zum ersten Mal denkt oder tut. Genialität ist also objektiv erfassbar. Was die Gesellschaft daraus macht, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Auch der Erfinder des Rads war im eigentlichen Sinne genial. Wir kennen aber nicht mal seinen Namen.
Wenn unsere Konsum orientierte Gesellschaft jeden daher gelaufenen Amateurmusiker als genial bezeichnet, dann hat es mit dem Mangel an Fantasie und Differenzierungsvermögen bezüglich der Wortwahl zu tun, aber nichts damit, dass diese Person auch tatsächlich genial ist.
 
Das ist ja eben die Genialität: Eine Idee zu haben und ihre Tragweite und Möglichkeiten auch zu erkennen. Mit "Idee" meine ich einen nächsten oder, bei besonders genialen Leuten, übernächsten Schritt in einer Evolution.
Natürlich sind alle evolutionären Prozesse heute soweit fortgeschritten, dass Verbesserungen für den Normaldenkenden kaum noch erfassbar sind. Deshalb finden wir die "wahren Genies" auch hauptsächlich in der Vergangenheit. Das heißt aber nicht, dass es sie heute nicht gibt.
Allerdings was die Musik betrifft, muss man vielleicht auch feststellen, dass das Thema, zumindest innerhalb unseres europäischen Musikverständnisses, ausgereizt ist.
 
Das ist ja eben die Genialität: Eine Idee zu haben und ihre Tragweite und Möglichkeiten auch zu erkennen. Mit "Idee" meine ich einen nächsten oder, bei besonders genialen Leuten, übernächsten Schritt in einer Evolution.
Natürlich sind alle evolutionären Prozesse heute soweit fortgeschritten, dass Verbesserungen für den Normaldenkenden kaum noch erfassbar sind. Deshalb finden wir die "wahren Genies" auch hauptsächlich in der Vergangenheit. Das heißt aber nicht, dass es sie heute nicht gibt.
Allerdings was die Musik betrifft, muss man vielleicht auch feststellen, dass das Thema, zumindest innerhalb unseres europäischen Musikverständnisses, ausgereizt ist.

das wäre schade, wenn das Thema wirklich ausgereizt wäre - steht zu hoffen, dass da irgendwem doch noch was Hörens- und Spielenswertes einfällt...
Ligeti ist ja leider verstorben - der war sicher genial (nicht nur in seinen atmosphärischen Clustern, sondern auch im quasi-tonalen Klavierkonzert)
-- ich will mal optimistisch sein und an das "ausgereizt" eine Weile lang nicht glauben.
Gruß, Rolf
 
Um nochmals zur zeitgenössischen klassischen Musik zurückzukehren:

Ich höre gerade Tischtschenkos Dante-Sinfonie Nr. 3 (2001) und die Art und Weise, wie er die einzelnen Höllenkreise musikalisch darstellt, ist tatächlich genial. ;)

Kann ich nur empfehlen!
 

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