Warum muss man als Kind angefangen haben muss, um Pianist zu werden?

Motorisches Lernen und intellektuelles Lernen sind nicht dasselbe. Beides kann man zu jedem Zeitpunkt des Lebens. Allerdings ist das motorische Lernen vor einem bestimmten Zeitpunkt der Hirnreifung (man nennt in der Regel durchschnittlich 13 Jahre als Lebensalter) unmittelbar und "geradezu spielerisch".

Man vermutet, dass das für die Bewegungskoordination zuständige Kleinhirn bis dahin ausreift und motorische Impulse, die bis dahin gesetzt wurden, gewissermaßen in den eigenen Reifeprozess integriert. Was man MOTORISCH bis dahin gelernt hat, VERlernt sich nicht (z. B. in der Regel Laufen, Rennen, Balancieren, Klettern, Schwimmen, Fahrradfahren - oder auch Klavierspielen). Man kann aus der Übung kommen oder aufgrund von Schädigungen dazu nicht mehr in der Lage sein, aber theoretisch könnte man jederzeit wieder daran anknüpfen.

Intellektuelles Lernen (Großhirn) ist lebenslang möglich und auch wünschenswert (use it or lose it). Über den "Umweg Großhirn" ist auch motorisches Lernen lebenslang MÖGLICH, aber (abhängig von der Komplexität) deutlich mühsamer. Wenn ältere Personen anderweitig motorisch aktiv sind, lernen sie neue Bewegungsmuster leichter als vorwiegend inaktive Personen.

Dem Grundsatz nach gilt: Dem menschlichen Gehirn ist nichts unmöglich. Individuelle Einschränkungen/"Unvermögen" sind bei dieser Aussage selbstverständlich eingepreist. Es hat nicht jede*r das Talent zum Balletttanz.
 
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stelle ich mir vor, wie es ist, wenn man mit 30 anfängt, laufen zu lernen
Vormals Blinde lernen mit 20 Jahren das Sehen: https://www.sciencemag.org/content/350/6259/372.summary
Während des ersten Jahres des Sehens nimmt ihre Sehschärfe erheblich zu, aber die normale Sehschärfe erreichen sie nicht mehr - dies könnte für die Hänschen-These sprechen, aber aus dem Artikel geht nicht hervor, ob das Problem im Auge oder im Hirn lokalisiert ist. Für die Aufgaben des Alltags reicht es durchaus. Auch interessant, daß diese Leute für die verschiedenen Gebiete der Verarbeitung der visuellen Information die gleichen Hirnbereiche verwenden, wie Leute, die nie blind waren. Und daß sie auf dieselben visuellen Täuschungen reinfallen.
 
"Sehen" ist anatomisch woanders angesiedelt als "automatisierte Motorik". Man kann das einfach nicht vergleichen. :-(
 
Also Millionenerbe sein oder reich geheiratet haben und entsprechend viel Tagesfreizeit in eine künstlerische Laufbahn respektive Tätigkeit investieren können

Das habe ich leider verpasst. Meine Vorfahren waren Bauern und Arbeiter, das wenige, das sie erwirtschaftet hatten, ging verloren, als sie 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Mein Vater hatte dann einen relativ gut bezahlten Job, aber mit drei Kindern hatten wir es auch nicht wirklich dicke, nur so viel, dass es reichte, um keinerlei staatliche Unterstützung wie Studienbeihilfe etc. zu bekommen.

Mein Mann stammt aus einer Arbeiterfamilie, seine Eltern waren das, was wir heute als bitterarm bezeichnen würden. Fleisch gab es nur wenige Male im Jahr, und dann nur das billigste Stück etc. Ich will gar nicht mehr erzählen.
 
Hallo zusammen,

ich arbeite gerade an den neuronalen Zusammenhängen der fokalen Dystonie bei Musikern und habe in einem Artikel dazu (Altenmueller, 2003) eine interessante Passage zu diesem Thema gefunden. Ich dachte, ich teile ihn mal hier.

"Many musical instruments require precise coordination
of bimanual movements. Musicians
who had begun their musical training before the
age of 7 years have a larger anterior midsagittal
corpus callosum (CC) than control subjects or
musicians who started training later
[8]. Because
the size of the midsagittal CC is a good indicator
of the number of axons crossing through the
midline, this finding suggests that this subgroup of
musicians have enhanced interaction between the
two hemispheres.
Because this part of the corpus
callosum contains fibers from the motor and
supplementary motor areas, it seems plausible to
assume that the high demands on coordination
between the two hands and the rapid exchange of
information may either stimulate the nerve fiber
growth, the myelination of nerve fibers that
determines the velocity of nerve conduction, or
prevent the physiologic loss of nerve tissue during
aging."

Sorry, dass ich zu wenig Zeit habe, um das zu übersetzen (der Vortrag muss bald fertig sein!), aber es ist ja verständliches Englisch.
Zumindest aus neuroanatomischer Sicht gibt es also doch eindeutige Unterschiede zwischen Früh- und Spätanfängern. Wie sehr er sich dann auf die Möglichkeiten auswirkt, ist natürlich fraglich.
 
Sogar heute noch gibt es ungewoehnlich Karrieren, z.B. Lucas Debargue...er hat wohl mit 10 angefangen und mindestens einmal laenger unterbrochen, jetzt mit 23 (?) immerhin den 5.(?) Platz beim Tschaikowski-Wettbewerb gewonnen.
Viele Gruesze
Jannis

Der Faden ist zwar schon etwas älter, aber ich habe Lucas Debargue vor wenigen Tagen beim Echo Klassik (in der Fernsehsendung) gesehen und seine Improvisation über "Eine feste Burg ist unser Gott" hat mir sehr gut gefallen.
 
Die Frage ist eigentlich: wie weit kann man am Klavier kommen, wenn man mit 20,30,40,50,60,70 anfängt?

Nicht mit dem Blick, Geld damit zu verdienen, sondern wirklich Spaß zu haben.
 
Eigentlich ist die Frage: wann ist man ein Pianist?

Mögliche Antwort: a skilled or professional performer on the piano
 
Gibt's den Threadstarter noch? Er hat dies 2013 gestartet ... wäre interessant ob er jetzt schon Beethoven Sonaten spielen kann ....
 

Die Frage ist eigentlich: wie weit kann man am Klavier kommen, wenn man mit 20,30,40,50,60,70 anfängt?
.
"Problem" Nr. 1: Die meisten üben nicht ausreichend viel
"Problem" Nr. 2: Manche haben ein extrem schlechtes Körperbewusstsein
"Problem" Nr. 3: Manche haben ein mangelhaft gebildete Gehör und hören zb Fehler nicht.

Wenn 1, 2 und 3 nicht zu dramatisch ausfallen, man einigermaßen gut angeleitet wird und ein brauchbares Instrument hat, spricht im Prinzip nichts gegen Beethovensonaten nach einigen Jahren.
 
Problem Nr4: sie haben ausgeprägte Vorstellungen darüber was sie können und was sie nicht können, ob das der Realität entspricht oder nicht.
 
Viele haben feste Vorstellungen darüber was sie nicht zu können glauben und teilen das mir während des Unterrichts mit. " ja, das kann ich nicht so gut" , " ich bin rhythmisch nicht so gut" , " Therese, du weißt ja, dass ich mit der Höhe so meine Schwierigkeiten habe", " ich konnte noch nie leise spielen" etc. etc.
Diese Ideen entsprechen erstens nicht unbedingt der Wahrheit und sind auch, zweitens, ganz normale Arbeitsfelder für Instrumentallehrer. Erwachsene behindern sich in ihrem Lernfortschritte durch diese Einschränkungen. Kinder haben das zwar auch, aber selten so ausgeprägt. Zumindest sind die mir noch nicht über den Weg gelaufen, während meine Erwachsenen Schüler eigentlich alle so sind.
 
Für wen soll das denn ein Problem sein? Selbstüberschätzung ist gesund, wer das nicht tut, ist viel anfälliger für Depressionen.

Wie stehst du so zu Donald J. Trump? ;-)

Ich finden einen Lehrer sehr wichtig, der einem eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten gibt und effiziente Wege dahin aufzeigt.

Was bringt es dir, wenn du La Campanella geil findest, damit anfängst und dann irgendwann frustriert aufgibst? Das führt dann auch zu Klavier-Depressionen ...
 
Das Problem bei dem ist nicht seine Selbstüberschätzung, sondern, dass er gewählt wurde.
Was bringt es dir, wenn du La Campanella geil findest, damit anfängst und dann irgendwann frustriert aufgibst? Das führt dann auch zu Klavier-Depressionen ...
Und wie oft kommt das vor? Statistisch ist eine moderate Selbstüberschätzung gesund, dazu gibt es Studien.
 
Mir ist deine (ursprüngliche) Aussage einfach viel zu pauschal. Inzwischen hast du ja immerhin das Wörtchen "moderat" hinzugefügt.

Kennst du eigentlich den Dunning-Kruger-Effekt? ;)

Und jetzt bin ich gespannt auf die Studien! :)
 
Viele haben feste Vorstellungen darüber was sie nicht zu können glauben und teilen das mir während des Unterrichts mit. " ja, das kann ich nicht so gut" , " ich bin rhythmisch nicht so gut" , " Therese, du weißt ja, dass ich mit der Höhe so meine Schwierigkeiten habe", " ich konnte noch nie leise spielen" etc. etc.
Diese Ideen entsprechen erstens nicht unbedingt der Wahrheit und sind auch, zweitens, ganz normale Arbeitsfelder für Instrumentallehrer. Erwachsene behindern sich in ihrem Lernfortschritte durch diese Einschränkungen. Kinder haben das zwar auch, aber selten so ausgeprägt. Zumindest sind die mir noch nicht über den Weg gelaufen, während meine Erwachsenen Schüler eigentlich alle so sind.

Ok, dann habe ich Deine Aussage total falsch gedeutet. Tut mir leid. Ich bin so daran gewöhnt, dass es nicht gestattet ist mit sich selbst zufrieden zu sein, und dass man es wenn man es doch ist, tunlichst verbergen muss, dass ich auf die Idee, dass es dieses mal anders gemeint sein könnte, gar nicht gekommen bin.
 
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