Verpönte Klassische Musik

Stilblüte

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Mir geht immer wieder die Frage durch den Kopf, warum klassische Musik so unbeliebt ist. Ich weiß, wir hatten das Thema schon öfters, aber irgendwie hab ich noch keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden.

Es ist mir schon klar, dass die Geschmäcker verschieden sind, und dass es ganz sicher Menschen gibt, denen die Musik wirklich einfach grundsätzlich nicht gefällt. Das sieht man ja auch innerhalb der Klassik - der eine bevorzugt Bach, der nächste Chopin, ein anderer Prokofiev oder Jazz.

Wenn man sich die Leute so "ansieht", müssten doch eigentlich mehr von ihnen klassische Musik mögen; es sind doch alle auf der Suche nach "Tiefgang" usw. im Zeitalter von Emos, Spiritualitäts-Seminaren und Drogen-Rausch...
Und ich behaupte, dass die E-Musik garantiert nicht weniger Gefühl zu bieten hat, als Tokio-Hotel.
Wenn die Leute mal mit Klassik in Berührung kommen, finden sies oft toll - die Filmmusik von Herr der Ringe, Fuch der Karibik und die romantisch anmutenden Yann-Tiersen-Stücke sind doch "in aller Ohren".

Meine Überlegung: Es gibt nicht viele Möglichkeiten, warum es so ist, wie es ist.

Eine davon: Es liegt am Image der Musik, der Markt hat sich inzwischen damit abgefunden, dass die Breite Masse uninteressiert ist, und wer versucht, sich doch reinzufinden, wird von der erschlagenden Vielfalt so verwirrt, dass er es sofort wieder sein lässt.

Oder: Klassische Musik ist zu kompliziert, als dass man sie beim ersten Mal hören sofort versteht; da man die Leute kaum darauf vorbereitet, wie man mit der Musik umgeht (was sie wegen Punkt 1 auch gar nicht wollen), geben sie auf, ohne überhaupt verstanden zu haben, was ihnen entgeht.

Oder: Alle Klassik-Liebhaber sind unnormal, hypersensibel und haben eine Sonder-Vorliebe, vergleichbar mit seltenen Hobbies wie Tiefsee-Tauchen, und werden immer daran scheitern, andere zu bekehren.

Da ich an den letzten Vorschlag nicht so ganz glauben kann, dachte ich mir, man müsste die Leute vielleicht einfach fragen.
Wir könnten eine Umfrage starten (die noch nicht existiert :p), bei dem jeder ein paar Leute seines Bekanntenkreises Interviewt, und wir können gespannt auf die Antworten sein.
 
klassische Musik unbeliebt? so direkt sehe ich es nicht...!
Ich denke auch man sollte dies nicht verallgemeinern...Aber das kann man bei einer solchen Fragestellung scher vermeiden.
Leute mit einem höheren Bildungsniveau (Bildung auch nicht unbedingt in der heutigen Definition) sind auch im Durchschnitt Grundsätzlich offener für klassische Musik und eben offener für "Tiefgang"- jene interessiert nicht, was Stars und Sternchen machen, was angesagt ist, wer was über einen sagt und und und...

viele sind einfach nicht dazu fähig unabhängig zu denken, zu handeln und eben wirklich "ich selbst zu sein".
Ich denke da liegt das Grundlegende Problem. der Aufklärungsgedanke des 17.-18 Jahrhunderts ist heute noch ebenso aktuell.
lg

Clara
 
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viele sind einfach nicht dazu fähig unabhängig zu denken, zu handeln und eben wirklich "ich selbst zu sein".

Also ich finde es interessant, dass Du dies für die Ursache hältst. Ich halte das nur über einen Umweg für wahrscheinlich.
Meine Vermutung ist, dass die mangelnde Verbreitung der klassischen Musik auch mit ihrem Vorkommen in den Medien zu tun hat.

Ich glaube, wenn die Radiosender Musikrichtungen stärker mixen würden (wie z.B. Klassik-Radio), gäbe es auch mehr Menschen, die sich für Klassik interessieren würden. Es gibt auch wenig Sendungen, die aufbereitet sind für Menschen, die einen Einstieg in eine bestimmte Musikrichtung suchen, sei es Klassik oder Jazz. Sendungen, die nicht so extrem ernst daherkommen, sondern etwas lockerer aufbereitet sind. Zumindest habe ich diesen Eindruck.
Soweit ein paar erste Gedanken von mir hierzu.

lg Nora
 
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Mir geht immer wieder die Frage durch den Kopf, warum klassische Musik so unbeliebt ist.

...warum verkauft sich "Sakrileg" heutzutage besser als "Schuld und Sühne"?...

würde man eine Umfrage starten, in welcher nach Begriffen wie "erlebte Rede" oder "Leinttonharmonik" gefragt wird, kämen ulkige Antworten - - der Literatur geht es da kaum anders als der so genannten "klassischen Musik". ...und das, obwohl fast jeder lesen und hören kann.

freundlich gerechnet 10 % der dt. Bevölkerung hört Beethoven, geht gelegentlich in die Oper, liest Thomas Mann, Grass oder Nabokov.

am besten man gewöhnt sich an die Tatsache, zu einer Minderheit zu gehören, wenn man Mozart, Bach & Co. mag ;) - - so lange die noch die 5% Hürde schaffen, ist Polen nicht verloren :D

Gruß, Rolf
 
Also ich finde es interessant, dass Du dies für die Ursache hältst. Ich halte das nur über einen Umweg für wahrscheinlich.
Meine Vermutung ist, dass die mangelnde Verbreitung der klassischen Musik auch mit ihrem Vorkommen in den Medien zu tun hat.

lg Nora

EBEN!

Die meißten lassen sich die Meinung BILDen. Da sage ich aber dass viele unfähig sind unabhängig frei eine Entscheidung zu treffen!
Nicht dass ich selbst nur da ich Klassik höre frei sei,keineswegs, schließlich war ich durch meine Musikereltern auch nicht sonderlich frei. Ich denke niemand kann vollkommen frei sein...nie das kann nicht funktionieren.

Jedoch kann man so frei sein und sich verschiedenste Medien zu Gemüte führen und dann entscheiden!-das habe ich auch gemacht-

Und es gibt nun einmal klassik sender und kulturfernsehen!
 
Hallo Clara,

um bildungsfernere Schichten an Klassik heranzuführen, braucht man aber neue Modelle. Zum Teil gibt es da wirklich schöne Modellprojekte. Instrumentenunterricht (Einzelunterricht) für Klassen, die gleichzeitig ein Orchester bilden und auch in diesem Zusammenhang Unterricht bekommen. Oder man denke nur an das Tanz-Musik-Projekt von Sir Simon Rattle an einer Berliner Hauptschule in einem sozialen Brennpunkt.

Ich denke, da gibt es noch viel zu tun.

Hier ein Link zu einem Projekt, das Musikunterricht in den Kindergärten etablieren will.

http://www.musikprojekt-kreis-viersen.de/index.php?id=36

Und ich denke, in seinem Rahmen trägt auch Clavio dazu bei, eine Lanze für die Klassik zu brechen, da hier sehr viele schöne Stücke eingestellt und besprochen werden. Ich habe mir auch nicht primär ein Klavier angeschafft, um klassische Musik zu lernen. Trotzdem spiele ich jetzt, verursacht durch dieses Forum, überwiegend klassische Stücke.

lg
Nora
 
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Ich glaube, dass man, wenn man nie zuvor klassische Musik gehört hat, was das Musik-Hören angeht, von der Popmusik völlig "verdummt" ist.


Klassische Musik zu hören, aktiv zu hören, ist eigentl eine Fachdisziplin für sich. Selbst als erfahrener Hörer muss man sich gut konzentrieren und trotzdem kriegt man nicht alles mit. Die Popmusik verlangt so genaues hören gar nicht, da gibts nämlich salopp gesagt nicht viel zu hören.
Die musikalischen Texturen verändern sich kaum, es gibt kein kontrapunktisches Material, keine Gegenthemen oder andere Satzstrukturen, die das Geschehen aufrauen. Überhaupt sind Entwicklungsprozesse außerordentlich selten. In der klassischen Musik werden sämtliche Paramter z.b. Dynamik, Melodik, Tempo, Artikulation, formale Anlage, Besetzung, usw usw sehr differenziert gehandhabt und ihr ganzes Ausdruckspotenzial ausgeschöpft. Das macht für mich die große Wirkung der klassischen Musik aus, und wer das nicht wahrnimmt (weil er keine Übung darin hat), findet die Musik natürlich langweilig und unverständlich.

just my 2 Cents , lg marcus
 
Hallo....

.....also dieses Thema finde ich hochinteressant!
Ich selber mache auch die Erfahrung, dass die klassische Musik leider, und zwar hauptsächlich unter den Jüngeren, nicht sehr beliebt ist. In meinem Freundeskreis fällt mir jetzt niemand ein der nur annähernd sich für diese Musikrichtung interessiert, leider!
Aber.....ich finde auch, dass es stark davon abhängt, wie man mit der Klassik konfrontiert wird. Viele meinen, klassische Musik ist "alte" Musik, das hören nur die "Alten"!! Viele haben gar keinen richtigen Bezug dazu. Was ich aber auch gemerkt hab, auch hier im Forum, wenn sich hier User anmelden, die vorher nie was mit dieser Musik zu tun hatten und dann zufällig oder auch nicht auf klassische Musik stoßen, egal was, und plötzlich genauer hinhören! Die Werbung tut ja da heutzutage auch schon was. Es gibt immer mehr davon. Z.B. bei Waschmittelwerbung wird neuerdings Chopin op.9,2 gespielt.....es gibt so einige!!

So viel erst mal......!
Einen schönen Sonntag wünscht euch der manaus;)
 
Jedoch kann man so frei sein und sich verschiedenste Medien zu Gemüte führen und dann entscheiden!-das habe ich auch gemacht-

Und es gibt nun einmal klassik sender und kulturfernsehen!

Ich würde mal behaupten, Dein Fall ist "leichter" als der Fall anders herum.

Was meine ich? Du kommst aus einem Musikerhaushalt, in welchem Du von Kindesbeinen an, an die "schweren" klassischen Musik herangeführt wurdest. Deine Abstecher in den "Mainstream" war insofern einfach, weil alle anderen in der Schule das sowieso auch machen. Und wenn das alle machen kann man sich das ja auch mal anschauen.

Im Durchschnittshaushalt wird das nicht der Fall sein. Dort werden die "Mainstream"-Medien vorherrschen, sonst wäre der Name ja auch blöde ;) Jetzt aktiv gegen die Konvention zu gehen und sich mit klassischer Musik zu befassen, dazu muss eine gewisse Grundmotivation da sein. Warum sollte ich mich mit klassischer Musik befassen, wenn mir die andere reicht? Von den anderen hört ja auch keiner Klassik...

Ich für meinen Teil glaube, dass die Ursache stark damit zusammen hängt, dass man sich im Fall von klassischer Musik länger mit der Musik beschäftigen muss. Heutzutage ist Musik so einfach erhältlich wie nie zuvor. Man könnte gar von einem Überangebot sprechen. Das normale Verhalten läuft in etwa so, dass man irgendwo einen Song hört, der einem gefällt, und den besorgt man sich dann per CD oder Download. Dann hört man ihn ein paar Mal und wenn er einem langweilig wird, dann hat man längst schon den nächsten gefunden.

Bei klassischer Musik ist das etwas anders, zumindest bei mir. Von Stücken, die ich nicht kenne, hab ich am wenigsten. Je besser ich ein Stück kenne, desto mehr habe ich davon.
Auch ist es so, dass Leute, die selbst ein Instrument spielen, sich beim Hören auf andere Dinge konzentrieren. Wenn ich beispielsweise ein Orchesterwerk höre, achte ich zuerst immer auf die Oboen/Englischhorn und bei Stücken, die ich kenne, freue ich mich immer auf die Solo-Stellen der Oboen bzw. Englischhorn, falls es welche gibt. Eine befreundete Hornisten erzählt mir immer von den tollen Hornstellen in den Stücken, die mir nie auffallen würden ;) Worauf konzentriert sich jemand, der kein Instrument spielt?
 
Zitat von rolf:
am besten man gewöhnt sich an die Tatsache, zu einer Minderheit zu gehören, wenn man Mozart, Bach & Co. mag ;) - - so lange die noch die 5% Hürde schaffen, ist Polen nicht verloren :D
Der war aber seeeeehr böse :o;)

Ich denke das ist ein reines Imageproblem. In ihren jeweiligen Epochen konnten sich doch auch Massen für Händel, Beethoven, Liszt etc begeistern.
Heute sehen Menschen in der Musik meist nichts anderes, als ein Kennzeichen für die "Stammeszugehörigkeit". Der Heavy-Metal-Stamm hört nicht die Musik von Britney Spears, weil knappe, in allen regenbogenfaben glitzernde Tütüs in der schwarzbemantelten Szene wohl gegen die jedwede "Stammesphilosophie" gehen würden.
Der Klassik-Stamm hat nach allgemeinem Konsens nun mal den Ruf, aus versnobbten, spießigen, sich als was Besseres haltenden älteren Herren mit ausgeprägtem Nasenhaarwuchs und beleibten, mit Weihnachtsbaumschmuck dekorierten Damen, zu bestehen (leider nicht ganz unberechtigt). Wer will da schon dazu gehören? Dann doch lieber Tütüs....
Will damit sagen, daas mit der Musik meist irgendwelche Bilder verbunden werden, die dem Weg zum Verständnis, die Musik einfach nur als Musik um ihrer selbst Willen zu wahr zu nehmen, versperren. Hört einer ein Cembalo, hat er vor dem geistigen Auge meist gleich herrausgeputzte, aristrokatisch herumzappelnde Perrückenträger. Darunter leidet dann die Wahrnehmung für die KLangfarbgkeit des Instruments und die feingliedrige polyphonie des Barock. Ähnlich wie bei der Orgel, wobei hier wieder ganz andere, egal, ob negative oder positive Assoziationen eine Mauer zur eigentlichen Musik aufstellen, die, wenn man sie mal als sie selbst erfasst hat, einen quasi zwingt sie zu lieben.
Das Klavier hat es da als allround Instrument um einges einfacher, nur die Musik selbst und nicht ein bestimmtes Image zu transportieren, wobei es mitlerweile auch schon von einer Dunstwolke, als Fernsehalternative vom pickeligen, gut bürgerlichem Mädchen das keien Freunde hat, umgibt, die verständlicher Weise nicht von allen geschätzt wird, oder ignoriert werden kann.

Das liebhaben von "komlpizierter" Klassischer Musik, hat meiner Erfahrung nach rein garnichts mit dem Intellekt, Bildungsgrad oder ähnlichem zu tun. Manchmal kommt es mir sogar vor, dass gerade die, von denen man es nicht erwarten würde, die Musik der alten Meister besonderst herzlich lieben.
 

Worauf konzentriert sich jemand, der kein Instrument spielt?

Auf das große und ganze oder nur, z.B. auf die Gesangsstimme?

Ich seh das jetzt bewusst von der Mainstream-Seite her. Dort hören die meisten einen allgemeinen Klang mit Gitarre, Schlagzeug und was da halt sonst noch so vorkommt... warum soll also jemand, der gewohnt ist Musik nebenbei zu hören auch auf eine bestimmte Stimme achten?

Durch dem komplexeren Klang von klassischer Musik ist vll. für viele nicht realisierbar.
 
Was haltet ihr denn nun von einer solchen Umfrage?

Ich dachte an einen Stil in der Form folgender (und noch mehr) Fragen:

- Was verbindest du mit dem Begriff "Klassische Musik"
- Wo, wann, wie oft kamst du mit KM in Berührung?
- Gefiel dir die Musik gut / schlecht (warum?)
- Wenn sie dir gefiel, warum hast du dich nicht weiter damit befasst?
- Falls du noch nie aktiv mit der Musik in Berührung kamst, warum beschäftigst du dich nicht mal damit
usw. usf.
Dann könnte man der Person zum Beispiel irgendein klassisches Stück präsentieren und weiter fragen, wie das auf die Person wirkt, welche Assotiationen und Menschen sie damit verbindet, ob sich die Wahrnehmung verändert, wenn das Stück einmal, zweimal, fünfmal gehört wird, ob sie sich weiter damit beschäftigen würde, ......

Ich fände das echt spannend!
 
In ihren jeweiligen Epochen konnten sich doch auch Massen für Händel, Beethoven, Liszt etc begeistern.

da wäre ich mir nicht so sicher, will sagen, da sollte man das 18. und 19. Jh. lieber nicht glorifizieren, denn die "Massen", welche in Paganini-Konzerte oder Rossini-Opern gingen, setzten sich nun nicht gerade aus der zahlenmäßig stärksten (und finanziell ärmsten) Bevölkerungsgruppe zusammen...
 
Klassische Musik ist sicherlich nicht allgemein verpönt aber es gibt viele Gründe warum sich vor allem Jugendliche nicht dafür interessieren:

- Die anderen hören sie nicht
- klassische Musik ist heutzutage kaum noch provokant
- die provokanten Zweige der klassischen Musik sind meistens weit entfernt von easy listening und erfordern eigentlich Erfahrung in klassischer Musik, damit man sich dafür interessieren und sie wenigstens ansatzweise verstehen kann
- man kann in Konzerten nicht die Sau rauslassen
- klassische (und andere intensive) Musik kann sehr nerven, wenn sie im Hintergrund läuft
- klassische Musik ist selten tanzbar
- alles, was die eigene Clique nicht hört, ist natürlich schlecht, klassische Musik trifft das also nur zufällig, das ist eine völlig normale Abgrenzung in der Jugend.

Es ist also ziemlich wahrscheinlich, daß Jugendliche die gleiche Musik hören, die auch ihre Freunde hören und das ist der Erfahrungsschatz, auf den sie später zurückgreifen müssen, wenn sie neue Musik hören - in der Regel Popmusik. Um sich über diesen begrenzten Horizont hinausbewegen zu können, braucht man Interesse, oder wenigstens Desinteresse an der bisherigen Musik und den Wunsch, weiter Musik zu hören.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Wenn man die ursprüngliche Frage etwas extremer formuliert und auf mehrere Musikrichtungen verwendet, wird ziemlich deutlich, daß es seltsam wäre, wenn sich alle Menschen für klassische Musik interessierten:

Warum interessieren sich nicht alle für Klassik?
Warum interessieren sich nicht alle für Free-Jazz?
Warum interessieren sich nicht alle für Popmusik à la Britney Spears?

Jeder Mensch hört zunächst eine begrenzte Auswahl von Musik und lernt deren spezielle Ausdrucks- und Wirkungsweise. Durch die Umwelt und eigenes aktives Interesse bildet man sich im Laufe des Lebens weiter und findet neue Musik, die sich einem erschließt. Das kann eigentlich in jede Richtung führen und vielleicht findet jemand ausgerechnet Zugang zu der Musik von Ligeti, aber niemals zu Mozart und hört außerdem Musik, die andere nicht mal als Musik erkennen würden.

Im übrigen hat sich ja der größte Teil nichtkirchlicher klassischer Musik an den kleinen Kreis des Adels und des Geldadels gerichtet, denn nur die konnten das überhaupt bezahlen. Ich bin davon überzeugt, daß es auch in früheren Jahrhunderten Popmusik jenseits der gerade aktuellen Klassik, Kirchen- und Volksmusik gab, die sich natürlich damals nicht so gut verbreiten konnte wie heute und verloren ging, weil sie niemand aufschreiben oder aufnehmen konnte. Und Subkulturen wurden früher ja auch wesentlich repressiver behandelt als heute.

Was halte ich von dieser Umfrage: Hier im Forum kann man fröhlich seinen Senf dazu geben und das Ergebnis wird eher nicht zur Durchsetzung persönlicher Interessen verwendet werden, sowas macht natürlich Spaß. Im Allgemeinen halte ich aber nichts davon, schon im Titel einer Umfrage eine Behauptung aufzustellen, die man durch die Umfrage beweisen oder widerlegen möchte. Solche Umfragen veranlassen die Teilnehmer, polarisiert zu antworten, was das Ergebnis verfälscht - kann natürlich auch gewollt sein.
 
Im Allgemeinen halte ich aber nichts davon, schon im Titel einer Umfrage eine Behauptung aufzustellen, die man durch die Umfrage beweisen oder widerlegen möchte.

Dem stimme ich zu -

Ausserdem bin ich NICHT der Meinung, dass klassische Musik "so verpönt" ist.
Wieviele Menschen (und darunter Jugendliche) spielen in Posaunenchören und haben dort Zugang??? Wieviele singen in diversen anderen Chören ???
Ich habe 3 Söhne im Alter von aktuell 18 bis 24 Jahren. Die sehen das eher locker. Der eine hat grad eine "Klassik-Phase" und hört Klassikradio - der andere hat über seine Mittelalterbegeisterung seine Liebe für die "Vor-Klassik" entdeckt und überlegt, ob er Dudelsack lernt - Geige ist ihm doch zuviel Aufwand.

Die "Liebe zur klassischen Musik" (und vor allem die eher ausschließliche Liebe dazu) mit "höherem Intellekt, höherer Bildung ... am Ende noch mit höherer Intelligenz?" zu verbinden halte ich für ziemlich starken Tobak und will mich davon deutlich distanzieren. Dies sage ich als jemand, der grad an einer Beethovensonate und einem Bachpraeludium übt und auch an einem Ragtime und einem Gospel.

Ich halte die sogenannte "klassische Musikrichtung" (die auch mit Beginn und Ende doch unterschiedlich definiert wird??) für eine Epoche der musikalischen Entwicklung der westlichen Welt. Sie enthält dabei sicherlich grundlegende Elemente und die heutige Musik hat sich in elementaren Teilen daraus entwickelt. Nichtsdestotrotz ist es eine Epoche, inzwischen eine geschichtliche Epoche, und hat damit nicht soviel Anziehungskraft wie "aktuelles Musikgeschehen".

Eine "Wertung" unterschiedlicher Richtungen und Epochen gegeneinander will ich nicht betreiben und unterstützen. Die Musik ist viel zu vielfältig und IM GANZEN interessant.
Wenn trotzdem viele sich auf die "allgemeine Musikberieselung" beschränken und sich nicht mit dieser Vielfalt auseinandersetzen, so haben sie hierfür wohl die unterschiedlichsten Gründe von "kein Interesse" bis "keine Zeit" - genauso wie ich mich gar nicht für Briefmarken und ihre Entwicklung interessiere, obwohl ich hin und wieder eine abschlecke und auf einen Brief klebe.
 
Die "Liebe zur klassischen Musik" (und vor allem die eher ausschließliche Liebe dazu) mit "höherem Intellekt, höherer Bildung ... am Ende noch mit höherer Intelligenz?" zu verbinden halte ich für ziemlich starken Tobak und will mich davon deutlich distanzieren.

Diese Studie (falls sich jemand frag: sie ist nicht frei zugänglich, aber ich kann sie durch die Uni lesen) stellt jedenfalls eine Korrelation mit der Bildung fest: "Das Hochkulturschema, im Kern durch klassische Musik und Oper repräsentiert, hat seine Hauptanhänger unter Höhergebildeten höheren Alters – besonders unter Frauen. Die Anteilswerte der mittleren und jüngeren Jahrgänge auf Abiturniveau sind deutlich niedriger." (Seite 35f; die Hervorhebung ist im Original)

Aus der Tabelle auf Seite 36f lässt sich ablesen, dass das vorhandensein eines Abiturs, höheres Alter und die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht Faktoren sind, die statistisch gesehen Gefallen an klassischer Musik begünstigen.

Die Verwendung des Wortes "Intellekt" im zitierten Abschnitt ist wohl problematischer; dazu wird's vermutlich gar keine Studien geben. Wenn man "Intellekt" durch "Intellektualität" ersetzt, dann passt's aber wieder.

Nichtsdestotrotz ist es eine Epoche, inzwischen eine geschichtliche Epoche, und hat damit nicht soviel Anziehungskraft wie "aktuelles Musikgeschehen".

Das bezweifle ich nun wirklich... Ich glaube kaum, dass eine signifikante Anzahl von Leuten als Grund für fehlendes Interesse an klassischer Musik deren Alter angeben würde. Das ist ja wohl nicht einmal bei Literatur so, und die hat auf jedenfall eine deutlich höhere Abhängigkeit von der außerkünstlerischen Realität als die Musik.

Die Beobachtung, dass klassische Musik verpönter wäre als andere Musikrichtungen, habe ich aber übrigens auch noch nicht gemacht.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
... Ich glaube kaum, dass eine signifikante Anzahl von Leuten als Grund für fehlendes Interesse an klassischer Musik deren Alter angeben würde.

Ja - da stimme ich zu -das wollte ich auch nicht aussagen. Trotzdem ist es, wie viele andere Epochen auch, eine geschichtliche Epoche. Das heißt "es gibt keine neuen Kompositionen, Premieren, aktuelle Hitparaden...." oder zusammengefasst: von in Nuancen unterschiedlichen Interpretationen abgesehen ist die klassische Musik ziemlich statisch. Und statische Sachen finden die meisten einfach weniger interessant, werden deshalb auch weit weniger kommerziell beworben und genutzt und sind so ganz automatisch "unterrepräsentiert".

Dein geschildertes Ergebnis der Studie überrascht mich im übrigen nicht wirklich. Ich denke, dass etliche der heute "ältere Generation" sich als "gebildet und intellektuell" von dem "allgemeinen Volk" absetzen wollten und dazu gewisse "Standesinsignien" definierten. Hierzu eignnete sich die klassische Musik recht gut, den die ist (wie heute) im "gemeinen Volk" wenig verbreitet. Dumme Sprüche auf lateinisch eigneten sich auch gut, den vor Asterix wusste die Allgemeinheit damit auch nichts anzufangen.
Heute eigenen sich als "Standesinsignien" teure Sportarten wie Golf sehr gut, die können sich nicht allzuviele leisten. Und genau in dieser Form gebraucht, halte ich die Nutzung solcher Insignien für den genannten "starken Tobak" oder eine Spitze der Arroganz.
Ich meine NICHT, dass viele Menschen, vor allem heute, deshalb Klassik hören oder musizieren. Ich denke aber, dass es früher verbreiteter war und heute noch existent ist. Von daher passt die Studie voll in mein "Weltbild".

Hebi
 
Diese Studie (falls sich jemand frag: sie ist nicht frei zugänglich, aber ich kann sie durch die Uni lesen) stellt jedenfalls eine Korrelation mit der Bildung fest: "Das Hochkulturschema, im Kern durch klassische Musik und Oper repräsentiert, hat seine Hauptanhänger unter Höhergebildeten höheren Alters – besonders unter Frauen. Die Anteilswerte der mittleren und jüngeren Jahrgänge auf Abiturniveau sind deutlich niedriger." (Seite 35f; die Hervorhebung ist im Original)

...evtl sollten manche Studien besser unveröffentlicht bleiben, denn sie könnten missverstanden werden ;)

weil dort Gefahren lauern, wähle ich einen Umweg:
unter praktizierenden Zahnärzten und Atomphysikern ist der Anteil der Abiturienten mit abgeschlossenem Hochschulstudium nahezu 100%ig, ein Umstand, der diese hochspezialisierte Gruppe gottlob nicht diskreditiert.

muss man höhergebildet sein, um sich über Zahnärzte zu ärgern, um sich Gedanken über Amalgam oder KKWs zu machen?

geht unsere Kanzlerin auf Grund einer eventuellen Höherbildung sommers Wagneropern hören? und begreift sie die??

...glitschiges Gelände... ;)
 

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