Hallo Anke,
Ich habe eigentlich auch direkt mit relativ schwierigen Stücken angefangen.
Natürlich nicht mit solchen, die ein guter Klavierspieler als schwierig bezeichnen würde, aber mit welchen, die für einen Anfänger eigentlich viel zu schwierig sind.
Mein erstes Stück war das Hauptthema aus Fluch der Karibik.
Für einen guten Klavierspieler sicherlich nicht sooo schwierig,
aber:
Jemand, der davor noch kein einziges Stück gespielt hat, das eine schnelle Motorik erfordert, und das tut dieses Stück eindeutig, der steht da vor etwas ganz Neuem.
Allerdings muss man auch sagen: Das Stück war insofern machbar, da es keine Technik erfordert, die zu Beginn unbequem ist ( also unbequeum wären zum Beispiel mal ganz krass Oktavparallelen, oder irgendwelche Triller, für die man einfach eine sehr gute Feinmotorik benötigt)
Dieses Stück lag also von vornherein sehr gut in der Hand, was mir aber völlig neu war, war:
a) Tempo reinbringen ( ich hab zunächst die ersten Seiten sehr langsam gespielt, das Tempo kam erst nach vielleicht einem Monat oder so; das würde ich heute nie mehr so machen)
b) Noten lesen ( ich musste immer erst in den Notenzeilen die einzelnen Linien abzählen und dann noch mal extra auf der Tastatur die einzelnen Töne abzählen, immer mit Ausgangston c; alles sehr mühsam)
c) Dynamik ( bis eine Woche vor dem Vorspiel hab ichs monoton runtergespielt)
Jetzt stellt sich die Frage: Warum waren alle drei Punkte völlig neu für mich?
- Weil ich davor jahrelang (sehr) leichte Stücke aufbekommen habe, die ich
a) zu Hause nie geübt habe, weil ich keine Lust hatte, also kamen wir wenn dann nur im Unterricht voran --> Folge: Ich habe nie auch nur ein Stück bis zur Hälfte fertig gebracht
b) selbst wenn ich diese leichten Stücke richtig geübt hätte, wäre zumindest noch Punkt a) völlig neu gewesen.
Übrigens, die nächsten Stücke waren ( in der Reihenfolge): Hauptthema aus Herr der Ringe, Türkischer Marsch, Grand Valse brillante Op. 18 ( Chopin)
An diesen Stücken habe ich Folgendes gelernt bzw. verbessert
Herr der Ringe: Noten lesen, musikalisch spielen
Türkischer Marsch: Noten lesen, Feinmotorik ( im Hauptthema), Tonleitern, Arpeggien
Grand Valse brillante: Noten lesen ( nach dem Stück gings dann schnell), ne Menge Technik, gezieltes Pedalspiel ( war verdammt schwierig)
Was ganz wichtig ist ( Und das war bei mir nicht immer der Fall ( deswegen gab es so manchen Nervenkollaps^^) ) :
Ein schwieriges Stück sollte nie mehrere verschiedene Schwierigkeiten enthalten, es geht nicht alles auf einmal !!
Will heißen: Spiele nicht gleich ein Stück, welches technisch UND musikalisch ungewohnte, sehr komplexe Aufgaben stellt.
Wenn du kämpfst, bekommst du eins von Beidem hin, aber wenn du Keins von Beidem vorher gemacht hast, dann wirst du kein Stück spielen können, welches gleichzeitig zum Beispiel eine gute Geläufigkeit erfordert, UND noch mehrstimmig ist.
Oder: Spiele nicht direkt ein Stück, welches zugleich schnelle Tonleitern oder Arpeggien, UND schwierige Akkorde beinhaltet.
Oder: Spiele kein langsames Stück, welches dich mental stark fordert UND bei dem zugleich beim Notenlesen verzweifelst, weil es z.B. Begleitung in rechter und rinker Hand hat.
Ich will nur sagen: Achte bei der Stückauswahl darauf, dass nicht zu viele verschiedene Schwierigkeiten drin vorkommen, die dich zum Verzweifeln bringen werden.
Das ist bei mir bei dem Chopin- Walzer schiefgegangen. Da kam einfach zu viel drin vor, was mich verdammt herausgefordert hatte:
Ich denk da nur an diese blöde Tonleiter im Seitenthema, oder das Pedalspiel, dass da verdammt genau eingesetzt sein will, oder die Tonrepetitionen.
Dann kam noch das nicht unbedingt so schnelle Notenlesen hinzu, dann musste ich das erste Mal richtig Phrasen beachten, usw......
Ich hab verdammt viel dran gelernt, aber ich habs nach 3 Monaten ( davon 2 übrigens im Selbststudium) aufgegeben, weil ichs vor lauter Technik musikalisch gar nicht mehr auf die Reihe bekommen hab, und ich selbst es nicht mehr hören konnte.
Verdammt wichtig ist des weiteren, dass du dir bewusst machst, was ein schwieriges Stück überhaupt ist.Bei diesem Punkt habe ich einen entscheidenden Fehler gemacht, den ich jetzt ausbüßen muss:
Ein schwieriges Stück kennzeichnet sich nicht nur als ein technisch schwieriges Stück.
Du musst dir bewusst machen, welche Arten von Schwierigkeiten es gibt:
a) Technik ( also z.B. Tonleitern, Akkorde, Arrpeggien usw.)
b) Das Musikalische : Ich habe den Denkfehler begangen, zu glauben, dass das Musikalische nur aus Dynamik ( also leiser/ lauter), und das Stück mit Empfindung zu spielen, besteht.
Dabei sind diese beiden Punkte nur ein Aspekt. Genau so wichtig sind z.B. Gesangliches Spiel ( schönes Legatospiel), Differenzierung einzelner Stimmen, Nuancen, und viele kleine Feinheiten ( z.B. ein und den selben Ton ohne Pedal legato zu spielen)
c) Polyphonie und Polyrhytmik ( ganz wichtig bei Bach)
d) Das Mentale, wobei dass im Musikalischen und der Polyphonie/ rythmik drin ist
e) Die Ausbildung des Gehörs, wobei das zu a), b), und c) dazugehört.
Ich habe jetzt mal versucht, das so einzuteilen, weil es Stücke gibt, in denen das eine mehr vorkommt als das Andere und so jedes Stück eine andere Art von Schwierigkeit enthält.
Zugleich ist es aber so, dass die einzelnen Punkte ganz stark miteinander zusammenhängen, und oft ist es schwierig zu sagen, ob ein Problem technischer oder musikalischer Natur ist.
So kannst du zum Beispiel Akkorde so üben, dass es aussieht, als ob du sie technisch beherrscht.
In einem Stück wird dir das allein aber nichts bringen, weil es darauf ankommt, WIE du den Akkord spielst.
Also die Gewichtung der einzelnen Töne, du musst jeden Ton richtig hören, nicht nur den Obersten, usw.
Dir, Anke, geht es ja im Endeffekt darum, schwierige Stücke spielen zu können, aber man muss sich eben nicht mit sämtlichen Aspekten der Schwierigkeit an sich gleichzeitig überfordern.
Es ist sehr wichtig, dass du das Musikalische genau so als eine Herausforderung ansiehst, wie die Technik.
Daher solltest du zwischendurch auch immer mal Stücke spielen, die technisch vielleicht nicht ganz so schwierig sind, die aber musikalisch ne Herausforderung sind, z.B. langsame Stücke, bei denen du drauf achten musst, jeden Ton richtig zu gestalten und ihn in eine Legatolinie einzufügen, die aus einer schönen Melodie besteht. Und das IST sehr schwierig!
Damit du also wirklich Stücke üben kannst, die dir echt verdammt gut gefallen, und die sehr schwierig für dich sind, aber mit viel Mühe noch machbar,
solltest du dir sehr viel Klaviermusik anhören, um eben viele Stücke für dich zu entdecken, von denen dann welche in dieses Auswahlraster passen.
Liebe Grüße und viel Erfolg dabei:p
Hacon
PS: Bitte jetzt keine Diskussion à la " aber der Türkische Marsch ist doch leicht". Leicht ist genau das, was man schon kennt und schon erfolgreich angewendet hat.
PS 2: Mit diesem Beitrag versuche ich nur zu helfen, indem ich meine eigene Erfahrung mitteile. Dass der Beitrag jetzt leider in Richtung eines Selbstdarstellungsbeitrags geht, muss in Kauf genommen werden.
PS 3: Nicht alles, was ich hier geschrieben habe, muss für bare Münze genommen werden. Es ist meine Meinung, und die muss nicht in allen Punkten richtig sein.