Pianist spielt Solokonzert mit Noten

Noch in der Mitte des 19. Jh. gab es die Meinung auswendig spielen sei respektlos gegen den Komponisten, da man ja suggeriere man improvisiere wenn man ohne Noten spielt!
Ich halte die Frage nach dem Auswendigspielen für überschätzt, Tharaud spielt auch mit Noten und der ist noch recht jung. Ich selbst habe noch so viel auf meiner to do Liste, dass ich nicht alles auswendig lernen kann, was ich einstudierten möchte.
 
Dass es mit Clara Wieck zu tun hatte, war mir erinnerlich.
@Alter Tastendrücker dunkel erinnere ich mich auch an sowas (irgendwelche Kritiken an Clara Schumann Konzerten) und ich bin recht sicher, dass die Rezensenten, welche diese kuriose Ansicht vertraten, nicht zu den überlieferten kulturellen oder literarischen Leuchten zählen (also keine nennenswerte Rolle spielen)
...dem Chopin, dem Liszt, dem Brahms hat niemand jemals das auswendige Spiel in Konzerten angekreidet. Als Liszt op.106 uraufführte, hatte einer die Noten dabei: Berlioz, der im Publikum saß :-)
 
Das ist für mich ein interessantes Thema, zumal ich eher zu denjenigen gehöre, die oft und gerne ohne Noten spielen. Ich habe das allerdings nie als Last empfunden, im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen, und ich frage mich warum.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich meistens nicht den Anspruch hatte, dass alles genau mit der Partitur übereinstimmen müsse. Anhand einiger Situationen, in denen ich doch diesen Anspruch hatte (Studentenzeit, besondere Vorstellungen/Herausforderungen...), kann ich den "Stress" doch etwas nachvollziehen. Den würde ich wahrscheinlich als regelmäßigen Teil meines Berufslebens nicht gerne aushalten. Viele Stücke (die ich teilweise oft genug im Konzert gespielt habe) kenne ich nur als Gerüst mit Melodie und Harmonie, alles andere wird nach bestem Ermessen im Moment ausgefüllt.
Wenn ich eine Sicherheit im Auswendigspielen genieße, fußt dies von daher wahrscheinlich eher auf einem Selbstvertrauen (und einer Bereitwilligkeit) im Improvisieren.
Wenn ich also jetzt Op 106 spielen würde, und darauf bestünde, alles Notierte deutlich und getreu wiederzugeben, und jeder Anweisung Folge zu leisten, würde ich vielleicht auch auf Dauer die Noten dabei haben wollen. (Um Zweifel zu vermeiden: ich kenne weder Fazil Say persönlich noch seine Einstellung zu dieser Sache.)
 
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Wenn ich also jetzt Op 106 spielen würde, und darauf bestünde, alles Notierte deutlich und getreu wiederzugeben, und jeder Anweisung Folge zu leisten, würde ich vielleicht auch auf Dauer die Noten dabei haben wollen.

Igor Levit am 11.Januar im Pierre-Boulez-Saal:

Georg Muffat Passacaglia g-moll aus Apparatus musico-organisticus
Frederic Rzewski Dreams II (Igor Levit gewidmet)
Johann Kaspar Kerll Passacaglia d-moll
Ferruccio Busoni Fantasia contrappuntistica

Er hat Muffat und Kerll aus den Noten gespielt, Rzewski und Busoni vom Tablet.
Auch Rzewski und vor allem den Busoni komplett auswendig zu spielen ist sicher möglich.
Aber sinnvoll? Es war ein außergewöhnlich eindrucksvolles Konzert!:super::super::super:
 
Es ist ein reines Gedankenkonstrukt, dass Auswendigspielen ein anderes musikalisches Ergebnis hervorbringen sollte als das Spiel von Noten. Die Verantwortung dafür liegt ganz allein beim Musiker. Denn die Schlussfolgerung daraus müsste ja lauten, dass Lied, Kammermusik, Orchesterkonzerte, die keine Violin- und Klavierkonzerte sind (und ergo relativ häufig mit Noten gespielt werden), Neue Musik und Sinfonien, die der Dirigent mit Partitur dirigiert, schlechter musiziert werden als unsere hochgelobten Klavierabende. Das ist sicher nicht der Fall.

Was wohl stimmt ist, dass das Spielen von Noten manchen eher dazu verleitet, weniger genau zu Arbeiten. Das wiederum hätte natürlich eine mindere Qualität im Spiel zur Folge. Aber das ist nicht das Problem der Noten auf dem Brett, sondern das Problem der Arbeitsweise und des Anspruchs des Pianisten.
Anders herum kann man auch draufschauen: Die Noten können selbst noch im Konzert eine ständige Inspirationsquelle für den Musiker sein, die er beim Auswendigspielen in dieser Form nicht hat.

Der Hauptgrund, warum Pianisten auswendig spielen, sollte höchstens sein, dass sie kein Brett vor dem Kopf haben und man das ganze Notenbrett herausnehmen kann, was den Klang meistens hörbar (für den Pianisten) verbessert.

Außerdem braucht man beim Spiel mit Noten meistens einen Blätterer, was mich auf Dauer wirklich extrem nerven würde (aus logistischen Gründen, und auch, weil ich niemanden da neben mir herumsitzen haben möchte, außer wir musizieren gemeinsam). Allerdings auch hier: Akkordeonisten spielen häufig dasselbe wie Pianisten, und dies meistens mit Noten. Die kleben sich ihre Partitur mit ausgeklügelten Faltsystemen so zusammen, dass sie allein blättern können.
 

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