Satie veräppelt Clementi

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Rosenspieß

Guest
Selbst nach langen
 
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Danke Rosenspieß für den Tipp. Gute Idee. Hier sind übrigens die Noten dieser Sonatine.

Mein Sohn spielt grade das Original von Clementi :-))

Ciao // Tom
 
Der Witz ist, glaube ich, weniger in der Musik zu suchen, mir jedenfalls erscheint die musikalische Verballhornung nicht so lustig, daß ich herzhaft drüber lachen könnte, wie ich überhaupt der musikalischen Ironie von Satie nichts abgewinnen kann, weil sie meistens stinklangweilig ist. Der Witz liegt eher im beigefügten Text, und nur wenn man den bei Aufführungen mitspricht, wird das Ganze lustig:

Da geht er fort.
Er geht in sein Büro.
...
Er denkt an seine Beförderung.
Vielleicht bekommt er eine Gehaltserhöhung.
....
Ein Klavier spielt nebenan Clementi.
usw.

Satie hätte die Clementi-Sonatine lassen können, wie sie ist, seine Version ist kaum lustiger, der Witz besteht in der abstrus falschen Deutung dessen, was die Musik bedeutet, und in der Trivialisierung durch die Verbindung des Arbeitstages eines Büroangestellten mit Kunst, die hier zudem Anfängerkunst ist, aber handwerklich für ihren Zweck sehr gut gemacht, meiner Meinung besser als Saties Persiflage.
Mit Musik ironisch sein zu wollen, ist sowieso fast unmöglich. Wenn Debussy in Golliwog's Cakewalk Tristan persifliert, dann versteht man das nur, wenn man das Motiv sofort als Zitat erkennt; da Ähnlichkeiten aber immer zufällig sein können, ist man nie so recht sicher, ob sie Absicht sind. Wenn Mozart im Dorfmusikanten-Sextett ein paar falsche Horntöne einbaut, die den Witz offensichtlich machen, dann versteht ihn nur der, der weiß, daß das keine unabsichtlichen Patzer waren, sondern daß die so in der Partitur stehen. In dieser offensichtlichen Blödelei besteht aber gar nicht die Ironie, sondern in dem, was sonst in dem Stück an falscher Periodenbildung, falschen harmonischen Wendungen und ähnlichem zu hören ist, womit Mozart sich nicht über Dorfmusikanten, sondern über schlechte zeitgenössische Komponisten lustig machen wollte. Das hört aber ein unbedarfter Zuhörer nicht, der von der Wirklichkeit noch schlechtere Musik gewohnt ist als von der Satire.
Und Saties Bürokratische Sonate könnte auch noch als modernes Quintenquietscher-Stück weggehen, das gar nicht ironisch gemeint ist, erst der Text dazu erklärt den Witz.

@tomi
Ist der Text in den Noten enthalten? Bei mir funktioniert der Link z.Z. nicht, der Server antwortet nicht.
 
Hi J. Gedan,

Danke für die Analyse -- hatte noch keine Zeit mit das Stück genauer zu Gemüte zu führen. Ja, in den Noten im Link ist der Text auch enthalten. Der Link ist bei mir tlw. auch nicht gegangen -- hoffe das sich das wieder erholt.

Grüße // Tom
 
Satie hatte eben ein superschrägen Humor.

Als sich Debussy darüber beschwert hatte, daß Saties Stücke alle so "formlos" seien, hat er das zum Anlaß genommen, Stücke in Birnenform (en forme de poire) zu komponieren :D

In eine ähnliche Richtung wie die Sonatine bureaucratique geht auch die erste der 12 Etüden von Debussy, betitelt: "Pour les cinq doigts - d'après Monsieur Czerny" mit Vortragsangabe "Sagement" (artig!)
 
"zum Thema stinklangweilig: das ist ja zum Glück Geschmacks- und Ansichtssache."
Sicher dürfen andere es auch wohlriechend interessant finden, das will ich ihnen keineswegs verbieten. Aber ich kann nur für mich sprechen.

"Ist Dir bekannt, ob Satie erst die musikalische Parodie schrieb und dann mit Text versah ... Meines Wissens gibt es wenig klare Erkenntnisse über Saties Arbeitsmethoden..."
Nein, ist mir nicht bekannt. Die Arbeitsmethoden sind mir auch ziemlich wurscht (Ansichtssache), denn interessant ist nicht, wie jemand zu einem Arbeitsergebnis kommt, sondern interessant ist allein das Arbeitsergebnis selber. Wenn Mozart beim Kegelbillard komponiert hat und Beethoven auf Spaziergängen -- der eine schnell mal eben im Kopf etwas entwerfend, das fertig war, bevor er es aufschrieb, der andere jahrelang um Themen ringend, die er in Skizzenbüchern festhielt -- dann mag es vielleicht interessant sein, von solch unterschiedlichen Arbeitsmethoden zu wissen, aber ein Werk hat immer für sich selber zu stehen; kann es nicht für sich selber stehen, dann ist es kein Werk, zumindest kein bedeutendes.

Saties "Vexations", ein langweiliges Klavierstück von gerade einmal zwei Notenzeilen, sind ein netter Gag, der darin besteht, daß die zwei Zeilen 840mal gespielt werden sollen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, besteht dieses "Werk" aus 35 Akkorden. Die sind homophon gesetzt, es gibt keine Gegenstimme und nichts, was sich an Interessantem darin ereignet. Der Initiative von John Cage ist es zu "verdanken", daß es 1963 in New York aufgeführt wurde: 10 Pianisten lösten sich während der Aufführungsdauer von 18 Stunden ab (kein einzelner kann einen solchen Quatsch so lange durchhalten). Ich las einst in einem Buch über Satie, man habe das damals zu schnell gespielt und es hätte eigentlich 28 Stunden dauern sollen. Die Idee des Gags mag gerade noch als satirisch durchgehen, seine Realisierung ist höherer Blödsinn, denn man kann etwas nicht einmal als Gehörbildungsübung 840mal wiederholen, bis auch noch der letzte Dummkopf das Musikdiktat aufgeschrieben hat. Es ist nichts weiter als ein breitgetretener Witz, den man schon nach der ersten Wiederholung verstanden hat und den man nun nicht weitere 838mal spielen muß, um einen simplen Gag zu einem pseudotiefsinnigen Ritual entarten zu lassen, das eine versammelte Zuhörerschaft wissentlich und willentlich in quälender Langeweile fesselt. Unter Satire verstehe ich etwas anderes als Langeweile. Zwar sind die "Vexations" ein Extrembeispiel, aber Saties Musik ist insgesamt von dieser Art falsch verstandener Satire, die nur den Gag möchte und darüber vergißt, daß Werkgestaltung mit Gags allein nicht gelingen kann. Debussys Vorwurf der Formlosigkeit ist berechtigt. Wenn Saties Antwort darauf die "3 Morceaux en forme de Poire à 4 mains" waren, dann liegt auch hier wieder nur der Witz in dem ironischen Titel, nicht in den Stücken selber, die so stinklangweilig sind wie alles von Satie.
 
Mir scheint, da will uns jemand den Spaß verderben.
 
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Nein, ich finde das höchst interessant, und außerdem freue ich mich über jeden Beitrag, der nicht in Lobpreisungsgesänge allgemeiner Übereinkunft einstimmen mag - und der darf auch ruhig etwas schärfer formuliert sein.

Interessant finde ich zum Beispiel den Gedanken von Jörg, dass Ironie mit musikalischen Mitteln schlecht möglich sei. Mir ist auch kein wirkliches Gegenbeispiel bekannt (was bei meiner geringen Musikkenntnis jedoch nichts besagen muss.) Allerdings kann ich nicht recht verstehen, woran das wohl liegen möge. Der eine Grund, dass ohne Bekanntheit des Originals der Effekt sich nicht einstellt, ist ja kein musikspezifischer.
 
Das hier ist jetzt zwar kein "Original & Parodie" im klassischen Bereich wie von Rosenspieß gewünscht; eine schöne Parodie auf die Zunft der in Musikerkreisen nicht gerade beliebten A&R-Manager ist es alle mal.

P.S.: Einfach auf der Seite ein bischen runter scrollen und auf das fette MP3! Symbol klicken.
 
"Mir scheint, da will uns jemand den Spaß verderben." (Haydnspaß)
Aber nein, er hat nur erklärt, warum nur ihm Satie keinen Spaß macht. Wer das anders sieht, lasse sich nicht beirren. Außerdem ist bei allem, was man an Urteilen von sich gibt, immer "dies ist meine Meinung" zu ergänzen, denn die "Meinung" heißt ja so, weil sie meine ist... (Ich muß das also auch im folgenden nicht hinter jedem Satz explizit angeben.)

Es würde mir auch nie einfallen, Satie zu beschimpfen, erstens weil ich ihn nicht kennen kann, da er lange tot ist, zweitens weil man Tote nicht beschimpft, drittens weil ich zu der Person Satie nur das sagen kann, was ich aus Büchern weiß. Daß man über Tote nichts Schlechtes sagen soll, impliziert aber nicht, daß man zu ihrem Werk keine Meinung haben darf:
Satie war jemand, der in der Musikgeschichte in einer marginalen Rolle Unterschlupf fand. Bestimmt war er im wirklichen Leben ein augenzwinkernder Witzbold. Das war Debussy allerdings auch, der voller Ironie und Satire ist. Der Unterschied ist allerdings, daß Debussy ein Werk hinterlassen hat, Satie nur ein paar Gags, Debussy eine Sprache, Satie nur einen Jargon.
Im übrigen kenne ich auch andere Kollegen, die über Satie den Humor verlieren. Mag sein, Satie sprühte im wirklichen Leben über vor Satire. In seiner Musik hat er dies nicht auszudrücken vermocht, sonst hieße die Satire seitdem doch besser Satiere...

"Deine Erörterung, das Stück erlange letztlich erst durch die Textelemente seine vollständige Prägung verleitet doch zu der Annahme, man habe hier eben doch auf die Bewertung der Arbeitsmethoden Wert gelegt." (Rosenspieß)
Nö. Das scheint mir ein falscher Gedankengang. Ich habe ja nicht gesagt, Satie habe das genauso gesehen. Ich betrachte nur ein "Werk" und komme zu dem Ergebnis, daß es nur in Verbindung mit dem Text zur Satire wird. Wie das zustande kam, und ob Text oder Musik zuerst da waren, finde ich völlig unerheblich.

"Möchte hier niemanden zu irgendwas bekehren. Ausser vielleicht zu der Sichtweise, dass Musik sich weder für Ideologie noch für Dogmatik besonders gut eignet." (Rosenspieß)
Rosenspieß, man muß ein dezidiertes Urteil nicht gleich als Dogmatik bezeichnen. Ich proklamiere keine Dogmen, schon gar nicht irgendwelche Ideologien. Beides bestände nämlich darin zu sagen: "Du sollst keine andere Meinung haben neben meiner, schon gar nicht deine Deinung". Außerdem gibt es in künstlerischen Urteilen keine Wahrheiten, es gibt nur eine Wahrheit, und die heißt Pustekuchen... Kontere einfach mit ebenso dezidierter Deinung..

"dass Ironie mit musikalischen Mitteln schlecht möglich sei ... Allerdings kann ich nicht recht verstehen, woran das wohl liegen möge." (Wu Wei)
Ich glaube, das ist schwer zu erklären, weil man musikalische Wirkungen schwer erklären kann, obendrein jeder aus der Musik immer nur gerade das heraushört, was er in sie hineinhört. Frohsinn ist nur mit einfachsten musikalischen Mitteln möglich, harmonische Verkomplizierung und Subtilität innerhalb tonalen Hörens zerstört jeden Frohsinn, es sei denn, sie ist so plakativ falsch wie die Hornstelle in Mozarts Dorfmusikanten-Sextett.
Außerdem ist Musik denkbar ungeeignet, Inhalte zu transportieren, sie kann nur Stimmungen wiedergeben und/oder ein geistreiches abstraktes Spiel sein, dessen Bedeutung schwer zu erschließen ist. Um bei Debussy zu bleiben: "Doctor Gradus ad parnassum" ist ein sehr ironischer Titel, dessen Anspielung man allerdings verstehen muß, um zu verstehen, daß hier eine Clementi-Persiflage gemeint ist. Die Anspielung ist aber nicht hörbar, es ist einfach nur meisterlich gesetzte schöne Musik, die alles andere als ironische Stimmung verbreitet.
Eines der wenigen Werke, wo Ironie auch hörbar ist, ist das eines anderen Franzosen, nämlich Saint-Saens' Karneval der Tiere. Bei den "Pianisten", die Saint-Saens zu den Tieren im Zoo rechnet, muß man vielleicht den Titel gar nicht kennen, da das plakativ "doof" ist. Ich fürchte aber, selbst das hört nur jemand, der selber schon einmal Fünffinger-Übungen absolviert hat und bei Terzgriffen dann langsamer werden mußte.
 

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