Pianist spielt Solokonzert mit Noten

sularis

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Vorige Woche war ich in Wien im Konzerthaus bei einem Solo-Konzert von Fazil Say.
Am Programm standen zuerst Eigenkompositionen und dann die Hammerklaviersonate. Zu meiner Überraschung spielte Fazil Say die Hammerklaviersonate mit Noten.

Irgendwie wirkte das ein wenig "befremdlich". Ich weiß nicht so recht, wie es formulieren soll, aber ich hatte irgendwie den Eindruck, dass das Gesamtpaket ein wenig unter dem Blick auf die Noten "beeinträchtigt" war. Der Vortrag seiner Werke (ohne Noten) wirkte kraftvoller, dynamischer, gefühlvoller. Das alles war dann bei Beethoven nicht mehr so ausgeprägt, wie wenn keine Magie mehr vorhanden gewesen wäre. Der Applaus war dann auch - sagen wir - ein wenig zurückhaltend.

Als Zugabe spielte er dann den 3. Satz der Appasionata ohne Noten. Und da war sie dann wieder, die Magie des Live-Vortrags.

Wie seht ihr das? Geht durch das Spielen mit Noten ein Teil des Fokus auf den Vortrag selbst verloren?

Kann ich von einem durchaus bekannten Pianisten erwarten, dass er ohne Noten spielt, oder habe ich da eine falsche Erwartungshaltung?

Mich würde eure Meinung dazu interessieren.
 
meine Frage wäre, ob der Vortrag „kraftvoller, dynamischer, gefühlvoller" und der Applaus weniger „ein wenig zurückhaltend " gewesen wäre, wenn das Publikum mit verbundenen Augen „mitgespielt" hätte.
 
Ob mit oder ohne Noten, mit oder ohne Hut, ist eigentlich egal - viel merkwürdiger wäre das Programm "nur Eigenkompositionen und Hammerklaviersonate" - - - war das tatsächlich der Fall?
 
Wie seht ihr das? Geht durch das Spielen mit Noten ein Teil des Fokus auf den Vortrag selbst verloren?

Kann ich von einem durchaus bekannten Pianisten erwarten, dass er ohne Noten spielt, oder habe ich da eine falsche Erwartungshaltung?

Mich würde eure Meinung dazu interessieren.

Lieber sularis,

es kommt häufiger vor, dass Pianisten nach Noten spielen, sei es Tzimon Barto (der macht es immer), sei es auch Igor Levit mit Schostakowitsch (er spielt regulär auswendig) o.a..

Es macht für das Spiel keinen Unterschied und es waren in den von mir besuchten Konzerten keine Abstriche in der musikalischen Qualität zu hören. Voraussetzung ist, dass der Pianist das Stück auch wirklich gut kann, geübt und durchdrungen hat und die Noten nicht als unbedingt notwendige Krücke dienen. Vielleicht war das hier nicht der Fall und das hört man natürlich.

Aimard, der teilweise Stücke erst mental übt, bevor er sie spielt und viel auswendig spielt, sagte einmal, dass das auswendige Spielen zu viele Ressourcen kosten würde und sprach sich in manchen Fällen (ganz besonders bei zeitgenössischer Musik) für ein Spiel nach Noten im Konzert aus. Da gibt es unterschiedliche Meinungen, die auch davon abhängen, wie viel und welches Repertoire ein Pianist hat und was er in welcher Zeit erarbeiten muss. Ich spiele immer auswendig, weil ich damit die größte Freiheit habe und so halten es viele. Außerdem kann man ein Stück, das man verstanden und intensiv geübt hat, sowieso meistens auswendig.

Liebe Grüße

chiarina
 
Zimerman spielt mit Noten seit einigen Jahren, Pogorelich noch länger. Na und? Sie alle beherrschen das Repertoire in- und auswendig aber brauchen vielleicht dann doch irgendwann die Sicherheit. Vielleicht hat Fazil say die Sonate neu einstudiert? Die ist ja nun auch nicht ohne.....
 
Vielleicht hat Fazil say die Sonate neu einstudiert?

Von Fazil Say ist am Freitag seine neue Gesamteinspielung der Beethoven-Sonaten als CD-Box erschienen. Ich kann es nicht beurteilen, aber vielleicht kommt selbst ein solcher Pianist bei dieser Menge an Musik von einem Komponisten in relativ kurzer Zeit (oder ist zwei Jahre sogar zu lang?) an die Grenzen und nimmt lieber zur Sicherheit die Noten mit.
 
Das erinnert mich an etwas: die Hammerklaviersonate habe ich mehrmals aufgeführt, aber die Figuration in der Reprise des langsamen Satzes habe ich mir nie so richtig eingeprägt, und dementsprechend habe ich die Stelle jedes Mal ein bisschen anders gespielt/improvisiert/vertauscht.
Für Hans von Bülow, wenn ich seine Bemerkung richtig in der Erinnerung haben, war die Stelle ein Paradebeispiel der Notwendigkeit des Auswendiglernens. Upps. Nächstes Mal gebe ich mir die Mühe.
 
Ob mit oder ohne Noten, mit oder ohne Hut, ist eigentlich egal - viel merkwürdiger wäre das Programm "nur Eigenkompositionen und Hammerklaviersonate" - - - war das tatsächlich der Fall?
Ich war auch bei dem Konzert und ja: das war das Programm. Vor der Pause sein "Troja" und danach die Hammerklaviersonate und als Zugabe 2. und 3. Satz aus der Appassionata.

Interessante Mischung. Aber das lag für mich nicht so sehr daran, dass er die Hammerklaviersonate mit Noten gespielt hat, sondern eher an der (für mich doch, naja, ungewohnten) Interpretation. Und natürlich dem Fazil-Say-typischen Gestampfe dazu. Seine Eigenkompositionen muss man auch mögen.

Die Appassionata hat mich dann letztlich aber wieder versöhnt.
 
... der eine stampft, der andere brummt mit - wie z. B. Glenn Gould :021:
 

Das wäre tatsächlich ein interessantes Experiment.

dass der Pianist das Stück auch wirklich gut kann, geübt und durchdrungen hat und die Noten nicht als unbedingt notwendige Krücke dienen.

Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Noten als notwendige Krücke dienten, wohl eher als Sicherungsnetz.


sondern eher an der (für mich doch, naja, ungewohnten) Interpretation. Und natürlich dem Fazil-Say-typischen Gestampfe

Vielleicht war es auch die Interpretation, die mich - sagen wir - irritierte. Und ich dachte, es liegt an der für mich ungewohnten Szenerie auf der Bühne. Ja und das Gestampfe hat mich auch ein wenig befremdet. Ich dachte mir, wenn Beethoven das gewollt hätte, dann hätte er wohl eine Sonate für Klavier und Trommel geschrieben.
 
wenn Beethoven das gewollt hätte, dann hätte er wohl eine Sonate für Klavier und Trommel geschrieben.

Wäre denkbar :teufel:. So wie es z. B. einige Ragtime-Komponisten gemacht haben. Die haben Stomps, Klatschen oder Schnipsen (da bin ich mir jetzt nicht so sicher) in die Noten reingeschrieben. Sozusagen als "Vorschrift" :party: Damit der Spieler in den Pausen nicht einschläft :-D
 

@ChristineK ich kenne "Troja" nicht, aber die op.106 Sonate - wie war dein Eindruck: kann sich das neben (oder vor) op.106 hören lassen, oder wirkte das befremdlich?

Für mich wirkte die Zusammenstellung befremdlich. Ich hatte ein bisschen den Eindruck, dass er die sperrige Eigenkomposition an den Anfang stellen "musste", damit ihm die Leute nicht abhauen (weil sie ja nach der Pause noch mit Bekanntem und Bewährtem "belohnt" werden...)

Es könnte aber auch sein, dass man sich in moderne Kompositionen wie Troja erst reinhören muss. Und dass es irgendwie geartete, musikalische Zusammenhänge mit Beethoven gab, die sich mir nicht erschlossen haben. Dazu fehlt mir - leider - auch der nötige Sachverstand.
 
Troja gibt es ja bei YT zu hören, ich kenne es auch nicht und kann es momentan hier leider auch nicht hören. Neulich lief im Radio WDR 3 sein Violinkonzert "1001 Nights in the Harem", das war äußerst melodisch und gar nicht sperrig, wie auch z.B. seine Balladen für Klavier. Ich habe nie verstanden, warum man nicht so ein Programm gestalten sollte. Z.B. Friedrich Gulda hat in seinen Programmen ja auch Beethoven, Mozart oder Bach mit seinen eigenen Kompositionen kombiniert und es ist doch legitim und nachvollziehbar, wenn ein Komponist auch die eigenen Werke spielt. Oder meint ihr, Beethovens op. 2.3 würde gehen, op. 106 oder 111 aber nicht?
 
Für mich wirkte die Zusammenstellung befremdlich. Ich hatte ein bisschen den Eindruck, dass er die sperrige Eigenkomposition an den Anfang stellen "musste", damit ihm die Leute nicht abhauen (weil sie ja nach der Pause noch mit Bekanntem und Bewährtem "belohnt" werden...)
In Graz hat er es vergangenen Donnerstag umgekehrt gemacht: Zuerst Mozart, Sonate in F, KV 332 und die "Appassionata", nach der Pause dann "Troja". Das Publikum ist trotzdem bis zum Schluss geblieben, das Konzert hat großen Anklang gefunden.
 
Ich habe mir Troja mal bei youtube angehört. Das ist doch die „Troy Sonata“, oder? So sperrig, wie hier manche schreiben, finde ich die gar nicht. Jedenfalls nicht sperriger als Prokofjeff oder Bartok. Da ist teilweise Groove drin, teilweise sinnliche Klänge. Gefällt mir ganz gut!
 
Ich habe mir Troja mal bei youtube angehört. Das ist doch die „Troy Sonata“, oder? So sperrig, wie hier manche schreiben, finde ich die gar nicht. Jedenfalls nicht sperriger als Prokofjeff oder Bartok. Da ist teilweise Groove drin, teilweise sinnliche Klänge. Gefällt mir ganz gut!
Ja, hat mich an "Monumentalfilmmusik" erinnert.
 

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