Annaklena
- Dabei seit
- 13. Apr. 2017
- Beiträge
- 545
- Reaktionen
- 375
Als ich das las, bin ich irgendwie darüber gestolpert, weil ich mich da sehr angesprochen fühlte. Denn ich glaube, ich bin genau so eine Klavierschülerin. Und da dachte ich mir, was bedeutet halbfertig? Und warum ist das schlecht?Das erlebe ich am ehesten bei Schülern, die sehr guten Klangsinn, musikalisches Verständnis, gute Kantabilität etc. haben, aber nur halbfertig geübte Stücke mitbringen. Ich weiß, dass sie wissen, wie es klingen soll.
Gerade letzte Woche bei meiner Klavierstunde dachte ich bei einem Stück: Wann kann ich das Stück denn endlich weglegen? Ich will doch nicht ewig damit rumhängen. Aber meine Klavierlehrerin meinte dann, ich sollte es noch einmal spielen. Da ich aber schon in der Woche davor gesagt hatte, ich übe das Stück jetzt nicht weiter, ich kann es gut genug, hatte ich das Stück in der Woche davor gar nicht mehr gespielt.
Ich übe es schon seit Wochen, es wird natürlich besser, aber ich werde wohl nie ein Stück fehlerfrei spielen können. Und ich möchte bei so einem kleinen Mini-Menuett auch nicht jede Nuance der Dynamik ausprobieren und es dadurch immer wieder spielen müssen, obwohl ich es schon auswendig kann. Ich möchte jetzt lieber weitergehen und die beiden Stücke üben, die ich später angefangen habe.
Man muss doch irgendwie vorankommen. Es kann doch nicht sein, dass ich ein Stück erst perfekt spielen muss, bevor ich zum nächsten weitergehen kann. Dann würde ich Jahre mit einem einzigen Stück verbringen, denn perfekt ist es nie, und ich schaffe es so gut wie nie, ein Stück fehlerfrei zu spielen.
Aber das muss ja auch nicht sein. Ich lerne an jedem Stück etwas und komme weiter, werde besser. Dennoch kann ich nicht fehlerfrei spielen, und das ist auch nicht mehr mein Ziel. Sicherlich würde ich mir wünschen, fehlerfrei spielen zu können – und manchmal, wenn ich allein übe, klappt das ja auch –, aber wenn man jemandem vorspielt, dann klappt das ja so gut wie nie. Deshalb arbeite ich darauf gar nicht mehr hin.
Ich bin jetzt ein Stück über 60, ich spiele erst seit ein paar Jahren, und ernsthaft eigentlich erst seit ein paar Monaten wieder. Ich komme voran, bin musikalisch, aber ich werde keine Yuja Wang mehr. Und es wäre auch Quatsch, wenn ich das versuchen würde.
Aber wieso will meine Klavierlehrerin dann immer noch dasselbe Stück von mir vorgespielt haben, obwohl wir doch weitermachen könnten? Es ist ja nicht so, dass ich nichts kann oder keine Fortschritte mache. Nur habe ich manchmal das Gefühl, Klavierlehrer wollen ein Stück mit einem totarbeiten, bis man es wirklich nicht mehr sehen und hören kann.
Ein Stück, das ich zu 90% oder so spielen kann, ist doch in Ordnung. Es muss doch nicht 100% und fertig sein. Was ist gegen „halbfertig“ zu sagen, solange man nicht damit bei einem ernsthaften Konzert auftreten will, sondern nur für sich selbst spielt?