Ich staune ja irgendwie über die Leidensbereitschaft von Klavier-Amateuren.
Da kannst Du mal sehen, wie wichtig anderen Menschen die Musik ist.
Vielleicht kannst Du das nicht nachvollziehen, weil Du Dein ganzes Leben lang Musik gemacht hast und nie davon abgehalten wurdest? Durch einen Job, der 16 Stunden oder mehr Deines Tages verbraucht hat (jeden Tag, auch am Wochenende), und das über Jahrzehnte. Durch Krankheiten, die Dich so schwach gemacht haben, dass Du kaum einen Finger heben konntest? Durch Unfälle mit gebrochenen Armen und Beinen, von denen Du Dich erst monate- oder jahrelang erholen musstest?
Offenbar ist Dir das unbekannt, denn so, wie Du Dich äußerst, weißt Du gar nicht, was Leiden
IST. Wirkliches Leiden hat mit den Schmerzen, die ich jetzt beim Klavierspielen habe, nichts zu tun. Das ist pipifax, so ein bisschen Schmerzen in den Händen. Solange ich noch spielen kann. Rheuma ist eben Rheuma. Aber wenn man gesund ist, kann man sich das nicht vorstellen. Deshalb kann man aber doch nicht sein ganzes Leben aufgeben. Soll ich mich deswegen jetzt umbringen, weil ich so viele Dinge nicht tun kann, die für Dich anscheinend selbstverständlich sind?
Ich habe diese Schmerzen schon, seit ich ein Kind war. Hätte ich deshalb auf jegliche Ausbildung, auf jeglichen Beruf, auf jegliches Hobby verzichten sollen?
Nur weil Du keine Geduld hast, weil Du so privilegiert bist und anscheinend pumperlgesund durchs Leben geschwebt bist, nie irgendwelche Schwierigkeiten hattest und alles einfach so machen kannst, was Du willst?
Das ist schon ziemlich arrogant, findest Du nicht? Jeder Mensch hat das Recht darauf, sein Leben so zu leben, wie er will. Und wie er kann. Aber nicht jeder Mensch ist so privilegiert wie Du und hat dabei nicht mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu kämpfen, mit Schmerzen oder Hindernissen.
Ich habe mir mein Leben lang gewünscht, Klavierspielen zu lernen. Aber meine Familie war zu arm. Deine Familie war anscheinend reich genug, Dir ein Klavier zu kaufen und Klavierunterricht zu bezahlen. Meine nicht. Aber jetzt, im Alter, habe ich das Geld. Meine Gesundheit macht nicht hundertprozentig mit, aber davon lasse ich mich nicht abhalten.
Es leben nicht alle Menschen im Schlaraffenland wie Du anscheinend, wo Dir die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Manche Menschen müssen hart dafür arbeiten. Aber ich habe immer gern gearbeitet. Das macht mir nichts aus. Nur auf der faulen Haut liegen und sich nicht anzustrengen (was vielleicht Dein Ideal ist) würde mich total fertigmachen.
Üben viele Wochen an einem Stück, um es dann leidlich draufzuhaben.
Und warum nicht? Ich trete ja nicht auf. Was soll daran schlimm sein? Perfektionismus ist wie gesagt Zeitverschwendung auf gewissen Gebieten. Das ist die Erfahrung eines langen Lebens einer früheren Perfektionistin.
Anschließend fällt es dann der Vergessenheit anheim, weil man ein anderes Stück lange übt. Will man es nach Monaten nochmal spielen, müsste man es erstmal wieder eine ganze Zeit lang üben.
So ist es ja nicht. Natürlich kann man nicht alles im Kopf behalten (obwohl ich ein sehr gutes Gedächtnis habe), aber man merkt doch, dass man etwas schon einmal geübt hat. Verglichen mit einem neuen Stück, das man noch nie gespielt hat. Da ist einiges vorhanden, und dann ist es auch schnell wieder da. Anscheinend weißt Du nicht, wie das funktioniert. Das ist ein ziemlich normaler Vorgang.
Ganz ehrlich - ich hätte NIE, NIE, NIE im Leben Bock darauf, ein Hobby auf eine derartige Weise auszuüben. Spätestens nach 3, 4 solcherart erkämpfter und wieder verlorener Stücke würde ich entnervt das Handtuch werfen.
Dann hast Du einfach kein Durchhaltevermögen.
Und nur weil Du keine Lust dazu hast, Dich anzustrengen, soll ich sie auch nicht haben?
Ich frage mich, ob Du Dir je in Deinem Leben schon einmal etwas erkämpfen musstest. Deine Aussagen klingen so, als wäre Dir immer alles in den Schoß gefallen und vorn und hinten reingestopft worden. Wenn einem etwas wichtig ist, wenn man wirklich dafür brennt, dann kämpft man auch dafür. Brennst Du denn für gar nichts, wofür Du Dir ein bisschen Mühe geben würdest? Sitzt Du immer nur da und wartest darauf, dass alles Dir zufliegt? Und wenn es das nicht tut, gibst Du Dir nicht die geringste Mühe, es trotzdem zu lernen?
Wer tatsächlich keine Zeit dazu hat, neben dem aktuellen Stoff andere Stücke zu spielen und so ein gewisses Repertoire aufrechtzuerhalten (und so in der Lage zu sein, einfach mal ein bisschen zu SPIELEN), sollte es meiner Meinung nach einfach sein lassen und sein Geld und seine Zeit in sinnvollere Unternehmungen stecken.
Klar. Ich bin ein hochmusikalischer Mensch, aber ich sollte das aufgeben, weil der hochgeborene Herr Hasenbein meint, das ginge so nicht.
Nur weil Du es anders machst oder anders machen würdest. Ist Dir schon mal aufgefallen, dass es so um die 8 Milliarden Menschen auf der Welt gibt und dass jeder - jeder einzelne - seine eigene Art hat, sein Leben zu leben oder seine Hobbys auszuüben? Und dass es nur einen einzigen Herrn Hasenbein gibt, der es so macht, wie Herr Hasenbein es macht.
Ich glaube, Du bist eindeutig in der Minderheit.
Du hast eine völlig falsche Vorstellung davon, wie das bei mir oder bei anderen abläuft. Du siehst nur Dich selbst. Und Du meinst, jeder müsste die Welt so sehen wie Du und alles so machen, wie Du es für richtig befindest. Das geht aber weit an der Realität vorbei.
Ich habe gerade einmal wieder vor einigen Monaten angefangen zu spielen. Zum ersten Mal in meinem Leben die Zeit gehabt, jeden Tag zu üben. Es sei denn, ich war krank. Was aber glücklicherweise nur kurz der Fall war. Und unter diesen Umständen bin ich sehr zufrieden, denn jetzt, nach ca. 4-5 Monaten, fängt es richtig an zu laufen. Ich merke, wie mir alles leichter fällt, wie alles schneller geht.
Und das schon nach dieser kurzen Zeit. Wer weiß, wo ich in ein, zwei oder drei Jahren bin, wenn das so weitergeht? Aber wenn ich wie Du schon bei der kleinsten Schwierigkeit das Handtuch geworfen hätte, dann wäre ich nirgendwo hingekommen. Dann hätte ich nämlich schon nach den ersten Wochen wieder aufgegeben. Da hatte ich solche Schmerzen, dass ich nicht mal mehr etwas greifen konnte, geschweige denn Klavierspielen.
Wäre ich Du, hätte ich da gesagt: Nee, geht nicht. Ich geb's auf. Ich suche mir was Leichteres.
Aber glücklichrweise bin ich nicht Du
, habe Durchhaltevermögen und brenne für die Musik. Und der leichte Weg war noch nie meiner. Deshalb habe ich diese Anfangsschwierigkeiten überwunden und fange nun an, die Früchte zu ernten. Wie bei jeder Sache, die man lernt, braucht es eine gewisse Anlaufzeit. Zumal, wenn man noch mit gesundheitlichen Behinderungen zu kämpfen hat wie ich. Aber wenn einen das davon abhält, sein Leben zu leben und sein Hobby auszuüben, was ist man dann?
Ein ziemlich armer Mensch, würde ich sagen.