Joaninha;269093[B schrieb:
... Einmal hat ein Lehrer faktisch viel Arbeit. Es mag ja sein, dass ein Lehrer, der Sport und Mathe unterrichtet, mit 41 Stunden pro Woche hinkommt. Ein Lehrer, der Englisch und Deutsch unterrichtet, aber mit Sicherheit nicht, es sei denn, er hört auf, ein guter Lehrer zu sein, und schlägt sich auf die Seite der Bösen - z.B. weil ihm seine Familie am Herzen liegt und er sie nicht um die Zeit betrügen will, die ihnen (und nicht dem Beruf) zusteht. [/B]
Er hat irgendwann zwangsläufig den Eindruck, gegen Windmühlen zu kämpfen.
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... dass es wieder soweit ist und man Einblicke in das Seelenleben der Schüler bekommt. Tja, und kann der Lehrer diese Einblicke einfach abstreifen, wenn er nachmittags das Schulgebäude verlässt? ...
Hallo Joaninha,
Dir ist vorbehaltlos zuzustimmen, und was Du beschreibst, deckt sich recht gut mit der Selbstwahrnehmung der meisten Lehrer, die ich persönlich kenne. Für sich genommen sind alle Punkte auch korrekt und schlüssig.
Eines der Probleme liegt m.E. darin, daß Lehrer erstmal zur Schule gehen, von dort nahtlos zur Uni/PH, von dort aus Praktika und Referendariat im Schuldienst machen und dann wieder an die Schule gehen, und zwar: als Lehrer! Das kann man vielleicht nicht ändern, aber genau diese Unkenntnis darüber, was "da draußen" im Berufsleben so vor sich geht, führt wohl dazu, daß ich persönlich keine Berufsgruppe kenne, die so gerne und so viel über ihre Arbeitsbedingungen klagt.
Man muß sich darüber im klaren sein: Es gibt kein Land weltweit, das Lehrer besser bezahlt als Deutschland. Wenn man die Vergütung eines Oberstudienrats (wird am Gymnasium zuverlässig nach einigen Jahren erreicht) nimmt (bitte Netto vergleichen wegen fehlender Sozialversicherungsabgaben, da Beamter; Altersversorgung mit berücksichtigen!), dann muß man in der freien Wirtschaft schon im mittleren Management tätig sein oder im Krankenhaus als angestellter Oberarzt tätig sein, um vergleichbare Gehälter zu erzielen. Im gesamten Sozialbereich, wo auch Aademiker in kritischen Konstellationen tätig sind, wird dieses Gehalt nicht erreicht. Das heißt nun überhaupt nicht, daß Lehrer überbezahlt wären. Nur, daß von Ihnen dann schon auch etwas abverlangt werden darf, oder ?
Zum Familienproblem: Es gibt wohl keine andere gutbezahlte Vollzeittätigeit, die so problemlos mit Kindern und Familie vereinbar ist. Die Ferien sind lang, und je nach Schulform ist man an mehreren Nachmittagen zu Hause. Nein, dann hat man nicht frei - aber man kann sich die anstehenden Korrekturarbeiten etc. völlig frei einteilen und z.B. abends noch etwas machen, wenn die Kinder im Bett sind. Dazu kommen extrem flexible Regelungen zur zeitweisen Reduktion des Lehrdeputats und zu Auszeiten mit vollständig garantiertem Rückkehrrecht. Wo sonst gibt es all das ? :confused:
Gegen Windmühlen kämpfen: Ja, stimmt. Wenn ich aber z.B. einen beliebigen Projektleiter eines beliebigen Projekts in der Wirtschaft nehme, wird er genau dasselbe sagen. Und er wird von Kunden berichten, von denen er sich in recht unhöflicher Art und Weise abkanzeln lassen muß. Ärzte und viele andere Berufsgruppen werden dasselbe aus ihrem jeweiligen Umfeld berichten. Trotzdem haben viele Spaß an der Arbeit und klagen nicht. Und wenn doch: Dann orientieren sie sich eben um und machen etwas anderes: Für Lehrer undenkbar ?:confused:
Einblicke in das Seelenleben - da kann jede Führungskraft aus der Wirtschaft vieles berichten, dies beschränkt sich nicht auf Lehrer. Persönliche Konflite zwischen Mitarbeitern und individuelle Probleme einzelner Angestellter, z.B. mit Alkohol oder Ehescheidung, wollen angegangen und in ihrer Auswirkung auf die tägliche Arbeit begrenzt werden. Diese Dinge sowie der allgegenwärtige Kosten- und Termindruck kann auch nicht jeder einfach abstreifen, wenn er den Arbeitsplatz abends verläßt. Von den Existenzängsten, die Selbständige aufgrund schwankender Auftragslage oder neuer Marktentwicklungen betreffen, gar nicht zu reden. Da sind Lehrer als Beamte schon besser dran, meine ich. :cool:
Warum der lange Beitrag ? Weil ich Lehrer im allgemeinen mag und ihre Leistung respektiere. Die Geduld und das Engagement, das viele mitbringen, bewundere ich. Aber die Neigung zum Wehklagen, die habe ich bis heute noch nicht verstanden. Vielleicht sind es auch wirklich nur gerade die wenigen, die ich persönlich kenne ;)
Gruß
Rubato