Möglichkeiten , Chancen der Entfaltung
Der Blick richtet sich, konzentriert sich auf einen anderen … Teil der Wirklichkeit.
Klavierspielen hat die Eigenheit, dass es dem Spieler selbst in die Hand gegeben ist, sich bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten zu begeben. In der Hochkonzentration auf die spielerischen Anforderungen fokussiert sich der Blick, das Gehör, das Gefühl (Fingerspitzen etc.) so sehr auf das musikalisch Erforderliche, dass andere Elemente der Realität dabei – zeitweise - in den Hintergrund treten.
Wenn es gut läuft, wenn Fortschritte zu merken sind, dann entsteht Glück. Selbst geschaffenes Glück. Allerdings auch ein Glück, das etwas Vergängliches hat – das ist der Musik immanent.
Glück - und das ist ja in nicht wenigen Fällen das Ziel der Existenz?
(OT Es sei denn, man wäre Mitglied von Sekten oder bei Radikalen - deren Ziele sind andere… )
Somit ermöglicht Klavierspiel auch – nicht die Realitätsflucht, aber – das Fokussieren auf andere Aspekte der Welt. Auf mich selbst. Mich neu oder anders oder in dem voranschreitenden Prozess der Veränderung zu erleben.
Ich bekenne, dass ich öfter auch in Missstimmung mich ans Klavier setze. Nahezu immer – fast stets – gelingt es, im gelungenen Spiel, im gelungenen Prozess der Verbesserung des Selbst, Glück zu erlangen und die vorige Situation zu „überspielen“.
Nur in ganz seltenen, extremen Situationen war ich so massiv beeinträchtigt, dass mir das Umschalten, die Konzentration auf die Noten, völlig unmöglich war.
Dann wusste ich: es geht mir richtig übel...
Nichtmal mehr Klavierspielen ist drin !?!?!? Empörend. Wem überlasse ich mein Glück? In welchen Abhängigkeiten befinde ich mich, dass die Macht entsteht, mir das Klavierspiel zu verunmöglichen !?!??!!? Daran ist zu arbeiten, das muss weg.
Manche setzen sich ans Klavier, um ein bisschen <plaetscher plaetscher> irgendwas zu dödeln, ein wenig Klang zu verbreiten. Das ist OK. Meist mache ich etwas anderes. Befasse mich mit den Nocturnes von Chopin. Stücke, die eigentlich (weil Spätbeginner und nur ca. 18 Monate Klavierunterricht gehabt) erheblich über dem mir regulär zugänglichen Niveau sind. Aber es geht. Ich mache die Erfahrung, dass es zwar sehr lange dauert, aber dass es mit der Zeit möglich wird, sich diese Stücke einzuarbeiten. Langläufer-Qualitäten sind es, die man da braucht. Frustresistenz, systematisches Arbeiten. Ich erziele Erfolge, in dieser Art oder Unart des Klavierspieles. Ich arbeite damit auch an Eigenheiten, Eigenschaften, die einen auch sonst im Leben weiterbringen.
Daher ist dies auch meine Empfehlung: Klavierspieler haben die Chance zu ihrem Glück selbst „in der Hand“. Sind auf andere nur insoweit angewiesen, dass sie eine grundsätzliche Möglichkeit zum Spiel brauchen, Platz für ein Klavier, und Zeiten zum Üben. Um dann nicht zuerst wegzutauchen aus der Realität, sondern an einem anderen Aspekt der Wirklichkeit zu werkeln: an sich selbst. An dem Fortschritt meiner Musik.
Ich entwickele, entfalte meine Persönlichkeit. Indem ich musiziere. Indem ich nicht nur irgendeinen Status halte, sondern mich voranarbeite. Mich nach vorne fokussiere. Besser werden.
Ohne es dabei zu übertreiben, hoffe ich. Denn wenn etwas wehtut, verhalte ich mich falsch.
Dies ist daher kein Plädoyer für "Realitätsflucht an den 88 Tasten", sondern eine Beschreibung, was geht. Der Chancen, zur Entwicklung.
Ein ungemein tolles Hobby, am Klavier seine Musik weiterzuentwickeln. Sich immer neue Stücke zu erarbeiten, immer neue Ziele zu setzen. Auf diesem Weg zu erleben, wie das Spiel der Ragtimes vom Joplin noch wieder schöner wird, profitiert von dem Spiel der Nocturnes Chopins.
Glück zu erfahren.